
© Science Photo Library
Aufbau und Funktion der Bandscheiben
Weich gebettet liegen die knöchernen Wirbelkörper des Rückgrats zwischen den Bandscheiben. Im Inneren der Bandscheibe befindet sich ein gelartiges Kissen. Perfekt, um alle Stoß- und Druckbelastungen der Wirbelsäule abzudämpfen.
Daneben sorgen die Bandscheiben für Beweglichkeit im Oberkörper. Sich nach vorne beugen, zur Seite lehnen und über die Schulter blicken gelingt nur durch ihr Zutun. Für die knorpeligen Knautschzonen bedeutet das, täglich eine immense Last zu stemmen.
Gibt einer der Puffer unter dem Druck nach, kommt es zu einem Bandscheibenvorfall. Die richtige Unterstützung lässt bandscheibenbedingte Beschwerden schneller abklingen – und hält die Wirbelkissen langfristig gesünder.

© FOCUS-GESUNDHEIT
Bandscheibendefekte können in der gesamten Wirbelsäule auftreten. Wie häufig die unterschiedlichen Bereiche betroffen sind
Diagnose: Bei Schmerzen oder anderen Symptomen nicht zögern, einen Arzt aufzusuchen
Zieht sich ein Riss durch Fasergürtel, wölbt sich der gelartige Kern nach vorne oder tritt wie bei einem gefüllten Kaubonbon nach außen. Ein Bandscheibenvorfall liegt vor. Nicht immer verursacht er Beschwerden, meint Markus Schilgen, Facharzt für Orthopädie und Spezialist für Rückenschmerzen in Münster: „Viele Patienten merken gar nichts von dem Defekt.“ So leben 20 bis 30 Prozent aller unter 60-Jährigen unbewusst mit einem kaputten Puffer. Bei Rücken-Check-ups mit bildgebenden Verfahren werden solche Fälle sichtbar. Meist ist das aber kein Anlass zur Sorge. „Eine Bandscheibe verlangt erst Aufmerksamkeit, wenn Symptome von ihr ausgehen“, so der Experte.
Kritisch wird es, sobald der ausgetretene Gel-Kern auf Nerven drückt und sich das umliegende Gewebe entzündet. Die entsprechenden Beschwerden reichen von ausstrahlenden und stechenden Schmerzen über taube oder kribbelnde Körperstellen bis hin zu Lähmungserscheinungen in den Gliedmaßen. Am häufigsten sind Vorfälle im Lendenbereich, gefolgt von Defekten in der Nackengegend. Selten ist ein Stoßdämpfer im Brustraum beschädigt.

© FOCUS-GESUNDHEIT
Bei einem Bandscheibenvorfall tritt durch einen Riss im Faserring der Gelkern aus und drückt gegen einen Rückenmarksnerv
Orthopäde Markus Schilgen hat in seiner Praxis Tausende defekte Zwischenwirbelscheiben begutachtet. Jeder Verlauf, so sagt er, sei individuell. Es komme ganz darauf an, welchen Nerv ein Bandscheibenkern berühre und wo er ihn einenge . „Mal schmerzt das komplette Bein, mal fährt es einem in den Rücken, mal kribbeln die Zehen“, erzählt der Orthopäde. „Zum Arzt sollte man bei Symptomen immer gehen. Er kann die Situation einschätzen und weiß, wann die Gefahr eines dauerhaften Nervenschadens besteht.“
Werbung
Therapie: Oft genügen Geduld und Bewegung, wenn ein Bandscheibenkern austritt
Bettruhe ist das falsche Mittel bei lädierten Bandscheiben. Sie brauchen Bewegung, um sich zu erholen – vorausgesetzt, der Zustand erlaubt es. Rückenfacharzt Markus Schilgen rät, zu Beginn wie gewohnt den Alltagspflichten nachzugehen, vom Arbeiten bis zum Einkaufen. „Allerdings sollten Sie unbedingt Ihre physischen Grenzen respektieren und wenn etwas wehtut sofort runterfahren.“ Schmerzstillende Mittel, als Tablette oder Spritze verabreicht, erleichtern währenddessen die Rückkehr zu einem aktiven Lebensstil.
Begleitend zur Selbsthilfe erhalten Betroffene eine Kombination aus Physio- und Sporttherapie. „Dort können Patienten gezielt nach Übungen fragen“, ermutigt Schilgen. „Kommt ein peingeplagter Patient nicht aus dem Bett, ermöglichen schonende Bewegungsabläufe, weiterhin mobil zu bleiben.“ Eine psychologische Verhaltenstherapie verringert parallel schmerzverstärkende Faktoren wie Stress. Oft klingen die Beschwerden bereits nach wenigen Tagen merklich ab und verschwinden innerhalb von einigen Wochen komplett. Im Großteil der Fälle gelingt es, den Bandscheibenvorfall ohne Operation auszukurieren.
Zeigt die konservative Behandlung nach einigen Wochen keine Wirkung, überprüft der Arzt, ob ein chirurgischer Eingriff sinnvoll ist. „Davor kann eine OP hilfreich sein, wenn der Patienten unter starken Schmerzen leidet“, sagt Schilgen. Im langjährigen Vergleich ist eine OP der konservativen Behandlung allerdings nicht überlegen. „Arzt und Patient sollten deshalb nicht überstürzt handeln und gut abwägen, ob der Schritt sinnvoll ist“, betont der Orthopäde. Eine ärztliche Zweitmeinung bringt im Zweifelsfall mehr Sicherheit bei der Entscheidung.
Notfall: Schwere Lähmung und Symptome im Genitalbereich erfordern eine schnelle Operation
Wenn das Bandscheibeninnere im Bereich der unteren Lenden auf ein ganzes Nervenbündel drückt, ist schnelles Handeln gefragt. Kommt es zu einem Kontrollverlust über Blase und Darm, Taubheit im Genitalbereich und an den Innenseiten der Schenkel („Reithosen-Anästhesie“) oder zu schwerwiegenden Lähmungen, muss in der Regel rasch operiert werden. Ziel ist, bleibende Leiden wie Inkontinenz abzuwenden. Bei einem minimalinvasiven Eingriff entfernen Chirurgen das ausgetretene Material aus dem Rückenmarkskanal. Im Normalfall kann der Patient nach wenigen Tagen entlassen werden.
FOCUS-GESUNDHEIT 03/22
Dieser Artikel ist eine gekürzte Fassung. Den vollständigen Text finden Sie in der Ausgabe Knochen & Gelenke. Weitere Themen: Das hilft wirksam bei Seitenstechen, Muskelkater und Krämpfen. Was Sie bei Orthopädie-Apps beachten sollten. U.v.m.
Zum E-Paper Shop
Zum Print-Shop
Werbung
Vorsorge: Ein aktives Leben kurbelt den Stoffwechsel der Bandscheiben an
Lange galt physische Überlastung als größter Risikofaktor für lädierte Bandscheiben. Vom Golfspielen wurde abgeraten und rückenfreundliches Arbeiten empfohlen. Bis Zwillingsstudien und DNA-Analysen etwaige Zusammenhänge relativierten und einen anderen Hauptauslöser fanden: „Wir wissen heute, dass die genetische Veranlagung eine wichtige Rolle beim Verschleiß des Faserrings spielt“, sagt Facharzt Markus Schilgen. Die Knautschzonen einfach ihrem Schicksal zu überlassen sei aber nicht die Lösung: „Es gibt durchaus Faktoren, die wir beeinflussen können“, meint der Orthopäde. So wirke sich etwa Rauchen, Übergewicht und Bluthochdruck schlecht auf die Wirbelkissen aus.
Der wirksamste Hebel für die Gesundheit der Bandscheiben ist aber die körperliche Aktivität. Bewegung ist in ihrem Versorgungsplan fest einprogrammiert. Der Gel-Kern einer Bandscheibe enthält viel Wasser. Untertags, besonders bei Anstrengung, wird er durch den einwirkenden Druck ausgepresst, und Stoffwechselprodukte treten aus. Im Laufe des Tages schrumpfen die Bandscheiben so um jeweils einen Millimeter. Nachts, wenn der Mensch liegt, saugen sie sich mit neuer Flüssigkeit voll und nehmen Nährstoffe auf.
Sport kurbelt die Ernährung der Bandscheiben an und kräftigt sie. Rückenspezialist Schilgen rät seinen Patienten deshalb, im Alltag ausreichend Bewegung unterzubringen: „Gut für den Rücken sind schwimmen, wandern und radeln. Wichtiger ist aber, dass die Sportart Spaß macht. Hauptsache, Sie bleiben aktiv.“
Bandscheibenvorfall: Ursachen und die richtige Therapie + Tipps gegen Rückenschmerzen (Unser Podcast für ein gutes Körpergefühl – Folge #9)
Zu Gast im Podcast:
Dr. med. Ulf Marnitz, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie am Rückenzentrum am Markgrafenpark in BerlinRückenschmerzen kennt (fast) jeder, denn sie zählen zu den häufigsten Beschwerden der Menschen in Deutschland.
In dieser Podcastfolge sprechen wir mit dem Schmerzexperten, Orthopäden und Unfallchirurgen Dr. Ulf Marnitz darüber, was jeder tun kann, um der Pein im Kreuz effektiv vorzubeugen. Der ergonomische Büroarbeitsplatz gehört genauso dazu wie die richtige Bewegung.
Unser Experte erklärt, warum Sitzbälle Schnee von gestern sind und wie ihr die innere Rückenmuskulatur am besten trainiert. Die passende Übung für zu Hause verrät er natürlich auch.
Außerdem finden wir die SOS-Tipps für akute Rückenschmerzen heraus und klären, was langfristig hilft. Zudem erfahrt ihr, wie ein Bandscheibenvorfall entsteht und weshalb schonen immer kontraproduktiv ist.