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Stupsen statt schubsen

Bei Gesundheitsfragen entscheiden wir nicht immer klug. Verhaltensstupser, sogenannte Nudges, können uns in die richtige oder falsche Richtung lenken – hin zu gesünderer Ernährung und mehr Bewegung.

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Inhaltsverzeichnis
Eine Frau hält in einer Hand einen Strauß Brokkoli, in der anderen einen pinken Donut.

© Shutterstock

Der Mensch verhält sich häufiger wie Homer Simpson als wie Albert Einstein, behauptet Richard Thaler. Eine provokante These. Doch der amerikanische Verhaltensökonom hat mit der Theorie, die diesem lockeren Spruch zugrunde liegt, einen Nerv getroffen – und 2017 dafür den Nobelpreis erhalten. Der Normalsterbliche, so Thaler, ist ein grandioser Fehlentscheider. Ebenso wie die Comicfigur Homer Simpson folgt er im Alltag zuverlässig dem Lustprinzip. Egal, ob es um seine Finanzen oder seine Gesundheit geht, er neigt wider besseres Wissen zur Unvernunft. Und ist am Ende damit selbst am unzufriedensten.

Wir nehmen uns vor, weniger Pizza und mehr Gemüse zu essen, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren und uns Alkohol höchstens am Wochenende zu gönnen. Doch dann kommt das Leben dazwischen: das Auto auf dem Weg zum Rad oder der leckere Burger auf dem Weg zur Gemüsetheke. So weit, so menschlich. Thaler hätte aber nicht den Nobelpreis verdient, würde er das Individuum nur für dessen Unzulänglichkeit an den Pranger stellen, ohne Lösungen zu präsentieren.

Gesünderes Verhalten fängt in der Stadtplanung an

Seine Verhaltensexperimente haben gezeigt: Man muss es dem Menschen schlichtweg einfacher machen, sich vernünftig zu entscheiden – dann klappt es mit der Gesundheit. Etwa mittels einer sehr viel durchdachteren Planung von Städten, Supermärkten oder Kantinen. Bekommen etwa die gesunden Lebensmittel im Supermarkt einen prominenteren Platz, oder gibt es in Städten einfach zugängliche Sportmöglichkeiten, sind die Hürden, sich gesund zu verhalten, weitaus niedriger. Diese kleinen Verhaltensstupser nennt Thaler „Nudges“, von englisch „anstupsen“. Denn eins ist klar: Menschen werden lieber gestupst als geschubst. Auf Verbote und Gebote reagieren sie widerborstig – das wissen Verhaltensforscher ebenso wie Lehrer, Politessen und Eltern.

Doch was hat Gesundheit überhaupt mit Entscheiden zu tun? Schließlich will doch jeder gesund sein. Tatsächlich ist jeder Bierbauch, jeder verspannte Rücken auf eine Vielzahl persönlicher Verhaltensausrutscher zurückzuführen. „Wenn Menschen Entscheidungen treffen, geschieht das selten völlig rational oder bewusst“, weiß der Neurowissenschaftler Todd Hare. An der Universität Zürich erforscht er, was Essensentscheidungen beeinflusst. Ob wir in der Kantine zum Schokoriegel anstatt zum Apfel greifen, wird durch eine Reihe von Faktoren beeinflusst. „In jede Entscheidung fließen Erfahrungen aus der Kindheit, die Meinung und das Verhalten unseres direkten sozialen Umfelds, Gewohnheiten und vor allem Emotionen ein“, sagt Hare.

Dem Gehirn Denkleistung abnehmen

Ist der Mensch also schlicht zu dumm und lustgetrieben, um sich gesund zu verhalten? Nicht ganz. Die Fehlentscheidungen haben vielmehr etwas damit zu tun, wie das menschliche Gehirn funktioniert. Jeden Tag muss es eine ungeheure Vielzahl an Entscheidungen treffen – manche wichtiger, andere weniger. Um seine begrenzten Ressourcen richtig zu rationieren, nutzt es bei einigen Fragen eine Abkürzung. „Die meisten Denkprozesse finden auf mehreren Ebenen statt“, erklärt Hare. Da sind zum einen die intuitiven Entscheidungen, die eher emotional, automatisch und sehr schnell getroffen werden. Das spart Zeit und Hirnpower, ist aber auch fehlerbehaftet. Denn diese Entscheidungen sind besonders anfällig für Emotionen wie Stress oder äußere Einflüsse. Bei wichtigeren Entscheidungen bemüht das Gehirn andere Strukturen, wägt Risiken, Vor- und Nachteile ab.

Vor allem aber berücksichtigt es, welchen Einfluss die Wahl auf die Zukunft haben könnte, und warnt uns: „Wenn du jetzt diesen Schokoriegel isst, wird er sich irgendwann auf deinen Hüften wiederfinden.“ Da diese rationale Ebene aber Zeit und Gehirnressourcen kostet, bemühen wir sie bei der Entscheidung „Apfel versus Schokoriegel?“ eher selten. Hier kommen die Nudges ins Spiel. Sie machen es dem Gehirn einfacher, die gesündere Wahl zu treffen, ohne dass es höhere Hirnstrukturen aktivieren muss.

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Kleine Tricks im Alltag

Lucia Reisch, Professorin an der dänischen Copenhagen Business School, berät große Unternehmen und Regierungen zum Thema Nudging. Zum Beispiel gestaltet sie Kantinen oder Supermärkte um, sodass Menschen eher zur gesünderen Variante greifen – auch wenn sie gestresst oder hungrig sind. „Häufig ist es nur eine Frage der Platzierung oder Beleuchtung von Lebensmitteln, die uns das eine anstatt des anderen Lebensmittels wählen lässt“, sagt sie. So hilft es bereits, wenn Obst in der Kantine auf Augenhöhe an der Kasse platziert wird, wo man sowieso wartet. In einer Firma, mit der Reisch arbeitet, weisen in der Kantine grüne aufgeklebte Fußabdrücke den Weg zu den gesunden Optionen. „Essensentscheidungen werden meist erst vor Ort und sehr kurzfristig getroffen“, weiß Reisch. „Deshalb müssen wir Menschen zu diesem Zeitpunkt daran erinnern, was eigentlich gesund ist.“ Das klappt zum Beispiel über Aufsteller im Supermarkt oder E-Mail-Reminder kurz vor dem Mittagessen.

Oft hilft es auch schon, den Namen eines Gerichts schmackhafter klingen zu lassen, damit mehr Menschen zugreifen. Psychologen der amerikanischen Stanford University stellten diese Theorie in ihrer Mensa auf den Prüfstand. Sie priesen das gleiche Gemüsegericht abwechselnd als „kalorienarme Wahl Zucchini“, als „geröstete, karamellisierte Zucchini“ oder als „nährstoffreiche grüne Zucchini“ an. Bei den „karamellisierten Zucchini“ griffen 35 Prozent mehr Menschen zu als bei der „nährstoffreichen“ Variante. Die „kalorienarme Wahl“ hatte kaum Abnehmer. Das läge daran, dass Menschen Lebensmittel, die sie für besonders gesund halten, auch als weniger schmackhaft beurteilten, so die Forscher.

Bewegung durch Nudges befeuern

Nicht nur das Essverhalten, auch die sportliche Aktivität lässt sich durch Nudges befeuern. „Nudges, die den Spieltrieb des Menschen ansprechen, sind sehr erfolgreich“, so Verhaltensökonomin Reisch. Das zeigte 2016 der Hype um das Augmented-Reality-Spiel „Pokémon Go“. Plötzlich stromerten massenweise Teenager und junge Erwachsene kilometerweit durch Parks und Straßen, um dort kleine Ungeheuer zu fangen, die auf ihrem Handy-Display sichtbar wurden, sobald sie sich zur richtigen Zeit am richtigen Ort befanden. „Ein einfaches Spiel hatte erreicht, was jahrelangen Aufklärungskampagnen nicht gelungen war“, sagt Reisch.

Gesundheits-Nudges sind also positive Verhaltensstupser, die uns helfen, genau das zu tun, was wir ohnehin schon lange vorhatten: gesünder zu essen oder uns mehr zu bewegen. So vernünftig das klingt, ruft es doch Kritiker auf den Plan, die Nudges für unzulässige Eingriffe in die Privatsphäre halten. Vor allem jene, die von Staaten ausgehen. „Wenn wir so weitermachen wie bisher, steht unser Gesundheitssystem vor dem Kollaps“, warnt Alena Buyx, Professorin für Medizinethik und Mitglied im Deutschen Ethikrat. „Maßnahmen, die ohne Zwang verhindern können, dass Menschen immer dicker und kränker werden, sind grundsätzlich einmal positiv zu sehen.“ Dennoch müssten staatliche Eingriffe immer gut begründet sein und transparent gemacht werden, so die Medizinethikerin. Außerdem seien nudgefreie Zonen wichtig. „Wenn ich abends schön essen gehe, möchte ich nicht daran erinnert werden, dass das Tiramisu eigentlich nicht die beste Wahl ist und ich stattdessen doch eher den Obstsalat essen sollte.“

Dies ist eine gekürzte Fassung. Den vollständigen Text mit vielen weiteren Informationen zu gesunder Ernährung und Abnehm-Tipps finden Sie in FOCUS-GESUNDHEIT Nr. 46 „Gesünder leben“ – als Print-Heft oder Digital-Ausgabe.

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