Werbung

Werbung

„Heute überleben Frühchen mit unter 500 Gramm“

Extrem Frühgeborene benötigen eine besondere Versorgung. Im Interview erklärt Neonatologe Andreas Flemmer, was heute in Perinatalzentren möglich ist, um junges Leben zu retten und Folgeerkrankungen zu verhindern.

Werbung

Andreas Flemmer steht vor einem Inkubator auf der Frühchenstation

© FOCUS Gesundheit

Frühchenstation: Neonatologe Prof. Andreas Flemmer umringt von medizinischen Geräten, die zur Überwachung und Versorgung der Frühgeborenen dienen. Der Brutkasten im Vordergrund reguliert Temperatur und Luftfeuchtigkeit

Moderne Geräte, interdisziplinäre Teams und eine perfekte Pflege, bei der die Eltern selbst wichtiger Teil sind, ermöglichen heute, dass Babys überleben, die früher sicher gestorben wären und zu gesunden Menschen heranreifen. Prof. Andreas Flemmer, zu sehen oben im Bild, ist Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und leitet eine Abteilung, in der solche Wunder möglich sind: das Perinatalzentrum am LMU Klinikum in München. Im Interview erklärt er, welche spezielle Versorgung Frühgeborene benötigen.

Herr Prof. Flemmer, selbst Babys, die mit nur 500 Gramm auf die Welt kommen, haben heute eine Chance zu leben. Welche Entwicklungen waren dafür nötig?
Eines der größten Probleme bei extrem Frühgeborenen sind unter anderem Lungenkomplikationen. Sie treten in bis zu 80 Prozent der Fälle auf. Inzwischen verfügen wir über die Steroidprophylaxe. Die Mutter bekommt vor der Entbindung Medikamente, die die Lungenreife des Ungeborenen fördern – im Idealfall 48 Stunden zuvor. Damit überleben Frühchen sogar in der 23. Schwangerschaftswoche mit 60-prozentiger Wahrscheinlichkeit. Natürlich müssen wir Risiko und Nutzen abwägen. Nicht immer lässt sich der Geburtstermin vorhersagen. Darüber hinaus ist eine schonende Entbindung entscheidend.

Wie gelingt eine sanfte Geburt für extreme Frühchen?
Unsere Geburtshelfer versuchen, das Kind per Kaiserschnitt zu entbinden, wenn das möglich ist. Das vermindert meist die Belastung für das Baby, weil es nicht durch den Geburtskanal muss. Auch streben wir eine späte Abnabelung des Neugeborenen an, sodass es die ersten Atemzüge an der Nabelschnur macht. Dadurch fließt das in der Plazenta befindliche Blut in den kindlichen Kreislauf zurück.

Unser Experte für Perinatalmedizin

Prof. Andreas Flemmer, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, leitet das Perinatalzentrum am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität in München

 

Brutkästen gehören schon lange zum Inventar von Frühchenstationen. Welche Neuerungen gibt es hier?
In den letzten Jahren hat sich viel verbessert. Die Brutkästen arbeiten inzwischen elektronisch und können so die Bedingungen im Bauch der Mutter simulieren. Der Inkubator sorgt für konstante Wärme und gleichbleibend hohe Luftfeuchtigkeit. Das ist wichtig, weil Frühchen viel Flüssigkeit über Haut und Nieren ausscheiden.

Im 19. Jahrhundert verwendeten die Geburtshelfer noch Hühnerbrutkästen, um die Säuglinge zu wärmen, später Glaskästen, die unter dem Kind geheiztes Wasser enthielten. Sie waren den Brutkästen von heute bereits sehr ähnlich. Die Entwicklung der Inkubatoren ist einer der größten Durchbrüche in der Geschichte der Versorgung von Frühgeborenen.

Der Fuß eines Frühgeborenen und ein Infrarotlicht. Eine Hand berührt den Fuß

© FOCUS Gesundheit

Mit Hilfe von Infrarotlicht misst Prof. Andreas Flemmer die Sauerstoffsättigung im Blut eines Frühchens, das im Inkubator liegt

Wie kündigt sich eine Frühgeburt an?
Vorzeitige Wehen, vaginale Blutungen oder Infektionssymptome der Mutter wie Rötungen, Schmerzen oder Fieber sind Warnsignale. Der behandelnde Gynäkologe oder periphere Krankenhäuser vermitteln die werdenden Eltern dann an ein Perinatalzentrum.

In 90 Prozent der Fälle kommt die Frau vor der Entbindung zu uns. Bei den anderen zehn Prozent handelt es sich um Kinder, die überraschend zu früh kommen.

Wer wird in einem Perinatalzentrum behandelt?
Wir versorgen alle Früh- und Neugeborene. Der Anteil der Mütter, die ein eigenes Gesundheitsrisiko oder Erkrankungen mitbringen ist hier am LMU Klinikum sogar höher als der Anteil der Frauen, die eine Frühgeburt erwarten.

Wir versorgen zum Beispiel viele Frauen mit Gestationsdiabetes, umgangssprachlich Schwangerschaftsdiabetes. Die Babys sind mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zu groß und zu schwer für ihr Geburtsalter oder sie haben einen erhöhten Blutdruck.

Außerdem versorgen wir Mütter mit Herzfehlern, mit Tumorerkrankungen oder angeborenen Erkrankungen wie zystischer Fibrose oder Autoimmunkrankheiten sowie Frauen, die eine Herz- oder Nierentransplantation hatten.

Auch ältere Mütter benötigen den Schutz der Neonatologie und einer spezialisierten Geburtshilfe, denn sie haben ein höheres Risiko für Schwangerschaftskomplikationen, für Schwangerschaftsvergiftungen oder Plazentainsuffizienzen.

Mehrlingsgeburten sind ebenso ein Fall für Perinatalzentren. Häufig kommen die Kinder zu früh auf die Welt.

Welche Vorteile hat es für Mutter und Kind in einem Perinatalzentrum zu entbinden?
Dort steht ein Team unterschiedlicher Fachbereiche zur Verfügung. Geburtshelfer und Hebammen sind mit uns Neonatologen, jene, die sich in engem Austausch um die Erstversorgung des Kindes kümmern. Werden wir im Notfall in den Kreißsaal gerufen, kennen wir die Situation und können schnell handeln. Bei Babys mit Herzfehlern ist außerdem der Kinderkardiologe oder gar der Kinderherzchirurg vor Ort. Das verbessert die Versorgung bei Risikogeburten stark.

Ein Baby, das nach 24 Wochen auf die Welt kommt, und optimal gefördert wird, hat ein geringeres Krankheitsrisiko als ein schlechter versorgtes Kind, das zwei Monate später geboren wurde.

Prof. Andreas Flemmer

Neonatologe

Auch die Eltern sind Teil des Behandlungsteams. Was ist ihre Aufgabe?
Ein enger Kontakt zu den Eltern ist entscheidend für die Entwicklung des Kindes. Es sollte Geborgenheit spüren, durch Hautkontakt, durch Wärme. Lässt der Zustand des Frühchens es zu, legen wir das Baby unmittelbar nach der Geburt auf die Brust der Mutter, bevor wir es näher untersuchen.

Die Eltern lernen außerdem eine Technik, die wir als Känguru-Care bezeichnen. Vater oder Mutter legen sich das Frühgeborene direkt auf die Haut. Sie hat mit 37 Grad eine ideale Temperatur. Wichtig: Während des Känguru-Cares bleiben die Überwachungsgeräte des Brutkastens am Kind angeschlossen, so dass Körperfunktionen weiter überprüft werden können.

Wenn das Kind stabil genug ist, leiten wir das Paar in der entwicklungsfördernden Pflege an. Damit sind Interaktionen der Eltern gemeint, die das Baby in seiner körperlichen und seelischen Heranbildung unterstützen, etwa Vorsingen, Windel-Wechseln oder Massagen.

Über welche Entwicklungen in der Neonatologie würden Sie sich freuen?
Pflege, Pflege, Pflege! Wir brauchen dringend mehr Investitionen in die Versorgung von Früh- und Neugeborenen – damit wir eine optimale Betreuung gewährleisten können. Das wäre meiner Meinung nach die lohnendste Investition in der Medizin. Kein Patient kostet mehr als ein schlechtversorgtes Frühgeborenes im Laufe seines Lebens. Frühgeborenen, die ungenügend betreut werden, drohen Folgeerkrankungen wie Asthma oder psychosoziale Schwierigkeiten, etwa Sprach- oder Lernstörungen. Das ließe sich verhindern.

Welchen persönlichen Tipp geben Sie Eltern, die zu Ihnen ins Perinatalzentrum kommen?
Dass die richtige Versorgung und Förderung des Kindes auch nach der Intensivstation sehr wichtig ist, damit es sich gesund entwickelt. Neonatologen erklären den frischgebackenen Eltern, was sie bei ihrem Frühgeborenen individuell beachten sollten. Ein Baby, das nach 24 Wochen auf die Welt kommt, und optimal gefördert wird, hat ein geringeres Krankheitsrisiko als ein schlechter versorgtes Kind, das zwei Monate später geboren wurde.
 

Tipps: So erhöhen Sie die Chance auf eine Schwangerschaft (Unser Podcast für ein gutes Körpergefühl – Folge #14)

Zu Gast im Podcast:

Bestseller-Autorin und Hebamme Kareen Dannhauer, In ihrem Buch "Schwanger werden – Der ganzheitliche Weg zum Wunschkind" beschreibt Kareen Dannhauer, wie Frauen und Männer eigeninitiativ ihre Chancen auf das Elternwerden verbessern können

Die Kinderwunschzeit ist für viele Paare eine ganz besondere. Sie kann aber auch zur Nervenprobe werden, wenn es nicht so recht klappen will.

Zwischen entspanntem Sex zu Hause und Fertilisationstherapien gibt es oft nicht viel Raum. Dabei können Paare ihre Chancen, schwanger zu werden, durchaus steigern, sagt Bestseller-Autorin und Hebamme Kareen Dannhauer. Sie hat ein Buch darüber geschrieben, wie Frauen und Männer eigeninitiativ ihre Chancen auf das Elternwerden verbessern können, und gibt in unserer Folge dazu hilfreiche Tipps. Einer vorab: Viel hilft viel, habt den Sex eures Lebens!

FOCUS-Gesundheit 01/24 – Einfach besser leben 2024

© FOCUS-Gesundheit

FOCUS-Gesundheit 01/2024

Einfach besser leben 2024
Viele Alterungsprozesse lassen sich nachweislich bremsen. Was uns jung hält. Wie wir Lust an Bewegung (wieder) finden. Plus: Übungen fürs Home-Workout. U.v.m.

Wichtiger Hinweis

Dieser Artikel enthält allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder –behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen. Den passenden Arzt finden Sie über unser Ärzteverzeichnis.

Höchster Qualitätsanspruch: So arbeiten wir.

Fragen? Schreiben Sie uns!

Dr. Andrea Bannert

Redaktionsleitung DIGITAL FOCUS-Gesundheit

Facebook Logo Instagram Logo Email Logo
Fragen Bild
Redaktor Bild

Hinweis der Redaktion

Im Sinne einer besseren Lesbarkeit unserer Artikel verwenden wir kontextbezogen jeweils die männliche oder die weibliche Form. Sprache ist nicht neutral, nicht universal und nicht objektiv. Das ist uns bewusst. Die verkürzte Sprachform hat also ausschließlich redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung. Jede Person – unabhängig vom Geschlecht – darf und soll sich gleichermaßen angesprochen fühlen.

Weitere Online-Angebote:

Services der © BurdaVerlag Data Publishing GmbH, Deutsches Institut für Qualität und Finanzen