Unser Experte für Magen-Darm-Erkrankungen
Prof. Martin Storr, Niedergelassener Gastroenterologe mit Praxis in Gauting. Storr lehrt an der Ludwig-Maximilians-Universität München.Viele Betroffene, wenig Gewissheit: Dieses Dilemma steckt hinter dem Reizdarmsyndrom. Etwa 10 bis 15 Prozent der Bundesbürger kämpfen – unterschiedlich stark – mit der Funktionsstörung des Darms. Am häufigsten klagen die Patienten über Bauchschmerzen und Stuhlunregelmäßigkeiten mit Verstopfung, Durchfall sowie Blähungen und Völlegefühl. Je nach Krankheitstyp dominiert eines dieser Anzeichen, bei manchen Patienten wechseln die Beschwerden auch. In der Regel finden Ärzte keinen konkreten Auslöser für die Verdauungskapriolen.
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Was bedeutet „Informationsstörung“?
Bei Menschen mit Reizdarm ist die Wahrnehmungsschwelle verschoben. Ihr Nervensystem registriert normale Bauchsignale – etwa eine Dehnung der Darmwand durch Nahrung oder Gase – früher als andere. Und sie empfinden eine solche Dehnung eher als schmerzhaft. Die allgemeine Schmerzempfindlichkeit ist dabei nicht gesteigert. Diese Fehlbewertung wird bei der Hypnose überschrieben.
Letztlich nimmt die Überempfindlichkeit des Verdauungsorgans ab?
Ja, die Schmerzschwelle verändert sich. Auch die Beweglichkeit des Darms und der Tonus der Darmmuskeln sowie das Gefühl des Stuhldrangs und die Säureproduktion des Magens lassen sich durch Hypnose sehr gut beeinflussen.
Woher stammt diese Behandlungsform?
Die medizinische Darmhypnose geht zurück auf die Forschung des Gastroenterologen Peter Whorwell von der Universität Manchester. Seine „gut directed hypnotherapy“, zu Deutsch: darmfokussierte Hypnosetherapie, umfasst zumeist zehn bis zwölf Einzelsitzungen über drei Monate bei einem Hypnotherapeuten. Nach der dritten Sitzung erhalten die Patienten ein Übungstape für die Darmhypnose zu Hause. Whorwell entwickelte auch die Suggestionsformeln, die gezielt die Darm-Hirn-Achse ansprechen. Inzwischen gibt es etliche Variationen der Behandlung, die sich an das sogenannte Manchester-Protokoll von Whorwell anlehnen – unter anderem auch eine reine Selbstanwendung per CD.
Wie läuft die Hypnosesitzung ab?
Beim klassischen Ansatz findet die Behandlung in einer Praxis statt. Der Patient legt oder setzt sich in eine entspannte Position und richtet die Aufmerksamkeit nach innen. Mithilfe bestimmter Techniken wie der Konzentration auf den Atem führt der Therapeut den Patienten in eine fortschreitende tiefe Entspannung. Diese Trance öffnet das Unterbewusstsein für die Bilder, die der Behandler formuliert.
Wie sehen diese Bilder aus?
Bei der darmzentrierten Hypnose werden unterschiedliche Imaginationen kombiniert. Dazu zählt die Suggestion von Wärme in den Händen, die sich auf den Bauch überträgt und Schmerzen lindert. Angenehme Naturbilder eignen sich hervorragend, um spezielle Darmfunktionen anzusprechen. Stellt sich der Patient seine Verdauung als ruhigen Fluss vor, der harmonisch durch ein Tal mäandert, hilft das, die Darmfunktion zu normalisieren.
Und das ganze funktioniert auch per Selbsthypnose mit CD?
Die selbst angewandte Darmhypnose, rein mit Audiotapes, funktioniert gleichermaßen gut wie die Sitzung bei einem Therapeuten. Das ist in klinischen Studien nachgewiesen. Die leichte bis mittlere Trance-Tiefe, die Patienten bei der Selbstanwendung erzielen, genügt völlig, um mit positiven Suggestionen zu arbeiten.
Hilft mir die Bauchhypnose auch, wenn ich Hypnose für Hokuspokus halte?
Die darmzentrierte Hypnose ist ein seriöses psychotherapeutisches Verfahren und wird von den gastroenterologischen Fachgesellschaften in Deutschland, England und den USA zur Behandlung des Reizdarmsyndroms empfohlen. Aber bei inneren Widerständen wirkt sie nicht. Die Erwartungshaltung spielt eine wesentliche Rolle.
Welche Erfolge sind mit dieser Behandlung überhaupt möglich?
In kontrollierten Studien lindert das Verfahren bei 65 bis 80 Prozent der Teilnehmer Schmerzen und andere Beschwerden. Gerade wenn Medikamente versagen, scheint diese Art der Therapie besonders effektiv zu sein.
Wie schnell stellen sich die Effekte ein?
In klinischen Studien tritt die positive Wirkung nach etwa vier Wochen ein. Nach acht Wochen ist der Benefit sehr deutlich messbar. Das Tolle daran: Die Besserung hält mehrere Jahre lang an, wenn man die Methode konsequent anwendet. Die Patienten erreichen tatsächlich einen Reset ihrer Darm-Hirn-Achse.
Die Betroffenen sind geheilt?
Nein, von Heilung würde ich nicht sprechen. Denn das setzt voraus, dass wir Ärzte die Ursache für das Reizdarmsyndrom klar benennen können. So weit ist die Forschung noch nicht, selbst wenn wichtige Komponenten der Erkrankung bekannt sind wie etwa die Rolle der Darm-Hirn-Achse. Langfristig bekommen 50 Prozent der Patienten ihre Beschwerden vollständig in den Griff, sofern sie die Darmhypnose konsequent über drei Monate täglich und im Anschluss mit niedrigerer Frequenz durchführen.
Kann ich die Darmhypnose mit anderen Formen der Reizdarmbehandlung kombinieren?
Es ist sogar sinnvoll, die Hypnose mit anderen Therapien zu verknüpfen wie etwa einer geeigneten Diät. Sehr gut belegt ist, dass die Kombination mit einer medikamentösen Therapie zu deutlich besseren Ergebnissen führt, als wenn ausschließlich Medikamente eingesetzt werden. Allerdings: Zu viele Ansätze auf einmal verursachen Behandlungsstress, der den Heilerfolg eher schmälert.
Die drei Varianten der Darmhypnose
- Einzeltherapie: Der klassische Ansatz. Diese Art der Bauchhypnose wurde an der Universität Manchester entwickelt und 1984 erstmals vorgestellt.
- Gruppentherapie: Einer niederländischen Studie von 2019 zufolge bessert auch Hypnose in der Gruppe das Befinden von Reizdarmpatienten.
- Selbstanwendung: Mithilfe einer Audio-CD versetzen sich die Nutzer eigenständig in Trance – laut Studie erfolgreich.
Tabuthema Verdauung und darmgesunde Ernährung (Unser Podcast für ein gutes Körpergefühl – Folge #2)
Über die eigene Verdauung bewahren die meisten Stillschweigen. Dabei muss jeder pupsen – wirklich jeder.
Warum der Begriff „normal“ im Zusammenhang mit der Darmgesundheit trotzdem nicht unbedingt passend ist, klären wir mit dem Gastroenterologen und Buchautor Prof. Martin Storr.
Wir sprechen außerdem darüber, was es mit dem Darmgehirn auf sich hat und wie die berühmten Schmetterlinge im Bauch beim Verliebtsein entstehen. Warum Stress sich auf die Stuhltextur auswirkt und wie Hypnose den Darm beruhigen kann. Und wir versuchen herauszufinden, wie eine darmgesunde Ernährung aussieht und welche Rolle die Mikroorganismen in unserem Darm dabei spielen.
Was gilt es zu beachten, bevor ich den Reizdarm mit Darmhypnose behandeln lasse?
Vor jeder Reizdarmtherapie muss ein Arzt andere Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen ausschließen. Ohnehin sollten Patienten die Hypnose mit ihrem Gastroenterologen besprechen – allein schon um zu verhindern, dass zu viele Maßnahmen gleichzeitig durchgeführt werden.
Wie finde ich einen Hypnotherapeuten?
Beispielsweise über eine Arztempfehlung oder über das Internet. Der Behandler sollte über eine universitäre Grundausbildung – etwa ein Studium der Medizin oder Psychologie – verfügen sowie über eine psychotherapeutische oder hypnotherapeutische Weiterbildung. Leider ist die Hypnosetherapie in Deutschland bei Weitem nicht so verbreitet wie etwa in England; vor allem in kleineren Orten gibt es oft keine spezialisierten Behandler. Auch deshalb empfehle ich den meisten meiner Patienten die bequeme Selbstanwendung per Audio-CD.
Gibt es Alternativen zur Bauchhypnose?
Auch die achtsamkeitsbasierte Stressreduktion MBSR sowie Yoga-Therapie lindern Blähungen, Bauchschmerzen, Durchfall und Darmträgheit. Die Wirksamkeit der beiden Verfahren ist in klinischen Studien bewiesen. Deshalb werden sie in den neuen Behandlungsleitlinien für das Reizdarmsyndrom gleichermaßen empfohlen.
Weitere Hilfen bei Reizdarmsyndrom
Da die Krankheit so vielschichtig ist, existiert keine Standardtherapie. Die Behandlung richtet sich nach Symptomen und Umständen:
- Bei akuten Problemen helfen Medikamente, die sich gegen die Beschwerden (Krämpfe, Durchfall u. a.) richten.
- Manche Lebensmittel sind besser verträglich. Wer etwa mit Verstopfung kämpft, profitiert von Ballaststoffen aus Obst oder Getreide.
- Oft bringt ein Verzicht auf Lebensmittel mit vergärbaren Kohlenhydraten (z. B. Fruchtzucker) Besserung.
- Stressabbau (z. B. durch Sport, Lesen) beruhigt den gereizten Darm.