Den nächsten Kinderarzttermin vereinbaren, die Einkaufsliste schreiben, Hausaufgaben betreuen: Mütter und zum Teil auch Väter bewältigen viele Familienaufgaben gleichzeitig. Klar, wer seine Nächsten liebt, kümmert sich gern. Doch die eigene Energie ist nicht unerschöpflich. Ändern sich in einer ohnehin angespannten Lage dann auch noch die Lebensumstände – wie etwa jüngst im Corona-Lockdown oder beispielsweise durch eine Trennung –, kann die seelische und körperlichen Belastung zu groß werden.
Hilfe finden Betroffene in einer Mutter/Vater-Kind-Kur. Die Rehamaßnahme ist auf die Bedürfnisse von Erziehenden zugeschnitten. Sie vermittelt neue Sichtweisen und Strategien, die Mütter oder Väter dringend benötigen, um Kraft zu schöpfen und wieder mehr Lebensfreude zu entwickeln.
Körperliche und seelische Folgen von Überlastung
97 Prozent der hauptsächlich weiblichen Teilnehmer klagen über psychische Störungen wie Erschöpfung oder Schlafprobleme. Die Ursache ist Überlastung im Kopf – Familienmanagement ist in erster Linie Denkarbeit. Psychologen bezeichnen den geistigen Stresszustand als „Mental Load“. Unter der mentalen Last des Alltags leiden auch Männer, etwa in anspruchsvollen Berufen oder herausfordernden Lebenssituationen. Bei Frauen trifft der Begriff jedoch geradezu einen Nerv.
Das 2020 erschienene Buch der Psychologin Patricia Cammarata „Raus aus der Mental Load-Falle“ wurde schnell ein Bestseller, die Autorin war Gast in zahlreichen Interviews und Podcasts. Die Masse macht’s, erklärt die Psychologin in ihrer Publikation. Auch vermeintlich banale Familienaufgaben, wie Wäsche waschen oder Urlaubskoffer packen, können in Summe zu einer großen Herausforderung werden.
Im Corona-Lockdown füllten sich die To-do-Listen der Mütter zusätzlich. Das Homeschooling machte sie zu Lehrerinnen und Erzieherinnen, sie waren Schulkantine und fungierten als Freizeitgestalterin und Trösterin, wenn das Kind unter Freiheits- und Freundesentzug litt. Der Anteil der Mütter, die Haushalt und Kinderbetreuung alleine wuppten, hatte sich in dieser Zeit verdoppelt. Die daraus resultierende Erschöpfung kommt schleichend. „Vielen fällt erst auf, dass sie nicht mehr können, wenn sie tagsüber unendlich müde sind, aber nachts kein Auge zumachen“, sagt Cammarata. „Dann ist es Zeit, etwas zu ändern.“
Auch körperliche Symptome wie Migräne, Rücken-, Atemwegs- oder Magen-Darm-Beschwerden können Zeichen für eine Überlastung sein. Hilfe ist ebenso angezeigt, wenn gängige Alltagssituationen immer öfter eskalieren, etwa weil ein schreiendes Kind sich einfach nicht beruhigen lässt oder Eltern „ausrasten“ und sich selbst nicht mehr wiedererkennen.In manchen Fällen kommt der Anstoß von außen, etwa durch den Hausarzt, Kinderarzt oder Psychologen. In der Mutter/Vater-Kind-Kur steht das Mutter- oder Vatersein im Vordergrund. Die Rehabilitationsmaßnahme kommt zum Tragen, wenn die Gesundheit eines Elternteils aufgrund der Belastungssituation gefährdet oder bereits angegriffen ist. Hat dagegen ein Kind körperliche oder seelische Erkrankungen, kommt eine Reha für Kinder und Jugendliche infrage. Eltern können den Aufenthalt unter Umständen begleiten.
Reha-Konzept: Eltern-Kind-Kur
Für wen? Eine dreiwöchige Eltern-Kind-Kur können belastete Mütter, aber auch Väter, als stationäre Vorsorge- oder Rehamaßnahme (bei bereits manifesten Erkrankungen) mit ihren null bis zu 14 Jahre alten Kindern (Alter je nach Einrichtung) wahrnehmen. Die Kostenübernahme ist eine Pflichtleistung der Krankenkassen.
Welche Therapien? In der Reha sollen psychische und körperliche Erkrankungen vermieden oder abgemildert werden. In Gesprächs- und Bewegungstherapien, bei Anti-Stress-Trainings und in der Mutter-Kind-Zeit sollen die eigenen Ressourcen gestärkt und gesunde Verhaltensweisen erlernt werden.In der Rehaklinik Waldfrieden am Buckowsee in Brandenburg richtet sich das Angebot ausschließlich an Mütter. Als einzige Mutter-Kind-Kur in Deutschland hatte die Einrichtung auch in den Lockdown-Monaten geöffnet. „Die Pandemie wirkte wie ein Brennglas und hat viele Schwierigkeiten verstärkt“, sagt Klinikleiter Heiko Horst-Müchler.
Kontaktbeschränkungen ließen Mütter vereinsamen. Homeschooling, fehlende Betreuung und wirtschaftliche Schieflagen erhöhten die Belastung, der Druck in der Partnerschaft stieg. Alleinerziehende berichteten von Konflikten mit Ex-Partnern, weil sie Social Distancing unterschiedlich interpretierten. „Viele Kinder waren während der Pandemie auch sich selbst überlassen, weil die Eltern es schlichtweg nicht schafften, Lehrer zu spielen, den Alltag zu organisieren und gleichzeitig ihren Berufen nachzukommen“, sagt Horst-Müchler. Das habe die Frauen schwer belastet und die Beziehung zu den Kindern getrübt.
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So sieht die Mutter/Vater-Kind-Kur aus
In der Mutter/Vater-Kind-Kur legen Eltern eine Kehrtwende ein, bevor sie ernsthaft an Burnout, Depressionen oder chronischen Schmerzen erkranken. Die Rehaklinik Waldfrieden stellt einen Großteil des Angebots für jede Teilnehmerin schon vor Beginn der Kur zusammen. Über eine App geben die Frauen Befunde und Fragebögen an die Klinik weiter. Je nach Vorerkrankung und Bedürfnis erhalten sie unterschiedliche Therapiebausteine aus psychologischer Beratung, Anti-Stress-Training oder auch angeleiteten körperlichen Übungen wie Beckenbodentraining oder Yoga.Die Kinder im Alter von null bis 14 Jahren werden in dieser Zeit entweder betreut oder nehmen am Freizeitangebot teil. Sie klettern, angeln, backen oder machen gemeinsam einen Ausflug zum nahe gelegenen Reiterhof.
Als besonders hilfreich empfinden Mütter die Gesprächskreise. Redet eine Teilnehmerin über belastende Erfahrungen oder Situationen, erkennen sich andere häufig wieder und bekommen so Zugang zur eigenen Emotion. „Dann brechen oft Schmerzen auf, für die Mütter in ihrem Alltag zu wenig Zeit haben“, weiß Klinikleiter Horst-Müchler. In der individuellen Gesprächstherapie lernen die Teilnehmerinnen, ihre Gefühle zuzulassen und sie gleichzeitig besser einzuordnen. „Manchmal merken Mütter und Therapeuten in der drei-wöchigen Reha auch, dass es mehr braucht als nur Gespräche“, weiß Horst-Müchler.
Ein psychosoziales Team hilft dann dabei, eine anschließende ambulante Therapie vorzubereiten. Die meisten Mütter, die in die Rehaklinik Waldfrieden am Buckowsee fahren, wünschen sich aber vor allem eins: Zeit mit ihren Kindern. Denn dies kommt im übervollen Familienalltag zwischen Wäschebergen und beruflichen Verpflichtungen häufig zu kurz. In der Rehaklinik Waldfrieden laden Kochnachmittage und Töpferkurse, Filz- und Bastelstunden zum entspannten Miteinander ein. Ein Idealzustand, der sich kaum in den Alltag übertragen lässt. Oder doch?
FOCUS-GESUNDHEIT 08/21
Dieser Artikel ist eine gekürzte Fassung. Den vollständigen Text finden Sie in der Ausgabe Rehabilitation von FOCUS-GESUNDHEIT. Weitere Themen: Orthopädische Reha für Hüft- und Kniepatienten, Diabetische Reha, die optimale Wundheilung u.v.m.
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Aufgaben und Kinderbetreuung auf mehrere Schultern verteilen
Sabina Schutter, Professorin für Pädagogik der Kindheit, rät zum Abschied vom veralteten Mutterbild. Der Mythos von der perfekten Mutter, die sich zugunsten ihres Kindes vom öffentlichen und beruflichen Leben zurückzieht, hindere Mütter daran, sich um sich selbst zu kümmern – im schlimmsten Fall bis hin zur Selbstaufgabe.
Das Rollenverständnis ist tief in der Gesellschaft verankert und reicht bis in die nächste Generation: Laut der aktuellen Shell-Jugendstudie sind mehr als 50 Prozent der Jugendlichen überzeugt, dass die Frau in einer Partnerschaft mit Kind beruflich kürzertreten solle. Schutter untersucht unter anderem die Gleichstellung innerhalb von Familien und wie sich unterschiedliche Familienmodelle auf Mann, Frau, Kinder und auf die Finanzen auswirken. Ihre Erkenntnisse hat sie in einem gerade erschienenen Buch zusammengefasst (Frauenrolle vorwärts, GU Verlag).
Obwohl Gleichberechtigung immer mehr in den Diskurs rückt, sprechen die Zahlen noch eine andere Sprache: Das Einkommen berufstätiger Frauen ist derzeit nur ein Fünftel so hoch wie das der Männer. Später liegt ihr Alterseinkommen sogar 46 Prozent hinter dem der Männer zurück. „Weil Mütter nach der Geburt eines Kindes viele Jahre gar nicht oder nur in Teilzeit arbeiten, haben sie wenig Möglichkeiten, sich beruflich weiterzuentwickeln oder sich finanziell abzusichern“, erklärt die Pädagogin.
Während ihrer Forschungsarbeit hat die Professorin zahlreiche Interviews mit Müttern geführt, darunter Ärztinnen, Doktorandinnen und weibliche Führungskräfte. Den meisten fiel der Verzicht auf berufliche Optionen schwer. Sie spürten allerdings eine innere Verpflichtung, den Großteil der Aufgaben ihres Familienlebens zu übernehmen. „Die Erwartungen an eine gute Mutter sind heute so hoch, dass Frauen ihre eigenen Ziele dem Elternsein unterordnen, um diesem Ideal gerecht zu werden“ sagt Schutter.
Doch sich Hilfe zu holen, Aufgaben auszulagern oder an den Partner zu übergeben, schaffe Zeit für eigene Bedürfnisse und mache langfristig zufriedener, ist die Wissenschaftlerin überzeugt. Auch Studien zeigen: Die Verantwortung für das Gedeihen und Wohlergehen des Kindes auf mehrere Schultern zu verteilen schadet dem Nachwuchs nicht. Im Gegenteil. So konnten Wissenschaftler der Universität Dresden in einer Untersuchung an 4.000 Jungen und Mädchen nachweisen, dass die Sprösslinge, wenn sie in ihren ersten beiden Lebensjahren fremdbetreut werden, seltener an psychischen Störungen litten als Kinder, die nur bei ihren Eltern zu Hause waren. Vielleicht auch einfach deshalb, weil ihre Mütter mit ihrem eigenen Leben zufriedener sind.
Tipps: Was hilft bei Alltagsstress? (Unser Podcast für ein gutes Körpergefühl – Folge #3)
Zu Gast im Podcast:
Patricia Cammarata, Psychologin und Bestseller-Autorin. Ihre Schwerpunktthemen: Kindererziehung und digitale Medien, Privatheit im Internet sowie Mental Load und Gleichberechtigung.Der Familienalltag kann oft zur Mammutaufgabe werden. Mental Load heißt das Phänomen des ständigen „An-alles-denken-müssens“. Besonders Mütter fühlen sich für die vielen To-dos im Haushalt und in der Familie verantwortlich. Doch die Last im Kopf lässt sich erleichtern. Kluge Strategien sind gefragt und Gleichberechtigung. Die Psychologin und Bestseller-Autorin Patricia Cammarata erklärt, wie sich die Aufgaben besser strukturieren und aufteilen lassen – und warum das auch Kindern und Partnern guttut.
So klappt es mit der Entlastung
Die Bereitschaft zum Loslassen, das Recht auf Selbstbestimmtheit und der Mut zum Nein sind auch zentrale Themen der Mutter/Vater-Kind-Kur. „Frauen haben mehr Bestimmungskraft, als sie glauben“, sagt der Brandenburger Klinikleiter Horst-Müchler. Das gelte bei allen Fragen im Leben – von den ganz großen (Ist die Partnerschaft die richtige?) bis zu den einfachen (Habe ich einen festen Termin im Kalender für Sport oder um Freunde zu treffen?).
Dass Frauen sich deutlich entspannter fühlen, wenn Männer den gleichberechtigten Anteil im Haushalt übernehmen, zeigt eine Studie des Deutschen Instituts für Jugendforschung. „Wer Aufgaben teilt oder abgibt, muss aber gleichzeitig akzeptieren, dass sie anders gelöst werden, als man es selbst getan hätte“, sagt Psychologin Patricia Cammarata. Sie rät erst einmal zu einer Bestandsaufnahme: „Es ist sehr befreiend, gemeinsam mit dem Partner oder als Alleinerziehende für sich selbst aufzuschreiben, was man alles am Tag erledigt und wie viel Zeit es in Anspruch nimmt.“ So werde den Partnern, aber auch den Frauen selbst oft erst klar, wie viel sie eigentlich stemmen – und dass die Haltung „Selbst ist die Frau“ in diesem Fall geradewegs in die Mental-Load-Falle führt.
Gleichzeitig könnten Frauen, statt sich mit anderen Müttern zu vergleichen, solidarischer werden und Netzwerke gründen. „An Schließtagen im Kindergarten müssen nicht alle Eltern gleichzeitig Urlaub nehmen. Es reicht, wenn sich drei Mütter oder Väter der Gruppe zur Verfügung stellen und an diesen Tagen abwechselnd zwei oder drei befreundete Kinder betreuen“, schlägt Cammarata vor. „Auch der Kuchen für das nächste Schulfest kann gekauft sein“, so die Psychologin. Ämter wie das des Elternsprechers könne man getrost ablehnen, wenn es zeitlich nicht passt.
Nicht immer stoßen solche Entscheidungen auf positive Resonanz. „Doch die Freiheit, die wir dadurch gewinnen, ist unbezahlbar“, sagt Cammarata. So sieht man es auch in der Rehalklinik Waldfrieden am Buckowsee. Das Klinikpersonal stelle für jede Teilnehmerin und deren Kinder ein umfangreiches Angebot aus medizinischen Anwendungen, Gesprächs- und Gruppentherapien, körperlichen Trainingseinheiten und Eltern-Kind-Zeit zusammen. Die Frauen können auch selbst äußern, was ihnen guttun würde, und den Plan ändern. „Sie sind die Gestalterinnen ihres Aufenthalts“, sagt Klinikleiter Horst-Müchler, „und auch die Gestalterinnen ihres Lebens.“
In vier Schritten aus der Mental-Load-Falle
Psychologin Patricia Cammarata hat ein System entwickelt, das Paaren helfen soll, Haus- und Erziehungsarbeit besser aufzuteilen.
- Kassensturz: Notieren Sie als Paar oder Familie, wer was zu Hause wie oft erledigt und wie lange es dauert.
- Herr der Schmutzwäsche: Nun können Aufgaben aussortiert, aufgeteilt oder getauscht werden. Einer kümmert sich lieber um die Wäsche, der andere um den Wocheneinkauf ? Prima! Jeder erhält seinen Zuständigkeitsbereich.
- Strategiemeeting: Die Psychologin empfiehlt, sich einmal in der Woche einen festen Termin in den Kalender zu schreiben und die Woche zu planen.
- Rückschau: Wer sich etwa einmal im Monat zusammensetzt und darüber spricht, was gut funktioniert hat und was weniger, verhindert Frust und erfährt Wertschätzung.