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Migräne: Warum die Diagnose zu selten gestellt wird

Migränekopfschmerzen sind weit verbreitet. Doch Ärzte stellen die Diagnose vergleichsweise selten. Wann es sinnvoll ist, eine zweite Meinung einzuholen.

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Geprüft von Sophie Sonnenberger, Medizinredakteurin

Veröffentlicht: 2021-08-23T16:53:51+02:00

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Junge Frau, die sich mit geschlossenen Augen an den schmerzenden Kopf greift

© Shutterstock

Laut einer Umfrage der DMKG (Deutsche Gesellschaft für Migräne und Kopfschmerz) wird Migräne regelmäßig übersehen. Obwohl Migränekopfschmerzen deutlich häufiger auftreten als andere Arten von Kopfschmerzen, werden häufig Spannungskopfschmerz oder zervikogene Kopfschmerzen, also solche, die von der Halswirbelsäule ausgehen, diagnostiziert. In immerhin 69 Prozent der Fälle kommt es zu einer falschen Diagnose. Wir haben mit Herrn Jürgens, Präsident der deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft, drüber gesprochen wie es dazu kommen kann und wann es für Patienten sinnvoll ist, eine zweite Meinung einzuholen.

Was ist Migräne?
Migräne ist ein häufig einseitig auftretender, anfallsartiger, sehr intensiver Kopfschmerz. Die Beschwerden können wenige Stunden bis zu drei Tage anhalten. Einige Patienten haben nur ein- oder zweimal im Jahr eine Migräne, andere leiden mehrmals im Monat unter den Schmerzattacken. Selten leiden Patienten an 15 Tagen oder mehr pro Monat an Kopfschmerzen, von denen mindestens 8 migränetypisch sind. In diesem Fall spricht man von einer chronischen Migräne, bei der die Betroffenen stärker beeinträchtigt sind und die oft schwerer zu behandeln ist.

Was sind die typischen Anzeichen einer Migräne?Häufig berichten Patienten von einem pulsierenden, stechenden Schmerz. Er wird meist begleitet von typischen Begleitsymptomen wie Übelkeit, Erbrechen und einer Überempfindlichkeit gegenüber Sinneseindrücken. Licht, Lärm und Gerüche werden als überaus belastend empfunden. Darum ziehen sich Migränepatienten häufig zurück, suchen Ruhe und vermeiden Bewegung.

 

Dr. med.  Tim Jürgens, Präsident der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft

© privat

Tim Jürgens

ist seit 2021 Chefarzt der Klinik für Neurologie im KMG Klinikum Güstrow.

Im Jahr 2020 wurde er Präsident der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft.

 

Obwohl sich der zervikogene Kopfschmerz von Migränekopfschmerzen unterscheidet, wird er von Hausärzten wesentlich häufiger diagnostiziert. Warum kommt es hier zu Verwechslungen? Häufig wird die Diagnose vom Ort der Schmerzen abhängig gemacht. Treten die Schmerzen im Nacken auf wird daraufhin ein sehr seltener zervikogener Kopfschmerz diagnostiziert. Zervikogene Kopfschmerzen sind solche, die durch Erkrankungen oder Verletzungen an der Halswirbelsäule ausgelöst werden. Wesentlich wahrscheinlicher und häufiger ist die Migräne. Das Problem ist aber, dass Migränebeschwerden bei jedem Betroffenen verschieden ausgeprägt sind. Migräne tritt in 60 Prozent der Fälle einseitig auf, meistens vorne im Stirn- und Schläfenbereich, kann aber auch durchaus betont im Nackenbereich auftreten. Dies ist zwar selten, aber immer noch deutlich häufiger als der zervikogene Kopfschmerz. Zudem haben jüngere Studien gezeigt, dass zusätzliche Nackenschmerzen im Rahmen von Migräneattacken an sich häufiger auftreten.

Auf was sollte bei der Diagnosestellung geachtet werden, um Verwechslungen zu vermeiden?
Der zervikogene Kopfschmerz ist ein streng einseitiger und seltener Kopfschmerz, der zum Beispiel durch Drücken oder Bewegung an der Halswirbelsäule ausgelöst wird. Die Migräne hingegen ist wesentlich vielseitiger in ihrem Auftreten,  sie kann ein- oder beidseitig Beschwerden hervorrufen.  Durch das streng einseitige Auftreten unterscheidet sich der zervikogene Schmerz also deutlich vom Migränekopfschmerz. Außerdem fehlen die typischen Begleitsymptome einer Migräneattacke, wie Erbrechen, Übelkeit oder Überempfindlichkeit gegenüber Sinneseindrücken. Durch die Begleitsymptomatik und körperliche Beeinträchtigung ist der Migränekopfschmerz klar vom zervikogenen Kopfschmerz zu unterscheiden.

Die verscheiden Arten von Kopfschmerz

Migränekopfschmerz: Migränekopfschmerzen treten häufig einseitig und anfallsartig auf. Die Beschwerden sind sehr intensiv und können Stunden oder sogar Tage anhalten. Patienten berichten von pulsierenden, stechenden Schmerzen. Oft begleitet von Übelkeit, Erbrechen und einer Überempfindlichkeit gegenüber Sinneseindrücken. Die Häufigkeit der Schmerzattacken ist sehr variabel, einige Patienten haben mit mehreren Attacken im Monat zu kämpfen, andere nur mit einigen wenigen pro Jahr.

Spannungskopfschmerz: Der Schmerz ist mild bis mittelstark ausgeprägt. Er ist dumpf und eher diffus über den Kopf verteilt. Typischerweise leiden diese Patienten nicht unter körperlichen Beeinträchtigungen, sodass moderate Bewegung als angenehm und schmerzlindernd empfunden wird.

Zervikogener Kopfschmerz: Zervikogener Schmerz bedeutet, dass der Schmerz von der Halswirbelsäule herrührt („Cervix“ aus dem Lateinischen für Hals und „gen“ aus dem Griechischen für hervorbringen). Es muss eine Erkrankung oder Verletzung der knöchernen Elemente, der Bandscheiben oder des Bindegewebes der Halswirbelsäule vorliegen. Dieser Kopfschmerz ist ein sehr seltener und streng einseitiger Schmerz. Die Beschwerden können durch Bewegungen an der Halswirbelsäule ausgelöst werden und die Beweglichkeit des Nackens ist häufig eingeschränkt. Durch sein einseitiges Auftreten grenzt sich der zervikogene Kopfschmerz deutlich von der Migräne oder den Spannungskopfschmerzen ab.

Vermutlich werden Migränepatienten aufgrund einer falschen Diagnose vom Hausarzt häufig an einen Orthopäden überwiesen. Warum ist das für sie problematisch?Die Patienten werden aufgrund der auftretenden Nackenschmerzen an einen Orthopäden zum Ausschluss einer orthopädischen Ursache überwiesen. Problematisch wird es erst dann, wenn die Akuttherapie der Migräne ausbleibt. Häufig zeigen sich bei einer Migräne Begleiterscheinungen wie Nackenverspannungen oder muskuläre Verhärtungen, die auch symptomatisch mit zum Beispiel Physiotherapie behandelt werden sollten. Darüber darf aber die spezifische akute Therapie der Migräne nicht vergessen werden. Auch muss der behandelnde Arzt abklären, inwiefern der Patient eine vorbeugende Behandlung oder eine begleitende psychologische Betreuung benötigt.

Wie sollten Migränekopfschmerzen behandelt werden?
Idealerweise behandeln wir Migränekopfschmerzen im interdisziplinären Kontext. Eine Akuttherapie kann mit herkömmlichen Schmerzmitteln, sogenannten Nichtopioid-Analgetika wie Ibuprofen, Diclofenac oder Novalginsulfon erfolgen. Diese sollten frühzeitig in hoher Dosierung eingenommen werden. Daneben gibt es spezifische Migränemedikamente, sogenannte Triptane, die gezielt Migräneattacke verhindern, indem sie die Ausschüttung eines bestimmten Schmerzbotenstoffes (CGRP, Calcitonin Gene-Related Peptide) hemmen.

Schmerzmittel und Triptane können einzeln eingesetzt, aber auch kombiniert werden. Begleitend können Medikamente gegen Übelkeit eingesetzt. Das entscheidende ist, dass diese Akuttherapie aus Schmerzmitteln und Triptanen auf maximal zehn Einnahmetage im Monat begrenzt werden sollte. Sonst besteht durch die häufige Schmerzmitteleinnahme das Risiko, dass sich der Kopfschmerz verschlimmert.

Wie können Patienten Migräneattacken vorbeugen?Zum Beispiel durch Betablocker, Antidepressiva oder Mittel gegen Epilepsie. Diese Medikamente wirken aber oft erst verzögert, da sie die Erregbarkeit des Gehirns beeinflussen. Es dauert zwei bis drei Monate bis sie ihre volle Wirksamkeit entfalten. Dadurch, dass sie auf das Gehirn wirken, haben sie häufiger Nebenwirkungen, wie Müdigkeit, Schwindel oder Gewichtszunahme. Bei Patienten, die sehr häufig Migräne haben, d.h. an mehr als fünfzehn Tagen im Monat, kann auch Botulinumtoxin (Botox) eingesetzt werden. Dies wird sonst im Bereich der Spastiken oder Dystonien (Bewegungsstörungen) oder auch im ästhetischen Bereich verwendet.

Es gibt neuere Prophylaxe-Medikament, sogenannte monoklonale Antikörper. Diese richten sich gegen den Schmerzbotenstoff CGRP. Der Vorteil solcher Medikamente ist, dass sie kaum Nebenwirkungen haben, da sie nicht direkt im Gehirn, sondern außerhalb wirken. Ein weiterer Pluspunkt ist, dass sie sehr schnell wirken, nach wenigen Wochen sind schon sehr gute Effekte erkennbar.

Was kann bei Migränekopfschmerzen zusätzlich helfen?Migränekopfschmerzen sind sehr belastend, für die Patienten kann es sehr hilfreich sein, zusätzlich psychologische Betreuung in Anspruch zu nehmen. Entspannungsübungen oder auch Gruppentherapien zum gegenseitigen Austausch sind wichtig, um den richtigen Umgang mit dem Schmerz zu erlernen und mit dem Stress besser umgehen zu können. Auch Ausdauersport ist ein Element, dass in der Therapie hilfreich sein kann. Je mehr Therapieansätze kombiniert werden, desto besser sind die Effekte, die erzielt werden können.

Wann ist es also sinnvoll nochmal einen Facharzt zu fragen? Und welchen?
Die erste Anlaufstelle sollte der Hausarzt sein. Bei unklarer Diagnose, häufiger Schmerzmitteleinnahme und bei Unklarheiten bezüglich vorbeugender Maßnahmen, kann ein Neurologe oder ein Schmerztherapeut helfen.

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Wichtiger Hinweis

Dieser Artikel enthält allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder –behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen. Den passenden Arzt finden Sie über unser Ärzteverzeichnis.

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