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Was steckt hinter der Krankenhausreform?

Viele Krankenhäuser kränkeln, eine große Klinikreform ist auf dem Weg. Mehr Gesundheit für weniger Geld – wie soll das funktionieren? Hier einige Vorzeigemodelle, bei denen der Genesungsprozess bereits eingeleitet ist. Auch zum Wohle der Patienten.

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Krankenhausmitarbeiter von oben in einer Klinik-Halle

© iStock

Wenn Klinikchef René Bostelaar aus dem Fenster seines Büros am Marktplatz von Lohr am Main sieht, blickt er auf malerische Zeugnisse der Vergangenheit. Fachwerkfassaden säumen gepflasterte Gassen. Rund um ein altes Renaissance-Rathaus bieten Wirtshäuser fränkischen Sauerbraten an. Eine behagliche Provinzstadt, wie sie typisch ist für Deutschland – auch in ihren Nöten. „Sieben von zehn Einwohnern haben das 60. Lebensjahr überschritten. Wir werden älter und weniger. Auch unser Gesundheitspersonal nähert sich der Rente“, so Bostelaar.

Pensionsreif ist nicht zuletzt das örtliche Krankenhaus der 16.000-Einwohner-Stadt, dem Bostelaar als Klinikreferent – so sein offizieller Titel – vorsteht. Das Gebäude aus dem Jahr 1963, das 2026 durch einen Neubau auf der grünen Wiese abgelöst werden soll, hat seine beste Zeit längst hinter sich. Wie die Mehrzahl der Krankenhäuser in Deutschland schreibt die Klinik Verluste. Rund vier Millionen Euro betrug das Defizit im vergangenen Jahr.

Das Problem der deutschen Krankenhäuser

Fehlendes Personal, dräuende Investitionen, rote Zahlen. Mit diesen Problemen kämpfen nicht nur Hospitäler in Nordbayern. Laut einer Umfrage der Deutschen Krankenhausgesellschaft sorgen sich 70 Prozent der Kliniken ernsthaft um ihre Existenz. Auslöser ist neben den gestiegenen Kosten für Energie oder Löhne und der stagnierenden Investitionsförderung durch die Bundesländer eine Eigenart des Vergütungssystems. Kliniken erhalten ihre stationären Leistungen über Pauschalen für Behandlungsfälle bezahlt. Die Universitätsmedizin mit ihren aufwendigen Therapien ist in dieser Rechnung ebenso benachteiligt wie kleine Häuser in der Provinz, die zwar die ländliche Notfallversorgung sicherstellen, aber zu wenig Patienten operieren, um ihre Betriebskosten zu bestreiten.

Mit schuld an dem Dilemma ist aber auch die hohe Zahl der Kliniken in Deutschland. Ein Vergleich zwischen Holland und dem kaum größeren Bundesland Nordrhein-Westfalen zeigt die Dimensionen. Während die Niederländer 83 Krankenhäuser und vier Unikliniken zählen, besitzt NRW 485 Krankenhäuser und sieben Unikliniken. „All diese Einrichtungen konkurrieren um Patienten, Personal und finanzielle Mittel“, sagt Bostelaar, selbst gebürtiger Holländer.

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Die Krankenhausreform als Lösung des Problems

Die Lösung für die Herausforderungen liegt in einer großen Klinikreform – so der Plan von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Das Motto: Mehr Klasse, weniger Masse. Viele Kreiskrankenhäuser sollen nur noch die Basisversorgung und ambulante Prozeduren übernehmen. Um kompliziertere Eingriffe kümmern sich eine begrenzte Zahl von sogenannten Level-II-Kliniken der regionalen Regel- und Schwerpunktversorgung. Eine dritte Kategorie bildeten große Häuser wie die Unikliniken. Insgesamt wird die Zahl der Einrichtungen sinken. „Wir müssen Krankenhäuser abbauen, gerade in den großen Städten“, so Minister Lauterbach im ZDF.

Umsetzung in die Praxis

Für viele Kliniken in Deutschland bedeutet der Systemwechsel, dass sie ihre Zukunft neu denken müssen. Das gilt auch im beschaulichen Lohr am Main. Im Spessart hat man allerdings manches bereits vorweggenommen, worüber Gesundheitspolitiker im Rest von Deutschland noch diskutieren. Etwa die Zentralisierung auf weniger – und dafür besser ausgestattete – Hospitäler. „Wir hatten bis 2017 noch drei kleine kommunale Krankenhäuser im Landkreis“, erzählt Klinikreferent Bostelaar. „In allen dreien wuchsen Defizite und Investitionsstau von Jahr zu Jahr. Zugleich war absehbar, dass sich unsere stationäre Versorgung mit dem knapper werdenden Personal nicht mehr aufrechterhalten lässt. Wir steuerten in eine Sackgasse.“

Schließlich entschied sich der Kreistag für seine eigene Klinikreform. Zunächst wurde 2017 das Krankenhaus in Karlstadt geschlossen, Ende 2021 dann die Einrichtung in Marktheidenfeld. Schon 1988 hatte man in Gemünden das erste Hospital im Landkreis zugesperrt. Damit steht in Lohr am Main die einzige Klinik für die Region Main-Spessart. Und selbst dieses 264-Betten-Haus wird weichen: einem modernen Bau. Am Ortsrand der Stadt graben die Bagger bereits das Fundament für das neue 160 Millionen Euro teure Zentralklinikum. Um das Ausdünnen der Krankenhauslandschaft abzumildern, wurde die alte Klinik in Karlstadt in ein Gesundheitszentrum mit zahlreichen Arztpraxen umgewandelt – jedoch ohne Notfallversorgung.

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Die Sorgen der Bevölkerung

Gerade der Verlust der Notaufnahmen, der mit Klinikschließungen verbunden ist, löst bei den Bürgern in ländlichen Regionen Ängste aus: Was passiert bei einem Herzinfarkt oder nach einem Treppensturz, wenn sich die Wegstrecke des Sanitätsautos vom Unglücksort zur nächsten Rettungsstelle womöglich verdoppelt? Auch in Main-Spessart wurden solche Befürchtungen wach und lösten Ende der 2010er-Jahre heftige Proteste aus – inklusive Unterschriftensammlungen, einem symbolischen Trauerzug sowie der Gründung von zwei Bürgerinitiativen.

Sind die Sorgen berechtigt?

Unbestritten werden die Wege zum nächsten Krankenhaus in Nordbayern sowie in anderen Regionen länger. Die Notfallversorgung verschlechtert dies nicht automatisch. Erfahrungen aus Ländern wie England oder Holland zeigen, dass eine gute Organisation des Rettungsdienstes und eine kompetente medizinische Versorgung wichtiger sind als die Kliniknähe.

Was das konkret bedeutet, lässt sich in Lohr auf der Station für Kardiologie und Intensivmedizin beobachten. Dort zeigt Kilian Distler, Chefarzt der Abteilung, auf einen PC-Bildschirm mit den typischen Wellen eines Elektrokardiogramms. „Hat der Rettungswagen einen Patienten mit Verdacht auf Herzinfarkt aufgenommen, wird dessen EKG noch während der Anfahrt digital auf diesen Klinikrechner übermittelt.“ Bestätigen die Kurvenveränderungen die Diagnose, bereiten die Kardiologen das Herzkatheterlabor auf der Station vor, um die verschlossene Herzkranzarterie unmittelbar nach dem Eintreffen des erkrankten Fahrgastes zu öffnen.

Das 2017 in Betrieb genommene Katheterlabor liegt nur einige Schritte entfernt von der zentralen Notaufnahme des Klinikums. Zu dieser Rettungsstelle gehören auch eine Schockraumversorgung für Schwerstverletzte und eine Stroke-Unit für Schlaganfallpatienten. Damit decken die Lohrer Ärzte einen Großteil aller Notfälle inihrem Landkreis ab. In Fällen, in denen ihre Mittel nicht ausreichen, steht der Hubschrauber für den Transport in das 45 Kilometer entfernte Uniklinikum Würzburg bereit. „Diese Möglichkeit nutzen wir zum Beispiel für Schlaganfallpatienten, die eine mechanische Entfernung von Blutgerinnseln im Gehirn per Mikrokatheter benötigen. Die wenigen Spezialisten, die diese Thrombektomie beherrschen, arbeiten vorwiegend in großen Schlaganfallzentren“, so Distler.

Focus Gesundheit 07/2023 - Die große Klinikliste 2024

© Focus Gesundheit

FOCUS-Gesundheit 07/2023

Die große Klinikliste 2024

Dieser Artikel erschien zuerst in der Ausgabe Die große Klinikliste 2024. Weitere Themen: Ambulantes Operieren, neues Medikament gegen Alzheimer u.v.m.

Ziele und Perspektiven der Krankenhausreform

Besonders komplizierte oder aufwendige Eingriffe nur in wenigen, auf diese Indikationen ausdrücklich spezialisierten Einrichtungen anzubieten, gehört zu den erklärten Zielen der geplanten Krankenhausreform. Das hochkarätige Behandlungsniveau macht im Ergebnis den weiteren Weg wieder wett. Laut einer im Juni 2023 vorgelegten Studie der Regierungskommission für die Krankenhausreform könnten Zehntausende von Patienten mit Krebs oder Schlaganfall länger leben, würden sie ausschließlich in spezialisierten Häusern behandelt. „Qualität rettet Leben“, so Minister Lauterbach.

Kliniken, welche die Qualitätskriterien für bestimmte Leistungen erfüllen, sollen zukünftig über Vorhaltepauschalen finanziert werden. 60 Prozent der Vergütungen, so der Plan, erhalten die Häuser dafür, dass sie bestimmte Leistungen anbieten – unabhängig davon, ob gerade ein Rettungswagen vorfährt oder jemand operiert wird. Ein System, von dem Universitätskliniken genauso profitieren wie kleine Krankenhäuser auf dem Land. Erstere erhalten ihren großen Apparat vergütet. Und Kliniken wie in Lohr am Main können sich auf die Grundversorgung und andere Leistungen konzentrieren, für die sie besonders qualifiziert sind.

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Best Practice Beispiele

  • Zusammenschluss: Weniger ist mehr
    • Aus drei mach eins
      Noch existiert das neue Zentralklinikum in Lohr am Main nur im Computer. Bis 2026 soll der moderne Bau stehen. Zwei kommunale Krankenhäuser wurden bereits geschlossen, auch den alten Standort in Lohr (unten) wird es treffen. Das gebündelte Budget fließt in das neue Klinikum mit seiner hochwertigen medizinischen Versorgung.
  • Ambulante Eingriffe: Tagesbehandlungen können Klinik und Pflege entlasten
    • Morgens hin, mittags heim
      Dank moderner OP-Techniken und sanfter Narkosen können heute viele Eingriffe ohne Klinikübernachtung durchgeführt werden. Das ist oftmals nicht nur für Patienten bequemer, auch die Krankenhäuser profitieren. Teure Nachtdienste entfallen, Pflegekräfte werden entlastet.
      Dennoch ist die Zahl der ambulanten Operationen in Deutschland gering: Sie liegt bei 1,5 bis 1,7 Millionen pro Jahr – im Vergleich zu rund 60 Millionen stationär ablaufenden Eingriffen. In Ländern wie England, Frankreich oder Dänemark gehen Patienten wesentlich häufiger nach einer OP nach Hause.
    • Finanzierung
      Die Tageseingriffe werden in den Nachbarländern von den Kassen genauso honoriert wie stationäre OPs, zum Teil besser. Das führte zum raschen Ausbau von chirurgischen Zentren, auch in den Kliniken selbst. Experten fordern, das Vergütungssystem für bestimmte Operationen in Deutschland zu ändern, um mehr Anreize für die Ambulantisierung zu schaffen.
  • Spezialisierung: Erfahrene Kliniken zeigen bei komplexen Eingriffen bessere Ergebnisse
    • Routine zählt
      Ein Kernstück der Klinikreform ist die Spezialisierung. Werden zum Beispiel Prostataentfernungen oder andere komplizierte Operationen einzig in bestens dafür geeigneten Kliniken vorgenommen, steigt der Erfolg der Behandlungen. „Dabei ist nicht die Größe des Krankenhauses entscheidend. Es gibt auch sehr gut ausgebildete Ärzte, die an kleineren Kliniken arbeiten und komplexe Operationen sehr häufig durchführen“, sagt Martin Kriegmair, Chefarzt der Urologischen Klinik München-Planegg.
  • Digitalisierung
    • Künstliche Intelligenz hilft Ärzten bei der DiagnoseDeutschlands Krankenhäuser werden digitaler – wenn auch nur langsam. Als Vorreiter des „Smart Hospital“ versteht sich die Uniklinik Essen. Hier setzt man bereits auf elektronische Patientenakten, die relevante Krankeninformationen speichern. Mithilfe von Virtual-Reality-Brillen wollen die Ärzte Patienten über geplante OPs aufklären. In der Radiologie verbessert künstliche Intelligenz die Diagnosen: etwa wenn ein Algorithmus auf den MRT-Aufnahmen von Patienten mit Multipler Sklerose nach Entzündungsherden sucht.
FOCUS-Gesundheit 01/24 – Einfach besser leben 2024

© FOCUS-Gesundheit

FOCUS-Gesundheit 01/2024

Einfach besser leben 2024
Viele Alterungsprozesse lassen sich nachweislich bremsen. Was uns jung hält. Wie wir Lust an Bewegung (wieder) finden. Plus: Übungen fürs Home-Workout. U.v.m.

Wichtiger Hinweis

Dieser Artikel enthält allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder –behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen. Den passenden Arzt finden Sie über unser Ärzteverzeichnis.

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Dr. Andrea Bannert

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