Sexualität ist so individuell wie ein Fingerabdruck. Was jeder Einzelne braucht, welche Wünsche und Bedürfnisse er oder sie hat, was Lust und Begehren weckt, ist wesentlicher Teil der Persönlichkeit. Sexuelle Gesundheit ist untrennbar mit allgemeiner Gesundheit, mit Wohlbefinden und Lebensqualität verbunden – schreibt die WHO. Wir sind sinnliche Wesen, ein Leben lang. Die Sehnsucht nach Lust und Liebe hört nicht auf, weil man altert oder körperliche Einschränkungen hat.
„Es gibt kaum jemanden, der im Laufe seines Lebens nicht mit einem sexuellen Problem konfrontiert ist“, sagt die Sexualmedizinerin und Urologin Viola Kürbitz aus Westerstede. „Dennoch werden sexuelle Störungen fälschlicherweise als Luxusproblem verstanden.“ Dabei sei Sexualität ein Grundbedürfnis und eine wichtige Kraftquelle. „Es geht um den körpersprachlichen Dialog zwischen Menschen, um gelebte Intimität.“
Sexualstörungen: Mögliche Ursachen und Behandlungen
Ob die eigene Sexualität als stimmig empfunden wird, hängt vom Zusammenspiel vieler Faktoren ab. Sie kann sich immer wieder verändern, durch Lebensumstände, den Partner und die Partnerin. Neben dem Älterwerden beeinflussen vor allem häufig Krankheiten, Therapien und Medikamente das sexuelle Erleben.
Medikamente und Substanzen können die Sexualität beeinträchtigen. Ein Überblick
Für die Psyche:
- Antidepressiva – insbesondere selektive Serotonin- Wiederaufnahmehemmer (kurz SSRI) sowie Selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI)
- Trizyklische Antidepressiva
- Benzodiazepine gegen Angststörungen
Herz und Kreislauf:
- Entwässerungsmittel, sogenannte Diuretika – vor allem Medikamente aus der Gruppe der Thiazid- und Spironolacton- Diuretika – beeinflussen die Erektionsfähigkeit.
- Einige Bluthochdruckmittel wie nichtselektive Betablocker und Alphablocker
Krebstherapeutika:
- Krebsmedikamente verursachen chronische Müdigkeit, das Fatigue-Syndrom. Sie ist ein häufiger Grund für sexuelle Lustlosigkeit
- Antihormone (Aromatasehemmer; GnRH-Analoga) gegen Brust- oder Prostatakrebs führen zu Scheidentrockenheit, Lustlosigkeit und Potenzstörungen.
Schädliche Stoffe:
- Alkohol in großer Dosis mindert die Libido und macht impotent.
- Nikotin schädigt die Gefäßinnenwände. Bei Rauchern kommt es fast doppelt so häufig zu Impotenz wie bei Nichtrauchern. Auch E-Zigaretten erhöhen das Risiko für Erektionsprobleme.
Was tun?
Medikamente keinesfalls auf eigene Faust absetzen oder die Dosis verändern! Sprechen Sie Ihren Arzt offen und ohne Scham auf die sexuellen Probleme an. Zu vielen Arzneimitteln gibt es Alternativen, die sich weniger stark auf die Erotik auswirken.
Unsere Expertin für Sexualmedizin
Dr. med. Viola Kürbitz, Urologin und Sexualmedizinerin mit Praxis in WesterstedeInsbesondere Luststörungen nehmen zu – über alle Altersklassen hinweg. In einer kanadischen Studie von 2018 gaben fast 30 Prozent der 40 bis 59 Jahre alten Männer an, eine geringere Libido zu haben als gewollt. Die Gründe sind individuell, betonen Experten.
Problemverstärkend wirkt der Performance-Druck, der unsere Gesellschaft prägt. Überall muss geliefert werden, auch im Bett. Vielen kommt durch die daraus entstehende Erschöpfung die Sexualität abhanden. Dazu signalisiert ein überidealisiertes Körperbild: Nur ein perfekter Körper kann sinnlich sein. Das macht es noch schwerer, mit dem natürlichen Alterungsprozess oder körperlichen Einschränkungen zurechtzukommen. Nicht wenige ziehen sich aus Angst vor weiteren Verletzungen zurück. „Es ist traurig, wie viel Sexualität brachliegt“, sagt Sexualmedizinerin Kürbitz. „Dabei gilt es, verinnerlichte Zerrbilder der Sexualität und Sexualmythen zu korrigieren.“
Mögliche Ursachen für Sexualstörungen beim Mann: Übergewicht, Schilddrüsen- oder Herzerkrankungen
Sexualstörungen beim Mann: Mögliche Behandlungen
Kennt man die Ursachen, lässt sich fehlendes Testosteron mittels Hormonersatz ausgleichen. Die Leitlinien sehen vor, dass nach zweimal niedrig gemessenen Werten mit Symptomen wie Libidoverlust Testosteron gegeben werden soll. Besteht ein Kinderwunsch, setzen die Ärzte dafür sogenannte Gonadotropine ein, da von außen zugeführtes Testosteron die Spermienbildung hemmt. Die Hormone aus der Hirnanhangsdrüse dagegen, die die Männer sich selbst spritzen, stimulieren den Hoden, selbst Testosteron herzustellen. „Die Maßnahme ist umständlicher, wirkt sich aber nicht negativ auf die Spermien aus“, sagt Zitzmann.Mitunter raten die Experten zusätzlich noch zu PDE-5-Hemmern wie Viagra, die eine Erweiterung der Blutgefäße bewirken. Die Leitlinien empfehlen die Tabletten etwa bei einer erektilen Dysfunktion infolge eines Prostatakarzinoms.
Liegen Schilddrüsenprobleme oder ein bislang unbekannter Diabetes vor, verbessert die Behandlung der zugrunde liegenden Krankheit in der Regel auch Erektionsfähigkeit oder Libido wieder.
Ist die Lust da, aber keine Erektion, kann eine Schwellkörperinjektion Geschlechtsverkehr wieder ermöglichen. Die mit feinen Nadeln in den Penis gespritzten Mittel sorgen dafür, dass der Penis sich aufrichtet. Auch Vakuumpumpen sind eine Alternative. Sie werden über den Penis gestülpt und vermehren per Unterdruck den Bluteinstrom in die Schwellkörper. „Dies sind rein manipulative, mechanistische Verfahren“, sagt Zitzmann. Dennoch sind sie für manche Männer eine Lösung.
FOCUS-GESUNDHEIT 04/22
Dieser Artikel ist eine gekürzte Fassung. Den vollständigen Text finden Sie in der Ausgabe Die große Ärzteliste 2022. Weitere Themen: So beugen Sie Krebserkrankung und -rückfall vor. Neueste Technik gleicht Hörverluste aus. U.v.m.
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Mögliche Ursachen für Sexualstörungen bei der Frau
Die Wechseljahre verändern die Sexualität oft spürbar. Manche Frauen haben weniger Lust, andere entdecken Sex ganz neu. Mit einer trockenen Scheide hat jede dritte zu tun. Die zarte Haut im Intimbereich wird dünner und anfälliger für Entzündungen. Reichen fett- und feuchtigkeitsspendende Präparate nicht aus, bringt eine lokal in die Scheide aufgetragene Östrogensalbe Linderung. Das Oberflächen-Östrogen macht die Schleimhaut robust und dehnfähig, gelangt aber kaum ins Blut.
Auch wiederkehrende Harnwegsinfekte verderben die Freude am Sex. „Treten ein-, zweimal nach dem Geschlechtsverkehr Beschwerden auf, wird die Sexualität häufig schon belastet“, weiß Urologin Kürbitz. Es brauche Zeit, die genauen Auslöser zu identifizieren. Gravierend kann sich auch eine Reizblase auswirken. Der ständige Harndrang entsteht beispielsweise durch chronische Blasenentzündung, Östrogenmangel im Scheiden-Harnröhrenbereich oder durch eine Gebärmutter- oder Blasensenkung. „Mit gezielter Diagnostik und rechtzeitiger Therapie lassen sich die Probleme meistens beheben oder zumindest deutlich verbessern“, sagt Kürbitz.Schmerzen beim Intimverkehr fassen Mediziner unter dem Begriff Dyspareunie zusammen. Die Ursachen sind vielfältig und umfassen organische und psychische Faktoren. Häufig führen Einschränkungen der Hormonproduktion mit der dadurch bedingten Trockenheit in der Scheide oder Vernarbungen nach gynäkologischen OPs beim Sex zu Schmerzen.
Sexualstörungen bei der Frau: Das können Sie dagegen tun
„Wenn es nicht mehr klappt wie gewohnt, scheuen viele Paare auch Berührungen und Zärtlichkeit“, sagt Annette Hasenburg, Direktorin der Frauenklinik an der Unimedizin Mainz. Nicht selten beginnt ein Teufelskreis, bei dem die Intimität zum Erliegen kommt. „Ich empfehle den Betroffenen, ihren Arzt, ihre Ärztin um Rat zu fragen und mit Gleitmitteln oder einer zunächst lokalen Therapie der Trockenheit in der Scheide zu begegnen“, so die Gynäkologin. „Manchmal hilft es auch, neue Stellungen auszuprobieren.“
Unsere Expertin für Gynäkologie und Psychoonkologie
Prof. Annette Hasenburg, Die Gynäkologin mit psychotherapeutischer Zusatzqualifikation und Psychoonkologin leitet die Klinik und Poliklinik für Geburtshilfe und Frauengesundheit. Sie engagiert sich dafür, dass Frauen trotz ihrer Krebserkrankung eine erfüllte Sexualität leben können.Fehlende Lust ist bei Frauen oft die Hürde, sich auf Sex einzulassen. Es kann hilfreich sein, sich zu erinnern, was man früher unternommen hat, um in Stimmung zu kommen: gemeinsam zu kochen, Musik zu hören oder ein kinderfreies Wochenende zu organisieren. Und dann einfach anfangen und ergebnisoffen und ohne Erwartungsdruck schauen, wie es geht, raten Experten.
„Die Lust muss nicht Voraussetzung sein, um sich als Paar aufeinander einzulassen“, sagt Hasenburg. „Oft entwickelt sie sich, aber man muss ihr auch eine Chance geben.“ In jedem Fall kommt man sich wieder näher, erlebt sich als Paar. Und zeigt dem anderen, aber auch sich selbst: Du bist mir wichtig.
Guten Sex erleben (Unser Podcast für ein gutes Körpergefühl – Folge #8)
Gast im Podcast
Dr. med. Viola KürbitzIn dieser Podcastfolge sprechen wir über Sex und seine enge Beziehung zu unserem körperlichen Wohlbefinden.
Ein erfülltes Sexleben schenkt Lebenskraft, entspannt und lässt zugleich eine Menge Glückshormone durch den Körper strömen.
Wir haben die Urologin und Sexualmedizinerin Viola Kürbitz gefragt, was es braucht, um guten Sex zu erleben und was man bei Problemen tun kann. Sie verrät außerdem, wie Orgasmus und Psyche zusammenhängen und worauf es in der Partnerschaft in Bezug auf eine erfüllte Sexualität ankommt.