Sechs Jahre später stellte sich heraus, dass Welter Trägerin des Brustkrebs-Gens BRCA2 ist – diese Genmutation erhöht die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens an Brustkrebs zu erkranken, auf fast 70 Prozent. Seither gilt die 57-Jährige als Hochrisikopatientin. Sie geht alle sechs Monate zur intensivierten Früherkennung und nimmt lebenslang Medikamente, die einen Rückfall verhindern sollen.
Als Hochrisikopatientin lohnt es sich noch einmal mehr, ein starkes Netzwerk aufzubauen mit Menschen, die einem guttun. Es trägt einen durch dunkle Zeiten.
Brustkrebs: Stand heute
Brustkrebs ist der häufigste Krebs bei Frauen, jährlich erkranken in Deutschland rund 70 000 daran. Dank enormer Fortschritte in der Therapie wird Brustkrebs inzwischen in 80 Prozent der Fälle geheilt, solange der Tumor nicht in andere Organe gestreut hat. Im fortgeschrittenen Stadium können die Ärzte und Ärztinnen die Tumorzellen nicht mehr zum Verschwinden bringen.
Mit Medikamenten lässt sich der Krebs jedoch oft über viele Jahre gut kontrollieren. „Der Weg hin zu einer personalisierten Medizin in der Brustkrebstherapie geht beständig weiter“, sagt Achim Wöckel, Direktor der Universitätsfrauenklinik Würzburg und Koordinator der aktuellen Brustkrebs-Leitlinie. „Die Therapievielfalt wächst, wir haben deutlich mehr Wirkstoffe als früher und bieten zunehmend individuelle Optionen an.“
Wichtig zu wissen: Krebs ist so gut wie nie ein Notfall, Betroffene haben die Zeit, sich in Ruhe über ihre Erkrankung und die Behandlungsoptionen zu informieren.
Diese Fragen sind dabei wichtig:
1. Welchen Brustkrebs habe ich genau?
Brustkrebs ist nicht gleich Brustkrebs. Heute wird die Erkrankung sehr präzise in molekulare Subtypen eingeteilt, die mit verschiedenen Therapiekonzepten verbunden sind. Mehrere Faktoren beeinflussen, wie sich die Tumorzellen vermehren. Manche Brustkrebszellen weisen bestimmte Bindungsstellen auf ihrer Oberfläche auf.
- Hormonempfindlich: Lassen sich Rezeptoren für Östrogen und Progesteron nachweisen, handelt es sich um hormonempfindlichen Brustkrebs, der in die Varianten Luminal A und Luminal B unterteilt wird. Manche Luminal-B-Tumoren tragen auch noch die Wachstumsfaktor-Rezeptoren HER2 auf ihrer Oberfläche.
- HER2-Status: Typisch ist das vermehrte Vorhandensein von Wachstumsfaktoren auf der Zelloberfläche – Patientinnen mit dieser Variante müssen mit einem aggressiveren Verlauf rechnen. Zielgerichtete Therapien haben die Heilungschancen stark verbessert: Sie unterbinden das Wachstumssignal in der Zelle. Der HER2-Status wird mit HER2-positiv, -negativ bzw. -low angegeben.
- Triple-negativ: Wenn keine hormonellen Rezeptoren und nur wenige HER2-Bindungsstellen vorhanden sind, spricht man von triple-negativem Brustkrebs. Dieser ist aggressiver und schwerer zu behandeln als andere Brustkrebsformen.
Diese Biomarker helfen, die Bösartigkeit und Charakteristik des Tumors einzuschätzen und Ansätze für die Therapie abzuleiten. So wird neben dem Hormon- und dem HER2-Rezeptorstatus heute auch der Biomarker Ki-67 erfasst. Der Wert gibt an, wie es um die Teilungsgeschwindigkeit von Krebszellen bestellt ist – je höher, desto aggressiver.
Generell gilt: „Je früher der Tumor entdeckt wird und je eindeutiger wir seine Eigenschaften beschreiben können, desto größer sind die Heilungsaussichten“, sagt Nadia Harbeck, Leiterin des Brustzentrums am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Unsere Expertin für Brustkrebstherapie
Prof. Nadia Harbeck, Leiterin des Brustzentrums in der Frauenklinik der LMU München2. Brauche ich wirklich eine Chemotherapie?
Diese Frage betrifft viele Patientinnen mit hormonempfindlichem, HER2-negativem frühen Brustkrebs – der häufigsten Brustkrebsvariante. Mit sogenannten Genexpressionstests lässt sich das Rückfallrisiko besser einschätzen. Anhand von Tumorgewebeproben wird berechnet, wie groß die individuelle Wahrscheinlichkeit ist, dass sich erneut Zellen fehlerhaft reproduzieren und zu Krebszellen entarten.
Je niedriger der „Recurrence Score“ ausfällt, desto mehr spricht dafür, auf die Chemotherapie zu verzichten. Denn diese kann neben akuten auch Langzeitnebenwirkungen verursachen. Bei Biggi Welter etwa löste die Chemo einen Diabetes aus. Auch ihr Herz büßte an Kraft ein.Für die Therapieplanung ist der Gentest einer von mehreren Bausteinen. Bei der Ersterkrankung bezahlen ihn die Krankenkassen, wenn keine Lymphknoten befallen sind. „Mittlerweile zeigen neue Studien, dass er auch bei geringem Befall von einem bis drei Lymphknoten sinnvoll ist“, weiß Expertin Harbeck. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) prüft derzeit, ob die Testung Kassenleistung wird. So lange bleibt Betroffenen nur die Möglichkeit, den Prognosetest selbst zu bezahlen (um 3300 Euro). Einige Brustzentren haben auch eine ambulante spezialärztliche Versorgung, über die sich das Verfahren bereits abrechnen lässt.
FOCUS-GESUNDHEIT 04/23
Dieser Artikel ist eine gekürzte Fassung. Den vollständigen Text finden Sie in der Ausgabe Krebs besiegen. Weitere Themen: Impfungen gegen Krebs. Schonenden Therapien bei Prostatakrebs. U.v.m.Zum E-Paper-Shop
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3. Wie reagiert der Tumor auf Medikamente?
Bis vor wenigen Jahren galt die Devise, einen Tumor möglichst schnell zu entfernen. Doch mit dem Verständnis, dass Brustkrebs eine Systemerkrankung ist, die den gesamten Körper betrifft, gehen die Experten nun differenzierter vor. Medikamente zur Krebsbekämpfung haben an Bedeutung gewonnen, immer häufiger kommen Zytostatika oder auch Antihormonwirkstoffe vor der OP (in der Fachsprache: neoadjuvant) zum Einsatz.
In 70 Prozent aller Fälle ist Brustkrebs hormonempfindlich. „Seit Kurzem bieten wir die präoperative Antihormontherapie an, die sich natürlich auch mit dem Gentest kombinieren lässt“, sagt Harbeck. Damit können die Experten herausfinden, ob eine Chemo nötig ist. „Wir nutzen einfach die Information aus dem Tumor“, erklärt die Onkologin. „Vor der Operation geben wir vier Wochen lang eine Antihormontherapie, die die Patientin ja auch hinterher braucht.“
Ist im OP-Präparat die Wachstumsrate der Tumorzellen sehr niedrig, funktionieren die Medikamente gut. „Wir können mit dem Wissen, das wir über den Tumor sammeln, pro Jahr 15 000 Frauen die Chemotherapie ersparen – ohne dass es die Prognose verschlechtert“, so Harbeck. „Die schnelle Operation kann für manche Patientin die falsche Entscheidung sein.“
Das Konzept dieser „dynamischen Testung“ wurde in Deutschland durch Studien an 80 Zentren vorangetrieben und ausgewertet. Nadia Harbeck hat für ihre klinische Forschung dazu den Deutschen Krebspreis 2023 erhalten – eine der höchsten Auszeichnungen in der Onkologie.
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4. Welche Therapie ist die beste für mich?
Liegen alle Informationen zur Biologie des Tumors auf dem Tisch, besprechen die Experten im Tumorboard, welcher Therapieplan den größten Erfolg verspricht. Es ist eine komplexe Aufgabe, da neben der Operation Chemo, Bestrahlung, Antihormon-, Immun- und Antikörpertherapien sowie weitere neue Wirkstoffe zu den Optionen gehören. Auch die Frage der optimalen Reihenfolge wird diskutiert. „Die primäre Behandlung muss sitzen, das ist nach wie vor das onkologische Hauptprinzip“, sagt Brustkrebsspezialist Wöckel. „Dabei versuchen wie heute vermehrt, keine Übertherapie zu verursachen.“ Es bleibe aber immer auch eine Gratwanderung.
Manchmal braucht es statt Deeskalation das Gegenteil. Der Maximaltherapie verdankt Nadja Will ihr Leben. Der Tumor in ihrer Brust war groß und aggressiv, die Überlebenschance der Anästhesieschwester gering. Heute ist die 40-Jährige seit sechs Jahren krebsfrei.
Die Auswirkungen der Antihormontherapie wie Hitzewallungen und Gelenkschmerzen kennt Will gut. „Aber ich definiere die Tabletten als meine Lebensversicherung“, sagt sie. Jede Frau müsse einen guten Weg finden, damit umzugehen. Ihr hilft es, in Bewegung zu bleiben. „Wenn ich weniger Sport mache, habe ich mehr Hitzewellen.“5. Was können neue Medikamente bewirken?
Die Antihormontherapie hat mit den sogenannten CDK4/6-Inhibitoren eine Weiterentwicklung erfahren. Die Medikamente sind in der Lage, in den Zyklus von Zellen einzugreifen und so Teilung und Wachstum von Krebszellen zu verhindern. Dadurch verstärken sie die Wirksamkeit der antihormonellen Therapie. Drei Substanzen dieser Klasse sind schon länger bei metastasiertem Brustkrebs zugelassen.
Seit April 2022 steht der Arzneistoff Abemaciclib auch beim frühen Stadium zur Verfügung. „Diese Erweiterung ist ein großer Fortschritt für Frauen, die trotz Chemo- und standardmäßiger Antihormontherapie immer noch ein hohes Rückfallrisiko haben“, sagt Expertin Harbeck. „Die Nebenwirkungen sind allgemein überschaubar.“ In wenigen Jahren wird man zudem wissen, ob die Gabe eines CDK4/6-Inhibitors die Chemo bei bestimmten Patientinnen sogar ersetzen kann – die weltweit einzige Studie (ADAPTcycle) mit 5000 Probandinnen läuft derzeit in Deutschland.
Chemo im Rucksack: Neu im Therapiearsenal sind Antikörper-Wirkstoff-Konjugate, kurz ADC (von Antibody-drug conjugate). Das sind sehr zielgerichtete Medikamente, bei denen ein Antikörper das Chemotherapeutikum zu den Tumorzellen bringt und den Wirkstoff dort ablädt. „Eine Standardchemo flutet überall gleich an, auch mit dem gleichen Schadenspotenzial“, sagt Onkologe Wöckel. „Der Antikörper findet die Tumorzellen anhand ihrer spezifischen Oberflächeneigenschaften dagegen genau.
Die sehr kleinen Chemomoleküle entfalten ihre toxische Wirkung nicht nur in den Krebs-, sondern auch in Nachbarzellen. Dieser sogenannte Bystander-Effekt ist erwünscht, da zu einem Tumor völlig verschiedene Zellen gehören, die das entsprechende Oberflächenmerkmal zum Teil nicht aufweisen. So wird die Effektivität der Therapie optimiert.
Bislang sind drei ADCs bei Brustkrebs zugelassen, beim metastasierten triple-negativen und beim HER2-positiven. In Kürze wird eine Zulassungserweiterung für HER2-low-Tumoren erwartet – aufgrund der DESTINY-Breast04- Studie. Weitere ADCs sollen künftig herkömmliche Chemotherapien zunehmend ersetzen. Die Nebenwirkungen gleichen denen einer Chemo: Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Blutbildveränderungen. Selten tritt eine spezielle, ernste Lungenerkrankung auf. Wöckel: „Engmaschige Kontrollen sind wichtig, und die Patienten müssen gut aufgeklärt sein.“Eine Herausforderung bleibt der triple-negative Brustkrebs. „Entzieht sich der Tumor allen Angriffspunkten, die wir kennen, ist es schwierig“, sagt Harbeck. Seit 2022 gibt es aber die Möglichkeit, nicht nur im fortgeschrittenen, sondern auch im Frühstadium bei hohem Rückfallrisiko eine Immuntherapie mit dem Antikörper Pembrolizumab einzusetzen – er mobilisiert die Körperabwehr gegen den Tumor. „Das Medikament verbessert die Heilungschancen bei dieser sehr aggressiven Brustkrebsform“, weiß Harbeck.
Was hilft bei der Krankheitsbewältigung?
Eine Krebserkrankung geht an niemandem spurlos vorüber. Betroffene empfinden es oft als bereichernd, sich auszutauschen und Wissen zu teilen. Es gibt vielfältige Treffen vor Ort, digitale Angebote und Onlinegruppen.
- Gesammeltes Wissen
Einen Gesamtüberblick auf neuestem wissenschaftlichen Stand liefert das Buch „Brustkrebs. Alles, was jetzt wichtig ist“ von Prof. Nadia Harbeck und Ludger Wahlers (Mosaik Verlag) - Gut aufgehoben
Zertifizierte Brustzentren in der Nähe finden sich unter oncomap.de - Starke Netzwerke
mamazone ist eine große Brustkrebsinitiative, die Frauen unterstützt, stärkt und berät: mamazone.de. Online-Selbsthilfegruppen, Informationsaustausch, Wissenswertes über Brustgesundheit bietet die Community-Plattform think-pink.club - Unterstützung per App
„Pink! Coach“ will die Lebensqualität mittels Coaching-Modulen verbessern. Die Anwendung kann ärztlich verordnet werden – genau wie „Optimune“. Diese App hat das Ziel, nach der Therapie die psychische Gesundheit zu fördern