Normalerweise arbeitet Josephine Hofmann im Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation am Rande des Stuttgarter Universitätscampus. Seit Mitte März aber, als der Corona-Lockdown die Arbeitswelt lahmlegte, hat sich auch ihr Arbeitsalltag von heute auf morgen komplett verändert: Die promovierte Verwaltungs- und Informationswissenschaftlerin verbringt kaum noch Zeit im Institut. Ihr Forschungsteam leitet sie von zu Hause aus. „Wir arbeiten jetzt hochgradig virtuell“, sagt Hofmann. Die Wissenschaftlerin ist damit eine von Millionen Bürobeschäftigten, die seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie die neue Welt des Home-Office entdecken. Der Unterschied zu den anderen Heimarbeitern: Die Veränderung der Arbeitswelt durch Covid-19 ist zugleich das Forschungsthema. Ihr Team mit dem Titel „Zusammenarbeit und Führung“ befasst sich mit den Folgen der zunehmenden Digitalisierung und den Auswirkungen von Corona auf die Arbeitswelt.
Arbeiten im Home-Office verlangt Selbstdisziplin.
Nach Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) haben etwa die Hälfte aller Angestellten während des Lockdowns vorübergehend zu Hause gearbeitet. Vor der Pandemie waren es je nach Studie 15 bis 20 Prozent. Bald dürften es 30 bis 40 Prozent sein, die zumindest gelegentlich in den eigenen vier Wänden tätig werden. Etliche Arbeitnehmer und Arbeitgeber hätten in dieser neuen Normalität die Erfahrung gemacht, dass mobiles Arbeiten besser funktioniert als gedacht, sagt Hofmann. „Die Menschen gewinnen Zeit und Handlungsspielräume, wenn sie nicht mehr pendeln müssen, im Stau stehen und im Büro durch Sitzungen und Kollegengespräche abgelenkt werden“, so die Forscherin.
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Vor- und Nachteile des Home-Offices
Wer zu Hause arbeitet, genießt die Möglichkeit, tagsüber auch mal Zeit mit den Kindern zu verbringen oder eine Joggingrunde einzulegen. Der aufgeschobene Job wird dann nach dem Abendessen erledigt. „Viele Beschäftigte“, so Hofmann, „arbeiten im Home-Office konzentrierter und produktiver und fühlen sich dennoch erholter, sofern sie nicht durch Home-Schooling doppelt belastet werden.“ Andererseits zeigen Studien, dass nach dem dritten Tag im Home-Office das Gefühl der sozialen Isolation zunimmt. Das Teamgefühl schwindet, manche Beschäftigte vermissen die soziale Unterstützung, die den Arbeitsdruck abfedert.
Eine Insel der Seligen ist das Heimbüro also nicht. Wenn das Schlafzimmer zur Schreibstube wird, drohen unfreiwillige Mehrarbeit und eine Verdichtung des Arbeitspensums. „Wer viel im Home-Office arbeitet, berichtet häufiger über Erschöpfung, Gereiztheit und Schlafstörungen“, sagt Helmut Schröder. Der Soziologe ist stellvertretender Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK in Berlin, das sich seit Jahren auch mit gesundheitlichen Folgen von Home-Office beschäftigt. In einer Erhebung seines Instituts hätten mehr als zwei Drittel der Befragten von Gefühlen wie Nervosität, Reizbarkeit, Lustlosigkeit und Selbstzweifeln berichtet.
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Home-Office: Eine Typfrage?
Ob Home-Office guttut, ist nicht zuletzt eine Typfrage. Menschen, die klare Strukturen und vertraute Netzwerke brauchen, fahren lieber täglich ins Büro. Wer Freiheit und Eigenverantwortung schätzt, kommt daheim besser zurecht. „Home-Office ist gesund, wenn es selbstbestimmt ist“, sagt Stefanie Wolter, wissenschaftliche Mitarbeiterin am IAB in Nürnberg. „Wenn man nicht genug Selbstdisziplin aufbringt, um Grenzen zu setzen, leidet jedoch die Work-Life- Balance.“ Etwa ein Drittel der Angestellten wollten gar nicht ins Home-Office – sie würden Beruf und Privates lieber trennen, so Wolter. Führungskräfte könnten zu einem gesunden Umfeld beitragen, wenn sie Kontakt zu den Kollegen halten und definierte Ziele vor Präsenzzeiten stellen. Daneben dürfe die Abwanderung der Angestellten ins heimische Wohnzimmer nicht dazu führen, dass sie von der Karriereleiter fallen. „Studien zeigen, dass es für Beschäftigte im Home- Office weniger Aufstiegschancen gibt“, sagt Wolter.
Wie die Deutschen die Heimarbeit sehen
Home-Office: Ein Blick in die Zukunft
Für Fraunhofer-Forscherin Hofmann ist klar: Damit Arbeitnehmer nicht zu Leidtragenden der Corona-Welt werden, müssen Chefs künftig dafür sorgen, dass der informelle Austausch zwischen den verstreut arbeitenden Kollegen durch Telefonate oder Videokonferenzen gepflegt wird. Gleichzeitig müssten Führungskräfte darauf achten, dass ihr Team bei aller Erreichbarkeit nicht ständig arbeitet. E-Mails aufs Dienst-Handy abends und am Wochenende sollten unterbleiben. Hinzu kommt: Steht der Laptop dauerhaft auf dem Küchentisch, drohen Rückenschmerzen und andere Muskel-Skelett-Erkrankungen. Daher kommt laut Experten auf die Arbeitgeber noch eine weitere Herausforderung zu: am heimischen Arbeitsplatz für ergonomisch vernünftige Arbeitsbedingungen zu sorgen.
FOCUS-GESUNDHEIT 09/20
Dieser Artikel ist eine gekürzte Fassung. Den vollständigen Text finden Sie in der Ausgabe Psyche & Job von FOCUS-GESUNDHEIT. Weitere Themen: Neue Strategien gegen Schnarchen, Wiedereinstieg in den Job nach dem Burnout u.v.m.
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Home-Office: Tipps für Ihre Gesundheit
Krankenkassen wie die DAK bieten bereits Online-Workshops wie „Fit im Home-Office“ an. Ihre Themen betreffen Arbeitsplatzergonomie, Resilienztraining und kalorienarme Ernährung ebenso wie Entspannungs- und Bewegungsübungen. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) in Dortmund hat ein eigenes „FlexAbility-Training“ entwickelt. Das Online-Programm (baua-flexibelundgesund.de) will Beschäftigte bei ihrer Selbststeuerung unterstützen, um zu einer besseren Work-Life-Balance zu gelangen und langfristigen Erschöpfungszuständen vorzubeugen. Ziel des sechswöchigen Trainings: ein gesunder Arbeitsalltag, bewusste Grenze zwischen Arbeit und Privatleben, kleinere und größere Pausen und eine erholsamere Freizeit. „Das Forschungsprojekt ist bis 2022 an-elegt“, sagt BAuA-Projektmitarbeiterin Sarah Althammer. „Interessierte können sich jederzeit auf unserer Homepage anmelden.“