Sport gegen Krebs
Prof. Dr. Freerk Baumann, Sportwissenschaftler und Experte für Bewegungswissenschaften in der Onkologie. Er leitet die AG Onkologische Bewegungsmedizin am Centrum für Integrierte Onkologie (CIO) an der Uniklinik Köln.Die Teilnehmerinnen schätzten ihre Lebensqualität nach der Reise deutlich besser ein als zuvor. Und dieser positive psychologische Effekt wirkte monatelang nach. Ebenso nachhaltig haben die Frauen ihr Bewegungspensum bei der Rückkehr in den Alltag gesteigert, sie waren auf den Geschmack gekommen. Damit haben sie auch ihre Ängste und Depressionen, unter denen sehr viele Krebspatienten leiden, langfristig deutlich verringert.
Die Werte der sogenannten Radikalenfänger haben sich deutlich erhöht. Es befanden sich also mehr Schutzzellen im Blut, die im Übermaß schädliche freie Radikale bekämpfen. Letztere werden auch im Rahmen der Krebsentstehung als Faktor diskutiert.
Es muss nicht jeder auf den Jakobsweg! Die wichtigste Aufgabe während und nach der Therapie ist, aktiv zu bleiben und sich im Alltag so regelmäßig wie möglich zu bewegen – egal in welcher Sportart. Hauptsache, sie macht Spaß und man bleibt dran. So können Patienten und Patientinnen viele Nebenwirkungen von Chemo- und Strahlentherapie eigenständig mindern. Ideal wäre, die persönlichen Freizeitaktivitäten mit einer professionellen Bewegungstherapie zu kombinieren, um die bestmögliche Wirkung zu erzielen.
Die gezielte Bewegungstherapie ist unter den nichtmedizinischen Therapieformen der Onkologie mittlerweile diejenige mit den meisten wissenschaftlichen Belegen. Es gibt dazu rund 350 aussagekräftige Studien und mehrere Tausend Veröffentlichungen.
Die positiven Effekte des individuell zugeschnittenen Trainings zeigen sich auf unterschiedlichsten Ebenen: bei Ängsten und Depressionen, Lebensqualität, Ausdauer, Kraft, Fatigue-Problematik, dem sekundären Lymphödem bei Brustkrebspatientinnen und Harninkontinenz bei Prostatakrebspatienten. In allen Bereichen kann professionelle Bewegungstherapie die Beschwerden verhindern oder abmildern. Auch auf Schlafhygiene und Osteoporose hat die Methode nachweislich positiven Einfluss.
Die Bewegungstherapie hat sich in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren zum wissenschaftlich anerkannten Symptommanager für Krebspatienten entwickelt.
Es gibt zwar Beobachtungsstudien, aber bislang keine streng wissenschaftlichen Vergleichsstudien, die einen Einfluss auf die Sterberate bestätigen. Daran wird noch geforscht, auch bei uns an der Uniklinik Köln.
Nachgewiesen ist, dass ein gesunder Lebensstil 40 Prozent aller Krebserkrankungen in Deutschland verhindern kann. Dazu gehört Bewegung, gesunde Ernährung, Sonnenschutz, Verzicht auf Rauchen und auf übermäßigen Alkoholkonsum. Allein durch Bewegung lassen sich etwa sechs Prozent der Krebserkrankungen vermeiden. Das wären bei 500.000 Diagnosen in Deutschland pro Jahr immerhin 30.000 weniger. Wir arbeiten dafür, dass möglichst viele Patienten als Kassenleistung Zugang zu professionellen Bewegungstherapie-Angeboten bekommen, die individuell auf ihre Bedürfnisse und Ziele zugeschnitten sind.
Wir untersuchen gerade in laufenden Studien an der Uniklinik Köln, ob die Bewegungstherapie mehr kann, als die Nebenwirkungen von Chemo- und Strahlentherapie zu mindern. Ob sie das Ansprechen der Patienten auf medizinische Therapien verbessert, also etwa die Wirksamkeit bei der Immuntherapie. Bewegung allein wird Krebs nie heilen. Man kann nicht auf die Chemotherapie verzichten und stattdessen Sport treiben. Aber die Kombination aus Bewegungstherapie und medizinischer Therapie ist sehr vielversprechend.
FOCUS-GESUNDHEIT 04/23
Das Interview erschien zunächst in der Ausgabe Krebs besiegen. Weitere Themen: Impfungen gegen Krebs. Schonenden Therapien bei Prostatakrebs. U.v.m.
Zum E-Paper-Shop
Zum Print-Shop