Auf dem Parkplatz begrüßen sich drei Männer mit den Worten: „Schon geimpft?“ Wenige Schritte entfernt telefoniert eine sportliche Mittfünfzigerin nach Hause: „Alles gut gegangen. Ich bin so froh.“ Die vier stehen vor einem unscheinbaren Bürogebäude in Oberhaching bei München. Dort hat die Johanniter Unfall Hilfe ein Impfzentrum eingerichtet.
Hinter einer vergitterten Zimmertür lagert im mannshohen Medikamentenkühlschrank der Stoff, der vor Covid19 schützt. Im Raum nebenan weist eine Krankenschwester einen jungen Sanitäter ein, die Medikamentenfläschchen zunächst vorsichtig zu schwenken und dann exakt sechs Dosen in Spritzen aufzuziehen. An der Wand hängen Dankeskarten. Mit zittriger Schrift steht auf einer: „Vielen Dank für die Mühe.“ Vereinzelt treffen Impflinge ein.
Anmelden, registrieren, Aufklärungsgespräch, der Stich in den Oberarm, warten und wieder auschecken: Die gesamte Prozedur läuft in entspannt heiterer Atmosphäre ab. Nach 30 Minuten stehen die frisch Geimpften wieder auf dem Parkplatz. „Wir bemühen uns sehr, dass alles möglichst unspektakulär vor sich geht“, betont Tim Stog, Leiter des Impfzentrums.
Die Impfkampagne zur Eindämmung der Pandemie hingegen ist alles andere als unspektakulär. Niemals zuvor sollten so viele Menschen in möglichst kurzer Zeit geimpft werden – und das weltweit. Selten war so augenfällig, welche entscheidende Rolle Impfungen im Kampf gegen bedrohliche Viren spielen. Die Bereitschaft, sich immunisieren zu lassen, ist in Deutschland so hoch wie nie. Die Corona Pandemie bringt vieles in Bewegung.
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So hoch ist die Impfbereitschaft in Deutschland
Trotz des zunehmenden Frusts über das Krisenmanagement von Behörden und Politik, trotz der Turbulenzen um einzelne Impfstoffe bleibt das Vertrauen in die Impfung stabil, zeigt das Covid19 Snapshot Monitoring (Cosmo). „Die Menschen nehmen derzeit sehr bewusst wahr, dass Impfen eine der zentralen Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung ist – und zwar eine mit der Perspektive auf Verbesserung der für alle belastenden Situation“, so Schmid.
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So funktioniert Immunisierung
Im Prinzip funktioniert die Immunisierung immer gleich. Impfstoffe führen dem körpereigenen Abwehrsystem harmlose Teile der Außenhülle des Erregers, das Antigen, vor. Immunzellen erkennen die Kopie als körperfremd. Weitere Immunzellen werden aktiviert, Antikörper gebildet. Diese verbinden sich mit dem vermeintlichen Erreger. Gleichzeitig entwickeln sich Gedächtniszellen, die sich die Struktur des Antigens merken.
Bei einer echten Infektion identifizieren die Gedächtniszellen den Eindringling. Schnell läuft dann die Produktion der Antikörper an.
So arbeitet die Ständige Impfkommission (STIKO)
„Impfen verhindert, dass eine Infektionskrankheit überhaupt ausbricht", betont Thomas Mertens. Der Virologe ist Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (Stiko). Das Expertengremium aus 18 Mitgliedern tagt auch ohne Pandemie mehrmals im Jahr.
Es spricht Empfehlungen aus, welche Impfungen für wen zu welchem Zeitpunkt sinnvoll sind. Auf Grundlage aller wesentlichen Studien und Analysen sowie Berechnungen wägen die Experten Nutzen und Risiken ab – für den Einzelnen und für die gesamte Bevölkerung.
Befürwortet die Stiko eine Impfung, übernehmen die Krankenkassen in der Regel die Kosten, Millionen von Menschen bekommen dann den empfohlenen Piks.
Für den Stiko-Chef sind die Vorteile einer Impfung unbestreitbar. „Es ist immer besser, eine Infektion zu unterbinden, als eine Krankheit zu behandeln.
Zudem gibt es für viele von Viren hervorgerufene Erkrankungen, die sich durch Impfung vermeiden lassen, keine wirksamen Medikamente.“ Das gilt von Windpocken über Masern, Mumps, Röteln bis zu Covid-19.Werbung
Die Erfolgsgeschichte der Impfungen
1997 starb in Deutschland zuletzt ein Mensch an Diphtherie, Erkrankungen treten nur noch vereinzelt auf. Pocken sind weltweit gänzlich ausgerottet, Kinderlähmung nahezu. Für einen lebenslangen Schutz gegen die hochansteckenden Windpocken oder Röteln reichen zwei Stiche. Mit dem Tetanusbakterium, das Muskeln so stark verkrampfen lässt, dass dabei Knochen brechen können, infizieren sich in Deutschland nur noch weniger als 15 Menschen im Jahr. Meist trifft es Ältere, weil die Auffrischungsimpfungen fehlen.
Hoffentlich sensibilisiert das jetzt erworbene Wissen über Impfungen die Menschen, sich auch gegen andere vermeidbare Infektionskrankheiten zu schützen
Die Erfolgsgeschichte des Impfens führt zu einer paradoxen Situation. „Bis zum Auftreten von Covid-19 waren sich die meisten Menschen hierzulande der Gefahr von Infektionskrankheiten überhaupt nicht mehr bewusst, sie war aus dem Alltag verschwunden“, sagt Mertens. Damit änderte sich das Risikoempfinden. Vorbeugende Impfungen erschienen den einen als vernachlässigbar, anderen gar als riskant. Termine wurden vergessen, Kinder zögerlich und zu spät geimpft.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zählte diese Trägheit 2019 zu den „zehn größten Gesundheitsbedrohungen“. Mit dem Impfstatus der Kinder hierzulande ist der STIKO-Vorsitzende allerdings recht zufrieden. Immerhin seien 85 bis 95 Prozent bei der Einschulung geschützt. „Bei den Erwachsenen sind die Lücken jedoch erheblich“, so Mertens – und gefährlich.
Wie wichtig der Impfschutz ist
Auch das zeigt die Corona-Pandemie. Bis zum März dieses Jahres, bevor Ältere geimpft waren, überwog unter den Covid-Toten die Gruppe der über 70-Jährigen mit 89 Prozent.
Zwischen 2007 und 2017 sind in Deutschland 190.000 Menschen an Krankheiten gestorben, vor denen die Spritze in den Oberarm hätte bewahren können.
„Hoffentlich sensibilisiert das jetzt erworbene Wissen über Impfungen die Menschen, sich auch gegen andere vermeidbare Infektionskrankheiten zu schützen“, sagt Mertens. Nachholen müssen Erwachsene nach Ansicht des STIKO-Vorsitzenden vor allem bei der erneuten Immunisierung gegen Keuchhusten. Der Schutz gegen das Bakterium lässt recht schnell nach, jeder kann mehrfach erkranken. „Mehr als 60 Prozent der Fälle treten inzwischen bei Erwachsenen auf“, so Mertens.Werbung
Wieso wir in Impfungen vertrauen
Die Psychologen der Uni Erfurt haben untersucht, was die Entscheidung für oder gegen eine Impfung beeinflusst. Philipp Schmid nennt fünf Gründe:
- Das Vertrauen in die Sicherheit sei der wichtigste Faktor.
- Gefolgt von einer Abwägung zwischen der wahrgenommenen Gefahr durch die Infektion im Vergleich zu den Risiken einer Impfung.
- Drittens spiele es eine Rolle, ob sich die Impfung ohne große Umstände realisieren lasse, angefangen von der Terminvereinbarung bis zum Hinfahren.
- Einige Leute sammelten Informationen und erstellten eine Kosten-Nutzen-Analyse, ob sich die Impfung für sie persönlich lohne.
- Schließlich zeigten Menschen, die überzeugt sind, ihr Tun schütze auch andere, eine höhere Impfbereitschaft. Günstig beeinflussen lasse sich die Entscheidung, so Schmid, durch gute Kommunikation.
Vorteile der mRNA-Vakzine
Der erste Impfstoff (medizinisch: Vakzin), der gegen Covid-19 zugelassen wurde, basiert auf einer Technologie, die erstmals bei einer Infektionskrankheit zum Einsatz kommt. Zu den Pionieren der Forschung mit Boten-RNA (mRNA) gehört die Tübinger Firma Curevac. Einer ihrer Gründer, Ingmar Hoerr, spritzte bereits 1999 für seine Doktorarbeit Labormäusen mRNA-Moleküle und konnte nachweisen, dass sich so das Immunsystem stimulieren lässt.
Im Unterschied zu herkömmlichen Impfstoffen enthält ein mRNA-Vakzin keine Proteine des Virus, sondern lediglich Teile aus deren Bauplan. Der Körper stellt selbst das Antigen her, das die Immunantwort auslöst.„Die mRNA-Impfstoffe haben einen überragenden Vorteil: Sie lassen sich sehr schnell herstellen“, sagt Igor Splawski, wissenschaftlicher Leiter und Vorstand bei Curevac. Zehn Jahre und acht Monate dauert die Entwicklung eines neuen Impfstoffs im Schnitt. Am schnellsten war bisher nach vier Jahren ein Vakzin gegen Mumps gefunden. Im Kampf gegen Covid-19 vergingen zwischen der Veröffentlichung des genetischen Codes von Sars-CoV-2 und der regulären Verabreichung des ersten Covid-Impfstoffs gerade einmal elf Monate und zwei Tage.
Die Beschleunigung ist unter anderem möglich, weil die langwierige Kultivierung der Antigene in Bioreaktoren entfällt, die bei herkömmlichen Impfstoffen nötig ist. Es braucht nur den Bauplan, nicht das Antigen selbst. Die Boten-RNA kann relativ einfach und rasch im Labor aus der DNA- Sequenz des Virus gewonnen werden.
Dauert die Produktion von Grippe-Impfstoff derzeit ein halbes Jahr, sind mRNA-Covid-Vakzine innerhalb von fünf bis sechs Wochen fertig.
FOCUS-GESUNDHEIT 04/21
Dieser Artikel ist eine gekürzte Fassung. Den vollständigen Text finden Sie in der Ausgabe Ärtzeliste 2021 von FOCUS-GESUNDHEIT. Weitere Themen: Digitale OP-Planung und Roboter machen die HNO-Medizin immer sicherer. Wie der Deutsche Ethikrat arbeitet. U.v. m.
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Wieso mRNA-Vakzine für das Grippevirus hilfreich sind
In absehbarer Zukunft könnte die neue Technologie eine Schwachstelle in der Impfvorsorge beheben: die Immunisierung gegen Influenza-Erreger. Der Impfstoff muss derzeit jedes Jahr neu an das Grippevirus angepasst werden. Mit einer Wirksamkeit von 40 bis 60 Prozent ist die Effektivität mäßig.
Vom Influenza-Erreger kursieren unterschiedliche Virussubtypen, die sich zudem ständig verändern.
Wenn bei uns Sommer ist, beobachten Forscher das Geschehen auf der Südhalbkugel. Dort zirkulieren die Grippeviren, die wahrscheinlich ein halbes Jahr später den Norden erreichen.
Die WHO legt im Februar fest, wie der Impfstoff für den folgenden Herbst zusammengesetzt sein soll. Die Pharmafirmen beginnen im Frühjahr mit der Produktion. Verändert sich das Virus bis zum Beginn der Grippesaison, ist der Schutz vor Erkrankung gering.
„Die mRNA-Technologie bietet die Möglichkeit, uns unabhängiger von der Fehlerquelle zu machen, die Voraussagen nun mal bergen“, sagt Splawski. „Wir können den Impfstoff schnell auf den Influenza-Typ zuschneiden, der tatsächlich unterwegs ist.“ Das würde die Wirksamkeit deutlich verbessern. Schon in vier bis fünf Jahren könnte es nach Einschätzung des Curevac-Vorstandsmitglieds so weit sein.
Das Tübinger Biotech-Unternehmen arbeitet, wie einige andere auch, zudem an einem universellen Grippe-Impfstoff. Er soll gegen alle Stämme der Influenza A schützen. Um dies zu erreichen, wird die Immunantwort auf die Bereiche des Grippevirus gelenkt, die sich nicht so stark verändern. Eine permanente Anpassung des Impfstoffs wäre dann nicht mehr nötig. Die Impfung müsste nicht jedes Jahr wiederholt werden. Zudem sänke das Risiko einer Influenza-Pandemie, da Geimpfte eine Grundimmunität gegen das Virus besäßen.
Noch geht es allerdings darum, die Corona-Pandemie zu beherrschen. Das Impfzentrum in Oberhaching wird voraussichtlich im Herbst schließen. Bis dahin soll die Ausnahmesituation bewältigt und alle, die es wollen, gegen Covid-19 geimpft sein. Treffen mit Freunden, spontane Besuche, entspanntes Beisammensitzen sind dann voraussichtlich wieder möglich. Und erster Ansprechpartner fürs Impfen ist wie gewohnt der Hausarzt.
So tut die Impfung nicht weh
Impfen ist mit dem Schmerz des Nadelstichs und unter Umständen mit Unwohlsein verbunden. Wie Sie die Unannehmlichkeiten besser ertragen:
- Luft anhalten
Vor der Injektion kräftig einatmen und bis zum Piks nicht mehr atmen. Der Blutdruck steigt, die Herzfrequenz sinkt. Das wiederum stimuliert bestimmte Rezeptoren, wodurch die Schmerzwahrnehmung reduziert ist. - Hin- statt wegschauen
Wer den Stich fürchtet, sollte hinschauen, wenn der Arzt die Nadel ansetzt. Wissenschaftler aus London wiesen nach: Die Betrachtung des eigenen Körpers wirkt schmerzlindernd. - Einstichstelle betäuben
Schmerzpflaster oder –cremes unterdrücken lokal die Reizweiterleitung der Nerven und setzen so das Schmerzempfinden an der Körperstelle herab. - Impfreaktionen sind Immunreaktionen
Schmerzen und Schwellung an der Einstichstelle, Kopfschmerzen, Schüttelfrost, Fieber sind mögliche Reaktionen auf eine Impfung. Sie treten innerhalb von zwei Tagen auf und dauern selten länger als drei Tage. Ein Trost: Die lästigen Begleiterscheinungen zeigen, das Immunsystem springt an, wie es sollte. - Schmerzmittel erst nach sechs Stunden
Zum Abmildern grippeähnlicher Symptome nach der Impfung empfehlen Experten nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) wie Paracetamol, Diclofenac, Ibuprofen. Allerdings sollten diese nicht vorsorglich zur Vermeidung der Beschwerden genommen werden. Das kann die Impfantwort abschwächen. Sechs Stunden nach dem Piks beeinflussen die Medikamente die Abwehr nicht mehr.