
© Attila Hartwig
Kliniktasche gepackt, alles drin? Wer vor einem Krankenhausaufenthalt steht, muss an vieles denken: Medikamente und Einnahmeplan, Arztbriefe mit Vorbefunden, Laborwerte, Röntgenbilder oder MRT-Aufnahmen. Nicht zu vergessen den Impfausweis oder Allergiepass.
Was ist die elektronische Patientenakte
Ihre persönlichen Gesundheitsdaten helfen den Medizinern in der Klinik, Risiken zu erkennen und Komplikationen zu vermeiden. Bei der Aufnahme oder beim Anästhesiegespräch werden Sie gefragt, ob Sie chronische Erkrankungen haben oder an Allergien leiden und welche Medikamente Sie einnehmen. Aber wie heißen noch mal die Blutdrucktabletten, die man morgens immer schluckt? Und warum fällt einem gerade jetzt der medizinische Fachbegriff für das Herzleiden nicht mehr ein?
Theoretisch ließen sich die Fragen mit ein paar Klicks auf dem Smartphone beantworten. Darauf: eine App mit einer digitalen Gesundheitsakte, in der alle Informationen gespeichert sind. Die sogenannte elektronische Patientenakte (ePa) steht seit Januar 2021 allen gesetzlich Versicherten auf Antrag zur Verfügung. Vor dem Klinikaufenthalt schalten Nutzer die relevanten Inhalte für die Klinikärzte frei. Diese fügen später einen OP-Bericht, den Entlassungsbrief oder Therapiepläne hinzu, die niedergelassenen Medizinern oder Rehatherapeuten bei der Anschlussbehandlung den Weg weisen.
74 Millionen gesetzlich Versicherte könnten diese Technik derzeit schon nutzen, doch weniger als ein Prozent macht davon Gebrauch. „In der bisherigen Form ist die ePA nicht der erhoffte Gamechanger, da sie kaum verbreitet und auch noch zu unbekannt ist“, bedauert Sebastian Spethmann, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Digitale Versorgungsforschung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) und stellvertretender Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin des Deutschen Herzzentrums der Charité am Campus Mitte. Die Gründe sind vielfältig: Die Berechtigten kennen das Angebot nicht, die Antragstellung bei den Krankenkassen ist aufwendig, die technischen Hürden sind hoch, und die Angst vor dem Missbrauch sensibler Daten ist groß.
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Die elektronische Patientenakte kommt per Gesetz
In anderen europäischen Ländern ist das System schon etabliert. Das Institut für angewandte Versorgungsforschung (inav) hat in 20 Staaten untersucht, wie die ePa in die medizinische Versorgung integriert ist. Die Spitzenreiter Dänemark, Finnland und Schweden setzen die App seit Jahren flächendeckend ein. In Spanien nutzen sie fast alle Haus- und die meisten Fachärzte.
Deutschland kurbelt die Wende zur Gesundheitsversorgung 2.0 nun per Gesetz an. Im Rahmen der neuen Digitalisierungsstrategie sollen die Kassen ab Januar 2025 für jeden gesetzlich Versicherten eine ePa anlegen – es sei denn, dieser widerspricht aktiv. Die persönlichen Gesundheitsinformationen sind dann zentral auf einem Server gespeichert und abrufbar. Wer wann Zugriff darauf erhält, steuert der Nutzer selbst. Doch wie geht man klug mit dieser Verantwortung um? Was Sie wissen müssen und tun können, um Ihre Gesundheitsversorgung zu optimieren und sensible Daten zu schützen.
ePa jetzt schon nutzen?
In diesen drei Schritten gelangen Kassenpatienten ans Ziel
1. Herunterladen: Apps nach Kassen gelistet unter www.gematik.de
2. Beantragen: Nutzung bei der Krankenkasse anmelden
3. Registrieren: a) Mit einer NFC‐fähigen Gesundheitskarte plus PIN oder b) über Zwei‐Faktor‐Authentifizierung auf einem Gerät Ihrer Wahl. Dabei ist zur Authentifizierung ein einmaliger Besuch bei der Kasse nötig.
Was steht in der digitalen Akte?
Alle Gesundheitsdienstleister, von Medizinern über Physiotherapeuten bis zu Apothekern, können Informationen einstellen. Statt wie bisher mit Zahnbonusheft, Impfpass, Mutterpass oder Implantatausweis zu jonglieren, verwalten Sie Ihre Gesundheitsdaten künftig digital – auf Wunsch ergänzt durch eigene Messergebnisse etwa aus Blutdruck-, Blutzucker- oder Schmerztagebuch oder Fitnesstracker. Im Sprechzimmer gewinnt der Arzt so schnell ein klares Bild von Ihrer Krankengeschichte und Ihrem aktuellen Gesundheitszustand. Vorausgesetzt, Sie haben gestattet, dass die Daten digital abgelegt werden und der Mediziner sie einsehen darf.
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© Focus Gesundheit
Die große Klinikliste 2024
Dieser Artikel erschien zuerst in der Ausgabe Die große Klinikliste 2024. Weitere Themen: Ambulantes Operieren, neues Medikament gegen Alzheimer u.v.m.
Wer hat Zugriff auf die Daten?
Das Patientendaten-Schutz-Gesetz schreibt vor, dass „allein die Patientin beziehungsweise der Patient alle Rechte an den Daten in der ePa besitzt“. Sie selbst entscheiden also, welche Informationen aufgenommen werden und für wen sie sichtbar sind. Wer beispielsweise nicht möchte, dass eine HIV-Erkrankung, ein Schwangerschaftsabbruch oder eine Psychotherapie in der Akte auftaucht, kann das Hochladen der entsprechenden Daten verweigern.
Darüber hinaus lässt sich die Dateneinsicht auf ausgewählte Inhalte beschränken oder nur befristet gewähren – etwa für einen einzelnen Sprechstundentermin – und jederzeit wieder entziehen. Da jede Transaktion innerhalb der ePA dokumentiert wird, sehen Sie, wer wann Inhalte hochgeladen, heruntergeladen oder gelöscht hat.
Fragen zum Datenschutz
So sollen Missbrauch von Daten und unbefugter Zugriff verhindert werden
- Wie werden die Daten übermittelt? Die Ablage in der ePa erfolgt Ende‐zu‐Ende‐verschlüsselt, der Zugriff über die Telematikinfrastruktur, ein in sich geschlossenes Netz.
- Wer kann die Inhalte einsehen? Nur der Versicherte und von ihm Berechtigte können in der ePa lesen. Die Krankenkasse hat keinen Zugriff auf die Gesundheitsdaten.
- Wo befinden sich die Server? Um die Datensicherheit zu gewährleisten, stehen die Server zur Verarbeitung der Daten in Deutschland und unterliegen den europäischen Datenschutzbestimmungen.
- Wer ist für den Datenschutz verantwortlich? Der Anbieter der Akte, in diesem Falle also die Krankenkasse. Deren Datenschutzbeauftragter ist bei Fragen Ihr Ansprechpartner.
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Was sollte der Arzt wissen?
Transparenz ist wichtig. Das gilt allerdings auch für den Arzt, der Sie behandelt. Müssen Kardiologe, Augenarzt oder Zahnarzt von Begleiterkrankungen wissen? Ja, sagt Charité-Kardiologe Sebastian Spethmann: „Je mehr ich über Diabetes, Leber- oder Nierenerkrankungen Bescheid weiß, desto besser kann ich auch meine kardiologische Therapie darauf abzielen.“ Auch Augenarzt oder Zahnarzt schätzen Netzhautveränderungen oder Parodontitis anders ein, wenn sie den Zusammenhang mit einem Diabetes kennen. „Wir behandeln Patienten und nicht einzelne Organe“, betont Spethmann. Menschen mit chronischen, onkologischen oder seltenen Erkrankungen, die von einem Netzwerk an Ärzten und Therapeuten betreut werden, sichern sich durch den umfassenden Datenaustausch eine schnellere und bessere Versorgung. Und wer den Arzt wechseln oder vor einer OP eine Zweitmeinung einholen will, hat per App alle erforderlichen Unterlagen parat.
Die elektronische Patientenakte als Lebensretter
Nicht jeder Arztkontakt oder Krankenhausaufenthalt ist geplant. „Gerade im Notfall brauchen wir sehr schnell Informationen“, sagt Spethmann. „Das EKG, das wir in der Rettungsstelle schreiben, zeigt uns nicht, wie lange Auffälligkeiten schon existieren.“ Ein verändertes EKG könne beispielsweise durch einen akuten Herzinfarkt hervorgerufen sein, schon länger bestehen oder an psychiatrischen Medikamenten liegen.
Spethmann rät, in der ePa einen Notfalldatensatz zu hinterlegen, der wie eine Art Deckblatt einen Überblick über Vorerkrankungen, aktuelle Medikation, Allergien und Unverträglichkeiten gibt. Eine uneingeschränkte Verfügbarkeit dieser Informationen kann am Ende Leben retten“, so der Kardiologe.
Die beste Devise für den Umgang mit den sensiblen Gesundheitsdaten lautet also nicht „so wenig wie möglich“, sondern „so viel wie nötig“. Freigebige können die Daten pseudonymisiert und verschlüsselt der Forschung zur Verfügung stellen und damit die Medizin voranbringen.