Den Moment, als das Vergessen begann, erinnert Gerhard Müller* ganz genau. Er und seine Frau hatten sich mit Freunden in einem Restaurant getroffen. „Als die Rechnung kam, konnte ich 330 nicht mehr durch drei teilen“, berichtet der ehemalige Finanzberater. „Da war mir klar – bei mir stimmt was nicht.“ Schon länger habe er sich „wackelig im Kopf“ gefühlt, als bestehe das Gehirn „aus Watte“. Nach der eklatanten Rechenschwäche beim Restaurantbesuch allerdings entschloss sich der heute 70-Jährige, eine Gedächtnissprechstunde aufzusuchen.
„Wenn man den Feind kennt, kann man ihn bekämpfen“.
„Ich fühlte mich, als hätte ich Watte im Kopf“, beschreibt Patient Gerhard Müller die ersten Irritationen. Das ist noch kein Jahr her. Gerhard Müller durchlief eine Reihe von Untersuchungen und Tests. Die Diagnose war eindeutig: Alzheimer. Ein Schock, aber zugleich auch eine Erleichterung. „Wenn man den Feind kennt, kann man ihn bekämpfen“, trotzt Gerhard Müller. Seine Frau Sandra* kannte nun den Grund für die vielen kleinen Veränderungen, die sie bemerkte: dass ihr Mann seine Hemden nicht mehr richtig zuknöpfte, Sachen herumliegen ließ, schnell einen Streit begann. Das hatte sie enorm belastet. Nun gab es eine Erklärung.
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Alzheimer Erkrankung
Bei mehr als 300 000 Menschen wird jedes Jahr in Deutschland Demenz diagnostiziert. Ihre geistigen Fähigkeiten werden so weit schwinden, dass sie den Alltag nicht mehr meistern können. Gegenwärtig erleiden rund 1,7 Millionen Menschen den mentalen Verfall, davon etwa zwei Drittel aufgrund von Alzheimer, einer von rund 50 Demenz-Formen. Das Erkrankungsrisiko steigt mit dem Alter stark an.
„Die Früherkennung wird immer wichtiger“.
Eine Heilung gibt es bisher nicht. Rechtzeitig bemerkt, lässt sich aber viel tun. „Die Früherkennung wird immer wichtiger“, sagt Richard Dodel. Der Neurologe und Alzheimer-Experte leitet an der Universität Duisburg- Essen und am Geriatriezentrum Haus Berge die Gedächtnissprechstunde. „Derzeit konzentrieren wir uns auf Prävention und frühe Intervention.“
Woran erkennt man Alzheimer?
Gelegentliche Vergesslichkeiten gehören zum Alter, allerdings sind Störungen der Merkfähigkeit, die über einen längeren Zeitraum anhalten und zunehmen, das wichtigste Warnsignal für eine Alzheimer-Erkrankung. Wachsende Schwierigkeiten, zwei Dinge gleichzeitig zu tun, sind ein weiteres Indiz. Oder wenn gewohnte Tätigkeiten schwerfallen.
Alzheimer: Ursachen
Zwei verschiedene Protein-Schädigungen sind charakteristisch für die nach ihrem Entdecker benannte Erkrankung: Beta-Amyloid-Plaques und Tau-Fibrillen. Beta-Amyloid entsteht bei der Aufspaltung eines größeren Proteins, normalerweise wird es abgebaut. Funktioniert das nicht mehr, verklumpt das überschüssige Protein und lagert sich als unauflösliche Plaque zwischen den Nervenzellen ab. Das Tau-Protein ist innerhalb der Nervenzellen für die Stabilität und die Nährstoffversorgung verantwortlich. Aufgrund einer chemischen Veränderung degeneriert es und sammelt sich fadenförmig an als sogenannte Tau-Fibrillen. Beide Eiweißablagerungen stören die Kommunikation in und zwischen den Neuronen, die Zellen sterben ab. Betroffen sind vor allem die Gehirnregionen, die für Gedächtnis, Denken, Sprache und Orientierung zuständig sind: Großhirnrinde und Hippocampus. Die Veränderungen sind bereits Jahre, wenn nicht Jahrzehnte im Gange, bevor sich die ersten klinischen Symptome bemerkbar machen.
„Sobald man subjektiv den Eindruck hat, das Gedächtnis funktioniert nicht mehr richtig, sollte man zur Abklärung zum Spezialisten gehen“, rät Dodel. Zunächst geht es darum herauszufinden, ob es sich um vorübergehende Schwankungen handelt. Auch können Depressionen zu kognitiven Einschränkungen führen ebenso wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Hirntumoren oder eine andere Demenz-Form.
Dieser Artikel ist eine gekürzte Fassung. Den vollständigen Text finden Sie in der Ausgabe Gesund ins Alter von FOCUS-Gesundheit. Weitere Themen: Corona-Risiko Bluthochdruck, Alzheimer stoppen u.v.m
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Alzheimer vorbeugen
Die Hoffnung, durch eine Beseitigung der Amyloid-Plaques mittels Antikörpertherapie auch die Gedächtnisstörungen zu beheben, hat sich nicht erfüllt. Derzeit gewinnen nicht medikamentöse Therapieansätze an Bedeutung. Durch Lebensstilfaktoren lassen sich mehr als ein Drittel der Alzheimer-Erkrankungen verhindern.
„Wir können 35 Prozent der Demenz-Fälle durch Alzheimer verhindern oder relevant verzögern, wenn wir neun Faktoren beeinflussen“, so Dodel. Grundsätzlich gilt: Je mehr Begleiterkrankungen ein Patient hat, umso schlechter funktionieren Reparaturmechanismen, die den Abbau im Gehirn verhindern können. Probleme an Herz und Gefäßen befördern Alzheimer. Ein erhöhter Blutdruck im Alter von 36 bis 55 Jahren lässt laut aktuellen Studien das Demenz-Risiko steigen, ein gut eingestellter Blutdruck verringert es. Ungünstig wirken sich Übergewicht im mittleren Lebensalter und Diabetes aus. Die damit einhergehende Insulin-Resistenz stört womöglich die Amyloid-Aufräumarbeiten im Gehirn. Bereits geringfügige Schwerhörigkeit kann einen langsamen Abbau der kognitiven Fähigkeiten nach sich ziehen. Wer viel allein ist – mangels Kontakten oder weil er sich aufgrund einer Depression zurückzieht –, hat ein doppelt so hohes Risiko, Alzheimer zu entwickeln, wie ein geselliger Mensch. Körperliche Aktivität beeinflusst die Gedächtnisleistung positiv. Beim Sport ist eher ein Training der koordinativen Motorik förderlich, etwa Tanzen, als reine Kraftübungen. Rauchen verursacht Gefäßprobleme und schädigt somit auch das Gehirn.
Alzheimer-Forschung zu neuen Therapieansätzen
Dem Gedächtnis auf die Sprünge helfen, das ist die Zielrichtung vieler Studien, die derzeit laufen.
Zu dieser Frage forscht die Neurologin Agnes Flöel am Universitätsklinikum Greifswald. Eine Kombination aus intensivem Gedächtnistraining und Hirnstimulation durch Gleichstrom soll bei Probanden im frühen Krankheitsstadium Gedächtnisleistung und Orientierung fördern. „Die Stimulation optimiert die Einspeicherung von Informationen in die gedächtnisrelevanten Areale. Beim Lernen fließt unter anderem Calcium in die Zellen. Diesen Vorgang verstärken wir durch die Stromimpulse“, erklärt Flöel. „Zudem hoffen wir auf einen generalisierenden Effekt, sodass sich auch Fähigkeiten verbessern, die der Proband gar nicht trainiert hat.“ In einem Jahr wird sich zeigen, ob sich die kognitive Reserve so mobilisieren lässt.
* Namen von der Redaktion geändert