
© Macrovector / iStock / Science Photolibrary / Pasieka / Getty Images
Diabetes kommt selten alleine. Die Stoffwechselerkrankung zieht oft eine Reihe von Begleitproblemen nach sich. Verwunderlich ist das nicht, schließlich erreicht Blut alle Organe, das Zuviel an Glukose kann so im gesamten Körper eine toxische Wirkung entfalten. „Diabetes ist eine Systemerkrankung“, betont Diethelm Tschöpe, Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung DHG (Diabetes Herz Gefäße). „Allzu häufig entwickeln sich daraus Schädigungen an Herz, Niere, Augen und den Nerven – um die häufigsten Komplikationen zu nennen.“ Der Diabetologe war mehr als zwanzig Jahre Direktor des Herz- und Diabeteszentrums Nordrhein-Westfalen und beschäftigt sich intensiv mit den Auswirkungen eines zu hohen Blutzuckerspiegels auf andere Organe.
Mit dem richtigen Präventionsprogramm lässt sich viel erreichen
Die Zahlen, die Tschöpe nennt, sprechen für sich: Diabetes steigert das Risiko für Herz- und Gefäßerkrankungen um das Zwei bis Vierfache, bei Frauen sogar um das Sechsfache. Rund 2.000 Menschen erblinden pro Jahr infolge eines dauerhaft erhöhten Blutzuckerspiegels. Die Stoffwechselerkrankung ist auch der häufigste Grund dafür, dass eine Dialyse wegen Nierenversagens notwendig wird. Aber, auch das betont der Diabetologe, solche schwerwiegenden Komplikationen lassen sich verhindern. „Das Exzessrisiko kann man nahezu normalisieren“, sagt er. Zentral sei eine stabile Einstellung des Blutzuckerspiegels. Blutdruck, Körpergewicht und Blutfette müssen regelmäßig kontrolliert, Augen, Nieren, Herz, Gefäße, Nerven, Füße und Beine in festgelegten Abständen untersucht werden. Mit dem richtigen Präventionsprogramm lässt sich viel erreichen. Schließlich treten die gefährlichen Folgen erst mit der Zeit ein, sodass früh gegengesteuert werden kann. Die Tatsache, dass die Prozesse schleichend und nahezu unbemerkt ablaufen und Beschwerden sich oft erst zeigen, wenn Schäden bereits gravierend sind, macht eine gezielte Vorsorge umso wichtiger.
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Wie überhöhter Blutzucker auf die Gefäße wirkt
Aber warum kann Diabetes eigentlich so viele Folgeerkrankungen auslösen – und wie lässt sich das verhindern? „Durch die hohe Blutzuckerkonzentration ist das gesamte Gefäßsystem ,under attack‘ – und zwar dauerhaft“, erklärt Experte Tschöpe. In den kleinen Gefäßen, den Kapillaren, löst überschüssige Glukose ungünstige biochemische Mechanismen aus. Es kommt zu einer vermehrten Bildung von Sauerstoffradikalen, zum sogenannten oxidativen Stress. Die Sauerstoffradikale neutralisieren jene Substanzen (Mediatoren) im Körper, welche die Gefäße offen halten. Fallen diese aus, stellt das Kapillarsystem von weit auf eng, die Durchblutung wird schlechter und ist möglicherweise nicht mehr ausreichend gewährleistet. Betroffen davon sind insbesondere Augen, Nieren sowie die Nerven, aber auch Herz und Gehirn. Viel Bewegung und Sport wiederum regen die Bildung der Mediatoren an, die kleinen Gefäße weiten sich, Organe und Muskeln werden besser durchblutet und mit Sauerstoff versorgt. Dieser Effekt lässt sich nutzen. Die Arbeitsgemeinschaft Diabetes, Sport & Bewegung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) empfiehlt mindestens 150 Minuten Bewegung pro Woche in moderater Intensität – das sind Aktivitäten, die etwas anstrengend sind, bei denen man aber noch reden kann. Körperlich fitte Menschen dürfen sich intensiver belasten, und zwar so, dass sie ins Schwitzen kommen. Das sollten sie mindestens 75 Minuten pro Woche tun.
Der Großteil der Menschen mit Diabetes mellitus hat einen sogenannten Typ-2, der sich im Laufe des Lebens entwickelt. Bei ihnen gesellen sich zum erhöhten Glukosespiegel häufig hohe Blutfettwerte, Bluthochdruck, Übergewicht. Das infernalische Quartett – Mediziner sprechen vom metabolischen Syndrom – setzt den Gefäßwänden schwer zu. Dort bilden sich Ablagerungen aus Kalk, Fetten, Cholesterin und Bindegewebe. Diese Plaque verhärtet, macht die Blutbahnen steif und eng. Die Situation verschärft sich noch dadurch, dass das vorbeiströmende Blut zähflüssiger wird und eher an den veränderten Gefäßwänden anhaftet. „Man muss sich das vorstellen wie bei einer Teflonpfanne“, erklärt Experte Tschöpe. „Ist die Teflonschicht beschädigt, brennen die Bratkartoffeln schneller an.“ Auf die Gefäße übertragen bedeutet dies: Die Gefahr steigt, dass Gerinnsel eine Arterie gänzlich verstopfen. Und damit das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall. Entspannen lässt sich die bedrohliche Lage, indem neben den Blutzuckerwerten auch Blutfette wie Cholesterin und Triglyzeride im Normbereich gehalten werden. Auf Rauchen sollten Betroffene gänzlich verzichten. Nikotin und Teer sind für die Gefäße pures Gift.
Die Nerven warnen mit kleinen Missempfindungen
Wenn die Füße kribbeln oder häufig einschlafen, Ameisen darauf herumzulaufen scheinen oder ein Zeh sich taub anfühlt, sollten Menschen mit Diabetes aufmerksam werden. Es sind Hinweise, dass die Nerven angegriffen sind. „Verschwinden die Beschwerden von selbst wieder, ist das ein schlechtes Zeichen“, mahnt Diabetologe Tschöpe. „Dann ist die Nervenschädigung weiter fortgeschritten.“ Diabetes greift die Empfindungsbahnen gleich zweifach an. Zum einen schädigen Abbauprodukte der Glukose die Nervenzellen. Zum anderen werden die angeschlagenen Nervenfasern aufgrund der Schädigung der kleinen Blutgefäße auch noch schlechter versorgt. Fallen Nervenfasern aus, fehlt dem Körper ein wichtiges Warnsystem: Schmerzsignale werden nicht mehr weitergeleitet, kleine Verletzungen etwa an den Füßen, wo die sogenannte diabetische Polyneuropathie meistens beginnt, bleiben unbemerkt. Es kann zu Infektionen kommen. Ist gleichzeitig die Durchblutung gestört, heilen Wunden schlechter, was zu weiteren Komplikationen führen kann.
Kleine Missempfindungen sind also ein ernst zu nehmendes Signal. „Wird eine Neuropathie frühzeitig bemerkt, kann man sie bekämpfen und zumindest das Voranschreiten verlangsamen“, sagt Tschöpe. Wichtiger Baustein im Verteidigungswall ist auch hier die Vorsorge mit Verlaufskontrollen beim Neurologen sowie regel- mäßigen Terminen bei der medizinischen Fußpflege.

© FOCUS-Gesundheit
FOCUS-Gesundheit 01/2025
Dieser Artikel ist eine gekürzte Fassung. Den vollständigen Text finden Sie in der Ausgabe Reha & Prävention 2025. Weitere Themen: Das Risiko für Folgeerkrankungen von Diabetes lässt sich deutlich reduzieren. Wie viel Vitamin D ist genug? Ein Experte klärt auf. Und vieles mehr.
Die Vorsorge-Formel gegen Folgeerkrankungen
„Mit gewissenhaftem Diabetesmanagement lassen sich schwerwiegende Krankheitsfolgen neu-tralisieren“, betont Tschöpe. Der erfahrene Diabetologe zählt die wesentlichen Erfolgsfaktoren an den Fingern einer Hand ab:
- stabile Einstellung des Blutzuckers
- zusätzliche Risikofaktoen wie Übergewicht, Bluthochdruck und hohe Blutfettwerte vermeiden
- Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen
- ausreichend bewegen, idealerweise Sport treiben, gegebenenfalls Physiotherapie in Anspruch nehmen
- auf keinen Fall rauchen.
Menschen mit Diabetes können ein sehr gutes und leistungsfähiges Leben führen.“ Diese Botschaft ist Tschöpe wichtig.