Werbung

Werbung

Reha: Der Weg zurück in den beruflichen Alltag

Eine beruflich orientierte Reha macht Menschen wieder fit für den Alltag – und für die Rückkehr in den Job.

Werbung

Inhaltsverzeichnis
Junge Frau übt das Gehen am Barren und der Arzt hält die Krücken und achtet auf die Bewegung

© Shutterstock

André Kremer laviert auf dem Balancekissen, als stünde er auf einem Drahtseil. Die Arme rudern zur Seite, der Rumpf ist angespannt, so kämpft er im Einbeinstand um seine Stabilität. Eine Sekunde lang hält er das Gleichgewicht, zwei, drei . . . bis die Ergotherapeutin einschreitet, seine Schulter umgreift und auf diese Weise verhindert, dass der Wahlberliner umkippt.
»Ich hing an der Dialyse, wurde beatmet, meine Überlebenschance lag unter einem Prozent«, erzählt der Mann mit dem schmalen Gesicht und den hohen Wangenknochen. Wieder die Balance finden, auch mit Prothesenfüßen. Vor dieser mühevollen Aufgabe steht der 37-jährige Kremer in der Median Klinik Hoppegarten am östlichen Stadtrand von Berlin. Eine schwere Salmonelleninfektion, die er sich auf einer Asien-Reise zugezogen hatte, kostete ihn die beiden Unterschenkel. Die Bakterien hatten sich im ganzen Körper ausgebreitet, mit letzter Kraft schleppte sich Kremer auf Borneo in eine Klinik.

»Ich hing an der Dialyse, wurde beatmet, meine Überlebenschance lag unter einem Prozent.«
(André Kremer, Medienexperte und Soziologe)

Bis die Ärzte die Blutvergiftung in den Griff bekamen, waren seine Unterschenkel abgestorben. Sie mussten amputiert werden. Das ist sechs Monate her. Kremer hat es schlimm getroffen. Aber er gibt nicht auf: Seit Mai trainiert der studierte Soziologe mit seinen Prothesen. Erst im Unfallklinikum Berlin, nun in der Reha-Klinik. Der Aufenthalt soll ihm einen letzten Anschub geben, bevor er demnächst in seinen Beruf als Projektmanager eines gemeinnützigen Vereins zurückkehrt. Ein ehrgeiziges Ziel. Doch es scheint greifbar: nicht zuletzt dank eines neuen Reha-Konzepts, das Patienten wie Kremer fit für den Job macht.

Beruflich orientierte multimodale Rehabilitation

Anders als bei herkömmlichen Maßnahmen steht das Berufsleben bei dieser Reha im Mittelpunkt von Gesprächen und Therapien. Beispielsweise trainieren die Patienten unter Anleitung eines Physiotherapeuten gezielt Abläufe aus ihrem Arbeitsalltag. Für einen Hausmeister, der sich nach einer Rücken-OP in Kur befindet, bedeutet das, dass er das Montieren einer Kellerlampe, das Beladen von Schubkarren oder das Tragen der Mehrzweckleiter übt. Arbeitet ein Rehabilitand hauptsächlich am Schreibtisch, wird auch das trainiert.
»Die Patienten erleben, dass sie die Bewegungen trotz ihrer Einschränkung schaffen und dass sie ihnen von Mal zu Mal leichter fallen«, sagt Matthias Krause, Chefarzt der Klinik. Das gebe Selbstvertrauen und baue Ängste ab. Einen 8-Stunden-Tag lang in der Autowerkstatt zu schrauben, hinter einer Ladentheke zu stehen oder auf einem Bürostuhl zu verharren, das klappt eben nur, wenn Muskeln, Knochen und Gelenke mitspielen. Doch allzu oft hapert es am Bewegungsapparat. Von jährlich gut einer Million medizinischen Reha-Leistungen in Deutschland gehen 41 Prozent auf Muskel-, Skelett- und Bindegewebserkrankungen zurück.

Orthopädische Reha

Vielfach gelingt es in der Reha, Patienten nach Wirbelsäulen-OPs, Amputationen oder Hüftersatz wieder fit für den Broterwerb zu machen. Doch gerade wenn Arbeitnehmer lange krank oder vor der Kur ohne Job waren, steht das erfolgreiche Comeback oft infrage. Wer seit Monaten nicht mehr gearbeitet hat, verlernt den beruflichen Alltag mit seinen Routinegriffen. Kehrt man dann unvorbereitet zurück an den Arbeitsplatz, drohen Erschöpfung und Entmutigung. Experten sprechen in solchen Fällen von „besonderen beruflichen Problemlagen“, abgekürzt BBPL. Kein Wunder, dass in dieser Gruppe mit speziellem Handicap lediglich zwei von zehn Rehabilitanden die Rückkehr an Schreibtisch oder Werkbank schaffen – zumindest nach einer herkömmlichen orthopädischen Reha.

Berufsorientierte Reha

Anders bei berufsorientierten Programmen. Diese Art von Kur verbessert die Chance auf Wiedereingliederung um das 2,4-Fache, wie eine Übersichtsarbeit des Reha-Forschers Matthias Bethge vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein zeigt. In der Studie verglich der Wissenschaftler die medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation (MBOR) mit traditionellen Konzepten für die Wiedereingliederung. In den kommenden Jahren wollen die Reha-Leistungsträger die Fit-für-den-Job-Programme flächendeckend in Deutschland etablieren.

Arztsuche
Finden Sie mit Hilfe der FOCUS-Gesundheit Arztsuche den passenden Mediziner.

Besonderheiten der berufsorientierten Reha

Klinik-Physiotherapeuten bauen einen Parcours für ein besonderes Zirkeltraining auf, das AMTT, die arbeitsplatzbezogene medizinische Trainingstherapie. Die Patienten sollen eine Sackkarre um aufgestellte Kegel bugsieren, einen Werkzeugkasten durch den Raum schleppen und eine Leiter besteigen – Bewegungsabläufe also, die der Lagerarbeiter ebenso braucht wie die Putzfrau oder ein Elektriker.

»Wir wollen keine Einrichtung sein, in der die Patienten sich nur in der Theorie auf die Arbeit vorbereiten – und in der realen Praxis läuft dann alles ganz anders.«
(Matthias Krause, Chefarzt der Median Klinik Hoppegarten in Berlin)

»Wir wollen keine Einrichtung sein, in der die Patienten sich nur in der Theorie auf die Arbeit vorbereiten – und in der realen Praxis läuft dann alles ganz anders«, sagt der Orthopäde und Unfallchirurg Krause.Das Team in Hoppegarten bittet deshalb die Unternehmen, aus denen die Patienten kommen, um detaillierte Arbeitsplatzprofile, in denen steht, welche Fertigkeiten die Patienten benötigen.
Um die Lücke zwischen Theorie und Praxis noch besser zu überbrücken, schickt Krause seine Patienten probeweise ins Arbeitsleben zurück – nicht in ihre Ursprungsfirma, aber in eines der umliegenden Unternehmen am Ortsrand von Berlin. Belastungsprobe nennen das die Reha-Fachleute. Nach monatelanger Abwesenheit aus dem Beruf, in der die Menschen ihre Fähigkeiten und ihr Zutrauen zu sich einbüßen, bringt das Zupacken mehr, als nur über die Arbeit zu sprechen. Gelingt der Test, schickt der Arzt seine Schützlinge ruhigen Gewissens zurück in den Job.

Werbung

Zurück ins Büro

Etwa ein Drittel der Rehabilitanden in Hoppegarten hat einen Bürojob. Also einen Arbeitsplatz, der mit ganz eigenen Risiken behaftet ist:  Das stundenlange Verharren vor dem PC lässt die Muskeln gleichzeitig verspannen und verkümmern – was zu Schmerzen in Nacken, Schultern und Rücken führt. Gesundes Arbeiten am Computer bildet daher einen wichtigen Baustein der beruflich orientierten multimodalen Therapie. Wie das funktioniert, zeigt Ergotherapeutin Martina Lehmann: Drei Patienten probieren an diesem Morgen in Lehmanns „Büro“ Schreibtische, Stühle und Computer-Equipment aus. »Die Tischhöhe sollten Sie so einstellen, dass Ihre Arme im rechten Winkel locker auf dem Tisch liegen«, empfiehlt sie den dreien. »Die Oberflächen von Armlehnen und Tisch bilden am besten eine durchgehende Ebene.« 

Reha und Rückenschmerzen

Die Brandenburgerin Sina Mewes, eine 40-jährige Versicherungsangestellte, leidet seit Jahren unter Rückenschmerzen. Momentan ist sie krankgeschrieben. Dazu plagen die dreifache Mutter Schwindel und Tinnitus. Ihre Muskulatur ist zu schwach, um den Körper aufrecht zu halten – das befeuert die Schmerzen. In ihrem Alltag als berufstätige Mutter hatte sie sich zu wenig bewegt. Dabei gilt eine kräftige und flexible Muskulatur als das beste Schmerzmittel. Auch bei der multimodalen Reha macht körperliches Training einen Großteil der Therapie aus. Drehen, strecken, kräftigen – wer regelmäßig übt, spürt schnell Besserung.
»Ich bin jemand, der alles super machen will. Ich habe mehrere Jobs, ein großes Haus und drei Kinder«, erzählt Mewes. »Nur zum Sport bin ich nie wirklich gekommen.« Das muss sie nun ändern.

Elektomyostimulation

Die 40-Jährige trainiert in der Reha täglich ihren Körper, vor allem die tiefe Rückenmuskulatur. Dabei nutzt sie eine spezielle Methode, die den Trainingserfolg verstärkt: die Elektromyostimulation oder EMS. Während des Trainings geben kleine Stromstöße den Muskeln einen Extrakick. Dadurch ziehen sie sich vollständig zusammen und werden besonders schnell stark.
Über der schwarzen Funktionswäsche trägt Mewes einen Neoprenanzug, in den Elektroden eingearbeitet sind. Feine schwarz-rote Kabel versorgen ihren Anzug mit Strom. Ein Bildschirm gibt die Übungen vor. Mewes beginnt mit Kniebeugen. Bald zittern die Beine, und die Anstrengung treibt ihr Schweißperlen ins Gesicht. Dennoch hält sie tapfer das Tempo. Bis Jahresende will sie zurück in den Job – und ist zuversichtlich, dass es klappen wird.

Stress verhindern, Rückenschmerzen vorbeugen

Oft sind chronische Rückenschmerzen eine Folge von Stress. Der fordernde Chef, die kontrollierende Kollegin, die wachsenden Aufgaben – der kumulierende Druck lässt die Geplagten unbewusst die Schultern hochziehen. Die Muskeln verkrampfen, es entstehen Verspannungen und Verhärtungen. Zugleich, das zeigt die Forschung, stellen viele Schmerzpatienten hohe Ansprüche an sich selbst. Sie können schlecht entspannen und vernachlässigen ihre Bedürfnisse. Diese seelischen Zusammenhänge gilt es zu erkennen, will man den Körper kurieren.
In Hoppegarten ist Psychologin Melanie Schucany dafür da, den Patienten diese Verbindung zu erklären. In Einzel- und Gruppensitzungen, mit Entspannungsverfahren und Achtsamkeit zeigt sie den Teilnehmern, wie sie die Schmerzspirale im Körper durchbrechen können.

»Ich erkläre, wie Stress, Ängste und Schmerzen zusammenhängen, und wir besprechen, wie man verhindert, dass sich diese Faktoren gegenseitig immer mehr aufschaukeln.«
(Melanie Schucany, Psychologin der Median Klinik Hoppegarten in Berlin)

»Ich erkläre, wie Stress, Ängste und Schmerzen zusammenhängen, und wir besprechen, wie man verhindert, dass sich diese Faktoren gegenseitig immer mehr aufschaukeln«, sagt Schucany. Dafür bedarf es nicht gleich einer mehrjährigen Psychotherapie; oft genügen bereits kleine Änderungen im Alltag, um der Anspannung entgegenzuwirken. Wer beispielsweise die Phase des Ausatmens bewusst verlängert oder progressive Muskelentspannung praktiziert, der schafft sich wirkungsvolle Stresspuffer. Am Ende der Reha kennt jeder Teilnehmer verschiedene Übungen, aus denen er wählen kann.
Genesung ist eine Aufgabe, die mit dem Ende der Reha noch längst nicht abgeschlossen ist. »Die Leute sollen ambulant oder in Nachsorgeprogrammen sowohl ihre körperlichen Übungen als auch die Übungen zur Stressprävention fortführen«, betont Chefarzt Krause. Sonst sei die Gefahr groß, in alte Muster zurückzufallen und wieder gesundheitliche Probleme zu bekommen.

Checkliste: Reif für die Spezial-Reha?

Diesen Patienten hilft eine beruflich orientierte Reha:

Menschen, die vor der Reha lange krank oder ohne Arbeit waren, finden danach oft schwer in den Beruf zurück. Ihnen helfen Spezialprogramme wie MBOR (medizinisch-
beruflich orientierte Rehabilitation) oder ABMR (arbeitsplatzbezogene muskuloskeletale Rehabilitation).

  • Sind Sie länger als drei Monate krankgeschrieben?
  • Sind Sie arbeitslos in die Reha gestartet?
  • Konnten Sie zum Schluss berufliche Aufgaben nicht mehr erledigen?
  • Müsste Ihr Arbeitsplatz verändert werden, damit Sie dort wieder arbeiten können?
  • Glauben Sie, dass Sie nicht mehr in Ihrem Beruf arbeiten können?

Auswertung:

Haben Sie mindestens eine der Fragen mit Ja beantwortet? Dann sollten Sie Ihren Arzt bitten, dass er im Reha-Antrag darauf hinweist, dass Sie eine besondere Unterstützung bei der Rückkehr in den Job benötigen. Ihr Kostenträger weiß, welche Kliniken eine solche Reha anbieten.

Dies ist eine gekürzte Fassung. Den vollständigen Text finden Sie in FOCUS-GESUNDHEIT „Top Reha-Klinik 2019" – als Print-Heft oder als digitale Ausgabe.

FOCUS-Gesundheit 01/24 – Einfach besser leben 2024

© FOCUS-Gesundheit

FOCUS-Gesundheit 01/2024

Einfach besser leben 2024
Viele Alterungsprozesse lassen sich nachweislich bremsen. Was uns jung hält. Wie wir Lust an Bewegung (wieder) finden. Plus: Übungen fürs Home-Workout. U.v.m.

Wichtiger Hinweis

Dieser Artikel enthält allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder –behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen. Den passenden Arzt finden Sie über unser Ärzteverzeichnis.

Höchster Qualitätsanspruch: So arbeiten wir.

Fragen? Schreiben Sie uns!

Dr. Andrea Bannert

Redaktionsleitung DIGITAL FOCUS-Gesundheit

Facebook Logo Instagram Logo Email Logo
Fragen Bild
Redaktor Bild

Hinweis der Redaktion

Im Sinne einer besseren Lesbarkeit unserer Artikel verwenden wir kontextbezogen jeweils die männliche oder die weibliche Form. Sprache ist nicht neutral, nicht universal und nicht objektiv. Das ist uns bewusst. Die verkürzte Sprachform hat also ausschließlich redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung. Jede Person – unabhängig vom Geschlecht – darf und soll sich gleichermaßen angesprochen fühlen.

Weitere Online-Angebote:

Services der © BurdaVerlag Data Publishing GmbH, Deutsches Institut für Qualität und Finanzen