Multireistenten Keimen auf der Spur
Wenn Alexander Mellmann einem Patienten mit einem Wattestäbchen in die Nase fährt, schützt er den Kranken und andere Insassen des Uniklinikums Münster vor antibiotikaresistenten Keimen. Mit bloßem Auge kann der leitende Krankenhaushygieniker auf dem weißen Bausch nichts erkennen. Die gefährlichen Erreger sind wie alle Bakterien winzig klein. Streicht Mellmann aber mit dem Stäbchen über einen speziellen Nährboden, wachsen die Mikroorganismen über Nacht bei 37 Grad Celsius zu sichtbaren Kolonien heran.
Wer in Münster stationär aufgenommen wird, muss sich einem solchen Erreger-Screening unterziehen. Mellmann und sein Team suchen nach methicillin-resistenten Staphylococcus-aureus-Bakterien, kurz MRSA. Die Mikroorganismen besitzen Abwehrstrategien gegen die Gruppe der Beta-Lactam-Antibiotika und sind oft gegen weitere Antibiotika immun. Sie siedeln auch bei gesunden Menschen in den Nasenvorhöfen, im Rachen und auf der Haut der Achseln oder Leisten. Normalerweise machen sie nicht krank.
Gelangen die Bakterien jedoch über Wunden oder durch die Schleimhäute in den Körper, kann dies zu einer Infektion führen. Das passiert besonders häufig bei Menschen mit einer geschwächten Immunabwehr und Wunden, etwa nach einer Operation. Die Erreger können eine ganze Reihe von Krankheiten auslösen: Hautentzündungen, etwa Geschwüre oder Eiteransammlungen, Wundinfektionen, Harnwegs- oder Lungenentzündungen und Blutvergiftungen. Wenn Antibiotika nicht wirken, weil die Erreger resistent gegen die Medikamente sind, kann die Infektion einen schweren Verlauf nehmen und lebensbedrohlich werden.Mikrobiologen, Infektionsmediziner und Hygieneexperten arbeiten Strategien aus, multiresistente Keime einzudämmen. Wissenschaftler wollen die Eigenschaften gefährlicher Bakterien besser verstehen, um deren Verbreitung zu verhindern. Doch während der Anteil resistenter Organismen bei Staphylococcus aureus in den letzten Jahren zurückgegangen ist, sind andere gefährliche Keime auf dem Vormarsch, über die Forscher noch sehr wenig wissen.
Laut Hochrechnungen auf der Basis von Zahlen des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) sterben jedes Jahr in Deutschland 15 000 Menschen an Infektionen, die sie sich im Krankenhaus zugezogen haben. Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene geht sogar von 30 000 bis 40 000 Todesfällen aus. Bei einem hohen Anteil dieser Infektionen spielen Multiresistenzen eine Rolle. Das bedeutet, die Erreger sind gegen mehr als ein Antibiotikum immun.
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Krankenhauskeime: Übertragung verhindern
Bakterien, die Strategien gegen verschiedene Antibiotika entwickelt haben, breiten sich aus. Das Nationale Referenzzentrum für gramnegative Krankenhauserreger der Ruhr-Universität Bochum zeigte kürzlich in einer Untersuchung, dass auch Resistenzen gegen sogenannte Carbapenem-Antibiotika zunehmen - eine Antibiotikaklasse, die in vielen Fällen als eine der letzten Möglichkeiten gilt. Doch auch dieser Schutzschild bröckelt. 2017 wirkten die Reserveantibiotika bei fast jeder dritten Bakterienprobe von Patienten mit Verdacht auf Antibiotikaresistenzen nicht mehr.
Der Kampf gegen multiresistente Erreger bedeutet im Klinikalltag vor allem eines: Hände und Geräte desinfizieren. „Eine gründliche Händedesinfektion ist das wichtigste Mittel gegen Bakterien – egal, ob resistent oder nicht“, erklärt Mellmann. Denn die Erreger können nicht fliegen. Sie müssen durch Menschen von A nach B bewegt werden. Das kann über Gegenstände passieren. Fasst ein Arzt nach der Behandlung eines Patienten mit antibiotikaresistenten Keimen an die Türklinke, überleben die Winzlinge dort eine Weile. „Der Nächste, der die Tür öffnet und sich nichts Böses dabei denkt, trägt die Bakterien dann weiter“, so Mellmann. Auch ein Ultraschallgerät, welches der Arzt von Bett zu Bett schiebt, ist ein Transportmittel für die Erreger, wenn dieses nach einer Untersuchung nicht ordnungsgemäß desinfiziert wurde. Die Übertragung der Bakterien kann auch direkt über die Hände des Personals erfolgen. „Keime breiten sich sehr schnell aus, wenn keine hohe Disziplin beim Händewaschen herrscht“, sagt Hygieneexperte Mellmann. Zu seinen Aufgaben gehört es, immer wieder an diese sogenannte Basishygiene zu erinnern und Ärzte und Pflegekräfte zu schulen.
"Eine gründliche Handdesinfektion ist das wichtigste Mittel gegen Bakterien."
(Alexander Mellmann, Klinikhygieniker, Uniklinikum Münster)
Mellmann und sein Hygieneteam beraten die behandelnden Mediziner auch im Einzelfall, etwa wenn ein Patient mit multiresistenten Erregern wie MRSA besiedelt ist.
Für die Entkeimung, welche die Experten als Sanierungstherapie bezeichnen, rückt der Patient dem multiresistenten Erreger mit diversen Antiseptika zu Leibe. Die antibakteriellen Substanzen funktionieren wie Desinfektionsmittel. Der Betroffene streicht sie etwa in Salbenform in die Nase, sie gelangen als Gurgellösung in den Rachen oder befreien als Duschlotion die Haut von Kopf bis Fuß von den gefährlichen Keimen. Nach einigen Tagen verschwinden die Bakterien in der Regel, und die geplante Behandlung im Krankenhaus kann erfolgen.
So können die Krankenhaushygieniker aber nur bei einer geplanten Operation vorgehen, bei der kein Zeitdruck herrscht. In einer Notfallsituation muss der Arzt den Patienten trotz multiresistenter Erreger sofort therapieren. „Dann leiten wir besondere Hygienemaßnahmen ein“, erklärt Mellmann. Der Behandlungsraum soll so „leer“ wie möglich sein, damit ihn das Fachpersonal nach der Operation leicht desinfizieren kann und die Übertragungswahrscheinlichkeit des Erregers durch andere Gegenstände minimiert wird. Die operierenden Ärzte und das Assistenzpersonal müssen wirklich im Raum bleiben. Falls sie zusätzliches Material benötigen, steht ein weiterer Mitarbeiter draußen bereit, um dieses zu bringen. „Im Prinzip sorgen wir dafür, dass der Patient sich wie in einem Kokon befindet, aus dem nichts hinausgelangt“, sagt der Facharzt für Hygiene.
Maßnahmen gegen multiresistente Keime
Inzwischen kennen Experten den MRSA-Erreger sehr genau und können wirkungsvolle Maßnahmen gegen den Keim einleiten. Forscher untersuchen die Eigenschaften des Keims seit den 80er-Jahren. So konnte der Anteil resistenter Staphylococcus-aureus-Bakterien in Krankenhäusern in den letzten Jahren von über 20 Prozent auf 18 Prozent gesenkt werden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zählt MRSA nicht mehr zu den gefährlichsten multiresistenten Erregern. Die Liste der WHO-Top-zwölf führen Acinetobacter baumannii, Pseudomonas aeruginosa und Enterobakterien an. Folgende Kriterien legten die Experten der Auflistung zugrunde: wie viele Todesfälle der jeweilige Erreger verursacht hatte, wie sehr die durch ihn ausgelöste Erkrankung den Patienten und das Gesundheitssystem belastet, der Anteil resistenter Bakterien an allen Infektionen und wie stark die Resistenzen in den letzten zehn Jahren zugenommen hatten.
"Immer neue Erreger können unempfindlich gegen Antibiotika werden und dann stehen wir vor dem nächsten Problem."
(Volkhard Kempf, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene, Universitätsklinikum Frankfurt)
Die Suche nach wirksamen Maßnahmen gegen multiresistente Keime endet nie. „Im Grunde können immer wieder neue Erreger unempfindlich gegen Antibiotika werden, und dann stehen wir vor dem nächsten Problem“, sagt Volkhard Kempf, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum in Frankfurt. Bakterien besitzen zwei entscheidende Strategien, die es ihnen ermöglichen, immer wieder Eigenschaften zu entwickeln, um den Antibiotika auszuweichen. Zum einen vermehren sich die Mikroorganismen extrem schnell. Der Darmkeim Escherichia coli, von dem es inzwischen auch hochresistente Formen gibt, teilt sich alle 20 Minuten. Dabei entstehen zufällige Veränderungen im Erbgut (DNA), die Experten als Mutationen bezeichnen. Manchmal macht eine solche Veränderung Antibiotika wirkungslos. Die Erreger überleben und können sich ungehindert vermehren. Darüber hinaus geben Bakterien Antibiotikaresistenzen untereinander weiter. Sie können also Erbinformation austauschen. Häufig sitzen Resistenz-Gene auf kleinen, ringförmigen DNA-Stücken, sogenannten Plasmiden. Diese DNA-Schnipsel kann ein Bakterium einfach an ein anderes weitergeben.
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Acinetobacter baumannii: Der superresistente Erreger
Acinetobacter baumannii ist besonders gut darin, Resistenz-Gene einzusammeln – ein Grund für den Siegeszug des Bakteriums. 2010 entdeckten Experten die erste hochresistente Form des Mikroorganismus. Seitdem ist der Keim auf dem Vormarsch. „Es gibt eine komplett resistente Form des Bakteriums, die gegen jede Art von Antibiotika Abwehrstrategien entwickelt hat“, so Kempf. 2014 wiesen Mikrobiologen erstmals den superresistenten Erreger in Deutschland nach. Er breitet sich sehr viel schneller aus als MRSA. Je nachdem, wo sich der Keim im Körper befindet, verursacht er eine Lungenentzündung, Harnwegs- oder Wundinfektionen.
Das Bakterium verändert sich nicht nur besonders schnell, es überlebt auch im getrockneten Zustand Wochen bis Monate auf Türklinken – viel länger als andere Mikroorganismen. Die Winzlinge sind darüber hinaus ziemlich klebrig und können besonders gut an Oberflächen haften.
Patienten, die vor schwierigen Eingriffen, etwa einer Knochenmarkstransplantation, stehen, überprüfen Mellmann und sein Team auch bezüglich resistenter Acinetobacter-baumannii-Erreger. „Es ist hilfreich zu wissen, ob der Patient mit einem solchen Keim besiedelt ist“, so Mellmann. „Auch wenn wir noch nicht genau wissen, welche Hygienemaßnahmen für diese Keime wirklich sinnvoll sind, ergreifen wir prophylaktische Maßnahmen wie die Isolierung des Patienten.“
"Die Hygiene in deutschen Krankenhäusern ist sehr gut."
(Alexander Mellmann, Klinikhygieniker, Uniklinikum Münster)
Obwohl die Experten den mikrobiellen Anpassungskünstlern immer einen Schritt hinterherzuhinken scheinen, warnt Kempf vor Panik. „In der Regel sind Basishygienemaßnahmen ausreichend, um eine Erregerübertragung im Krankenhaus von einem Patienten auf den anderen sicher zu verhindern.“ Außerdem sei das Risiko, sich im Krankenhaus mit einem gefährlichen Erreger zu infizieren, in vielen Ländern dieser Welt deutlich höher als in Deutschland.
„Die Hygiene in deutschen Krankenhäusern ist sehr gut“, bestätigt Klinikhygieniker Mellmann. Wer sich im Krankenhaus behandeln lasse, müsse also nicht per se Angst vor Infektionen haben. Die Gesamtentwicklung schätzen beide Experten dennoch kritisch ein. „Die Nachweisraten resistenter Erreger steigen kontinuierlich an. Das ist eine bedrohliche Situation“, so Kempf. Es sei wichtig, neben der Grundhygiene erregerspezifische Maßnahmen zur Bekämpfung der Keime parat zu haben.
Dies ist eine gekürzte Fassung. Den vollständigen Text finden Sie in FOCUS-GESUNDHEIT SPEZIAL „Corona 2020" als E-Paper.