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Die Mensch-Tier-Beziehung

Haustiere sind nicht nur zum Kuscheln da. Die Beziehung zum Haustier hat sich deutlich intensiviert. Warum wir Tierliebe entwickeln und wie sie uns positiv beeinflusst.

Veröffentlicht: 2019-11-08T17:46:17+01:00

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Inhaltsverzeichnis
Baby und Hund

© Plain Pictures GmbH

Grenzenlose Tierliebe

Unsere Katze Mika ist verschwunden. Es ist schlimm. Die ganze Familie ist in Aufruhr. Wir haben Suchmeldungen an Laternenmasten geklebt und, laut nach ihr rufend, die umliegenden Straßen durchkämmt. Wir haben Flyer mit ihrem Konterfei in die Briefkästen geworfen, den Tierarzt und den Tiersuchdienst Tasso benachrichtigt.

Ihr Foto auf der Suchanzeige anzusehen (sie ist eine bildschöne Maine-Coon-Mischung) fällt mir schwer. Ich muss mich anstrengen, nicht in tiefer Sorge und Trauer zu versinken. Dabei bin ich kein obsessiver Tierfreund. Ich mag Tiere. Sehr sogar. Aber ich wundere mich immer ein bisschen, wenn Menschen Tiere wie Menschen behandeln.

Ich staune über meinen Bekannten aus Los Angeles, der aus Sehnsucht nach seinem Hund Ron, den er nicht auf seinen mehrmonatigen Deutschland-Besuch mitnehmen konnte, versucht, über Facetime mit dem Mischlingsrüden zu kommunizieren (was nicht funktioniert). Er erwägt sogar, zwischendurch mal nach Hause zu fliegen, nur um Ron durchs Fell zu wuscheln.

Ich wundere mich über meine Freundin, die mit ihrer Australian-Shepherd-Hündin Bett und Sofa teilt und sie auf den Schoß nimmt wie ein Riesenbaby, um ihr den Bauch zu kraulen. Über Geburtstagspartys für Fellnasen, bei denen man ihnen Partyhütchen aufsetzt. Oder über die Kollegin einer Freundin, die ihr Zwerghuhn einer teuren Schönheits-OP unterzog, weil es wegen einer Flügelfehlbildung von den anderen drei Hühnern gemobbt wurde.

Ist das nicht etwas übertriebene Tierliebe? Oder einfach nur tierisch menschlich?

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Was steckt hinter der Tierliebe?

Warum ist das so? Was verbindet Mensch und Tier? Warum lieben wir sie so? Ich verabrede mich mit Andrea Beetz zu einem längeren Gespräch – nach dem morgendlichen Gassigehen mit ihrem Hund Asmo. Die Psychologin und Professorin für Heilpädagogik an der IUBH Internationalen Hochschule arbeitet seit gut 20 Jahren wissenschaftlich über die Effekte der Mensch-Tier-Beziehung – und erlebt diese tagtäglich in der eigenen Familie. Asmo, ein Nova Scotia Duck Tolling Retriever, sei ein vollwertiges Familienmitglied, erzählt sie sogleich. „Die Kinder hängen sehr an ihm.“

Der Name Asmo klingt noch sehr nach Hund. Immer mehr Hunde und Katzen heißen inzwischen wie Menschen, ergab kürzlich eine Umfrage des Haustierregisters Tasso. Wir nennen sie Lilly, Max und Luna, Felix oder Emma – alles auch beliebte Kindernamen. Ein weiteres Indiz der intensivierten Nähe.

„Wir Menschen sind biophil“, erklärt Beetz das Phänomen. „Das Interesse an Tieren ist als evolutionäres Erbe im Menschen angelegt. Wir haben seit jeher das Bedürfnis, mit der Natur in Kontakt zu sein. Schon Kleinkinder aller Kulturen interessieren sich intensiv für Tiere.“ Jeden Morgen bekommt Asmo Hundekekse von dem Älteren, bevor der Rest der Familie überhaupt an Frühstück denkt. Die Kekse backt die Oma mit Thunfisch, Ei und Hafer. Hundekekse selber backen ist heute so selbstverständlich wie kochen für die Familie: eine Liebeswährung. Vor 50 Jahren hätte man Hundebesitzer dafür noch belächelt.

„Früher war eine emotionale Beziehung zu Tieren sozial nicht so akzeptiert“, konzediert Beetz. „Das heißt aber nicht, dass es sie nicht gegeben hat.“ Von Alexander dem Großen etwa seien die Namen seiner Pferde überliefert – „wahrscheinlich, weil er eine enge Bindung zu ihnen hatte“. Auch Preußenkönig Friedrich II. pflegte ein inniges Verhältnis zu seinen Hunden, die in seinem Bett schlafen durften und von den Lakaien auf Französisch gesiezt werden mussten. Ihre Gruft auf Schloss Sanssouci grenzt heute an die letzte Ruhestätte ihres Herrchens, so wie es der Wunsch des Alten Fritz war.

Haustier zum Kuscheln

Versponnen? Eher menschlich, wenn es nach Beetz geht. Wir sind von der Verhaltensbiologie so angelegt, eine Bindung mit anderen Wesen einzugehen", sagt sie. „Haustiere helfen, unser Bedürfnis nach sozialer Verbundenheit zu befriedigen.“ Auch unsere Vorliebe für das Niedliche spielt dabei eine Rolle.

Mit ihrem süßen Aussehen adressieren Tierkinder und manche entsprechend gezüchteten Rassen an das tief im Menschen verankerte Kindchenschema: Attribute wie ein großer runder Kopf mit vorspringender Stirn, große Augen und ein rundlicher Körper aktivieren unser Fürsorgeverhalten. „Wie süüüß!“ kann als Überschrift über den Milliarden Katzenvideos im Internet stehen, die Stubentiger als Helden der Niedlichkeit inszenieren.

Cat Content ist (nach Pornos) der am zweithäufigsten geklickte Web-Inhalt.  

34 Millionen Haustiere leben in Deutschland – so viele wie nie zuvor.

Vor zehn Jahren waren es erst 23 Millionen.

Quelle: Statista

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Forschung über die Mensch-Tier-Beziehung

Der Mensch sehnt sich nach einer Beziehung zum Tier. Dass sich domestizierte Vierbeiner wie Hunde, Katzen, Pferde – von den Wissenschaftlern als „Kumpantiere“ bezeichnet – dafür besser eignen als Kugelfische oder Kreuzspinnen, liegt auf der Hand. Und es hat biologische Gründe.

Aus der jüngeren Forschung weiß man, dass die Beziehung zum Heimtier auf vergleichbaren Hirnstrukturen und -funktionen basiert. Vor allem mit den höher entwickelten Säugetieren teilen wir ein Netzwerk von Kerngebieten im Vorder- und Mittelhirn, das Hormone produziert und Sozialverhalten und Stressreaktionen reguliert.

Neuere Forschungen zeigen, dass die Hauptquelle für Stress bei sozial organisierten Tieren zumeist ebenfalls sozial bedingt ist. Zugleich lässt sich Stress just über diese Sozialbeziehungen positiv beeinflussen – wie beim Menschen auch. Als Schmiermittel für Sozialbeziehungen aller Art gilt dabei das Neuropeptid Oxytocin. „Zahlreiche Studien belegen inzwischen, dass vor allem beim Hautkontakt mit Tieren auf beiden Seiten Oxytocin (Kuschelhormon) ausgeschüttet wird“, erklärt Psychologin Andrea Beetz.

Wie viele ihrer Forscherkollegen – Anthrozoologen nennen sich jene, die sich auf die Beziehung Mensch/Tier spezialisiert haben – vergleicht auch Beetz die Bindung zum Tier mit der zwischen liebenden Menschen. „Die Bindungstheorie nennt vier Kriterien für das Vorhandensein einer Bindungs- oder Fürsorgebeziehung“, erklärt sie.

„Die Bindungsfigur ist eine verlässliche Basis, auch für Trost und Rückversicherung. Sie vermittelt Sicherheit. Die körperliche Nähe geht mit positiven Gefühlen einher. Und Trennungen lösen Schmerz und Vermissen aus.“ Auf die meisten Haustierbesitzer träfen alle vier Kriterien zu.

Auf meine Familie und mich wahrscheinlich auch. Ich muss an das Ritual meiner Tochter denken, wenn sie sich nach einem stressigen Schultag erst mal ihre Katze Mika auf den Schoß holte, um kraulend und von Schnurrgeräuschen unterlegt eine Runde zu chillen. Seit Mika nicht mehr da ist, fehlt das schmerzlich. Der Anblick des leeren Sessels, in dem sie immer ihre Fellnester hinterließ (nicht unbedingt zu meiner Begeisterung), versetzt mir einen Stich. Die morgendliche und meist nicht mehr ganz komplette Geschenk-Maus unterm Esstisch, bei deren Entsorgung ich mich immer ärger ekelte, sie fehlt mir jetzt fast ein bisschen.

Ein Mann liegt schlafend auf der Couch und seine schlafende Katze liegt auf ihm

© Plain Picture GmbH

Tierliebe: Das Streicheln eines Tieres kann den Blutdruck und Stresspegel deutlich senken. Besonders Katzen haben nicht umsonst den Ruf, dass ihre Anwesenheit Gemütlichkeit verbreitet

Haustiere als Therapie

Haustiere tun dem Menschen gut, daran besteht kein Zweifel. Auch wenn die allermeisten ihren vormaligen Broterwerbsjob als Wach-, Hüte-, Jagd- oder sonst wie verpflichtetes Arbeitstier an den Nagel gehängt haben, steht ihr Nutzen für Renate Ohr außer Frage. „Er ist heute eher ein sozialer, seelischer und gesundheitlicher“, ist die emeritierte Professorin für Volkswirtschaftslehre überzeugt, die für ihre zweite große Heimtierstudie gerade mehr als 5200 Haustier-besitzer befragt.

„Haustiere haben einen großen Ertrag für die Gesellschaft“, sagt sie. „Auch wenn man diesen nicht vollständig in Euro messen kann.“ Wie das so ist mit Liebesdingen: Die Seelenrendite lässt sich schwer beziffern. Sowohl in der Therapie als auch in der Altenbetreuung spielen Tiere eine immer wichtigere Rolle. Dass der Kontakt und Austausch mit ihnen Wärme und Wohlgefühl stiftet, ist mannigfach belegt.

"Die Bindung zum Tier lässt sich mit der zwischen liebenden Menschen vergleichen."

Andrea Beetz, 42
Psychologin und Dozentin an der Universität Rostock

Psychologin Beetz zum Beispiel fand gemeinsam mit Kollegen in einer Untersuchung mit 31 Kindern zwischen sieben und zwölf Jahren heraus, dass der Streichelkontakt mit einem Hund die Konzentration des Stresshormons Cortisol im Speichel signifikant senkt – deutlicher als beim Kontakt mit einer beruhigenden Person oder einem Plüschtier. Allein die Anwesenheit eines Kanarienvogels in einem Altersheim reduzierte die Depressionsanfälligkeit der Bewohner signifikant, ergab eine dreimonatige Studie mit 144 Senioren.

Sogar Gefängnisinsassen erwiesen sich in einer Untersuchung als sozial verträglicher, wenn sie regelmäßig Tierkontakt hatten. Eine Studie bei knapp 11 000 Heimtierbesitzern ergab, dass diese in der Regel gesünder sind und weniger zum Arzt marschieren – dafür im Zweifel öfter auf die Hundewiese und in den Wald.

Vermenschlichung von Tieren

Für 90 Prozent der Hunde- und Katzenbesitzer ist der Vierpföter ein vollwertiges Familienmitglied, ergab eine Studie der Tierärztlichen Hochschule (TiHo) in Hannover. Knapp die Hälfte der Halter bezeichnen das Tier sogar offen als „Kindersatz“.

„Die Vermenschlichung von Tieren nimmt immer mehr zu“, sagt Peter Kunzmann, Professor für Angewandte Ethik am Institut für Tierhygiene, Tierschutz und Nutztierethologie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover. 

Als Anthropomorphismus bezeichnen Wissenschaftler das Phänomen, dass wir menschliche Verhaltensweisen und Wünsche auf unsere tierischen Gefährten projizieren. Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke für Hund, Hamster & Co. erzeugen heute kein Stirnrunzeln mehr. Die Freunde einer Bekannten ziehen ihren beiden Windhunden abends Pyjamas an.

Im Web sieht man Hunde mit Reizwäsche und Katzen mit Baseball-Caps. Sogar Markenkleidung gibt es, strassbesetzte Halsbänder, Burberry-Mäntelchen und Hundeleinen von Chanel. „Diese Vermenschlichung wird durch Unternehmen gezielt forciert“, kritisiert Volkswirtin Ohr.

„Man suggeriert, dass Gourmet-Futter und Luxus-Accessoires die Tiere glücklicher machen. Was natürlich Unsinn ist. Mir tun zum Beispiel große Hunde leid, die einen Regenmantel tragen müssen. Oder vegan ernährt werden, nur weil das ihr Frauchen auch tut.“

Oft reicht die Vermenschlichung bis an das Ende eines Tierlebens, wenn alles medizinisch Mögliche versucht wird, um ein Einschläfern zu verhindern. „Die Rolle des Tierarztes gleicht hier mehr und mehr der eines Kinderarztes“, beobachtet Philosoph Kunzmann.

Fünf Wochen sind vergangen, von Mika keine Spur. Über den Suchdienst Tasso meldete sich jemand, der meinte, Mika gesehen zu haben. Aber sie war es nicht. Anfangs haben wir noch den Trockenfutter-Napf stehen lassen wie ein Zeichen der trotzigen Zuversicht. Irgendwann habe ich ihn weggeräumt.

Dies ist eine gekürzte Fassung. Den vollständigen Text finden Sie in FOCUS-SPEZIAL „Gesundheit für ihr Tier" 04/2019 – als Print-Heft oder als digitale Ausgabe sowie bei www.focus-tierarzt.de.

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