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Das leisten Roboter im OP-Saal

Roboter erweitern das Spektrum des Menschenmöglichen in der Chirurgie. Auch wenn die Technik übermächtig erscheint – über den OP-Erfolg entscheidet nach wie vor die Kunst des Operateurs.

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Tobias Hirsch, Chefarzt der Plastischen Chirurgie am Universitätsklinikum Münster und in der Fachklinik Hornheide, steuert den OP-Roboter beim Vernähen winzigster Gefäße. Ein zweiter Robo- ter spielt die Strukturen, die für das bloße Auge kaum sichtbar sind, auf die Datenbrille

© Sveverin Wohlleben für FOCUS-Gesundheit

Feiner als ein Menschenhaar ist der Faden. Er steckt in einer winzigen Nadel, die der Arm des OP-Roboters über das hell ausgeleuchtete Areal bewegt. Auf dem OP-Feld: ein klitzekleines Kunstgefäß aus Silikon, dessen Enden miteinander vernäht werden sollen.

Ein zweiter Roboter spielt die Bilder des Geschehens dreidimensional und neunfach vergrößert auf das Headset von Tobias Hirsch. Der Chefarzt der Plastischen Chirurgie am Universitätsklinikum Münster und in der Fachklinik Hornheide dirigiert den Vorgang aus zwei Meter Entfernung mit Joysticks. Bewegt Hirsch seine rechte Hand nach oben, führt der Symani-Roboter einen Nadelstich im Gewebe aus. Eine Kreisbewegung übersetzt der digitale Assistent in einen kunstvollen Knoten. „Ich mache eine große Bewegung, und der Roboter überträgt sie für mich in eine kleine“, erklärt Hirsch. Ein bis zu 20-facher Zoom ist möglich – aus drei Zentimetern werden 1,5 Millimeter.

Mit der innovativen Operationsmethode schließen der Plastische Chirurg und sein Team Defekte in Geweben, beispielsweise wenn ein Tumor entfernt wurde oder ein offener Bruch nicht mehr heilt. Als erstem Krankenhaus weltweit ist es in Hornheide gelungen, zwei robotische Systeme zu kombinieren. Seit Sommer 2022 kommt das Verfahren dort zum Einsatz.

Prof. Tobias Hirsch, Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie und Chefarzt der Plastischen Chirurgie am Universitätsklinikum Münster und in der Fachklinik Hornheide

Mehr Präzision und neue Blickwinkel

Wo menschliche Fähigkeiten an ihre Grenzen stoßen, weiten OP-Roboter das Spektrum des chirurgisch Machbaren aus. Sie verfeinern manuelle Fertigkeiten oder gewähren Einblicke in Körperhöhlen. Das hilft überall dort, wo es feinmotorisch diffizil, schwer zugänglich oder räumlich eng wird. Zum Beispiel beim passgenauen Einsetzen von Knie- und Hüftimplantaten, bei endoskopischen Eingriffen in der Viszeralchirurgie, Gynäkologie und Urologie oder bei mikrochirurgischen Operationen an Oberflächenstrukturen, etwa in der Handchirurgie, der Plastischen Chirurgie und der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde.

Robotergestützte OP-Verfahren können Chirurginnen und Chirurgen heute an ausgewählten Stellen unterstützen. Aber keinesfalls ersetzen! Auch wenn der Arzt hinter der raumgreifenden Technik fast zu verschwinden droht – über den OP-Erfolg entscheidet immer noch der Mensch. Experten sind sich einig: Das Können des Chirurgen und das Zusammenspiel von Operateur und Roboter ist maßgeblich dafür, ob und wie Patientinnen und Patienten von der Technik profitieren.

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Da Vinci schaut durchs Schlüsselloch

Für Tobias Keck, der am Campus Lübeck des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein die Klinik für Chirurgie leitet, führt an robotergestützten Eingriffen kein Weg vorbei. „OP-Roboter ermöglichen zitterfreies Operieren, bieten eine detailreiche Sicht auf das OP-Feld und deutlich mehr Bewegungsfreiheit beim Schneiden oder Nähen“, erklärt der Spezialist für Viszeralchirurgie.

Prof. Dr. Tobias Keck, Facharzt für Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie und Leiter der Klinik für Chirurgie am Campus Lübeck des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein

Als Exzellenzzentrum für minimalinvasive Chirurgie fühlt sich die Klinik der Weiterentwicklung schonender Operationstechniken verpflichtet. Die navigierte Chirurgie spielt dabei eine wichtige Rolle. „In ein paar Jahren werden wir bis auf wenige Ausnahmen alle Operationen robotisch assistiert durchführen“, ist sich Keck sicher.

Das Gerät, das in Lübeck zum Einsatz kommt, ist bereits ein Klassiker. Im OP-Zentrum steht einer von schätzungsweise 300 Da-Vinci-Robotern in Deutschland. 1999 wurde das System erstmals vorgestellt, bis Ende 2023 sind nach Angaben des US-amerikanischen Herstellers Intuitive Surgical weltweit mehr als 8.600 Da-Vinci-Operationssysteme in Krankenhäusern installiert worden. In Kecks Klinik stieg die Zahl der OPs, die damit durchgeführt wurden, in den vergangenen Jahren sprunghaft an. „Unser Da Vinci ist maximal ausgelastet.“

Der Roboter arbeitet im Körperinneren. Die Chirurginnen und Chirurgen nutzen ihn für sogenannte laparoskopische Eingriffe, bei denen feine Werkzeuge und eine Minikamera durch kleine Hautschnitte in der Bauchdecke in den Körper eingeführt werden. „Die starren Rohre der laparoskopischen Instrumente waren vorher für manchen Eingriff ein Hindernis“, erinnert sich Keck. Nun können die OP-Instrumente und die Kamera an vier Roboterarmen befestigt werden, die sich in alle Richtungen bewegen lassen. „Wir setzen den Da Vinci für sehr komplexe Operationen ein, etwa an der Bauchspeicheldrüse, der Speiseröhre oder dem Rektum – Eingriffe, die bis vor wenigen Jahren nur per Bauchschnitt operiert werden konnten“, erzählt Keck. Die betreffenden Organe befinden sich tief im Inneren des Körpers, wo wenig Platz ist und Nerven und Gefäße eng beieinanderliegen.

Mit den neuen Roboterassistenzsystemen könne man heute fast alle Operationen im Bereich des Bauchs und des Brustkorbs minimalinvasiv durchführen, so Keck. „Der Roboter kombiniert die Vorteile der offenen OP – guter Blick, Bewegungsfreiheit der Instrumente – mit dem der Laparoskopie: wenig Gewebeverletzung.“ Aktuell nutzt die Viszeralchirurgie diese Vorteile vor allem bei der Darmkrebs-OP: Laut Krankenhausstatistik DRG wurde 2020 ein gutes Drittel der kolorektalen Eingriffe roboterassistiert durchgeführt. Tendenz steigend.

Die Vorteile eines Roboters: Er zittert nicht

Tobias Hirsch und sein Team in Münster operieren an der Oberfläche. Die Herausforderung in ihrem Fachgebiet der Plastischen Chirurgie: Defekte in Geweben mit einem Transplantat zu verschließen. „Wir entnehmen dazu von einer gesunden Stelle einen Gewebeblock aus Muskel, Faszie, Fett, Haut mit den dazugehörigen Blutgefäßen – einen sogenannten Flap – und schließen diesen an der verletzten Stelle wieder an“, erklärt Hirsch. Das Verfahren verlangt höchste Präzision. „Die Verbindung zwischen den beiden Gefäßen muss perfekt genäht sein, weil sonst Gerinnsel entstehen, sodass die Gefäße verstopfen und das Transplantat nicht überlebt.“ Je kleiner der Defekt und die Gefäße, desto gefragter ist der ruhige Arm des Symani-Roboters. „Unter einem Millimeter Durchmesser, im Bereich der Supermikrochirurgie, kommen wir mit den herkömmlichen Operationsmethoden technisch an unsere Grenzen. Das Zittern und die natürlichen Bewegungen der Hand sind einfach zu grob dafür“, erklärt Hirsch.

 

Der OP- Roboter überträgt die Gesten des Operateurs in Minimalstbewegungen – und filtert dabei das natürliche Zittern der Hände heraus

© Sveverin Wohlleben für FOCUS-Gesundheit

Kleingezoomt: Der OP- Roboter überträgt die Gesten des Operateurs in Minimalstbewegungen – und filtert dabei das natürliche Zittern der Hände heraus

Eine weitere Problematik: Um die winzigen Gefäße zu erkennen, mussten die Operateure ihre Lupenbrillen dauerhaft ins OP Gebiet richten. Oft standen sie stundenlang unangenehm verrenkt da. „Man ermüdet schneller, es schleichen sich häufiger Fehler ein“, sagt Hirsch. Zudem bekomme man Beschwerden an der Halswirbelsäule. Mit dem Einsatz des zweiten Roboters, der mikroskopische 3D-Aufnahmen einspielt, können die Chirurgen nun bei bester Sicht entspannt und bequem im Sitzen operieren.

Über die Datenbrille rückt ein Mikroskop-Roboter das winzige Operationsgeschehen in den Blick des Chirurgen – dreidimensional und in neunfacher Vergrößerung

© Sveverin Wohlleben für FOCUS-Gesundheit

Hochvergrößert: Über die Datenbrille rückt ein Mikroskop-Roboter das winzige Operationsgeschehen in den Blick des Chirurgen – dreidimensional und in neunfacher Vergrößerung

Steuerung über Joysticks bei Operationen

© Severin Wohlleben für FOCUS-Gesundheit

Tiefenentspannt: Die Steuerung über Joysticks aus der Ferne erlaubt Operierenden eine ergonomische Sitzhaltung. Die zahlt auch aufs OP-Ergebnis ein

Patientinnen und Patienten dürften künftig flächendeckend auf bessere OP-Ergebnisse hoffen, ist Chirurg Hirsch überzeugt. Noch vor wenigen Jahren hätten nur eine Handvoll Menschen weltweit im Bereich der Supermikrochirurgie erfolgreich operiert. In Zukunft könne es fast jede Chirurgin und jeder Chirurg erlernen. „Der Roboter ist hier ein echter Gamechanger“, so Hirschs Prognose.

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Hohe Kosten bei OP-Robotern

Noch verhindern hohe Kosten einen breiteren Einsatz der technischen Helfer. Das Symani-System in Münster schlägt mit knapp einer Million Euro für die Anschaffung zu Buche. Ein Da Vinci kostet mindestens zwei Millionen Euro. Dazu kommen die Ausgaben für die Wartung und das Material, oft mehrere Tausend Euro pro Eingriff.

Wann eignen sich robotergestützte OPs?

Lohnt es sich für Patientinnen und Patienten heute schon, gezielt nach Kliniken mit robotergestützten OP-Verfahren Ausschau halten? Einzelne Untersuchungen deuten zwar auf Vorteile bei bestimmten Verfahren hin. So traten nach Operationen an der Speiseröhre im Nachhinein seltener Lungenentzündungen auf. Eingriffe am Mastdarm mussten seltener auf offenes Operieren umgestellt werden, was auf eine größere Sicherheit hindeutet. Bisherige Studien zeigen jedoch vor allem, dass robotisches Operieren herkömmlichen Verfahren „nicht unterlegen“ ist, wie es in der Fachsprache heißt.

Viszeralchirurg Tobias Keck rät Patientinnen und Patienten, darauf zu achten, dass die Klinik mit der anstehenden Operation als solcher viel Erfahrung hat. Danach könnten Arzt und Patient entscheiden, ob ein robotergestützter Eingriff die passende OP-Variante ist. „Komplexe Technik erfordert Übung“, mahnt der Viszeralchirurg. „Kein Mensch würde eine Boeing fliegen, wenn er nicht zig Stunden im Simulator verbracht hat.“

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Komplexe Technik erfordert Übung

In der Fraunhofer-Einrichtung für Individualisierte und Zellbasierte Medizintechnik (IMTE), einen kurzen Fußweg von Kecks Klinik entfernt, können Studierende sowie junge Ärztinnen und Ärzte robotisches Operieren lernen. Noch werden dafür vor allem virtuelle Programme genutzt. In einigen Jahren sollen menschenrealistische „Probanden“ aus dem 3D-Drucker auf dem OP-Tisch liegen. Forschung an OP-Robotern ist das Ziel des Instituts. Unter anderem um sicherzustellen, dass Mensch und Maschine bei medizinischen Eingriffen gut miteinander kooperieren.

FOCUS-Gesundeheit 03/2024 – Moderne Chirurgie

© FOCUS-Gesundheit

Moderne Chirurgie

FOCUS-Gesundheit 03/24
Dieser Artikel ist eine gekürzte Fassung. Den vollständigen Text finden Sie in der Ausgabe Moderne Chirurgie. Weitere Themen: Was personalisierte Chirurgie für Patienten bedeutet. Gezielte Maßnahmen vor der OP reduzieren Schmerzen und Komplikationen. U.v.m.

Der Operateur ist nicht mehr vor Ort

„In nicht allzu weiter Zukunft wird es keine Rolle mehr spielen, in welcher Klinik der Patient im OP liegt und von wo aus wir ihn operieren“, prognostiziert Keck. Damit schlösse sich nach Jahrzehnten der Entwicklungsarbeit ein Kreis. Ins Leben gerufen wurden die OP-Roboter ursprünglich von der amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA und dem US-Militär. Die Idee war, im Weltall oder an der Front operieren zu können, ohne vor Ort einen Arzt zu benötigen. Vor allem die Forschenden waren begeistert von den Innovationen. Medizinerinnen und Mediziner blieben lange skeptisch – auch Keck gehörte zu den Zweiflern. Diese Zeiten sind vorbei. Mehr als 70 Firmen haben mittlerweile Systeme für verschiedenste Eingriffe entwickelt. Noch verhindert die minimale Verzögerung in der Übertragung der Daten, dass Patienten aus der Ferne operiert werden. Auch daran arbeite man in Lübeck, sagt Keck.

Gefäßchirurg Tobias Hirsch wäre dann auf dem Aufmacherfoto nicht mehr zu sehen. Die feinen Roboterbewegungen würde er dennoch steuern – nicht aus zwei Meter, sondern vielleicht aus 200 Kilometer Entfernung. Von seiner Expertise könnten so auch Patientinnen und Patienten in entlegenen Kliniken profitieren.

FOCUS-Gesundheit 03/2024 – Moderne Chirurgie

© FOCUS-Gesundheit

Moderne Chirurgie

FOCUS-Gesundheit 03/2024
Was personalisierte Chirurgie für Patienten bedeutet. Gezielte Maßnahmen vor der OP reduzieren Komplikationen. Plus: Die FOCUS-Empfehlungslisten mit Deutschlands Top-Ärzten und -Kliniken für Chirurgie

Wichtiger Hinweis

Dieser Artikel enthält allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder –behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen. Den passenden Arzt finden Sie über unser Ärzteverzeichnis.

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Dr. Andrea Bannert

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