Werbung

Werbung

So bewahren Sie einen kühlen Kopf

Hitze und Temperaturwechsel machen vor allem Menschen mit Vorerkrankungen zu schaffen. Wie Sie gegensteuern.

Von

Geprüft von Andrea Hennis, Chefredakteurin FOCUS-GESUNDHEIT

Veröffentlicht: 2024-05-17T16:49:35+02:00

Werbung

Thermometer vor gleißender Sonne zeigt knapp 40 Grad

© Getty Images

Wetterumschwünge mag Andreas Wiese überhaupt nicht. Seit etwa neun Jahren lebt der Rechtsanwalt aus Jena mit einem biologischen Herz­klappenersatz. Grund dafür ist eine angeborene Anomalie der Aortenklappe, des Auslassventils des Herzes. Lange blieb der Defekt unerkannt. Bis Wiese eines Tages beim Wandern keine Luft mehr bekam. „Seit dem Eingriff geht es mir gut, und ich habe eigentlich keine Beschwerden – außer wenn die Temperaturen extrem schwanken“, sagt der Jurist. In solchen Phasen schießt sein Blutdruck mal in die Höhe, mal sackt er rapide ab. Auch der Puls ist dann oft unberechenbar. „Da muss ich mich schon mal setzen, weil mir schwindelig wird“, sagt Wiese. „Und morgens kann ich zuse­hen, wie ich meinen Kreislauf in Schwung bringe.“ Insbesondere die immer häufiger auftretenden Wetterkapriolen machen dem 60­-Jährigen zu schaf­fen. „Als in diesem Frühjahr die Temperaturen zwischen fünf und 30 Grad hin und her schwank­ten, hat mich das ziemlich umgehauen.“

Wie beeinflusst der Klimawandel die Gesundheit?

Mit seinem wetterfühligen Herz steht Wiese für eine wachsende Schar von Menschen, die unter dem Klimawandel leiden. Die Zahl der Tage, an denen auch in Deutschland das Thermometer auf mehr als 30 Grad klettert, hat sich seit den 1990er-­Jahren mehr als verdoppelt. Damit einher gehen häufige und teils hef­tige Temperaturschwankungen. Wissenschaftler appellierten vor einigen Monaten in einem Brandbrief an die Weltgesundheitsorganisation (WHO), den Gesundheitsnotstand auszurufen. Der Klimawandel bedrohe weltweit die Gesund­heit der Menschen. Deutsche Kardiologen be­tonten jüngst bei ihrer Jahrestagung den Zusam­menhang zwischen Umwelt und Herzgesundheit. „Die globale Erwärmung hat erheblichen Einfluss auf die Herzgesundheit“, sagt der Tagungspräsi­dent Christoph Maack vom Uniklinikum Würz­burg. „Hitze und Feinstaubbelastung können sich potenzieren und das Risiko für Erkrankungen des Herzes verdreifachen.“

Werbung

Was passiert im Körper bei hohen Temperaturen?

Schnellt das Thermometer abrupt nach oben, bedeutet das für den Körper Schwerstarbeit. Er muss die Kerntemperatur von 36 bis 37,5 Grad halten, damit die inneren Organe optimal funk­tionieren. Besonders gefordert ist das Herz­-Kreis­lauf­-System, Kernelement des körpereigenen Kühlmechanismus. Um Überhitzung zu vermei­den, wird die Haut stärker durchblutet und Wär­me aus dem Körperinneren an die Oberfläche transportiert. Dafür weiten sich die Gefäße, der Blutdruck sinkt. Das Herz muss mehr und stärker pumpen, um bei sinkendem Druck die Durchblu­tung zu gewährleisten. Sacken die Lufttempera­turen dann wieder ab, ist das für den Organismus wie ein Sprung ins kalte Wasser. Die Gefäße ver­engen sich reflexartig, der Blutdruck steigt abrupt. Personen mit einer Herzerkrankung wie Andreas Wiese setzen solche Wetterwechsel zu.

Hitze und Temperaturwechsel sind Dauerstress für den Körper

„Lang anhaltende Hitzeperioden, in denen es nachts nicht abkühlt, sind für viele Menschen besonders gefährlich“, sagt Claudia Traidl­-Hoff­mann, Professorin für Umweltmedizin an der Universität Augsburg und Direktorin des Instituts für Umweltmedizin von Helmholtz Munich. Al­lein im Sommer 2022 verzeichnete das Robert Koch-­Institut rund 4.500 hitzebedingte Todes­fälle in Deutschland. Ein Forschungsteam vom Barcelona Institute for Global Health schätzt die Zahl sogar auf über 8.000. Ab einer Wochendurch­schnittstemperatur von 20 Grad Celsius steigt die Sterblichkeit bei älteren Menschen stark an (siehe Chart). „Zu den Tausenden Toten kommen Millionen von Menschen, die einfach nicht leis­tungsfähig sind“, sagt Traidl­-Hoffmann.

Todbringende Temperaturen

Todbringende Temperaturen: Ab 20 Grad Celsius im Durchschnitt steigt die Sterblichkeitsrate bei älteren Menschen

© Quelle: Robert Koch-Institut

Ab 20 Grad Celsius im Durchschnitt steigt die Sterblichkeitsrate bei älteren Menschen

Hitze strapaziert nicht nur das Herz­-Kreislauf­-System. Im Prinzip leidet der gesamte Organis­mus – unter den Anstrengungen, die der Körper unternehmen muss, um herunterzukühlen, und zusätzlich unter dem Flüssigkeitsverlust. Organe sind belastet, die körperliche und geistige Fitness sinkt, und auch die Psyche ist mitgenommen.

Werbung

Tipps: So schützen Sie Ihren Körper bei Hitze

Einige Verhaltensregeln helfen, den Organismus zu schützen. Die wichtigste: Dehydration vermei­den. Wer morgens einen Gewichtsverlust von mehr als zwei Kilo im Vergleich zum Vortag bemerkt, sollte trinken, trinken, trinken. Vor allem Herz­patienten sei die regelmäßige Gewichtskontrolle (nach dem ersten Toilettengang und vor dem Früh­stück) ans Herz gelegt. Wobei Menschen mit Herz­insuffizienz nicht zu viel Flüssigkeit zu sich neh­men dürfen, da dies die Leistung des Pumporgans verschlechtern kann. Ihr Gewicht sollte nicht von einem Tag auf den anderen steigen. Weil der Körper beim Schwitzen wichtige Elektrolyte wie Kalium, Natrium oder Magnesium verliert, gilt es, auch diese wieder zeitnah zuzuführen: mit Mine­ralwasser, Gemüsebrühe oder kaliumreichem Obst (Banane, Aprikose, Pfirsich) zum Beispiel.

Medikamente entwickeln unerwünschte Nebenwirkungen

Vorsicht ist bei der Einnahme von Medikamenten geboten (siehe Kasten unten). In einem hitzege­schwächten Körper können Blutdrucksenker zu einer Minderdurchblutung des Gehirns und damit zu einem Hitzekollaps mit Bewusstlosigkeit füh­ren. „Bei Hitzewellen sollte man die Dosierung der Medikamente vom Arzt überprüfen lassen“, empfiehlt Johann Bauersachs, Direktor der Klinik für Kardiologie und Angiologie an der Medizini­schen Hochschule Hannover.

Gleiches gilt für entwässernde Mittel, soge­nannte Diuretika. Der Hintergrund: Zur Abküh­lung bedient sich der Organismus – neben der Regulation über die Blutgefäße – einer weiteren Strategie. Er schwitzt und nutzt den Kühleffekt der verdunstenden Flüssigkeit. Das gelingt aller­dings nur bei relativ trockener Umgebungsluft, die den Schweiß aufnehmen kann. Ist es schwül­-heiß, droht Hitzestau. Wird der Flüssigkeitsver­lust nicht ausgeglichen oder der Organismus durch Diuretika zusätzlich entwässert, kann das Blut regelrecht eindicken. Gerinnungsneigung und Blutdruck steigen – und damit das Risiko für Thrombosen, Herzinfarkt und Schlaganfall.

Derart dramatische Hitzefolgen sind Andreas Wiese erspart geblieben. Auch weil er bei extremen Temperaturen auf den gesunden Menschenver­stand setzt. „Wenn es heiß ist, schalte ich einen Gang zurück und bleibe zu Hause“, sagt er. Damit macht Wiese nach Ansicht des Herzexperten Bau­ersachs instinktiv das Richtige. „Menschen mit Erkrankungen des Herz­-Kreislauf­-Systems sollten ganz besonders darauf achten, dass sie sich bei Hitze in kühlen Räumen aufhalten und körper­liche Aktivitäten in die Morgenstunden verlegen.“ Außerdem empfiehlt der Mediziner, nicht in der Nähe von stark befahrenen Straßen spazieren zu gehen oder dort Sport zu treiben. Die Kombina­tion von Hitze und Feinstaub treibt das Infarkt­risiko nach oben.

Bei Hitzewellen Dosierung anpassen

Viele Medikamente interagieren mit der Thermoregulation des Körpers. Das beeinflusst den therapeutischen Effekt

Wirkstoff/Substanzgruppe Mögliche unerwünschte Nebenwirkungen

Herz-Kreislauf-Medikamente

ACE-Hemmer

Blutdrucksenker (allg.)
Betablocker

Diuretika

Reduziertes Durstgefühl, Absenkung des Natriumspiegels

Blutdruckabfall

Elektrolytverluste, verminderte Wärmeabgabe

Absenkung des Natriumspiegels, Dehydration

Antiallergika

H1­Antagonisten der ersten Generation

Blockade der Schweißproduktion

Diabetes-Medikamente
 

Insulin

SGLT2­-Inhibitoren

 

 

Verstärkte Wirkung

Absenkung des Natriumspiegels

Regulation des Harndrangs

Oxybutynin
Solifenacin

Tolterodin

Blockade der Schweißproduktion

Antidepressiva

SSRI


Absenkung des Natriumspiegels, vor allem bei Älteren

 

Werbung

So beeinflusst der Klimawandel Allergien

Mit dem Klima verändert sich die Umwelt. Insbesondere Asthmatiker leiden unter der Kom­bination aus Hitze, bodennahem Ozon, Luft­verschmutzung und einer zunehmenden Menge an Allergenen. Nach aktuellen Erhebungen des Robert Koch­-Instituts berichtet knapp ein Drittel der Erwachsenen in Deutschland von allergischen Beschwerden. Elf Prozent der Kinder und Jugend­lichen haben eine Heuschnupfen­-Diagnose. Die häufigsten Allergene sind Pollen.

Tatsächlich beobachtet Umweltmedizinerin Traidl­-Hoffmann mit ihrem Team eine beunruhigende Zunahme aggressiver Pollen, vor allem in den Städten. Zum einen breiten sich invasive Arten mit hochallergenen Pollen aus. Zusätzlich reagieren auch heimische Arten auf den Klimawandel. „Die Pollenbelastung dehnt sich über das Jahr immer länger aus“, sagt sie. Haselnusspollen fliegen heu­te im Durchschnitt 15 Tage früher als im Beobach­tungszeitraum 1961 bis 1990, die der Erle 13 Tage früher. Gleichzeitig gibt es Anzeichen, dass die Pollen mancher Pflanzen, etwa von Gräsern, auch noch später im Jahr unterwegs sind. Die pollenfreie Zeit verkürzt sich mehr und mehr.

Als Stressreaktion auf Hitze, Trockenheit und Feinstaub produzieren Pflanzen zudem mehr und aggressivere Pollen, was die Haut vieler Neuro­dermitis Patienten reizt. „Neurodermitis ist eine Barrierestörung der Haut“, erklärt Sonja Ständer, Professorin für Dermatologie und Neurodermato­logie an der Universität Münster. Den Betroffenen fehlen wichtige Hautfette. Die Haut trocknet aus und wird durchlässiger für Pollen und andere Um­weltallergene. Bis zu 80 Prozent der Betroffenen reagieren mit Ekzemen. „Entscheidend ist, die Neurodermitis selbst gut zu behandeln sowie Fett und Feuchtigkeit mit geeigneten Cremes zuzufüh­ren, um die Barriere zu unterstützen“, sagt Ständer. Auch ohne Allergene strapazieren Hitze, hohe Luftfeuchtigkeit und Schwitzen die äußere Hülle. „Vor 20 Jahren hatten Betroffene mit Hauterkran­kungen im Sommer meist Ruhe“, sagt Ständer. Diese Pause gebe es nicht mehr. „Dafür beobachten wir die Zunahme von juckreizdominierter Neuro­dermitis“, so die Dermatologin. Ein Auslöser ist wahrscheinlich die vermehrte Schweißproduktion. Die zugrunde liegenden Mechanismen sind noch nicht ganz geklärt. „Möglicherweise fehlt es den Schweißdrüsen an Dichtigkeit. Der Schweiß dringt in die Dermis ein, die zweitoberste Hautschicht, was dann zu Juckreiz führt“, sagt Ständer.„Zudem schädigt eine veränderte Zusammensetzung des Schweißes die Hautbarriere zusätzlich und verhin­dert deren Heilung.“ Juckreiz und Kratzen schwächen die Barriere zusätzlich.
FOCUS-Gesundheit 02/2024 - Die große Ärzteliste 2024

© FOCUS-Gesundheit

Die große Ärzteliste 2024

FOCUS-Gesundheit 02/24
Dieser Artikel ist eine gekürzte Fassung. Den vollständigen Text finden Sie in der Ausgabe Die große Ärzteliste 2024. Weitere Themen: Immuntheapien bremsen Nahrungsmittelallergien. Sexuell übertragbare Krankheiten treffen jedes Alter. U.v.m.

So beeinflusst Schweiß Neurodermitis

Die Zwillinge Emilie und Leonie Quast leiden unter dieser Form der Neurodermitis. Wollen die 21­-Jährigen zum Wandern, reicht es nicht, Brot­zeit und Wasser in den Rucksack zu packen. „Ich muss darauf achten, dass meine Kleidung locker sitzt und luftig ist, damit ich nicht schwitze“, sagt Leonie. Zwiebel-Look sei ein Muss, damit sie jederzeit eine Schicht ablegen könne. „Und der Wanderrucksack muss so sitzen, dass er mög­lichst wenig Kontakt zum Körper hat“, ergänzt Emilie. „Zwischendurch setzen wir ihn ab, damit Luft an die Haut kommt.“

Als besonders problematisch erleben die Zwil­linge Hitzeperioden, in denen es nachts nicht abkühlt. Der Juckreiz lässt sie nicht schlafen, der Schweiß brennt an den offenen Hautstellen in den Kniekehlen und Armbeugen. Das belastet auch die Psyche. „In einer besonders schlimmen Nacht im letzten Sommer bin ich irgendwann ins Bad gegangen, hab mich an die kalten Fliesen gelehnt, meine juckende Haut gekratzt und geweint“, er­innert sich Leonie Quast.

Die Dermatologin Sonja Ständer untersucht derzeit im Rahmen einer Studie, ob die Hautschäden mit einer Therapie zu reparieren sind. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich die Über­reaktion der Haut umkehren lässt. Auch Leonie und Emilie erhalten diesen bereits zugelassenen Wirkstoff. „Mir hat das viel Lebensqualität zurück­gegeben“, sagt Emilie Quast. Körperliche Nähe war in Hitzeperioden immer unangenehm. „Jetzt kann ich sogar bei warmen Temperaturen wieder mit meinem Freund kuscheln.“ Dem nächsten Hitzesommer sehen die beiden gelassen entge­gen.„Ich habe gelernt, mich an ein kühles, schattiges Plätzchen zurückzuziehen, um nicht zu sehr ins Schwitzen zu kommen“, sagt Leonie Quast. „Und bei Unternehmungen muss immer die rich­tige Kleidung und passende Creme für die Haut in der Tasche sein“, ergänzt Emilie.

Herzpatient Wiese ist froh, dass sein Arbeits­umfeld sich mittlerweile mehr und mehr auf die inzwischen gar nicht mehr ungewöhnlichen Tem­peraturen im Sommer einstellt. Büros und Ver­handlungssäle sind zunehmend mit Klimaanlagen ausgestattet. Auch die Arbeitsorganisation wird angepasst. „Wenn es richtig heiß ist, stellen wir schon mal einen Antrag, bereits um acht Uhr anfangen zu können. Oder wir verhandeln nur bis elf und vertagen dann.“

Hitze lässt sich eben manchmal nur umgehen. Wer auf die Hitzewarnungen des Deutschen Wetterdienstes achtet, ist vorbereitet.

© FOCUS-Gesundheit

Die große Ärzteliste 2024

FOCUS-Gesundheit 02/24
Immuntheapien bremsen Nahrungsmittelallergien. Sexuell übertragbare Krankheiten treffen jedes Alter. Plus: 4.100 Experten für 126 Erkrankungen und Fachgebiete. U.v.m.

Wichtiger Hinweis

Dieser Artikel enthält allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder –behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen. Den passenden Arzt finden Sie über unser Ärzteverzeichnis.

Höchster Qualitätsanspruch: So arbeiten wir.

Fragen? Schreiben Sie uns!

Dr. Andrea Bannert

Redaktionsleitung DIGITAL FOCUS-Gesundheit

Facebook Logo Instagram Logo Email Logo
Fragen Bild
Redaktor Bild

Hinweis der Redaktion

Im Sinne einer besseren Lesbarkeit unserer Artikel verwenden wir kontextbezogen jeweils die männliche oder die weibliche Form. Sprache ist nicht neutral, nicht universal und nicht objektiv. Das ist uns bewusst. Die verkürzte Sprachform hat also ausschließlich redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung. Jede Person – unabhängig vom Geschlecht – darf und soll sich gleichermaßen angesprochen fühlen.

Weitere Online-Angebote:

Services der © BurdaVerlag Data Publishing GmbH, Deutsches Institut für Qualität und Finanzen