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Zwangsstörungen

Kontrollieren, ob der Herd aus ist, sich häufig die Hände waschen. Ab wann liegt eine Zwangsstörung vor und wie lässt sich diese am besten behandeln?

Geprüft von Sophie Sonnenberger, Medizinredakteurin

Veröffentlicht:
Aktualisiert: 2023-08-10T00:00:00+02:00 2023-08-10T00:00:00+02:00

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Inhaltsverzeichnis
Akribisch angeordnete Büromittel, wie Klammern und Bleistifte, ein Bleistift fällt aus der Ordnung

© Shutterstock

Definition: Was ist eine Zwangsstörung?

Von einer Zwangsstörung bzw. Zwangserkrankung (der englische Fachbegriff ist Obsessive-Compulsive Disorder, kurz OCD) sprechen Psychologen, wenn ein Mensch einen starken inneren Druck spürt, bestimmte Handlungen (z.B. die Kontrolle des Herds) zahlreiche Male nach einem ritualisierten Schema durchzuführen oder er verstörende Gedanken hat, die immer wieder und wieder auftauchen. Der Begriff „Zwangsneurose“ ist die veraltete Bezeichnung für eine Zwangsstörung.

Der Zwang entwickelt sich meist im Zusammenhang mit der größten Angst, die ein Betroffener hat. Wer zum Beispiel befürchtet, durch Fahrlässigkeit einen schweren Fehler zu begehen, ist anfällig für einen Kontrollzwang. Wer Angst hat, sich mit einer Krankheit zu infizieren, wird zu einem Waschzwang neigen. Durch die Ausübung der Zwänge versucht der Betroffene, Ängste zu lindern und ein Sicherheitsgefühl herzustellen. Der Zwang gibt ihm Halt im Leben.

Zwangsstörungen: Katastrophendenken

Ängste sind bei Menschen, die an Zwangsstörungen leiden, sehr stark vorhanden – sie neigen zu Katastrophendenken (Ein Beispiel für eine Zwangsstörung, die sich als Katastrophendenken äußert: „Wenn ich die Wohnungstür nicht richtig abgeschlossen habe, wird bestimmt eingebrochen und alles gestohlen, ich stehe dann vor dem Nichts und mein Leben ist vorbei!“).

Sie kontrollieren deshalb zigmal, ob die Tür zu ist und führen dabei oft spezielle Rituale durch, wie den Schlüssel genau zehnmal hin und her drehen, mehrere Male fest am Türknauf rütteln, die Hände auf die Tür legen und dagegen drücken. Einige machen am Schluss noch ein Foto mit ihrem Handy von der Tür, um sich später nochmal zu vergewissern, dass sie wirklich ganz, ganz sicher zu ist.

Erst wenn sie die zwanghaften Rituale ihrem Empfinden nach oft genug durchgeführt haben, löst sich die innere Anspannung etwas und sie können sie für dieses Mal beenden. Andere kontrollieren unzählige Male den Herd, waschen sich sechzigmal am Tag die Hände, ordnen jedes Buch mit einem Maßband millimetergenau im Regal ein oder müssen jeden Gegenstand dreimal berühren, bevor sie ihn in die Hand nehmen können. 

Manche Betroffene haben den trügerischen Eindruck, dass ihre zwanghafte Verhaltensweise tatsächlich der Grund dafür ist, dass sie bisher ein Unheil (etwa einen Einbruch oder eine Krankheit) verhindern konnten. Andere wissen, dass ihr Verhalten ziemlich übertrieben oder gar unsinnig ist. Es ist ihnen unangenehm und sie schämen sich dafür, manche entwickeln gar einen Hass auf die Zwänge. Wenn sie jedoch versuchen, dem Zwang zu widerstehen und ihn nicht auszuführen, verspüren sie Nervosität und eine innere Unruhe, die sich bis zu Angstzuständen steigern kann. Es können zudem körperliche Symptome wie Zittern, Schweißausbrüche und Herzrasen entstehen. Sobald die Person dann die zwanghaften Handlungen durchführt, lässt die Anspannung nach.

Für die Betroffenen ist es daher fatalerweise angenehmer, den Zwang auszuüben, als dies nicht zu tun.

Zwangsstörungen: Häufigkeit

Etwa zwei bis drei Prozent der Bevölkerung in Deutschland sind von einer Zwangsstörung betroffen. Sie entsteht meist zwischen dem 20 und 25. Lebensjahr, kann aber auch in späteren Jahren oder schon in der Kindheit auftreten. Der durchschnittliche Betroffene leidet bereits seit sieben Jahren an der Zwangserkrankung, bis er sich erstmals in eine Behandlung begibt. Zu diesem Zeitpunkt haben sich die Zwänge schon lange verfestigt.

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Zwangsstörungen: Symptome

Die verschiedenen Arten von Zwangsstörungen

Bei Zwangserkrankungen (früher Zwangsneurose) können Symptome in vielfältiger Weise auftreten. Fachleute unterscheiden zwischen Zwangshandlungen und Zwangsgedanken. Während die Zwangshandlungen tatsächlich ausgeführt werden, spielen sich die Zwangsgedanken nur im Kopf ab. Es kommt jedoch selten vor, dass eine Person nur Zwangsgedanken ohne Zwangshandlungen aufweist, die meisten der Betroffenen leiden an beiden Störungen, beispielsweise an einem Kontrollzwang und an Zwangsgedanken.

Zwangshandlungen

Für zwanghaftes Verhalten typische Beispiele sind:

  • Waschzwang/Reinigungszwang
  • Kontrollzwang (umgangssprachlich auch Kontrollsucht genannt)
  • Ordnungszwang
  • Sammelzwang (einschließlich Messie-Syndrom)
  • Zählzwang
  • Wiederholzwang
  • Berührzwang

Zwangsstörung und Sexsucht

Experten zählen die sogenannte Sexsucht (Hypersexualität) zu den zwanghaften Sexualverhaltensstörungen, die den Impulskontrollstörungen zugeordnet wird. Dabei ist ein gesteigertes Sexualverhalten, sei es mit Partner oder etwa ein exzessiver Pornografie-Konsum, an sich noch keine Sexsucht. Sie liegt erst dann vor, wenn die betroffene Person die Kontrolle über das sexuelle Verhalten verloren hat und die Störung über mindestens sechs Monate hinweg anhält. Sexsucht geht zudem mit entsprechenden sozialen Folgen für Beziehung, Familie und Berufsleben einher.

Zwangsgedanken

  • Zwangsvorstellung
  • Magisches Denken
  • Grübelzwang

Bei manchen Menschen besteht die Zwangsstörung darin, dass sich bestimmte Gedanken aufdrängen. Für solche Zwangsgedanken sind diese Beispiele typisch:

  • Angst vor Krankheitserregern und davor sich anzustecken
  • Angst etwas Wichtiges vergessen zu haben
  • Die Vorstellung sich selbst oder einer anderen Person Gewalt anzutun

Zwangsstörung bei jungen Müttern: Erhöhtes Risiko?

Untersuchungen zeigen, dass Zwangsstörungen, etwa in Form von Zwangsgedanken vor und nach der Geburt erhöht sein kann. Auch das Risiko, dass sich eine Zwangsstörung im Zeitraum um die Geburt verschlechtert, ist größer.

Ab wann sind Rituale bedenklich?

Einige dieser Verhaltensweisen treten natürlich auch bei gesunden Menschen auf. Viele schauen zum Beispiel nochmal genau nach, ob das Bügeleisen wirklich ausgeschaltet ist, bevor sie die Wohnung verlassen, mögen es, wenn die Bücher akkurat im Regal stehen und das Haus stets aufgeräumt und geputzt ist

Entscheidend für die Diagnose als psychische Störung ist das Ausmaß dieser Handlungen: Verbringt man nur ein paar Minuten mit der Kontrolle von Herd, Fenster und Tür oder dauert es bis zu einer Stunde, bis man damit fertig ist? Fühlt man sich einfach sicherer, wenn man nochmal alles überprüft hat oder befürchtet man sonst eine furchtbare Katastrophe wie einen Hausbrand oder eine Überschwemmung zu verursachen. Ist es okay, wenn mal nicht überprüft, ob die Tür abgeschlossen ist oder spürt man dann sofort eine enorme innere Anspannung und Angst, die so stark ist, dass man die Kontrolle doch durchführen muss?

Viele Betroffene leiden zudem sehr daran, dass sie ihr zwanghaftes Verhalten durchführen müssen und es nicht schaffen, damit aufzuhören. Dieser Leidensdruck ist ein weiteres deutliches Symptom dafür, dass eine psychische Erkrankung vorliegt.

Die gravierenden Folgen einer Zwangsstörung

Betroffene müssen täglich viel Energie und Zeit investieren, um ihrem Zwang nachzugehen, im Durchschnitt verbringt ein Betroffener täglich bis zu vier Stunden mit Zwangshandlungen. Das kann zum einen Folgen für ihren Berufsalltag haben, indem sie etwa oft zu spät zur Arbeit kommen, zuviel Zeit brauchen, um eine berufliche Aufgabe zu erledigen oder Schwierigkeiten haben, mit anderen zusammenzuarbeiten.

Auch Partner, Familie und Freunde leiden oft unter der Zwangsstörung des Betroffenen. Wenn zum Beispiel kein Besuch mehr zu Hause erscheinen darf, weil die Gäste Schmutz und Keime mitreinbringen könnten, alle Gegenstände daheim stets exakt eingeordnet sein müssen und der Zwangskranke wütend wird, sobald ein Handtuch mal nicht genau nach der von ihm festgelegten Ordnungsregel aufgehängt ist oder die Familie bereits mit dem Auto Richtung Urlaubsort losgefahren ist und der Betroffene darauf besteht, nochmal umzukehren, um erneut den Herd daheim kontrollieren zu können (der bereits zehnmal davor von ihm überprüft wurde), erzeugt das Streit und gravierende Konflikte.

Ein Zwang kann auch die Gesundheit des Betroffenen schädigen. Wenn ein Mensch mit Waschzwang täglich stundenlang duscht und sich fünfzigmal die Hände wäscht, hat er seine Haut bald wundgescheuert, es können Risse, blutige Stellen, Ekzeme und Entzündungen auftreten.

Generell können alle Zwänge das Berufs- und Privatleben des Betroffenen belasten, zur Kündigung, Trennung und sozialen Isolation führen und die Entstehung weiterer Erkrankungen wie eine Depression oder Sucht begünstigen. 

Zwangsstörung als Zeichen von Intelligenz?

Es war Sigmund Freud, Begründer der Psychoanalyse, der einst behauptete, dass Personen, die an einer Zwangsstörung erkrankt sind, einen höheren Intelligenz-Quotienten besitzen. Diese These hat eine Studie der Universitäten Ben-Gurion, Texas State und North Carolina (Chapel Hill) widerlegt. Die Forscher untersuchten in einer Meta-Analyse 98 psychiatrische Studien und fanden heraus, dass Zwangserkrankungen nicht mit einem höheren IQ verbunden sind, sondern die Betroffenen in der Regel einen normalen IQ aufweisen.

Ein Irrtum ist auch, dass Zwangskranke eine Gedächtnisbeeinträchtigung haben. So wird beispielsweise das wiederholte Kontrollieren eines Herds nicht dadurch verursacht, dass der Betroffene die wahrgenommenen Informationen („Der Herd ist aus“) schlechter verarbeitet und mangelhaft im Gedächtnis abspeichert, sondern dadurch, dass er große Angst hat, einen Fehler zu begehen und in bestimmten (zwangsauslösenden) Situationen seiner Wahrnehmung oder seiner Erinnerungsfähigkeit nicht traut.

In Momenten, die nichts mit Schuld und Verantwortung zu tun haben, zweifelt er seine Merkfähigkeit nicht an.

Zwangsgedanken

Dies sind Gedanken, Vorstellungen oder Impulse, die den Betroffenen immer wieder beschäftigen und ihn quälen können.

Beispiele für Zwangsgedanken:

Meist haben Zwangsgedanken aggressive, sexuelle oder blasphemische Inhalte. Betroffenen fallen beispielsweise während eines beruflichen Meetings oder bei einem Essen mit den Schwiegereltern obszöne Wörter ein und sie befürchten, dass sie diese Begriffe sofort laut aussprechen und die anderen sie dann für „verrückt“ halten könnten. Manche Betroffene haben den Gedanken, den geliebten Partner mit einem Messer zu attackieren oder ihn zu töten.

Die Zwangskranken sind entsetzt, dass sie diese Gedanken haben und schämen sich dafür. Auch Gedanken wie „Was wäre, wenn ich jetzt vor den ankommenden Zug springe? Oder mich vom Balkon hinabstürze?“ können vorkommen. Der Betroffene hat keinerlei Suizidabsichten und ist erschrocken darüber, manchmal so sehr, dass ihm flau im Magen wird und er sich sicherheitshalber irgendwo festhält.

Auch das sogenannte magische Denken gehört zu den Zwangsgedanken. Betroffene entwickeln hierbei meist eigene Glaubenssätze, wie etwa: Wenn ich im Flugzeug den Sitzplatz 22 bekomme, wird die Maschine nicht abstürzen oder wenn jetzt gleich im Radio mein Lieblingslied läuft, habe ich Erfolg beim morgigen Vorstellungsgespräch. Andere haben die Befürchtung, dass ein bestimmter Gedanke verheerende Folgen für jemand haben könnte. Sie lesen zum Beispiel die Todesanzeige einer fremden Person in der Zeitung und denken, dass sie dadurch den Tod eines eigenen Verwandten oder engen Freundes auslösen könnten.

Grübelzwang: Bei einem Grübelzwang denkt der Zwangskranke sehr oft über negative Dinge nach, zum Beispiel, ob er bei einem Gespräch mit einem Kollegen oder einem Freund etwas Beleidigendes gesagt hat. Oft versuchen sich Betroffene dann rückzuversichern und fragen andere, ob sie etwas Merkwürdiges geäußert haben. Manche Zwangskranke sprechen deswegen nie auf Anrufbeantworter, aus Angst, dass sie etwas Falsches sagen und dies dann auf dem Band festgehalten wird.   

Zwangshandlungen

Dies sind bestimmte Handlungen, die sehr oft und nach bestimmten Regeln durchgeführt werden. Der Betroffene traut seiner eigenen Wahrnehmung nicht und braucht diese ritualisierten Handlungen, um sich ein Sicherheitsgefühl zu geben, dass er keinen gravierenden Fehler macht oder gar eine Katastrophe verursacht.

Während des zwanghaften Handelns, spürt er eine leichte Entspannung. Widersetzt er sich hingegen dem Zwang und übt die Rituale nicht aus, verstärkt sich die innere Anspannung und die Angst deutlich.

Zwanghaftes Verhalten und typische Beispiele:

Waschzwang/Reinigungszwang

Betroffene haben vehemente Angst, sich mit Krankheitserregern (vor allem von schweren Erkrankungen wie etwa HIV oder Hepatitis) anzustecken und reinigen daher sehr oft intensiv ihren Körper, vor allem ihre Hände. Sobald sie zum Beispiel eine Türklinke angefasst oder jemand die Hand gegeben haben, verspüren sie sofort den Drang, sich die Hände gründlich zu säubern.

Manche reinigen dabei die Hautflächen von den Händen bis zu den Ellenbögen fünf bis zehn Minuten lang. Dies kann zudem so gravierende Ausmaße annehmen, dass der Zwangskranke seinen Körper nicht nur mit Seifenprodukten reinigt, sondern auch mit Putzmitteln abschrubbt.

Manche Betroffene können sich im Bus nicht auf einen Platz setzen, weil dort zuvor fremde Menschen saßen und die Angst entsteht, dass sich an der Stelle Keime befinden. Auch wenn etwa eine Einkaufstüte auf den Fußboden gestellt wurde, kann ein Zwangskranker den Impuls spüren, alle Lebensmittel, die sich in der Tüte befinden, sofort abzuwaschen oder sie wegzuwerfen.

Der „Sauberkeitsfimmel“ erstreckt sich bei manchen Menschen auf die komplette Wohnung. Sie schrubben täglich das Bad (manchmal wird jede Kachel einzelnen minutenlang gesäubert) und putzen auch andere Wohnräume gründlich. Einige verwenden hierbei Flächendesinfektionsmittel, die normalerweise in Krankenhäusern verwendet werden, um daheim möglichst alle Keime zu vernichten.

Kontrollzwang

Betroffene kontrollieren zum Beispiel zwanzigmal, ob der Herd oder das Bügeleisen ausgeschaltet ist. Manche halten dabei die Hand auf die Platte, drehen zigmal am Schalter vor- und zurück oder starren lange auf das Gerät, um sich zu vergewissern, dass es ganz sicher ausgeschaltet ist. Andere ziehen, bevor sie ihr Zuhause verlassen, alle Stecker von Geräten aus der Steckdose und platzieren diese in einem Sicherheitsabstand zur Steckdose, rütteln an der Haustür und überprüfen mehrmals, ob die Handbremse im Auto fest angezogen ist.

Einige Zwangskranke haben eine Check-Liste, nach der sie die Wohnung überprüfen (etwa erst die Steckdosen, dann der Herd, dann der Wasserhahn, dann die Tür). Läuft die Kontrolle eines dieser Dinge nach ihrem Empfinden nicht optimal ab, fangen sie von vorne an, alles zu überprüfen. Es liegt nahe, dass für diese Zwangskranken das Verlassen der Wohnung eine große Anstrengung bedeutet.

Da sie zudem lange brauchen, bis sie mit ihrem Kontroll-Ritual „fertig“ sind, kommen viele zu spät zur Arbeit oder zu privaten Verabredungen. Dieses Zuspätkommen ist ein typisches Symptom bei Kontrollzwängen. Weil sich die Betroffenen für ihr Verhalten schämen, verwenden sie oft Notlügen, um ihre Unpünklichkeit zu erklären.

Es gibt Zwangskranke, die Angst haben, beim Autofahren einen Menschen überfahren zu haben, und dies nicht bemerken. In großer Sorge fahren sie die Strecke (dies können auch 100 km oder mehr sein) nochmal ab und kontrollieren, ob auf der Straße oder am Wegesrand ein Verletzter liegt. Manche hören dabei die Radionachrichten und achten angestrengt darauf, ob es eine Unfallmeldung mitsamt Fahrerflucht gibt. Es kann sein, dass sie auf dem Rückweg dann erneut unsicher werden und wieder alles abfahren und absuchen.

Kontrollzwänge können Beziehungen, Partnerschaften oder das Zusammenleben in der Familie negativ beeinflussen.

Ordnungszwang

Betroffene erleben einen sehr hohen Druck, alle Gegenstände in der Wohnung und am Arbeitsplatz unbedingt nach einem bestimmten System zu ordnen. Dieses Ordnungsprinzip legen sie selbst fest. Sie sortieren etwa alle Kleidungsstücke nach ihrer Farbe im Schrank ein und stapeln diese exakt übereinander oder sie platzieren Bücher im Regal so, dass alle Buchrücken millimetergenau eine gerade Linie bilden, es darf kein Buch gekippt sein oder oben drauf liegen.

Ist dies der Fall, wird der Betroffene sehr unruhig, verspürt eine starke innere Anspannung und versucht dann – im wahrsten Sinne des Wortes – schnell wieder die gewohnte Ordnung herzustellen und räumt das Buch gerade ein. Es kann auch vorkommen, dass er immer wieder zum Bücherregal zurück geht, um Korrekturen vorzunehmen. Er kann viele Minuten oder gar Stunden damit verbringen, alles ganz exakt zu platzieren.

Auch im Büro ist der Schreibtisch meist penibel aufgeräumt, Stifte liegen haargenau nebeneinander (oder in einem bestimmten Winkel) und alles ist stets möglichst an seinem vorgesehenen Platz positioniert.

Zählzwang

Betroffene haben das zwanghafte Bedürfnis, Zählrituale durchzuführen. Sie zählen andauernd Dinge oder Menschen, die ihnen im Alltag begegnen, das können Straßenlaternen, Bäume, Autos und Passanten sein. Manche berühren zudem nur jeden zweiten Pflasterstein mit den Füßen oder müssen in Gedanken immer auf 1-2-3 zählen, bevor sie einen Laden betreten oder bei einer Ampel über die Straße gehen.

Wiederholzwang

Manche Zwangskranke haben den Drang, Handlungen oder Sätze zu wiederholen. Sie müssen etwa die Bettdecke genau zwölfmal abends aufschütteln, damit sie sich beim Einschlafen entspannt fühlen oder jeden Satz, den sie aussprechen im Stillen nochmal echomäßig nachsagen. 

Berührzwang

Hierbei müssen Betroffene Dinge oder Personen kurz anfassen. Es ist wie ein magisches Ritual, das Unglück verhindern soll. Manche Eltern tippen ihrem Kind beispielsweise zum Abschied immer kurz an die Schulter. Das Berühren kann zudem in einer bestimmten Reihenfolge ablaufen. In manchen Fällen hingegen vermeidet eine Person den Kontakt von bestimmten Sachen konsequent. Auch dies soll helfen, Unheil abzuwenden.

Sammelzwang

Viele Menschen sammeln gerne etwas, bei dem einen sind es Briefmarken, bei anderen kleine Modellautos oder Urlaubssouvenirs. Sie wählen dabei die Objekte mit Bedacht aus und platzieren sie in der Regel an einem besonderen Platz in der Wohnung. Anders ist es bei Menschen, die an einem Sammelzwang leiden. Sie horten unorganisiert und wahllos zahlreiche Gegenstände daheim, meist sammeln sie Papierprodukte (Zeitungen, Prospekte, Zettel, Bücher, Briefe etc.), aber auch Küchengeräte, Kleidung, Schuhe, Lebensmittelverpackungen wie Joghurtbecher oder Müslischachteln werden oft stapelweise gehortet.

Sie sind nicht fähig, Dinge wegzuwerfen, aus Angst, dass sie diese später doch nochmal brauchen könnten. Die Betroffenen sammeln diese Gegenstände auch deshalb, weil sie für sie einen emotionalen Wert haben, entweder, weil Erinnerungen an geliebte Menschen damit verbunden sind (etwa Kleidungsstücke der Kinder, Möbel und Bücher der Eltern) oder weil sie sich durch die unzähligen Sachen zuhause nicht alleine fühlen. Die Gegenstände treten an die Stelle sozialer Nähe, sie lindern die innere Leere, verleihen ein Gefühl von Geborgenheit und stärken das Selbstwertgefühl der Betroffen.

Darüber hinaus haben die Zwangskranke große Probleme damit, den Alltag effizient zu planen, Aufgaben strukturiert zu erledigen und Wichtiges von Unwichtigem zu trennen.

Das Vermüllungssyndrom (Messie-Syndrom)

Im Laufe der Zeit entsteht in der Wohnung dann ein immer größeres Chaos, zahlreiche Gegenständen bilden große Haufen in den Zimmern oder türmen sich bis zur Decke. Während manche Betroffene noch ein Ordnungssystem im Chaos haben und sich in der Wohnung noch zwischen den einzelnen meterhohen Stapeln bewegen können (hier besteht manchmal ein Gangsystem, das an die Bauten von Nagetieren erinnert), noch auf Körperhygiene achten und einem Beruf nachgehen, herrscht bei anderen eine totale Verwahrlosung.

Die Wohnung gleicht einer Müllhalde, der Gang zum Herd und WC ist erschwert oder nicht mehr möglich, zahlreicher Abfall, Essenreste und auch Exkremente liegen herum und es herrscht ein stinkender Geruch. Betroffene sind auch selbst verwahrlost. 

Psychologen bezeichnen dieses exzessive Sammeln auch als Vermüllungssyndrom, im Volksmund hat sich hierfür der Begriff „Messie-Syndrom“ (vom englischen Wort „mess“ = Unordnung, Chaos) etabliert. Allerdings sind die Ursachen für solch ein Vermüllungssyndrom vielfältig, es kann eine Zwangserkrankung dahinterstecken, aber auch eine Angststörung, eine Depression, Suchterkrankung oder Demenz.

Das Vermüllungssyndrom tritt in allen sozialen Schichten auf, der Erkrankungsgipfel liegt bei Personen im mittleren Lebensalter. In Deutschland gibt es mehr als 1,8 Millionen Menschen, die in solchen chaotischen Wohnungen leben, so die Schätzung der Selbsthilfegruppe „Anonyme Messies“.

Eine Sonderform des Messie-Syndroms ist das sogenannte Animal-Hoarding (das Sammeln von Haustieren). Im Durchschnitt haben solche Tierhorter 76 Tiere zuhause, die unter den engen Platzverhältnissen und der mangelhaften Ernährung und Hygiene enorm leiden.

Selbst wenn die Wohnung fast komplett zugemüllt ist, holt sich der Zwangskranke in der Regel keine Hilfe. Betroffene neigen eher dazu, ihren Sammelzwang noch auszuweiten, indem sie etwa eine Garage oder eine Abstellkammer anmieten.

Wird die Wohnung entrümpelt oder zwangsgeräumt, ist dies für den Betroffenen eine sehr brisante Situation. Die Trennung von den gesammelten Gegenständen erleben manche als Verlust eines Teils ihrer Identität, dies kann Trauer, Ängste und Panik auslösen. In schweren Fällen begeht die Person daraufhin Suizid.

Es reicht daher auf keinen Fall, nur die Wohnung aufzuräumen, sondern ein Mensch, der an einem Vermüllungssyndrom leidet, braucht unbedingt auch psychotherapeutische Hilfe.

Zwangsstörungen bei Kindern

Für Kinder sind Rituale sehr wichtig, um ihnen ein Sicherheitsgefühl zu geben, etwa abends das Vorlesen der Gute-Nacht-Geschichte, der Abschiedskuss auf die Stirn von Mama, wenn das Kind in die Kita geht, oder das dreimalige Pusten einer Wunde, damit sie schneller heilt.

Es kann in Umbruchphasen wie der Einschulung oder dem Umzug in eine andere Stadt vorkommen, dass ein Kind eigene Rituale entwickelt, um besser mit der Situation klarzukommen. Meist sind diese harmlos und verschwinden auch oft wieder. Hellhörig werden sollten Eltern allerdings, wenn das Kind plötzlich häufiger bedrückt ist, sich zurückzieht und ein auffälliges Verhalten entwickelt, sich etwa häufig die Hände wäscht, bestimmte Dinge oft zählt oder die Fenster und Türen kontrolliert.

Die Kinder achten dabei sehr genau auf die Durchführung bestimmter Rituale. Wenn Eltern diese Verhalten bei ihrem Nachwuchs bemerken, sollten sie einen Kinder- und Jugendpsychiater aufsuchen, um sich beraten zu lassen.

Zwangshandlungen werden von Kindern meist deswegen durchführt, um Ängste zu lindern oder um Unheil zu vermeiden.

Zwangsstörungen: Ursachen

Eine Zwangserkrankung kann verschiedene Ursachen haben, so tragen zum Beispiel folgende Faktoren dazu bei:

Erblich bedingte Faktoren

Eine erbliche Veranlagung spielt eine zentrale Rolle bei der Entwicklung einer Zwangserkrankung. So gibt es in manchen Familien ein gehäuftes Auftreten von Zwangserkrankungen, sind Verwandte ersten Grades wie Mutter oder Vater davon betroffen, ist das Risiko erhöht, dass das Kind auch eine genetisch bedingte Anfälligkeit für psychische Probleme besitzt.

Zwangsstörung: Ursachen in der Kindheit

Die Erziehung im Elternhaus spielt bei der Entstehung von Zwangserkrankungen ebenfalls eine große Rolle. So können die Eltern dem Kind vorleben, dass das Zuhause immer penibel sauber sein muss oder dass man alle Geräte mehrmals kontrollieren muss, bevor man die Wohnung verlässt.

Oft stammen Zwangskranke aus sehr strengen Familien, die hohe Erwartungen an die Kinder (in Bezug auf schulische, sportliche oder künstlerische Leistungen) hatten und Fehler bestraft haben. Auch wenn die Eltern sehr strikte Moralvorstellungen (etwa „Sexualität ist unrein“) haben, das Kind stark kontrollieren, es überfürsorglich behandeln oder es ablehnen und vernachlässigen, kann dies beim Nachwuchs eine psychische Erkrankung verursachen.

Es kann zudem der Fall sein, dass ein Elternteil etwa aufgrund einer Depression oder Alkoholsucht kaum noch in der Lage ist, den Alltag zu bewältigen und ein Kind schon früh die Rolle des Elternteils übernehmen muss (Psychologen nennen dies Parentifizierung) und daraufhin anfängt, den Herd, Fenster und Haustür regelmäßig zu kontrollieren, um sich selbst ein Sicherheitsgefühl zu geben, das es sonst durch die instabilen Verhältnisse zuhause nicht hat.   

Möglich ist auch, dass sich in einer Familie ein schwerer Schicksalsschlag ereignet hat, beispielsweise eine Krebserkrankung eines Elternteils, aber die Erwachsenen mit dem Kind nicht darüber sprechen und es mit seinen Fragen und Ängsten alleine lassen. Das Kind kann später eine sehr große Angst vor Krankheiten und eventuell einen Reinigungszwang entwickeln.

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Zwangsstörungen behandeln

Viele fragen sich: Was tun gegen die Zwangsstörungen? Wie kann ich die Zwangsstörung wieder loswerden? Und: Ist eine Zwangsstörung heilbar? Bei der Therapie von Zwangsstörungen hat sich vor allem die Kognitive Verhaltenstherapie als wirksam erwiesen. Etwa 70 Prozent der behandelten Patienten berichten von einer deutlichen Verbesserung der Symptome. Sie sollte auf jeden Fall bei einem speziell ausgebildeten Therapeuten erfolgen.

Psychotherapie bei Zwangsstörung

Welche Art der Psychotherapie zum Einsatz kommt, hängt außerdem davon ab, ob eventuell weitere psychische Erkrankungen bei dem Patienten vorliegen. So leiden bis zu 70 Prozent der Zwangskranken auch an einer Depression, bis zu 35 Prozent an einer Angststörung, bis zu 24 Prozent an einer Sozialphobie. Nur wenn diese Erkrankung ebenfalls behandelt wird, kann die Therapie der Zwangsstörung erfolgreich verlaufen.

Ist eine Angsterkrankung die Ursache für die Zwänge, kann auch eine tiefenpsychologische Therapie sinnvoll sein, um den Ängsten auf den Grund zu gehen.

Die Verhaltenstherapie wird in der Regel ambulant durchgeführt, nur in schweren Fällen kann eine stationäre Behandlung ratsam sein.

Kognitive Verhaltenstherapie bei Zwangsstörung

Das Grundprinzip der Kognitiven Verhaltenstherapie ist, dass der Mensch jedes Verhalten, das er mal gelernt hat auch wieder verlernen kann. Auch Zwänge gehören zu dem gelernten Verhalten und können demzufolge wieder „abtrainiert“ werden.

Um dies zu erreichen besteht die Kognitive Verhaltenstherapie sozusagen aus zwei Säulen:

Bei der Behandlung von Zwängen geht es zum einen darum, gedankliche Fehleinschätzungen zu verändern und die Ängste, die durch den Zwang gelindert werden sollen, gedanklich (kognitiv) objektiver zu betrachten.

Der Therapeut bespricht mit dem Patienten etwa, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine befürchtete Situation tatsächlich eintritt und wie gefährlich diese ist, zum Beispiel: „Wie groß ist das Risiko wirklich, dass man sich eine ansteckende Krankheit einfängt, wenn man sich die Hände nicht immer sofort wäscht?“, „Wie kann man sich beispielsweise überhaupt mit HIV anstecken?“ Oder: „Wie kann ein Induktionsherd, auf dem gerade nichts steht (keine Töpfe, Pfannen etc.), denn anfangen zu brennen?“

Exposition als Therapie bei Zwangsstörung

Ein Teil der Behandlung besteht darin, sich die Zwänge sozusagen abzutrainieren. Eine zentrale Rolle spielt hierbei die Expositionstherapie, bei der der Patient in Begleitung des Therapeuten eine Situation aufsucht, die üblicherweise eine Zwangshandlung auslöst (z.B. vor einem Herd zu stehen oder einen Haltegriff im Bus anzufassen, auf dem sich Keime befinden könnten), und sich nun dem Zwang widersetzt (der Patient verlässt die Küche, ohne den Herd zu kontrollieren, er wäscht sich nach der Busfahrt nicht die Hände).

Es gilt nun, die Gefühle, die dabei hochkommen, auszuhalten. Der Patient merkt, dass die innere Anspannung und die Angst nach einer gewissen Zeit von alleine wieder abebben, ohne, dass er sein zwanghaftes Ritual dafür ausüben muss. Diese Konfrontationsübung wird so häufig wiederholt, bis der Betroffene in der Situation keinen (starken) Zwangsimpuls mehr verspürt und die Angst und Anspannung immer weniger werden.

Bei Zwangsgedanken geht es in der Verhaltenstherapie darum, sich den Unterschied zwischen Gedanken und Handlungen stärker bewusst zu machen. So ist der Gedanke „Ich verpasse meinem Kollegen eine Ohrfeige“ oder „Ich könnte meinen Nachbarn umbringen!“ weder eine Straftat, noch ein Grund für Scham. Vielen Menschen kommt so etwas mal aus Ärger oder Wut in den Sinn. Eine Handlung passiert außerdem in der Regel nicht aufgrund eines einzelnen Gedankens, sondern aufgrund einer Entscheidung, die ein Mensch trifft.

Um die zwanghaften Gedanken zu reduzieren oder loszuwerden, hat sich das sogenannte Habituationstraining bewährt. Der Patient lernt, die zwanghaften Gedanken während der Therapie zuzulassen und kann mit dem Therapeuten besprechen, wie er sich dabei fühlt.

Er kann sich auf die Weise an die Zwangsgedanken gewöhnen und nimmt sie zunehmend weniger als Bedrohung wahr. Das Ziel ist, dass sie dadurch ihren Schrecken verlieren und seltener oder im Idealfall gar nicht mehr auftauchen.

In der sogenannten Metakognitiven Therapie hingegen übt der Betroffene, die Zwangsgedanken wie andere Gedanken im Alltag anzusehen, denen man nicht viel Aufmerksamkeit schenkt. Der Patient sagt in Gedanken bewusst „Stopp!“ (sogenannte Gedanken-Stopp-Technik) und legt für sich eine Uhrzeit fest, bei der er dann höchstens 15 Minuten lang über den Zwangsgedanken grübeln darf.

Wenn er zu dieser Uhrzeit dann nicht mehr über den belastenden Gedanken nachdenken möchte, ist das auch in Ordnung. Der Zweck dieser Technik ist, dass der Betroffene deutlich weniger Zeit mit Grübeln verbringt und merkt, dass belastende Gedanken durchaus kontrollierbar sind. Das nimmt Zwangsgedanken ihre Bedrohlichkeit.

Bei der Achtsamkeitsbasierten Therapie wiederum wendet der Patient eine Technik an, mit der er Zwangsgedanken zwar wahrnimmt, aber nicht auf sie reagiert, sie nicht bewertet und sie stattdessen „wie eine Wolke am Himmel weiterziehen lässt“. Es ist hilfreich, wenn sich der Betroffene hierbei auf seine Atmung und angenehme Dinge in der Umgebung konzentriert.

Zwangsstörungen: Medikamente

Auch Medikamente kommen gegen eine Zwangsstörung mitunter zum Einsatz. Zwangserkrankungen können auch mit Hilfe von Antidepressiva behandelt werden. Ärzte verordnen hierbei sogenannte Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), die dafür sorgen, dass ein niedriger Serotonin-Spiegel ausgeglichen wird. Manche Patienten können nur mit Hilfe einer medikamentösen Unterstützung eine Expositionstherapie durchhalten.

Zwangsstörung: Therapie in der Nähe

Welcher Therapeut ist der richtige? Und wo finde ich einen Therapeuten zur Behandlung einer Zwangsstörung? Für Menschen mit einer Zwangsstörung ist es wichtig, einen Therapeuten in der näheren Umgebung zu finden. Entscheidend ist, dass der Behandelnde über eine nachgewiesene Ausbildung als Psychotherapeut verfügt. Auch die jeweiligen Krankenkassen geben meist Auskunft über zugelassene Psychotherapeuten in der Nähe.

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Zwangsstörungen: Selbsthilfe

Eine Zwangserkrankung selbst zu behandeln, ist schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Es ist daher für Betroffene unbedingt empfehlenswert, therapeutische Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Es kann allerdings sehr hilfreich sein, eine Selbsthilfegruppe aufzusuchen.

Da Zwangsstörungen noch immer eine „heimliche Krankheit“ sind, über die Betroffene aus Schamgefühlen und Angst, als „verrückt“ zu gelten, nicht gerne sprechen, kann es für sie eine enorme Erleichterung darstellen, in einem Kreis von anderen Betroffenen, die ähnliche zwanghafte Handlungen und Gedanken kennen und ausüben und deren Alltag ebenfalls dadurch geprägt ist, offen über das Thema zu reden.

Wichtig ist allerdings, dass in der Selbsthilfegruppe auch Betroffene dabei sind, die bereits eine Verhaltenstherapie machen und erfolgreich an der Behandlung ihrer Zwänge arbeiten. Indem sie von ihren Behandlungserfahrungen berichten, ermöglichen sie eine konstruktivere Auseinandersetzung mit dem Thema „Zwangserkrankung“ und sind zudem ein positives Beispiel dafür, dass es möglich ist, die Zwänge „in den Griff zu bekommen“ und das Leben wieder entspannter zu gestalten.

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Zwangsstörungen: Diagnose

Damit der Arzt die Diagnose einer Zwangsstörung stellen kann, richtet er sich nach bestimmten Diagnosekriterien:

Zwangsgedanken und/oder Zwangshandlungen bestehen über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen an der Mehrzahl der Tage. Die Zwangsgedanken und/oder Zwangshandlungen weisen folgende Merkmale auf:

  • Betroffene sagen, dass die Gedanken bzw. Handlungen von sich selbst ausgehen und nicht durch einen äußeren Einfluss, etwa durch eine andere Person zustande kommen.
  • Die Handlungen bzw. Gedanken wiederholen sich immerzu, der Betroffene empfindet diese als unangenehm und mindestens ein Gedanke oder eine Handlung bewertet er selbst als nicht sinnvoll oder übertrieben.
  • Personen mit einer Zwangsstörung empfinden es nicht als angenehm, wenn der Zwangsgedanke auftritt oder sie eine entsprechende Handlung ausüben.
  • Betroffene möchten sich den Zwängen widersetzen, wobei sie bei mindestens einer Handlung bzw. einem Gedanken keinen Widerstand leisten können.

Außerdem beschreiben Betroffene, dass sie unter den Handlungen/ Gedanken leiden und sich dadurch sozial oder in ihrer Leistungsfähigkeit beeinträchtigt fühlen.

Zusätzlich wird der Therapeut andere psychische Erkrankungen (z. B. Affektive Störungen) sorgfältig ausschließen, bevor er die Diagnose einer Zwangsstörung stellen kann.

Der Arzt oder Psychotherapeut kann zu Beginn des Untersuchungsgesprächs zudem mit ein paar Screening-Fragen feststellen, ob eine Zwangsstörung vorliegen könnte:

  • Waschen und putzen Sie sehr viel?
  • Kontrollieren Sie Gegenstände sehr oft und brauchen Sie dafür täglich viel Zeit?
  • Haben Sie quälende Gedanken, die Sie loswerden möchten, aber dies gelingt Ihnen nicht?
  • Denken Sie oft über Ordnung und Symmetrie nach und werden Sie unruhig, wenn diese nicht besteht?

Beantwortet der Patient eine der Fragen mit "Ja", belasten ihn die Handlungen und beeinträchtigen sie seine Lebensqualität, ist eine Störung wahrscheinlich. Zur weiteren, genaueren Diagnostik, zum Beispiel um den Schweregrad festzustellen, gibt es spezielle standardisierte Fragenbögen.

Unterschied Zwangsstörung und zwanghafte Persönlichkeitsstörung

Die Psychologie unterscheidet zwischen einer Zwangsstörung und einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung.

Menschen mit einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung sind extrem genau, pedantisch („Erbsenzählermentalität“), sie führen Aufgaben übertrieben gewissenhaft aus und kontrollieren alles doppelt und dreifach. Sie befolgen strikt alle Regeln und Konventionen und erlauben keine Ausnahme davon. Außerdem bestehen sie darauf, dass sich die anderen ihren Gewohnheiten unterordnen.

Im Gegensatz zu Menschen, die von einer Zwangsstörung betroffen sind, leiden sie jedoch nicht an ihrem zwanghaften Verhalten. Im Gegenteil, meist sind sie überzeugt, alles richtig zu machen und merken nicht, dass sie ihre Umwelt mit ihrer pedantischen Art „in den Wahnsinn treiben“.

Quellen
  • S3-Leitlinie: Zwangsstörungen (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. (DGPPN)); Stand: 30.06.2022
  • Walitza, S et al.: Zwangsstörung im Kindes- und Jugendalter; Deutsches Ärzteblatt; 2011; DOI: 10.3238/arztebl.2011.0173
  • Fairbrother, N et al.: High Prevalence and Incidence of Obsessive-Compulsive Disorder Among Women Across Pregnancy and the Postpartum; J Clin Psychiatry; 2021; DOI: 10.4088/JCP.20m13398
  • Myers D G: Lehrbuch Psychologie; Springer Science Verlag; 3. Auflage 2014
  • Oelkers C & Schink C: Ganz zwanglos? Wie sich Betroffene und Angehörige aus dem Zwang befreien können; Beltz Verlag; 2010
  • Hemmings J et al.: Psychologie im Alltag: Wie wir denken, fühlen und handeln; Dorling Kindersley Verlag; 2019
  • Online-Informationen Berufsverbänden und Fachgesellschaften für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland und der Schweiz: www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org; Abruf: 17.07.2023
  • Online-Informationen Deutsche Gesellschaft Zwangserkrankungen e.V.: www.zwaenge.de; Abruf: 17.07.2023
  • Online-Informationen von Psychiatrienetz: www.psychiatrie.de; Abruf: 17.07.2023
FOCUS-Gesundheit 01/24 – Einfach besser leben 2024

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FOCUS-Gesundheit 01/2024

Einfach besser leben 2024
Viele Alterungsprozesse lassen sich nachweislich bremsen. Was uns jung hält. Wie wir Lust an Bewegung (wieder) finden. Plus: Übungen fürs Home-Workout. U.v.m.

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