Was ist eine Penicillinallergie?
Viele Menschen vermuten, allergisch gegen Penicillin zu sein. Zwar gehören Allergien gegen Penicillin zu den häufigsten Arzneimittelallergien. Das Antibiotikum – immer noch eines der wirksamsten – ist allerdings ziemlich gut verträglich. Allergische Reaktionen auf Penicillin sind ausgesprochen selten und werden oft fälschlicherweise angenommen. Beispielsweise meint jeder Zehnte in den USA, er leide unter einer Penicillinallergie. Untersuchungen ergaben jedoch, dass bei 90 Prozent dieser vermeintlich Betroffenen gar keine Penicillinallergie besteht.
Weil sie allergische Symptome, die eigentlich etwas anderes ausgelöst hat, dem Penicillin zuschreiben, glauben viele Menschen, sie seien überempfindlich. Andere haben von ihren Eltern gehört, sie hätten eine Penicillinallergie – ohne, dass das je genau überprüft wurde. Und wieder andere verwechseln die Nebenwirkungen einer Antibiotikaeinnahme mit einer Allergie gegen das Mittel und meinen fortan, sie seien allergisch.
Die Folgen fälschlicherweise angenommener Penicillinallergien sind gravierend: Unkritische Ärzte verschreiben Patienten, die eine Penicillinallergie angeben, aus Sicherheitsgründen alternative Antibiotika, die aber meist schlechter wirken und das Risiko für Antibiotika-Resistenzen erhöhen. Kritische Mediziner fordern deshalb, dass eine behauptete Penicillinallergie immer zuerst abzuklären ist, bevor alternative Mittel zum Einsatz kommen. Stellt sich dann wirklich eine Allergie heraus, bekommen Betroffene natürlich ein alternatives Medikament.
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Penicillinallergie: Warum die Alternativen problematisch sind
Besteht bei einem Patienten tatsächlich eine Überempfindlichkeit gegen Penicillin, muss der Arzt zur Therapie der Grunderkrankung auf ein anderes Medikament ausweichen. Der Mediziner weiß, welche Antibiotika bei einer Penicillinallergie infrage kommen. Klassische Alternativen für Penicilline sind zum Beispiel Makrolide, Chinolone oder Glykopeptide. Diese Breitband-Antibiotika wirken gegen viele verschiedene Bakterien, schädlich wie nützlich. Sie lösen bei allergischen Patienten zwar keine Reaktion mehr aus, haben aber gravierende Nachteile:
- Ihre Wirkung ist schwächer.
- Sie können mehr Nebenwirkungen haben.
- Sie fördern Antibiotikaresistenzen, weil sie nicht so gezielt wirken wie Antibiotika mit schmalerem Wirkspektrum.
- Sie sind teurer als Penicilline.
Studien zufolge haben Menschen, die mit alternativen Antibiotika anstelle von Penicillin behandelt wurden, ein um 14 Prozent höheres Risiko, sich mit multiresistenten Keimen (MRSA) zu infizieren. Der Einsatz alternativer Antibiotika sollte also wohlüberlegt sein, wenn ein Patient meint, er hätte eine Penicillinallergie
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Penicillinallergie: Symptome
Besteht tatsächlich eine Penicillinallergie, kommt es meist zu den typischen Allergie-Symptomen:
- fleckig-knotiger Hautausschlag
- Juckreiz
- laufende Nase
- tränende Augen
- Zungenschwellung
- Ödeme (Schwellungen aufgrund von Flüssigkeitsansammlungen im Gewebe)
- Fieber
- pfeifende oder brummende Atmung
Penicillinallergie: Test auf eine Allergie
- Anamnese (Gespräch mit dem Patienten)
- Labordiagnostik einer Blutprobe auf Antikörper
- Hauttest (zum Beispiel Pricktest, Intrakutantest, Epikutantest)
- Provokationstest
Beim Provokationstest erhält der Patient unter Aufsicht immer höhere Penicillindosen. Die Ergebnisse dieses Tests sind meist eindeutig, jedoch besteht immer die Gefahr schwerer allergischer Reaktionen bis hin zum allergischen Schock. Deshalb sollte der Provokationstest nur stattfinden, wenn das Laborergebnis und der Hauttest zuvor keine Hinweise auf eine Penicillinallergie lieferten.
Die Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie rät Ärzten dringend, Patientenangaben zu einer Penicillinallergie zu hinterfragen und wie oben beschrieben eine gründliche Diagnostik durchzuführen: einerseits, damit der Patient die für ihn bestmögliche Behandlung erhält, andererseits, um die Folgen fälschlicherweise angenommener Penicillinallergien – insbesondere das Entstehen von Kosten und Resistenzen – für die Allgemeinheit in Grenzen zu halten.
Angesichts der Problematik, die vermeintliche Penicillinallergien mit sich bringen, haben australische Wissenschaftler 2020 eine einfache klinische Entscheidungsregel entwickelt, mit deren Hilfe Ärzte das Risiko, ob tatsächlich eine Allergie vorliegt, besser abschätzen könnten.
„PEN-FAST“ heißt das Akronym, nach dem Punkte zu vergeben sind:
• F – Allergie in den letzten fünf Jahren (2 Punkte)
• A – anaphylaktischer Schock (2 Punkte)
• S – schwere Hautreaktionen (2 Punkte)
• T – eine Therapie war nötig, um die Allergiesymptome in den Griff zu bekommen (1 Punkt)
Bei weniger als drei Punkten, so die Wissenschaftler, läge die Wahrscheinlichkeit einer echten Penicillinallergie bei 3,7 Prozent.
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Penicillinallergie: Behandlung
Übrigens muss eine einmal festgestellte Penicillinallergie nicht das ganze Leben lang bestehen: Studien zufolge besteht die Überempfindlichkeit bei jedem zweiten Betroffenen fünf Jahre nach der letzten Reaktion nicht mehr. Nach zehn Jahren reagiert nur noch jeder Fünfte der früheren Allergiker überempfindlich auf das Antibiotikum.
Quellen
- S2k-Leitlinie: Diagnostik bei Verdacht auf eine Betalaktamantibiotika-Überempfindlichkeit (Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI)); Stand: 20.01.2021
- Albin, S et al.: Prevalence and characteristics of reported penicillin allergy in an urban outpatient adult population; Allergy & Asthma Proceedings; 2014; DOI: 35(6):489–94; 10.2500/aap.2014.35.3791
- Sachs, B et al.: Penicillinallergie (1): Wenn die Vermutung nicht zutrifft; Deutsches Ärzteblatt; 2018; 115(24); DOI: 10.3238/PersPneumo.2018.06.15.005
- Shenoy E et al.: Evaluation and Management of Penicillin Allergy – A Review; JAMA Network; 2019; 10.1001/jama.2018.19283
- Trcka, J et al.: Penicillintherapie trotz Penicillinallergie? Plädoyer für eine allergologische Diagnostik bei Verdacht auf Penicillinallergie; Deutsches Ärzteblatt; 2004; DOI: 101(43): A-2888 / B-2444, C-2331
- Trubiano J et al.: Development and Validation of a Penicillin Allergy Clinical Decicion Rule; JAMA Internal Medicine; 2020; 180(5): 745–752; DOI: 10.1001/jamainternmed.2020.040