So einen Mitarbeiter kann man sich als Klinik nur wünschen. Er arbeitet flink, fehlerfrei und hat in drei Dienstjahren noch keinen einzigen Tag Urlaub eingereicht. Allerdings ist der Helfer, der seine Tätigkeit in der Notaufnahme des St. Josef-Hospitals in Bochum verrichtet, alles andere als ein Teamplayer: Der selbstfahrende Desinfektionsroboter „Hero21“ duldet keinen Menschen im Raum, solange er die Liegen und Schreibtische in den Behandlungszimmern umkurvt. Seine UV-C-Strahlen können Haut und Augen von Umstehenden schädigen.
Noch unangenehmer sind die elektromagnetischen Schwingungen, die das brusthohe Gerät in jeden Winkel schickt, für Viren, Bakterien und Pilze. „Die energiereiche Strahlung schädigt das Erbgut der Mikroorganismen. Sie werden binnen Sekunden unschädlich gemacht“, sagt Bilal Cevik, leitender Arzt in der zentralen Notaufnahme der Klinik. Via Handy-App lotsen seine Kollegen den Roboter in Räume, in denen zuvor Notfallpatienten mit ansteckenden Erkrankungen behandelt wurden. Hat der Roboter die Örtlichkeit desinfiziert, was etwa eine Viertelstunde dauert, rollt er selbstständig zurück an seine Ladestation.
Kliniken sind ein Hotspot für Mikroben, nicht anders als der Rest der Welt. Sie haften an Türklinken, residieren im Waschbecken, lauern auf Böden. Allerdings stoßen die Keime in Gesundheitseinrichtungen auf Menschen, deren Abwehrkräfte durch Operationen, Krankheiten oder hohes Alter geschwächt sind. „Auch Frühchen zählen zu dieser vulnerablen Gruppe“, erklärt Barbara Pförringer, Leiterin der Klinikhygiene am Klinikum Dritter Orden in München. „Bei ihnen sind weder die Zellen des Immunsystems noch die natürliche Hautbarriere ausgereift.“
Mehr Todesopfer als im Straßenverkehr
Weist die Abwehr bedenkliche Lücken auf, braucht es noch nicht einmal Krankheitserreger von anderen Patienten oder dem Personal, um zu erkranken. Selbst körpereigene Keime, die sich auf der Haut befinden, haben leichtes Spiel und können sich wild vermehren, wenn sie etwa in eine offene Wunde gelangen. Jährlich erkranken in Deutschland bis zu 600.000 Patienten an Krankenhausinfektionen, schätzt man beim Robert Koch-Institut (RKI). Die meisten bakteriellen Infektionen lassen sich dank Antibiotika gut behandeln. Manchmal dauert die Heilung in diesen Fällen allerdings länger, oder es muss noch einmal operiert werden. Und häufiger, als man annehmen könnte, entwickelt sich die Sache schlecht: Etwa 10.000 bis 20.000 Menschen sterben jedes Jahr in Deutschland an nosokomialen Infektionen (von „nosokomeion“, griech. = Kran kenhaus). Zum Vergleich: Im Straßenverkehr kamen vergangenes Jahr in Deutschland 2.839 Personen um.
Bei Ärzten und Patienten besonders gefürchtet sind jene Mikroben, die sich unempfindlich gegenüber Standardantibiotika zeigen. Rund sechs Prozent der in Krankenhäusern nachgewiesenen Keime zählen zu diesen multiresistenten Erregern (MRE). „Diese Bakterien können durch die Medikamente nicht mehr abgetötet oder in ihrem Wachstum gehemmt werden“, erklärt Hygieneärztin Pförringer. „Aufgrund von natürlichen Mutationen in ihrem Erbgut haben sich die Mikroorganismen mit neuen Eigenschaften ausgestattet, die sie vor den üblichen Arzneien schützen.“ Die Konsequenz: Die Behandler müssen höher dosierte Antibiotika einsetzen, Wirkstoffkombinationen oder alte Mittel, die wegen ihrer Toxizittä bereits ausrangiert sind. Infektionen mit MRE lassen sich sehr schwer in den Griff bekommen. Etwa 1.000 bis 4.000 Todesfälle in Kliniken gehen jährlich auf multiresistente Keime zurück, heißt es beim RKI.
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Intensivstationen sind besonders gefährdet
Zu den notorischen Krankheitserregern hierzulande zählen bestimmte Stämme des Darmbakteriums E. coli, aber auch ein Keim mit dem Zungenbrechernamen Methicillinresistenter Staphylococcus aureus (MRSA). Weltweit am bedrohlichsten ist eine Mikrobe namens Acinetobacter baumannii. Auf der 2024 aktualisierten WHO-Liste der gefährlichsten Bakterien, gegen die existierende Mittel oft versagen, steht dieser Keim auf Platz eins. Er widersetzt sich nicht nur den meisten Antibiotika, er trotzt auch Austrocknung, Sauerstoffmangel, Hitze oder Kälte. Damit ist er in der Lage, sich in Lunge oder Blase eben so wohlzufühlen wie auf der Haut.
Ähnlich wie andere Mitglieder aus dem Clan der MRE lauert Acinetobacter baumannii bevorzugt auf Intensivstationen. Hier finden Mikroben nicht nur besonders anfällige Patienten, sie stoßen auch auf viele Möglichkeiten, Zutritt zum Körper ihres Wirts zu finden: beispielsweise über Blasenkatheter, zentrale Venenkatheter, Beatmungstuben oder arterielle Katheter zur Blutdruckmessung. „Solche künstlichen Zugänge sind ideale Eintrittspforten für Keime“, sagt Barbara Pförringer. „Die höchste Rate nosokomialer Infektionen wird auf Intensivstationen beobachtet.“ Auch normale Pflegezimmer sind nicht gefeit vor den Erregern.Wie schnell solche Organismen eine Krankenstube in Beschlag nehmen, zeigt eine Studie von Forschern aus Jena und Berlin. Die Wissenschaftler untersuchten nach dem Umbau des Bettenhochhauses der Berliner Charité 2017, wie zügig sich die bakterielle Gemeinschaft in frisch bezogenen Räumlichkeiten ändert. Das Ergebnis: Schon nach fünf Wochen begannen Mikroben, die auf der Haut oder im Darm von Menschen vorkommen, einige der Umweltkeime zu verdrängen, die zuvor auf Türklinken oder Fußböden siedelten. Unter diesen neuen Arten fanden die Experten auch pathogene Keime.
Infektionsprävention
Um gefährlichen Untermietern den Aufenthalt zu verleiden, tüfteln Architekten gemeinsam mit Medizinern, Mikrobiologen, Hygienikern und Materialwissenschaftlern an infektionspräventiven Patientenzimmern. Auf einer Freifläche des Klinikums Braunschweig ist eine solche Unterkunft seit 2022 zu besichtigen. Das Studienlabor, das unter Federführung der TU Braunschweig entstand, kombiniert unterschiedliche Anti-Keim-Strategien: etwa eine optimierte Wegeführung, die sinnvolle Platzierung von Desinfektionsspendern, aber auch innovative Reinigungssysteme. „Das Zimmer dient einerseits zur Schulung von Pflegekräften und andererseits zur Erforschung dringender Fragestellungen. Zudem erhalten Fachleute Feedback aus der Praxis, wo Abläufe oder Bauteile optimiert werden können“, sagt der Architekt Wolfgang Sunder, der an der TU Braunschweig den Bereich Gesundheitsbau leitet.
Neue Lösungen zur Infektionsprävention, wie sie in Bochum und Braunschweig erprobt werden, sollen den ohnehin hohen Hygienestand noch weiter verbessern. Damit Krankenhäuser möglichst selten krank machen, haben Mikrobiologen, Infektionsmediziner und Hygieneexperten Hunderte Seiten mit Leitlinien erstellt. Das verbindliche Regelwerk der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention („Krinko“) beim Robert Koch-Institut informiert Behandler und Patienten, mit welchen Maßnahmen sich Klinikkeime zurückdrängen lassen – angefangen bei der korrekten Dampfsterilisation chirurgischer Instrumente bis hin zu Bedarfsberechnungen, wie viele gut geschulte Mitarbeiter sich in einer Klinik Hygienefragen widmen sollen.
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Experten überwachen das Reinheitsgebot
Die Einhaltung dieser Standards wird durch ausgebildete Hygienefachkräfte sowie Hygieneärzte überprüft. „Bei konsequenter Beachtung aller Regeln könnten wir ein Drittel aller nosokomialen Infektionen in Deutschland vermeiden“, sagt Christine Geffers, die an der Berliner Charité das Institut für Hygiene und Umweltmedizin leitet. „Es gibt eine Vielzahl von Schräubchen, an denen man drehen kann. Das beginnt beispielsweise damit, dass man einen Blasenkatheter nicht länger als nötig dranlässt. Er sollte auch nur angelegt werden, wenn es eine medizinische Indikation dafür gibt.“
Unbestritten das größte Schräubchen – schon fast eine Schiffsschraube – ist die regelmäßige Handdesinfektion beim Personal. „Man geht davon aus, dass bis zu 90 Prozent aller Infektionserreger in Kliniken über die Hände weitertransportiert werden“, so Geffers. Ein Beispiel: Greift ein Arzt nach der Behandlung eines Patienten mit antibiotikaresistenten Keimen an die Türklinke, überleben die Winzlinge dort eine Weile. Der Nächste, der die Tür öffnet und sich nichts Böses dabei denkt, trägt die Bakterien weiter zum folgenden Patienten.
Der Nutzen der Händehygiene zur Vermeidung von Keimübertragung und nosokomialen Infektionen ist seit vielen Jahren bestens belegt. Bereits 2000 beschrieb eine Veröffentlichung im Fachblatt Lancet, dass die Zahl von Krankenhausinfektionen drastisch sinkt, wenn das Personal auf den Stationen die vorgeschriebenen Desinfektionsprozeduren konsequent einhält: An der Universitätsklinik Genf genügte ein Anstieg der Compliance-Rate von 48 auf 66 Prozent, um die Krankheitsfälle über einen Zeitraum von fünf Jahren um 40 Prozent zu reduzieren.
Jede zweite Klinik meldete ihre Infektionen
Künftig sollen digitale Dienste helfen, dass das Thema Händehygiene im stressigen Krankenhausalltag nicht vernachlässigt wird. Erprobt werden sie derzeit beispielsweise an der Universitätsklinik Göttingen. Im Rahmen einer dreijährigen Studie erfasst ein elektronisches Monitoring- System (EMS), ob das Personal in bestimmten Klinikbereichen die vorgegebenen Händehygiene-Aktionen auch tatsächlich durchführt. Auf einer passwortgeschützten Internetseite erhalten die Abteilungen, aber auch die einzelnen Ärzte und Pfleger regelmäßig Feedback, in welchem Maß die Regeln beherzigt werden.Eine wichtige Voraussetzung, um Infektionen einzudämmen, ist deren systematische Erfassung. „Krankenhäuser sind gesetzlich verpflichtet, nosokomiale Infektionen in mindestens einem Risikobereich ihrer Klinik zu dokumentieren. Nur was man misst, kann man auch verbessern“, sagt die Hygiene-Chefin der Charité. An Christine Geffers’ Institut wurde deshalb schon vor Jahren ein nationales Überwachungssystem aufgebaut. Gesundheitseinrichtungen, die an dem freiwilligen Programm namens KISS (Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System) teilnehmen, melden die an ihrem Haus erworbenen Infektionen und erhalten dafür Referenzdaten zur Selbsteinordnung. „Mehr als die Hälfte der Krankenhäuser in Deutschland nimmt an KISS teil, wenn auch nicht immer an allen Modulen dieser Plattform“, so Geffers.
Bei allen Anstrengungen, die Hygienefachleute unternehmen, tun Patienten gut daran, im Rahmen des Möglichen selbst Krankenhausinfektionen vorzubeugen. Das kann schon bei der Klinikwahl beginnen. Häuser, die am KISS-Programm oder an Projekten wie der Aktion „Saubere Hände“ teilnehmen, demonstrieren, dass sie diesem Thema eine große Bedeutung beimessen. Ein Blick auf die Homepage der Klinik verrät meist, ob sich ein Krankenhaus bei solchen Programmen engagiert.
Selbst im Krankenbett gibt es Gelegenheiten, sich und seine Mitpatienten vor Infektionen zu schützen (siehe Kasten unten). Die Hygiene-Etikette schließt auch Besucher ein. Zwar stellen Angehörige eine potenzielle Keimquelle dar. Dennoch sind sie von Hygieneärzten als Gesundheitsfaktoren wohlgelitten. „Je älter Patienten sind, desto wichtiger ist die Unterstützung durch ihre Familie. Psychische Stabilität ist das A und O für die Genesung. Isolierte Patienten erholen sich im Krankenhaus schlechter“, hat die Praktikerin Pförringer beobachtet.
Der Kampf gegen Klinikkeime, vor allem gegen die antibiotikaresistenten Erreger, ist eine Sisyphusarbeit. Dass er erfolgreich sein kann, zeigt das Beispiel des berüchtigten Bakteriums Staphylococcus aureus. Seit Jahren beobachten Hygieneärzte in Deutschland, dass immer weniger Vertreter dieses Bakterienstammes Multiresistenzen aufweisen. Es hat sich ausgezahlt, Patienten bei der Aufnahme im Krankenhaus auf MRSA-Bakterien hin zu untersuchen und zu isolieren, solange sie mit dem Keim besiedelt sind.
FOCUS-Gesundheit 04/24
Dieser Artikel ist eine gekürzte Fassung. Den vollständigen Text finden Sie in der Ausgabe Klinikliste 2025. Weitere Themen: Modellprojekt: Neues Diagnoseverfahren bei seltenen Erkrankungen. Wird bei Rückenschmerzen zu schnell operiert? So treffen Sie für sich die richtige Entscheidung. U.v.m.
Das können Patienten und Angehörige selbst beitragen
- Patienten helfen mit eigener Handhygiene und täglichem Duschen – sofern möglich – dabei, sich und Mitpatienten vor Infektionen zu schützen. Ebenfalls wichtig: WC-Deckel vor dem Spülen schließen!
- Kleine Spaziergänge auf dem Flur oder im Klinikgarten stärken die Abwehr gegen Infekte. Sie bringen die Lymphe in Fluss, vertiefen die Atmung und verbessern den Abtransport von Schleim in der Lunge.
- Eigene Kleidung sollte stets frisch gewaschen sein (mit Vollwaschmittel bei 60 Grad). Nagellack und Ringe beinträchtigen die Händedesinfektion.
- Verantwortungsvolle Besucher vermeiden es, Erreger ans Krankenbett zu tragen: auf Sauberkeit achten, Hände desinfizieren, gesund sein!