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Was das Blut verrät

Labormediziner finden im Blut fast 1.000 Hinweisstoffe, die ihnen helfen, Diagnosen zu stellen. Welche Tests wichtig sind und was die Werte bedeuten.

Geprüft von Jochen Niehaus, Chefredakteur FOCUS-GESUNDHEIT

Veröffentlicht: 2019-06-03T10:58:26+02:00

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Inhaltsverzeichnis
Blutprobe auf Folie, daneben Sammelröhrchen mit Blutproben im Labor

© Science Photo Library

Blut, der Tausendsassa

Blut übt auf die Menschen eine eigentümliche Faszination aus. Allein das Wort, aber noch mehr die Farbe versetzen uns in Alarmstimmung. Wer viel davon verliert, befindet sich in Lebensgefahr. Und seit alters her schreiben wir dem Blut geheimnisvolle Kräfte zu. Der sterbenskranke Papst Innozenz VIII., so erzählt es die Legende, wollte sich wie ein Vampir frische Lebenskraft einverleiben. Er trank das Blut dreier Jünglinge oder ließ es sich wie per Transfusion in die Adern laufen – die Angaben gehen auseinander. Jedenfalls ging der Heilversuch schief, alle vier starben. Das war im Jahr 1492.

Qua Beruf stehen Ärzte heute der Flüssigkeit nüchtern gegenüber. Die Faszination aber ist geblieben. Denn im Blut können sie Krankheiten nachweisen oder den Erfolg von Therapien überwachen.

Bereits eine kleine Probe genügt, um das ganze Genom des Menschen zu analysieren. Was im Blut steckt, ist wie eine Auskunftei über den Zustand des Körpers. Sogar eine Therapie aus Blut gegen Alzheimer haben die Forscher im Visier. „Wir können im Blut heute mehr als 1.000 Biomarker zur Präzisierung einer Diagnose bestimmen“, erläutert Joachim Thiery, Direktor des Instituts für Laboratoriumsmedizin am Universitätsklinikum Leipzig.

Drei Prozent der Deutschen spenden regelmäßig Blut, ihr Anteil sinkt leicht. Benötigt werden täglich rund 14.000 Blutspender.

Blut, der Tausendsassa, ist nicht etwa eine Flüssigkeit, wie es oft leichthin heißt, sondern eine Suspension. Denn in der Lösung befinden sich sowohl Zellen, also feste Substanzen, als auch Wässriges in einer Mischung. Dass im Blut abgeflachte rote Zellen flottieren und sich einzeln und nacheinander, wie auf einer Perlenkette aufgereiht, durch die Kapillaren drängen, entdeckte der Holländer Antoni van Leeuwenhoek, Linsenschleifer und Erfinder des Mikroskops, im Jahr 1638. Er untersuchte Hasenohren.

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Was bedeuten die einzelnen Blutwerte?

Heute ist das kleine Blutbild ärztliche Routine. Dabei bestimmen die Ärzte die Menge der roten Blutkörperchen, die den Sauerstoff transportieren, die Blutplättchen, die Blutungen bei Verletzungen stoppen, und die weißen Blutzellen. Letztere patrouillieren durch den Organismus, um Erreger aufzuspüren oder bedrohliche Zellen zu zerstören. Das Blutbild gibt, so Thiery, „eine erste Orientierung, ob beispielsweise eine Entzündung vorliegt oder eine Blutarmut besteht“.

Das flüssige Organ beheimatet nicht nur die Schutztruppen der Immunabwehr und der Gerinnung. Auch für die Zellregeneration und den Stoffwechsel ist es von entscheidender Bedeutung. Die Körperflüssigkeit – bleiben wir dabei – trägt Sauerstoff und andere Gase, Zucker, Hormone, Fette, Proteine oder Vitamine in die Zellen und nimmt abgebaute Stoffe aus dem Gewebe auf. Sie dient somit zugleich als Lebensader und Müllschlucker. Ob die Organe reibungslos funktionieren, lässt sich aus dem Blut ermitteln.

Acht bis elf verschiedene Blutwerte umfasst das sogenannte kleine Blutbild.

Die Zahl der Blutproben und Signalstoffe darin steigt ständig – wie auch die Nachfrage. Die diagnostischen Biomarker analysieren Experten der Labormedizin täglich millionenfach. Für den Patienten bleiben sie kostenlos, solange der Arzt einem konkreten Verdacht nachgeht, also den Hintergrund von Beschwerden aufklärt. „Möchte ich einer komplizierten Krankheit des Fettstoffwechsels auf die Spur kommen, ist selbst eine aufwendige Genomanalyse möglich – ohne dass der Patient sie bezahlen muss“, erklärt Thiery.

Wann sind Bluttests zur Vorsorge sinnvoll?

Vorsorgeuntersuchungen dagegen sind von den gesetzlichen Kassen streng reglementiert. Sie bieten den „Check-up 35“ an, der zwei Blutwerte erfasst, das Cholesterin und den Blutzucker. So erhalten Patienten und Arzt einen Hinweis darauf, ob das Risiko für einen Gefäßverschluss und damit einen Herzinfarkt erhöht ist oder ein Verdacht auf Diabetes besteht. Allerdings ist die Aussagekraft der Werte, speziell des erfassten Blutfetts, umstritten. „Das Gesamtcholesterin ist heute vor allem bei jüngeren Frauen und Sportlern als alleinige Bestimmung fehlleitend. An seiner Stelle sollten wir lieber den Spiegel des LDL-Cholesterins ermitteln“, fordert Thiery. Wer den Check-up machen möchte, sollte das mit seinem Hausarzt besprechen.

Darüber hinaus raten Ärzte dazu, während der ersten drei, vier Lebensjahrzehnte die Werte für die Funktion der Schilddrüse und der Nieren im Auge zu behalten. Hierfür genügt die orientierende Bestimmung des Hormons TSH für die Schilddrüse und des Kreatinins für die Nierenfunktion. Eine differenzierte Blutzellanalytik, im Rahmen eines großen Blutbilds, „ist jedoch unsinnig, wenn kein konkreter Verdacht auf eine Entzündung oder Blutbildungsstörung vorliegt“, sagt Thiery. Auch der sogenannte IGeL-Monitor, eine krankenkassennahe Expertenmeinung zu sogenannten individuellen Gesundheitsleistungen, hält die meisten Extratests bei symptomlosen Erwachsenen für verzichtbar, wenn keine speziellen Symptome vorliegen. Detaillierte Auskunft ist auf der dortigen Website zu finden.

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Faktencheck: Wissenswertes über unser Blut

Wann raten Experten von Bluttests ab?

Von Bluttests ins Blaue raten verantwortungsvolle Ärzte ab – etwa wenn sich jemand ständig schlapp fühlt, erkältet ist oder leichte Kreislaufprobleme hat. Wer meint, dass ihm Vitamine und Spurenelemente fehlen, Selen, Zink, B12 tauchen dann häufig auf, der sollte sich gesund ernähren: mit Ballaststoffen, Gemüse, Obst, hochwertigen Fetten und wenig Fleisch. Bei ständiger Müdigkeit sind eine Belastung durch Stress am Arbeitsplatz oder ungelöste Konflikte in der Familie der weitaus wahrscheinlichere Grund als ein im Blut analysierbarer Mangel. Eine Blutarmut als Ursache wird das kleine Blutbild ermitteln.

Wer es ganz genau wissen will, kann seinen Ernährungsstatus per Blut abklären lassen. Der Omega-3-Index misst das Verhältnis verschiedener Fettsäuren im Blut. Im Internet kostet er 68 Euro, beim Arzt können weitere Gebühren hinzukommen; einige private Krankenkassen erstatten ihn. „Der medizinische Sinn dieser Untersuchung und die Konsequenz für den Patienten sind allerdings nicht erkennbar“, kritisiert Thiery.

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Blut – nicht immer ein eindeutiger Indikator für Krankheiten

Selbst bei Vitamin D liegt die Sache nicht so einfach. Das Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin räumt ein, dass die Deutschen bei dem vor allem für den Knochenaufbau unentbehrlichen Vitamin D im Durchschnitt nur knapp die Hälfte des Referenzwerts erreichen. Referenzwerte geben an, in welchem Bereich die Werte Gesunder liegen. Die Tatsache nutzen Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln, um für ihre Produkte zu werben. Allerdings ist eine Überdosierung fettlöslicher Vitamine wie A, E oder D riskant. Zu viel an Vitamin D kann zu Nierenschäden führen. „Eine zusätzliche Vitamin-D-Einnahme sollte daher immer mit dem Hausarzt besprochen und die Calcium-Konzentrationen im Blut kontrolliert werden“, empfiehlt Thiery. Von einer länger dauernden Selbstmedikation mit Vitamin D sei abzuraten.

Verlieren Patienten durch überflüssige Bluttests Geld, ist das unangenehm. Gefährlich wird es, wenn vermeintlich bedrohliche Befunde sie zu Kranken erklären. Der Tumormarker CEA, dessen Spiegel einen Hinweis auf Darmkrebs geben kann, ist hierfür ein Beispiel. In der Medizin dient er dazu, eine Diagnose abzusichern. Als Instrument zum Aufspüren versteckter Wucherungen bei Gesunden ist er ungeeignet, weil er auch aufgrund anderer Einflüsse erhöht sein kann, so etwa bei Rauchern. Wer sich allein auf die CEA-Werte verlässt, läuft Gefahr, den Patienten unnötig zu ängstigen. Weitere Diagnosen zur Abklärung des Verdachts sind zudem zeitaufwendig und können Nebenwirkungen haben. „Einen einzelnen Blutwert zu bestimmen ist verlockend, um Krankheiten nachzuweisen, aber so einfach funktioniert das bisher nicht“, erklärt Thiery. „Ein Laborwert des Blutes, der vom Referenzbereich abweicht, ist nicht automatisch eine Krankheit. Es muss immer der ganze Mensch gesehen werden.“

Fortschritte in der Forschung mit Blut

Gleichwohl lassen Entdeckungen in dem Organ Blut aufhorchen. US-Wissenschaftler wollen aus dem Blut die erste Therapie gegen Alzheimer entwickeln, die nicht nur die Symptome lindert. Forscher der Stanford-Universität führten Experimente mit Mäusen durch, bei denen sie die Gefäße von alten und jungen Tieren zu einem Blutkreislauf verbanden. Der unheimliche Trick, Parabiose genannt, hatte den gewünschten Effekt. Die älteren Mäuse profitierten von der Auffrischung, ihr Gedächtnis verbesserte sich.

Und erst kürzlich konnten Forscher durch ein im Blut zirkulierendes Eiweiß (PCSK-9) eine Antikörpertherapie entwickeln, um sehr hohe Konzentrationen des LDL-Cholesterins drastisch zu senken und dem Herzinfarkt vorzubeugen. Davon profitieren Hochrisikopatienten bereits.

Dies ist eine gekürzte Fassung. Den vollständigen Text finden Sie in FOCUS-GESUNDHEIT „Ärzte-Liste 2019" – als Print-Heft oder als digitale Ausgabe.

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Dieser Artikel enthält allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder –behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen. Den passenden Arzt finden Sie über unser Ärzteverzeichnis.

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