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Herzinfarkt schadet Körper und Seele

Herz und Psyche sind eng miteinander verwoben. Wie Psychokardiologen heute Patienten helfen, denen ihre Erkrankung aufs Gemüt schlägt.

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Inhaltsverzeichnis
Zeichnung eines Puzzles, das ein gebrochenes Herz zeigt

© Plainpicture

Als Johannes Schlichting (Name geändert) am frühen Morgen aus der Narkose erwacht, laufen ihm die Tränen in Strömen herunter, ohne Unterlass. Hinter dem 68-Jährigen aus Nordrhein-Westfalen liegt eine Nacht, die er beinahe nicht überlebt hätte. Mehrfach versagte sein Herz. Sechsmal musste er mithilfe von Medikamenten reanimiert werden. Die behandelnden Ärzte informieren umgehend ihre Kollegen aus der psychokardiologischen Abteilung. Ihnen ist klar, dass die dramatischen Stunden bei Schlichting ein Trauma ausgelöst haben – Betroffene erleben die Schocksituation wieder und wieder, es kommt zu Flashbacks, Albträumen, Schlafstörungen. Einen Tag vorher hatten die Chirurgen Johannes Schlichting eine neue Herzklappe eingesetzt – aufgrund eines angeborenen Herzfehlers war es mit der Zeit zur Verkalkung der Aortenklappe gekommen. Nach einem Infekt ließ sich der Eingriff nicht mehr herauszögern. Die OP Anfang Juni 2019 verlief völlig problemlos. „Aber in der ersten Nacht auf der Normalstation befiel mich ein Gefühl von Panik“, erzählt Schlichting. „Meine Beine zitterten, ich wurde immer wieder kurz ohnmächtig.“ Schlichting ist selbst Mediziner. Er wusste, wie es um ihn stand. „Auf dem Monitor der Intensivstation konnte ich meinen Herzschlag sehen: 20, 23, dann 17, normal sind 70 Schläge …“ Am nächsten Morgen hatte der 68-Jährige nicht nur eine neue Aortenklappe, die Ärzte hatten ihm in der Nacht noch einen dauerhaften Herzschrittmacher eingesetzt. „Der Schrittmacher funktionierte. Ich nicht“, erinnert er sich.

Herzerkrankung: mögliche seelische Folgen

Die Gesundheit von Psyche und Herz sind extrem stark miteinander verwoben. Eine Herzerkrankung oder eine Intervention am Herz wie bei Johannes Schlichting kann seelische Krisen auslösen. Umgekehrt ist gut belegt, dass auch psychische Störungen das Herz nachweislich schädigen. Depression, Ängste, Schizophrenie erhöhen das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich – Betroffene haben etwa erhöhte Cortisolspiegel im Blut, die das Entzündungsgeschehen fördern. Auch tun sie sich durch die seelische Erkrankung schwerer, einen herzgesunden Lebensstil zu pflegen.

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Psychokardiologie: Definition

Die wechselseitigen Zusammenhänge  zwischen Gefühlen und Gefäßen untersucht die Disziplin der Psychokardiologie. Ihrer Forschung ist es zu verdanken, dass ein Umdenken stattgefunden hat: Bis in die 1990er-Jahre hinein vertrat die Kardiologie noch ein stark mechanistisch geprägtes Bild, in dem Emotionen wenig Platz hatten und Schäden an der Pumpe „repariert“ wurden. Dabei ist eine Operation am Herz für jeden Patienten emotional belastend, zu keinem anderen Organ haben wir eine engere Verbindung – unzählige Redensarten zeugen davon.

„Eine Klappe und einen Schrittmacher zu bekommen musste ich erst verarbeiten“, erklärt es Patient Schlichting, „schließlich waren das heftige Eingriffe in die Integrität meines Körpers.“ Dazu kam die Todesangst, als das Herz seinen Dienst versagte.

Psychokardiologie: Therapie

Die Psychokardiologen therapierten Schlichting mit EMDR – Eye Movement Desensitization and Reprocessing. Ein anerkanntes Verfahren, um klinisch manifestierte Traumata zu behandeln. Dabei begleitet ein Therapeut den Patienten in die auslösende Situation, geleitete Augenbewegungen sollen zusätzlich helfen, dass rechte und linke Gehirnhälfte ins Gleichgewicht kommen und das Erlebte verarbeitet werden kann. „Nach den ersten beiden halbstündigen Sitzungen war ich fix und fertig“, erzählt Schlichting. „Aber die Therapie war ein Segen, heute kann ich wieder nach vorne schauen.“

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Krankheitsbewältigung nach Herzerkrankung

Eine schwere Herzerkrankung ist ein Einschnitt – viele Betroffene fassen mit der Zeit jedoch wieder Zutrauen in ihren Körper und bewältigen die Krise. (siehe Kasten unten)

Andere tun sich schwer. „Infolge einer Herzerkrankung entsteht eine seelische Störung in erster Linie aus Angst und Verunsicherung“, sagt Bettina Hamann, Ärztliche Leiterin der Abteilung Psychokardiologie an der Kerckhoff-Klinik Bad Nauheim. Voller Sorge beobachten viele Infarktpatienten ihren Brustbereich. Ängstlich interpretieren sie jedes Ziehen, befürchten das Schlimmste. Aus Verunsicherung beginnen sie, sich zu schonen, vermeiden Alltagsaktivitäten und ziehen sich zurück.

Erfolgreiche Krankheitsbewältigung

Diese Kriterien zeugen davon, dass die Erkrankung verarbeitet ist:

  • Die Gedanken kreisen nicht mehr ausschließlich um die Erkrankung und ihre Folgen.
  • Krankheitsbedingte Veränderungen im Leben können akzeptiert werden.
  • Man hat wieder Freude am Leben, an Familie und Freunden.
  • Therapieempfehlungen werden umgesetzt, ungünstiges Verhalten vermieden.

„Wenn sämtliche Aktivitäten wegfallen, die Spaß machen, besteht größte Gefahr für eine Depression“, sagt Psychokardiologin Hamann, „so kann ein Teufelskreis entstehen“. Experten gehen davon aus, dass ca. 20 Prozent aller Herzinfarktpatienten an einer Depression erkranken.

Immer setzt etwa ein Infarkt starke Gefühle frei. Er ist wie ein Paukenschlag. „Im Gespräch sind viele Patienten extrem traurig und wütend über die Situation“, sagt Psychokardiologin Hamann. „Diese Emotionen zu benennen, die Zäsur, die da ist, auszusprechen ist ein wichtiger Prozess bei der Krankheitsverarbeitung.“ Fatalerweise entsteht ein Infarkt häufig dann, wenn es bereits einen großen Stressfaktor im Leben gibt. „Der Arbeitsplatz ist nicht sicher, die Beziehung lieblos, das Geld knapp“, sagt Expertin Hamann. Das erschwere es, die Krankheit zu bewältigen und wieder Vertrauen in den eigenen Körper aufzubauen.

Der Düsseldorfer Psychokardiologe und Psychotherapeut Michael Stimpel hat sich darauf spezialisiert, Patienten nach Herzerkrankungen bei der Bewältigung zu helfen. Mit ihnen entwickelt er Strategien für ihr Leben mit der Krankheit. „Im ersten Schritt geht es um Wissen. Wer über seine Erkrankung genau Bescheid weiß, wird wieder handlungsfähig“, sagt Stimpel. Viele Herzpatienten seien extrem verunsichert: Kann ich mich noch belasten? Sport treiben? Sex haben? Hier gilt es, Möglichkeiten auszuloten, Ressourcen zu mobilisieren und Schritt für Schritt das Leben neu zu planen. Aufkommende Angstgefühle und negative Gedanken lassen sich mittels Atemtechniken oder Muskelentspannung reduzieren.

Selbsthilfe für die Seele

Manche Patienten sehen den Einschnitt als Chance, sich im Rahmen einer Psychotherapie mit ihren persönlichen Einstellungen zu befassen: ihrem Perfektionismus, dem Nicht-Nein-sagen-Können oder dem eigenen Selbstwert. „Verdrängung ist ebenso in Ordnung, solange Betroffene ihre Therapie verfolgen und ihre Medikamente zuverlässig nehmen“, sagt Kardiologe Stimpel.

Auch Sexualstörungen belasten Herzpatienten. „Das muss man nicht hinnehmen“, so Stimpel. „Paare, die es schaffen, darüber miteinander zu sprechen, können sich langsam und ohne Erfolgsdruck einer erfüllten Sexualität wieder annähern.“

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Auswirkung von psychischen Erkrankungen auf das Herz

Ein krankes Herz kann die Seele krank machen. Umgekehrt erweisen sich auch psychische Erkrankungen oft als kardiotoxisch.

Folgen einer Depression auf die Herzgesundheit

„Eine Depression hat klare Auswirkungen auf die Herzgesundheit“, sagt Christiane Waller, Sprecherin der Arbeitsgruppe Psychosoziale Kardiologie der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie. „Es gibt eindeutige Zusammenhänge, dass sie sowohl eine bestehende Herzinsuffizienz als auch eine koronare Herzerkrankung verschlechtert.“ Bei Letzterer geht man davon aus, dass eine Depression Entzündungsprozesse im Körper aktiviert, die wiederum eine Atherosklerose begünstigen. Depression ist seit Jahren als eigenständiger Faktor für die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen anerkannt – genau wie Rauchen oder Bluthochdruck.

„Wir wissen, dass circa 50 Prozent der schwer depressiven Patienten erhöhte Konzentrationen des Stresshormons Cortisol aufweisen“, sagt Psychokardiologin Hamann. Studien zufolge verstärken diese wiederum das metabolische Syndrom – eine ungünstige Fettumverteilung des Körpers. Es kommt zu Blutdruckanstieg, Insulinresistenz und erhöhten Blutfettwerten. Untersuchungen zeigen, dass bestimmte Persönlichkeitstypen besonders gefährdet sind. Die sogenannte Typ-D-Persönlichkeit erlebt negative Gefühle wie Verärgerung oder Niedergeschlagenheit und kann diese Mitmenschen gegenüber nicht äußern. „Gerade diese Menschen profitieren stark von Psychotherapie und können so ihren Krankheitsverlauf verbessern“, so die Expertin. 

Spirale der Angst und der Weg nach einem Herzinfarkt in die Depression

© Illustration: Oleksy Aksonov für FOCUS-Gesundheit

Links: Die Depressionsspirale: Eine Herzerkrankung kann zu einer Depression führen. Gedrückte Stimmung und Antriebslosigkeit machen es schwer, lebensstiländernde Therapieempfehlungen wie mehr Bewegung umzusetzen

Rechts: Teufelskreis der Angst: Die Sorge vor erneuten Symptomen wie Herzstolpern und die erhöhte Aufmerksamkeit für Körperphänomene führen dazu, dass Angst und Panik immer häufiger ausgelöst werden

(Quelle: „Leben mit Herzerkranungen. Wenn die Seele mitleidet“, M. Stimpel, Springer)

Einfluss von Stress, Schlafstörungen und Einsamkeit auf das Herz-Kreislauf-System

Psychosoziale Faktoren wie Einsamkeit, Schlafstörungen und Dauerstress haben einen Einfluss auf die Entstehung von Bluthochdruck. Eine US-Studie zeigte, dass zehn Überstunden pro Woche das Risiko eines Bluthochdrucks um das Dreifache erhöhen. „Was das Herz-Kreislauf-System am stärksten angreift, ist lang andauernder und zwischenmenschlicher Stress“, sagt die Psychokardiologin Christiane Waller von der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität im Klinikum Nürnberg.

Stress-Kardiomyopathie

Chronische Belastung regt die Ausschüttung von Cortisol an. Plötzliche, starke Gefühle hingegen aktivieren eine andere Stressachse. Als Stress-Kardiomyopathie oder Takotsubo-Syndrom bezeichnen Mediziner eine besondere Form des akuten Herzversagens, die durch übermäßigen Stress ausgelöst wird und besonders Frauen nach der Menopause trifft. Dabei bricht das Herz – fast im Wortsinn. „Der Körper schüttet die Hormone Noradrenalin und Adrenalin aus, die den Herzmuskel schädigen“, sagt Psychokardiologin Hamann. „Das Ultraschallbild zeigt, wie der Herzmuskel eingeschnürt ist und es an der Herzspitze zu einer Ausbeulung kommt.“ Diese Form gleicht einem japanischen Tonkrug, der früher zum Tintenfischfang eingesetzt wurde – daher der Name Takotsubo. Die Symptome ähneln jenen eines Herzinfarkts: starke Brustschmerzen, Übelkeit, Todesangst, Schweißausbruch.

Doch der Blutfluss in allen Herzkranzgefäßen ist normal, es gibt kein Gerinnsel. Die Ärzte behandeln die akute Herzschwäche – sie kann lebensbedrohlich sein. Auslöser können der plötzliche Verlust eines geliebten Menschen, Trauer oder familiäre Konflikte sein. „Oft schwelen die Themen schon lange, kommen dann zum Ausbruch“, sagt Expertin Hamann. Selbst Glücksgefühle können so stark sein, dass sie das Herz schädigen – bekannt als Happy-Heart-Syndrom.

Stress, ob chronisch oder akut, geht zu Herzen. Mit Entspannungstechniken kann jeder sich wappnen, von zu viel Druck oder Gefühlen überwältigt zu werden. Soziale Beziehungen sind ein weiterer mächtiger Faktor für die Gesundheit. Ein fröhliches Herz ist eben auch stark.

Dies ist eine gekürzte Fassung. Den vollständigen Text finden Sie in FOCUS-GESUNDHEIT „Gesundes, starkes Herz" – als Print-Heft oder als digitale Ausgabe.

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© FOCUS-Gesundheit

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Dieser Artikel enthält allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder –behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen. Den passenden Arzt finden Sie über unser Ärzteverzeichnis.

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