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„Wir behandeln Patienten mit Kot“

Andreas Stallmach therapiert Kranke mit einem Stuhltransfer. Im Interview erklärt der Experte, warum er damit heilen kann, wenn Antibiotika versagen.

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Verschiedene Mikroorganismen besiedeln die Darmwand

© Schiene Photo Library

Es klingt unappetitlich, aber es hilft: Der Gastroenterologe Andreas Stallmach vom Universitätsklinikum in Jena überträgt den Stuhl eines gesunden Spenders in den Dickdarm von Patienten. Die Ekeltherapie könnte deren Leben retten und zum Beispiel Infektionen heilen, wenn Antibiotika versagen. Wie die ungewöhnliche Methode funktioniert, bei welchen Krankheiten sie eingesetzt wird und wie Forscher das Verfahren weiterentwickeln.

Herr Stallmach, was befindet sich im Stuhl eines Gesunden, das im Darm eines Kranken heilende Kräfte entfaltet?
Millionen winziger Bakterien und deren Stoffwechselprodukte. Mikroorganismen spielen eine zentrale Rolle für unsere Gesundheit. Sie helfen uns dabei, Nahrung abzubauen, produzieren wichtige Vitamine und Mineralstoffe oder arbeiten mit dem Immunsystem zusammen. Jeder trägt schätzungsweise 40 Billionen dieser Untermieter mit sich herum – die meisten davon im Darm. Die Gesamtheit der kleinen Mitbewohner im menschlichen Körper bezeichnet man als Mikrobiom. Bei verschiedenen Erkrankungen ist die Bakteriengemeinschaft verändert. Der Stuhltransfer zielt darauf ab, sie zu reparieren.

Andreas Stallmach, Gastroenterologe am Universitätsklinikum in Jena, hält ein Endoskop in der Hand. Damit bringt er den Stuhl eines gesunden Spenders (im Beutel hinter ihm) in den Darm eines Patienten ein

© Jonas Ratermann

Andreas Stallmach
Gastroenterologe am Universitätsklinikum in Jena, hält ein Endoskop in der Hand. Damit bringt er den Stuhl eines gesunden Spenders (im Beutel hinter ihm) in den Darm eines Patienten ein.
 

Welchen Patienten hilft eine Fäkalspende?Im Grunde könnte die Therapie bei jedem Kranken wirksam sein, bei dem das Mikrobiom ursächlich verändert ist. Inzwischen ist die Liste wissenschaftlicher Studien, die für verschiedenste Erkrankungen einen Unterschied zwischen den Darmmitbewohnern von Patienten im Vergleich zu Gesunden nachgewiesen haben, angewachsen. Dazu gehören unter anderem Typ-2-Diabetes, Dickdarmkrebs, Reizdarm-Syndrom, chronisch entzündliche Darmerkrankungen wie Colitis Ulcerosa oder Morbus Crohn, Asthma, Rheuma, Fettleibigkeit, Multiple Sklerose, Depression oder Autismus. Unklar ist aber bisher, ob diese Veränderungen die Ursache oder Folge der Erkrankung sind.

Einen klaren Nachweis für die Wirksamkeit eines Mikrobiomtransfers gibt es bisher aber nur bei Menschen, die unter einer Infektion mit einem gefährlichen Durchfallerreger leiden. Bei dieser Erkrankung setzen wir die Therapie auch schon standardmäßig ein. Clostridioides difficile, so heißt er, ist der häufigste Erreger von Durchfällen in Krankenhäusern. Fünf bis 20 Menschen pro 100.000 bekommen eine Infektion.

Wie gut funktioniert die Stuhltherapie bei einer Clostridioides-difficile-Infektion?
Sie wirkt deutlich besser als die Behandlung mit Antibiotika, denn viele Patienten erleiden immer wieder einen Rückfall der Infektion. Durch eine Stuhlübertragung werden über 85 Prozent der Betroffenen gesund, für die konventionelle Antibiotikatherapie liegt die langfristige Erfolgsquote dagegen nur bei durchschnittlich 30 bis 40 Prozent. Trotzdem müssen wir immer zuerst versuchen mit Medikamenten zu heilen. Nur, wenn nichts anderes hilft, darf der Stuhltransfer eingesetzt werden.

Warum ist die Stuhlbehandlung immer erst zweite oder dritte Wahl?
Weil zu viele Fragen unbeantwortet sind. Den genauen molekularen Mechanismus, der hinter der heilsamen Wirkung des Spenderstuhls steckt, kennen wir noch nicht. Es könnte sein, dass die Mikroorganismen selbst gar nicht notwendig wären für den Genesungsprozess, sondern deren Stoffwechselprodukte ausreichen.

Kritiker befürchten, dass mit dem Mikrobiom Anlagen für chronische Erkrankungen übertragen werden. Wenn ein Spender, der zum Zeitpunkt des Transfers gesund ist, zehn Jahre später zum Beispiel Dickdarmkrebs bekommt, könnte sich für den Empfänger durch den Stuhltransfer das Krebsrisiko erhöhen. Ich schätze diese Gefahr gering ein, denn das übertragene Mikrobiom bleibt nicht lange im Patienten, sondern wird von dessen eigenen Bakterien überwachsen

Das heißt, Sie müssen noch mehr forschen, um herauszufinden, ob die Stuhltransfer auch langfristig sicher ist?Richtig. Deshalb sammeln wir gemeinsam mit Maria Vehreschild von der Uniklinik Köln Daten von allen Stuhlübertragungen in Deutschland in einem Register. Mehr als 300 Patienten und deren Behandlungsverlauf haben wir bereits erfasst. Bisher sind uns nur leichte Nebenwirkungen der Behandlung bekannt. Zwei bis drei Tage nach dem Mikrobiomtransfer erleben manche ein Völlegefühl, Blähungen oder Bauchschmerzen. Bei knapp fünf Prozent der Patienten tritt leichtes Fieber auf. In fünf bis zehn Jahren werden wir wissen, ob seltene, gefährliche Begleiterscheinungen vorkommen.

Warum funktioniert der Stuhltransfer nicht auch bei weiteren Krankheiten?
Möglicherweise führen wir die Therapie noch nicht ideal durch. Bei einer Clostridioides-difficile-Infektion hilft schon ein einziger Mikrobiomtransfer, obwohl die fremden Darmmitbewohner nicht lange im Patienten verbleiben.

Das Darmmikrobiom verändert sich ständig. Wenn die körperfremden Bakterien durch den Stuhltransfer in den Körper kommen, nimmt das körpereigene Immunsystem Einfluss und regelt das Mikrobiom schnell wieder in den Ausgangszustand zurück. Das könnte bei chronischen Erkrankungen die Krankheits-Symptome wieder auslösen - es kommt zum Rückfall. Dann müssten wir das Mikrobiom möglicherweise immer wieder „heilen“, indem der Patient mehrmals pro Woche oder jeden Tag Mikrobiom schluckt, das in Kapseln verpackt ist wie ein Medikament. Diesen Ansatz testen wir gerade bei Menschen mit Colitis ulcerosa.

Wirken die fremden Mikroorganismen auch, wenn der Patient sie schluckt?
Ja, es gibt Untersuchungen, die das zeigen. Die Kapseln widerstehen der Magensäure bis zu drei Stunden lang und gelangen dann in den Dünn- und Dickdarm. Wichtig ist, dass der Erkrankte sie in der Nüchternphase des Magens einnimmt, also lange vor dem Frühstück und deutlich nach dem Abendessen.

Wie sieht der Mikrobiomtransfer der Zukunft aus?
In zehn oder fünfzehn Jahren wird keiner mehr einen sogenannten schmutzigen Mikrobiomtransfer durchführen. Wenn wir wissen, welche Mikroorganismen oder Stoffwechselprodukte der Winzlinge für den Patienten nützlich sind, können wir ein Medikament mit den entsprechenden Inhalten im Labor herstellen, vielleicht sogar personalisiert – also spezifisch auf einen einzelnen Erkrankten abgestimmt.

Wann wurde eine Stuhltransplantation das erste Mal durchgeführt?
Die Methode ist Jahrtausende alt. In einem Lehrbuch der chinesischen Heilkunde wird von der Übertragung der „goldenen Flüssigkeit“ um 400 nach Christus berichtet. Schon damals haben Heiler beobachtet, dass eine Stuhltransplantation Menschen mit bestimmten Durchfallerkrankungen helfen kann. Die frühen Experten wussten aber noch nicht, was dabei genau passierte. Erst durch große technische Fortschritte in der Molekularbiologie im 21. Jahrhundert können Wissenschaftler das Mikrobiom analysieren.

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