Gute Blutzuckerwerte und die richtige Spritztechnik
Routine hat Tücken. Das gilt auch beim Spritzen von Insulin. Mit der Zeit schleichen sich kleine Ungenauigkeiten ein. Wenn Menschen mit Diabetes etwa versehentlich das Dosierrad ihres Pens zurückdrehen, statt den Injektionsknopf auszulösen, fließt kein Insulin. „Wir haben mehrere Patienten jährlich, bei denen sich rätselhafte Blutzuckerschwankungen genau darauf zurückführen lassen“, berichtet Bernhard Gehr vom Zentrum für Diabetes- und Stoffwechselerkrankungen an der Fachklinik Bad Heilbrunn.
Der Diabetologe bittet seine Patienten in diesen Fällen, die Spritztechnik von A bis Z vorzuführen – denn manchmal steckt der Fehler in winzigen Details. „Man muss sich wirklich ganz genau anschauen, wie der Patient das macht“, sagt er. „Das ist zwar zeitintensiv, aber grundlegend für den Therapie-Erfolg!“
Trübes Insulin schwenken
„Schwenken, nicht schütteln“ heißt die Devise für trübes Insulin wie NPH-Insulin. Das ist notwendig, damit sich die Inhaltsstoffe gleichmäßig verteilen und die Wirkung, wie erwünscht, erst nach und nach eintritt. Dabei den Pen nicht wie einen Drink à la Bond schütteln. Das schadet dem Insulin und führt dazu, dass sich in der Patrone Luftbläschen bilden. Perfekt: den Pen 20-mal sanft auf und ab schwenken – wie ein Jo-Jo. Bei klaren Insulinen ist das überflüssig.
Kurze Nadeln verwenden
Insulin wird am besten im Fettgewebe der Unterhaut aufgenommen. Damit es sicher und zuverlässig dort ankommt, „reichen im Schnitt die vier bis sechs Millimeter kurzen, modernen Nadeln völlig“, erklärt Gehr. „Das gilt selbst bei sehr starkem Übergewicht, denn der Aufbau der obersten Hautschichten ist bei allen Menschen gleich.“ Mit kurzen Nadeln ist das Spritzen weniger schmerzhaft oder sogar schmerzfrei. Patienten müssen keine Hautfalte bilden, und es kommt nicht zu unerwünschten Injektionen in den Muskel, die zu Blutzuckerschwankungen bis hin zur Unterzuckerung führen können.
„Lipos“ – nein danke!
Spritzen Insulinpflichtige wiederholt in dieselbe Stelle, kommt es dort zu einem verstärkten Wachstum von Fettablagerungen und Bindegewebe. Betroffene mit sogenannten Lipohypertrophien haben häufiger Unterzuckerungen und Blutzuckerschwankungen, denn aus dem verhärteten Gewebe wird das Insulin nicht gleichmäßig ins Blut resorbiert. Die harten Stellen verschwinden oft erst nach Jahren und nur bei monatelangem Schonen der Stellen.
Deshalb: Spritzstellen rotierend auswählen, Pen-Nadeln nur einmal verwenden. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) empfiehlt einen Spritzkalender. Rotationsmöglichkeiten z. B. unter nadelwechsel.de.
Spritzstellen wechseln
„Spritzen in den Oberschenkel ist eigentlich nur noch bei älteren Basalinsulinen wie NPH-Insulin nötig, die dort entsprechend langsam aufgenommen werden“, sagt Bernhard Gehr. Empfohlen wird das Spritzen in den Oberschenkel vor allem noch bei Kindern. Erwachsene injizieren das Insulin vorzugsweise in den Bauch und in die Flanken.
Wichtig: bei jedem Spritzen die Einstichstelle wechseln und einen größeren Abstand (mindestens zwei Zentimeter) zwischen der neuen und den vorherigen Injektionsstellen halten. Andernfalls entstehen Verhärtungen im Gewebe, sogenannte Lipos, die die Wirkung des Insulins stark beeinträchtigen können. „Manche Patienten denken, man dürfe nur unter dem Nabel spritzen“, so Gehr. Doch auch die Regionen zwischen dem Rippenbogen und dem Beckenkamm, am Oberbauch sowie in den Flanken am Rücken seien „super Spritzstellen“, so der Experte.
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Insulin-Spritzplan Bauch
Bild 1
- bei jeder Injektion die Spritzstelle wechseln
- ca. drei Fingerbreit Abstand vom Bauchnabel halten
- Zwischen den Einstichstellen zwei bis drei Zentimeter Abstand
- Spritzrichtung: vom Bauchnabel weg ist besser für die Orientierung
- pro Tag in einer Linie spritzen
- nach Woche 2 wieder die Seite wechseln
- Insulinresorption: schnell
- Spritzstelle für Normalinsulin. Spritzstellen für Mischinsulin: morgens Bauch, abends Oberschenkel oder Gesäß. Insulinanaloga beliebig.
Bild 2
- Bei jeder Injektion die Spritzstelle wechseln
- ca. drei Fingerbreit Abstand vom Bauchnabel halten
- Zwischen den Einstichstellen zwei bis drei Zentimeter Abstand
- Spritzrichtung: vom Bauchnabel weg ist besser für die Orientierung
- Unterteilung der Tage in Segmente beachten
- Festes Rotationsschema beibehalten. Gleiche Tageszeit, gleiche Spritzzone
- Insulinresorption: schnell
- Spritzstelle für Normalinsulin. Spritzstellen für Mischinsulin morgens Bauch, abends Oberschenkel oder Gesäß. Insulinanaloga beliebig.
Insulin-Spritzplan Oberschenkel
Bild 1
- bei jeder Injektion die Spritzstelle wechseln
- zwischen den Einstichstellen zwei bis drei Zentimeter Abstand
- festes Schema und immer die korrekte Richtung einhalten
- nach Woche 2 wieder die Seite wechseln
- Insulinresorption: an Oberschenkeln (und Gesäß) langsamer als am Bauch
- Spritzstellen für Mischinsulin: morgens Bauch, abends Oberschenkel oder Gesäß. Insulinanaloga beliebig.
Bild 2
- bei jeder Injektion die Spritzstelle wechseln
- Injektionen pro Tageszeit (morgens, abends etc.) in einer Linie vornehmen - gleiche Tageszeit, gleiche Spritzlinie
- zwischen den Einstichstellen zwei bis drei Zentimeter Abstand
- festes Schema und immer die korrekte Richtung einhalten
- nach Woche 2 wieder die Seite wechseln
- Insulinresorption: an Oberschenkeln (und Gesäß) langsamer als am Bauch
- Spritzstellen für Mischinsulin: morgens Bauch, abends Oberschenkel oder Gesäß. Inuslinanaloga beliebig.
Nadeln regelmäßig tauschen
Moderne Kanülen, sprich Hohlnadeln, sind kleine Hightech-Wunder, beschichtet, extrem fein, dünnwandig und scharf geschliffen. Und genau aus diesem Grund zum Einmalgebrauch bestimmt, was einer Studie zufolge bis zu 56 Prozent der Insulin spritzenden Menschen ignorieren. „Mit jeder Benutzung werden die Nadeln stumpfer, irgendwann sehen sie aus wie Angelhaken.
Damit im Gewebe herumzubohren ist nicht gesund“, warnt Gehr. Auch hier drohen Verhärtungen. Verbleibt die Nadel auf dem Pen, kann sich – etwa bei Flugreisen oder starken Temperaturunterschieden – Luft in der Ampulle ansammeln. Daher unbedingt abschrauben!
Pumpe und Katheter umsetzen
„Viele tragen ihre schlauchlose Pumpe gern am Oberarm und verwenden dabei immer dieselbe Stelle“, so Gehr. Der Experte empfiehlt, links und rechts abzuwechseln, auch mal die Höhe zu variieren oder den Katheter – das Verbindungsteil zur Pumpe, bestehend aus Schlauch und selbstklebender Auflage mit Kanüle – am Bauch zu setzen.
Katheterwechsel vorbereiten
Wichtig: die Haut vor jedem Katheter-wechsel gut vorbereiten. Zuerst mit Desinfektionsmittel und Zellstoffpapiertaschentuch entfetten. „Dann halten sämtliche Pflaster besser“, verspricht Gehr. Anschließend das Desinfektionsmittel noch einmal aufsprühen und vollständig trocknen lassen, um die Haut keimfrei zu machen. Jetzt den Katheter setzen.
Katheter: Teflon oder Stahl?
Für Teflonkatheter, die abknicken können, gibt es Einführhilfen, mit denen der Einstichwinkel automatisch richtig ist. Die robusteren Stahlkatheter werden immer senkrecht eingeführt. „Das ist ein bisschen Übungssache, letztendlich aber kein ausschlaggebendes Kriterium für die Katheterauswahl“, meint Diabetologe Gehr. Er empfiehlt, die Katheter nach Möglichkeit vorher auszuprobieren. Fragen wie „Welchen vertrage ich gut?“ oder „Welches Pflaster klebt gut?“ lassen sich so beantworten.
Kanülen rechtzeitig austauschen
Kurze Kanülen reduzieren das Risiko, den Muskel zu treffen, deutlich. Für Stahlkanülen empfiehlt sich ein Wechsel nach ein bis zwei, für Teflonkanülen nach zwei bis drei Tagen. Bei längerer Liegezeit kann es zum Ablösen des Pflasters, zu Lecks am Katheter oder Hautrötungen kommen.
Generell gilt: regelmäßig die Spritztechnik überprüfen und das Know-how auffrischen!
Dies ist eine gekürzte Fassung. Den vollständigen Text finden Sie in FOCUS-Diabetes „Seele stärken" 03/2019 – als Print-Heft oder als digitale Ausgabe.