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Vaginal Seeding: Gesünderer Start ins Leben für Kaiserschnitt-Babys?

Beim Vaginal Seeding werden neugeborene Kaiserschnitt-Babys mit Vaginalsekret der Mutter betupft, um ihre Darmflora zu stärken. Warum die Methode in ausländischen Kreißsälen längst zum Standard gehört, während Ärzte und Hebammen hierzulande noch zurückhaltend sind.

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Eine Mutter mit Kaiserschnitt-Narbe hält ihr neugeborenes Baby im Arm

© Mauritius

Mehr als 770.000 Babys wurden im Jahr 2020 in Deutschland zur Welt gebracht. Heutzutage gibt es bei der Geburt immer mehr Optionen für Ärzte und Mütter. Während die meisten Frauen ihre Kinder auf natürliche Weise entbinden, erblicken circa 30 Prozent der Babys durch einen Kaiserschnitt das Licht der Welt. Ein Kaiserschnitt kann Leben retten, beispielsweise wenn das Kind quer liegt oder schwere Erkrankungen der Mutter vorausgehen. Er ist aber auch mit gesundheitlichen Nachteilen für das Baby verbunden, wie etwa einer höheren Anfälligkeit für einige Krankheiten. Manche Forscher meinen dafür eine Lösung gefunden zu haben: Vaginal Seeding.

Dabei werden Neugeborene, die durch einen Kaiserschnitt zur Welt kommen, mit Keimen aus dem Vaginaltrakt der Mutter betupft. Das soll das Mikrobiom (die Bakterienflora) des Babys positiv beeinflussen und sein Immunsystem stärken.

Mysterium Mikrobiom

In unserem Darm leben Milliarden von Mikroorganismen, also Bakterien, Viren und Pilze. Diese „Lebensgemeinschaft“ bildet unsere Darmflora. Ihre Zusammensetzung hat großen Einfluss auf unsere Gesundheit. Studien haben gezeigt, dass die Darmflora entscheidend zur Ausbildung unseres Immunsystems beiträgt. Allerdings ist über die Zusammensetzung und Funktion des Mikrobioms noch längst nicht alles bekannt.

„Bei einer natürlichen Geburt wandert das Kind durch den Geburtskanal und die Scheide der Mutter und nimmt dadurch Keime aus ihrer Vaginalflora auf“, erklärt Ursula Jahn-Zöhrens. Sie ist seit 35 Jahren Hebamme und gehört dem Präsidium des Deutschen Hebammen-Verbands an. „Wenn Kinder geboren werden, ist ihr Magen-Darm-Trakt keimfrei. Kaiserschnitt-Babys entgehen die stärkenden Keime der Mutter. Das Betupfen der Neugeborenen soll dafür sorgen, dass sie mit den Bakterien konfrontiert und besiedelt werden.“

Chancen von Vaginal Seeding

Studien zeigen, dass Kaiserschnitt-Babys anfälliger für Asthma, Allergien, Diabetes, entzündliche Darmerkrankungen und auch Adipositas sind.

Viele Experten vermuten, dass das am fehlenden Kontakt des Kindes mit dem Mikrobiom der Mutter liegt. Vaginal Seeding soll den Säuglingen, die durch einen Kaiserschnitt zur Welt kommen, eine ähnliche Keimbesiedelung ermöglichen, wie sie vaginal geborene Babys auf natürliche Weise erfahren.

Dadurch soll das Immunsystem gestärkt und das Risiko für die Entstehung der genannten Krankheiten gesenkt werden. Inwiefern das tatsächlich funktioniert, ist noch unklar.

Der Effekt des Stillens

Auch die Ernährungsform des Neugeborenen hat einen großen Einfluss auf die Darmflora. Studien zeigen, dass Neugeborene, die gestillt werden, weniger anfällig für Darminfektionen und Allergien sind und eine höhere Anzahl und Diversität an Darmbakterien aufweisen.

Erste Studien liefern Hinweise darauf, dass sich Vaginal Seeding auf die Bakterienflora des Kindes auswirkt und dass das Mikrobiom von natürlich geborenen Säuglingen dem der mit Sekret betupften Babys stark ähnelt – auch noch nach einem Monat. Die bisherigen Studien beinhalten allerdings zu wenige Teilnehmer, als dass man einen belegbaren Effekt nachweisen könnte.

Risiken der Methode

Viele Mediziner in Deutschland sehen dem Trend skeptisch entgegen. Hauptargument der Kritiker ist, dass gefährliche Krankheiten auf die Neugeborenen übertragen werden könnten – wie zum Beispiel Herpes-Viren, HIV, Chlamydien oder B-Streptokokken (die im schlimmsten Fall eine Hirnhautentzündung auslösen können). Vor der Geburt müssten mögliche Infektionen der Mütter also abgeklärt werden. Das gehört aber nicht in allen Ländern zur Routine. In Deutschland werden im Laufe der Schwangerschaft zumindest Tests auf B-Streptokokken und Chlamydien gemacht. „Ich möchte diese Kritik ernst nehmen, wenn auch viele Infektionen mit Symptomen auftreten und damit dann auch bekannt sind“, meint Ursula Jahn-Zöhrens vom Deutschen Hebammen Verband.

Trotz des Risikos einer Ansteckung bei einer natürlichen Geburt überwiegen dennoch deren Vorteile. In der aktuellen Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) zur „Sectio caesarea“ (der Fachbegriff für den Kaiserschnitt) fassen die Experten zusammen, dass die vaginale Geburt nach einer unkomplizierten Schwangerschaft nach aktueller Studienlage insgesamt vorteilhafter für Mütter und Kinder ist als der Kaiserschnitt.

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Hohe Kaiserschnittrate in Deutschland

Und dennoch: Ärzte führen viele Kaiserschnitte durch, ohne dass ein medizinischer Grund vorliegt. Fast jedes dritte Baby wird hierzulande per Sectio zur Welt gebracht. Das ist deutlich mehr als noch vor dreißig Jahren. 1991 lag die Anzahl der Kaiserschnitte bei rund 15 Prozent. Seither stieg die Rate jedes Jahr weiter an, bis zum Jahr 2011 hatte sie sich verdoppelt. 32,2 Prozent der Geburten fanden 2011 durch einen Kaiserschnitt statt. Inzwischen zeichnet sich ein langsamer Rückgang ab. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, eine Kaiserschnittrate von 10 Prozent solle nicht überschritten werden. Der stärkere Fokus auf die natürliche Geburt wird von Wissenschaftlern schon seit vielen Jahren gefordert.

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Pro und Contra: Gründe für Geburten per Kaiserschnitt

Die Leitlinie der DGGG zeigt, dass nur zehn Prozent aller Kaiserschnitte in Deutschland aufgrund zwingender medizinischer Gründe vorgenommen werden. Experten vermuten, dass die Sectio oft auf Wunsch der Mütter durchgeführt wird, aus Angst vor den Wehen und Beckenbodenschäden, aus Sorge um das Baby und zur besseren Planbarkeit. Auch für die Klinik ist eine Geburt durch einen Kaiserschnitt besser zu planen als vaginale Geburten. Sie können zügiger abgewickelt werden und es wird weniger Personal benötigt. Ein weiterer möglicher Grund: Der Kaiserschnitt wird in Deutschland deutlich höher vergütet als eine vaginale Geburt. Aus Kliniksicht ist die Sectio wirtschaftlicher.

Fazit: Vaginal Seeding – ja oder nein?

Aufgrund der fehlenden Beweise einer Wirksamkeit und der Risiken gibt es in Deutschland bisher keine Richtlinie zum Vaginal Seeding. Das heißt, es ist weder empfohlen, noch verboten. „Wenn man das routinemäßig in die Versorgung aufnehmen wollte, müsste man besprechen, unter welchen Bedingungen das möglich ist“, erklärt Hebamme Ursula Jahn-Zöhrens. Mögliche Infektionen der Mutter müssten also vor der Geburt abgeklärt werden und der tatsächliche Nutzen für das Immunsystem des Babys müsste in aussagekräftigen Studien nachgewiesen werden.

Trotz fehlender Untersuchungen wird Vaginal Seeding in Ländern wie Amerika, Großbritannien oder Australien schon regelmäßig angewendet. In Deutschland bleibt es der Hebamme, dem Arzt und den Eltern überlassen. Schließlich müssen die Babys beim Vaginal Seeding nicht direkt nach der Geburt betupft werden. Das kann auch noch Wochen später passieren, wenn die Eltern und das Baby wieder zuhause sind. Es gibt bisher noch keine Daten dazu, wie häufig Vaginal Seeding in Deutschland schon durchgeführt wird.

Quellen
  • S3-Leitlinie: Die Sectio caesarea der Deutschen Gesellschaft für Gynökologie und Geburthilfe; Stand: Juni 2020
  • Interview mit Ursula Jahn-Zöhrens, Hebamme; Präsidium Deutscher Hebammenverband e. V.; 07.10.2021
  • Lutz, F et al.: Vaginal Seeding – Chance oder Risiko; Die Hebamme; 2018; DOI: 10.1055/s-0044-101138
  • Online-Informationen Statistisches Bundesamt Krankenhausentbindungen in Deutschland: www.destatis.de; Abruf: 14.10.2021
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