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Schmerztherapie

Chefarzt Sven Gottschling erklärt, warum niemand Qualen hinnehmen muss, ältere Menschen empfindlicher sind und Selbstmedikation gefährlich sein kann.

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Älterer Patient mit Schmerzen in der Schulter wird von Arzt untersucht

© Shutterstock

Unser Experte für Schmerztherapie

Sven Gottschling, Spezialist für Schmerztherapie und Chefarzt am Universitätsklinikum des Saarlands

 

Herr Professor Gottschling, meine Großmutter entgegnete, nach ihrem Wohlbefinden gefragt, gern: „Wenn ich morgens aufwache und es tut nichts weh, bin ich tot.“ Muss man Schmerzen in einem gewissen Alter akzeptieren?
Auf keinen Fall. Natürlich stellen sich mit dem Alter Verschleißerscheinungen oder chronische Erkrankungen ein. Man kann gegensteuern und über Ernährung, Vermeiden von Übergewicht und regelmäßige Bewegung verhindern, dass der Körper frühzeitig altert. Damit lässt sich viel erreichen, auch in späteren Jahren. Wiederkehrende oder dauerhafte Schmerzen sind grundsätzlich keine selbstverständlichen Begleiterscheinungen des Alters. Niemand muss und sollte sie hinnehmen.

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Gewöhnt sich der Körper mit zunehmendem Alter an Unpässlichkeiten?
Der Spruch „Alter ist ein gutes Schmerzmittel“ ist absolut falsch. Im Gegenteil. Wiederkehrende Schmerzen erhöhen die Empfindsamkeit. Wir verfügen über ein wachsames Schmerzmeldesystem, was bei akuten Problemen sinnvoll und überlebensnotwendig ist. Es verhindert, dass wir mit einem gebrochenen Zeh zum Marathonlauf antreten. Halten Beschwerden jedoch über lange Zeit an, regulieren die Schmerzrezeptoren hoch und reagieren immer sensibler. Aushalten härtet also nicht ab, es macht uns empfindlicher. Zusätzlich entwickeln wir leider auch ein Schmerzgedächtnis. Leidvolle Erfahrungen sind abgespeichert, und das Gehirn sendet mitunter Funksignale, die Schmerzen vorgaukeln, ohne dass eine tatsächliche Ursache erkennbar ist.

Empfinden ältere Menschen Schmerzen anders als junge?
Ja, Schmerzen wachsen mit dem Alter, weil schmerzregulierende Mechanismen im Körper nachlassen. Der Organismus besitzt ein hochpotentes schmerzhemmendes System. Nach einem schweren Unfall spürt der Verletzte in den ersten Minuten oder sogar über Stunden kaum etwas. Der Körper schüttet massiv Endorphine aus, die morphinähnliche Wirkung entfalten und die anflutenden Schmerzsignale bremsen. Diese Botenstoffe werden im Gehirn gebildet und über die absteigenden Bahnen im Rückenmark übertragen. Dummerweise degenerieren diese Bahnen ab dem 60. Lebensjahr bis 80. Lebensjahr aufwärts. Die Endorphin-Produktion funktioniert schlechter. Übrigens ist bei Neugeborenen und Kleinkindern das schmerzhemmende System noch nicht ausgebildet. Es reift langsam – und geht früher wieder kaputt. Die Systeme hingegen, die Schmerzen aktivieren und weiterleiten, arbeiten in jedem Alter sehr gut.

 

Wann ist es Zeit, einen Arzt aufzusuchen?
Es kommt darauf an, wie stark die Schmerzen beeinträchtigen. Kann jemand seinen Alltag nicht mehr bewältigen oder muss auf vieles, was ihm Spaß macht, verzichten, ist es Zeit, Hilfe zu suchen. Bekommt der Hausarzt die Probleme nach zwei bis drei Wochen nicht in den Griff, sollte man sich an einen Spezialisten mit der Zusatzbezeichnung „spezielle Schmerztherapie“ wenden. Diese Ärzte haben eine einjährige Vollzeitweiterbildung absolviert und kennen sich mit der Behandlung komplexer Schmerzen aus. Noch mal: Heutzutage muss niemand mehr unnötig leiden.

Wie Sie Schmerzen dem Arzt am besten beschreiben

  • Wo sitzt die Empfindung?
  • Wie lange dauert der Schmerz?
  • Wie stark ist er auf einer Skala von null (schmerzfrei) bis zehn (stärkster vorstellbarer Schmerz)?
  • Wie fühlt er sich an? Dumpf, drückend, pochend oder stechend?
  • Ist der Schmerz nur unter Belastung spürbar? Gibt es andere Auslöser (Streit Stress, Wetterumschwung)?
  • Raubt der Schmerz Ihnen den Schlaf?

Warum ist es wichtig, Schmerzen gut und ausreichend zu behandeln?
Schmerzen bedeuten Stress. Bei Stress laufen archaische Reaktionen ab. Der Körper schüttet Kampf- und Fluchthormone aus. Das Herz schlägt schneller, der Blutdruck schnellt nach oben. Damit wächst das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall. Die Magen-Darm-Tätigkeit nimmt ab, und die Nieren fahren zurück. Bei Stress steigt zudem der Cortisol-Spiegel, was das Immunsystem dämpft. Dauerschmerz führt zu einem Verlust an Hirnsubstanz, beschleunigt somit Demenz-Erkrankungen. Wer nicht schlafen kann, erholt sich nicht mehr, kann sich schlechter konzentrieren, ist nicht mehr so leistungsfähig. Die Menschen ziehen sich zurück, sind unleidlich gegenüber dem Partner. Schlussendlich steigt die Gefahr, in eine Depression abzurutschen. Kurzum: Die Nebenwirkungen von Schmerzen sind wirklich gravierend.

Ist Selbstmedikation in Ordnung?
Bei dauerhaften Schmerzen auf gar keinen Fall. Die gängigen frei verkäuflichen Medikamente sind nicht frei von Nebenwirkungen. Sie können Leber, Nieren und den Magen-Darm-Trakt schädigen. Im schlimmsten Fall führt es zu einem Versagen der Organe beziehungsweise zu gefährlichen Blutungen in Magen und Darm. Die Substanzen sind für eine Kurzzeitanwendung von drei bis maximal 14 Tagen geeignet und dann auch relativ unbedenklich. Nimmt ein Patient sie regelmäßig, begrenze ich auf fünf Einnahmetage pro Monat im Schnitt, also 60 Tage im Jahr. Wer mehr oder gar täglich Schmerzmittel braucht, gehört ärztlich betreut.

Welche Medikamente sind für eine Dauertherapie geeignet?
Zum Beispiel Opioid-Schmerzmittel, das bekannteste ist Morphin. Diese kann ein Arzt sehr genau steuern und nach Bedarf dosieren. Sie verursachen auch bei einer Langzeitanwendung keine bleibenden Organschäden.

Schmerzaktivierte Regionen im Gehirn

PET-Aufnahmen von schmerzaktivierten Regionen im Gehirn

© Science Photo Library

Schmerz aktiviert gleich mehrere Regionen im Gehirn. Auf der eingefärbten PET-Aufnahme zeigen die roten und gelben Bereiche schmerzhafte Empfindungen an. Diese finden sich vor allem in der Frontalrinde (oberste Reihe) sowie im Thalamus, im Hirnzentrum (untere Reihe)

FOCUS-Gesundheit 01/24 – Einfach besser leben 2024

© FOCUS-Gesundheit

FOCUS-Gesundheit 01/2024

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Viele Alterungsprozesse lassen sich nachweislich bremsen. Was uns jung hält. Wie wir Lust an Bewegung (wieder) finden. Plus: Übungen fürs Home-Workout. U.v.m.

Wichtiger Hinweis

Dieser Artikel enthält allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder –behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen. Den passenden Arzt finden Sie über unser Ärzteverzeichnis.

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