Es kommt aus dem Nichts und kann einen ganz schön aus dem Tritt bringen: Seitenstechen. Vor allem beim Laufen erleben Hobbysportler immer wieder die stechenden Schmerzen in der Seite. Manchmal werden diese so heftig, dass es einfach nicht mehr weitergeht – nur eine kurze Unterbrechung des Trainings schafft Abhilfe.
Wie und warum Seitenstechen entsteht, ist wissenschaftlich noch nicht eindeutig geklärt. Das liegt an der Natur der Sache selbst: „Wenn man Seitenstiche untersuchen will, sind sie weg. Das Phänomen tritt nur unter Belastung auf. Wenn diese endet, verschwindet auch das Seitenstechen“, sagt Klaus Völker, ehemaliger Direktor des Institutes für Sportmedizin des Universitätsklinikums Münster und Beauftragter für Fort- und Weiterbildung der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention.
Wahrscheinlich liegt es an der Durchblutung
Dementsprechend gibt es verschiedene Erklärungsansätze für das Phänomen Seitenstechen. Die plausibelste für Völker hat mit der Durchblutung zu tun. Genauer gesagt mit einer Umverteilung des Blutes: „Seitenstechen entsteht bei der Umstellung von Ruhe auf Belastung. Wenn die Muskeln plötzlich mehr leisten müssen, brauchen sie mehr Sauerstoff und dementsprechend mehr Blut. Es fließt weg von den inneren Organen hin zu den Muskeln“, erklärt der Senior-Professor für Sportmedizin. Besonders Leber und Milz seien von dieser Umverteilung betroffen. Befindet sich weniger Blut in ihnen, verändern sich auch Volumen und Gewicht der Organe. Über Strukturen des Bindegewebes sind sie im Bauchraum befestigt. „Durch die Blutumverteilung zieht es an den Aufhängungen der Organe“, so Völker. „Das scheint die Ursache für den Schmerz zu sein.“
Nachgefragt: Haben trainierte Menschen seltener Seitenstechen?
Klaus Völker: Es gibt einen Zusammenhang mit dem Trainingszustand: Die angesprochene Umverteilung des Blutes funktioniert bei trainierten Leuten besser. Deshalb tritt Seitenstechen bei Untrainierten häufiger auf. Genauso bei trainierten Menschen, die zum Beispiel aufgrund von Krankheit eine Pause gemacht haben.
Kurz nach einer Mahlzeit ist dementsprechend das Risiko höher, die unangenehmen Stiche beim Laufen zu bekommen. Denn die Magenfüllung beeinflusst ebenfalls die Durchblutung der Organe. Wer gut gegessen hat, bei dem fließt für die anstehende Verdauungsarbeit mehr Blut in den Magen. „Das schafft bei körperlicher Belastung eine Konkurrenzsituation: Sowohl die Muskeln, als auch die Verdauungsorgane hätten gerne mehr Blut zur Verfügung“, sagt der Experte. Leber und Milz gehören in dieser Situation zu den Verlierern im Gerangel um den Lebenssaft: Sie werden weniger durchblutet, verändern ihr Volumen und es kommt zum Seitenstechen – schneller noch als bei ungefülltem Magen.
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Was hilft gegen Seitenstechen?
Sportmediziner Völker hat vor allem einen Tipp gegen Seitenstechen: Das Tempo zu reduzieren. „Wenn ich die Laufgeschwindigkeit verringere oder eine Geh-Pause einlege, verschwindet das Seitenstechen meist. Ob und wie schnell es wiederkommt, ist individuell sehr unterschiedlich.“
Gängige Ratschläge beinhalten eine Veränderung der Atemtechnik oder auch ein Pressen der Hände auf die schmerzende Seite. Völker bezweifelt jedoch, dass sich durch Atmen das Seitenstechen direkt beeinflussen oder gar verhindern lässt. „Viele Theorien über die Entstehung von Seitenstichen sagen, dass das Zwerchfell daran beteiligt sei oder die untere Lunge nicht genug belüftet würde. Die Wahrscheinlichkeit dafür scheint mir allerdings sehr gering: Das Zwerchfell ist einer der besttrainierten Muskeln im Körper.“ Als Zwerchfell bezeichnet man eine Muskel-Sehnen-Platte, die in Ruhe 60 bis 80 Prozent der zur Einatmung benötigten Muskelarbeit leistet.
„Viele Menschen beobachten allerdings folgendes: Wenn man die Atmung verändert, ändert sich auch der Schmerz“, berichtet der Mediziner von seinen Erfahrungen aus der Praxis. „Man muss das individuell für sich selbst ausprobieren. Oft haben Veränderungen von Haltung oder Atmung indirekte Auswirkungen auf das Seitenstechen.“
Video: Joggen für Einsteiger
Wer gerade erst mit dem Laufen beginnt, hat tendenziell ein erhöhtes Risiko, Seitenstechen zu bekommen. Davon sollten Sie sich nicht entmutigen lassen. Zum Einstieg bietet sich am besten ein Mix aus Gehen und Joggen an. Die Anmeldung zu einem Wettkampf, der ein paar Monate in der Zukunft liegt, kann motivierend sein – übertreiben sollten Sie es dabei aber nicht. Ein kurzes Rennen reicht.