Unser Experte für Parkinson
Günter Höglinger, Vorsitzender der Deutschen Parkinsongesellschaft und Direktor der Klinik für Neurologie an der Medizinischen Hochschule HannoverHerr Professor Höglinger, was verursacht die typischen Parkinson-Symptome wie Zittern oder steife Muskeln?Bestimmte Nervenzellen im Gehirn sterben, weil sich ein Eiweiß namens Alpha-Synuclein in ihnen ablagert. Es verklumpt zu mikroskopisch sichtbaren Ansammlungen, den sogenannten Lewy-Körperchen. Alpha-Synuclein ist normaler Bestandteil der Zellen und wichtig für die Informationsübertragung zwischen Nerven. Wir beginnen zu verstehen, was diese Eiweißverklumpungen und damit die Parkinson-Krankheit verursacht.
Tückische Proteine: Wie Nervenzellen bei Parkinson sterben
1. Das Protein: Alpha-Synuclein kommt im Inneren von Nervenzellen vor – normalerweise in gelöster, unschädlicher Form.
2. Die Verklumpung: Bei Parkinson-Patienten faltet sich das Eiweiß falsch. Es verklumpt und bildet ein sogenanntes Lewy-Körperchen.
3. Der Nerventod: Die betroffene Nervenzelle stirbt, wenn sich zu viel fehlgefaltetes Alpha-Synuclein in der Zelle angesammelt hat. Das fehlerhafte Protein wird frei. Benachbarte Nervenzellen nehmen das defekte Alpha-Synuklein auf, wo es wie in einer Kettenreaktion einen weiteren Verklumpungsprozess in Gang setzt.
Helfen die neuen Erkenntnisse über die Entstehung von Parkinson, die Krankheit künftig zu heilen?
Ja. Mit bisherigen Medikamenten ersetzen wir lediglich den fehlenden Botenstoff Dopamin im Gehirn, können die Nervenzellen jedoch nicht vor dem Untergang bewahren. Mit dem Verständnis darüber, welche Stoffwechselwege bei Parkinson gestört sind, rücken zum ersten Mal Therapien in greifbare Nähe, die die Krankheit bei der Wurzel packen.
Ist die Erkrankung bei einem Teil der Patienten vererbt?
Das betrifft fünf bis zehn Prozent. Sie haben eine Veränderung (Mutation) in einem Parkinson-assoziierten Gen, welche die Krankheit auslöst. Wenn in einer Familie mehr als zwei Parkinson-Fälle vorkommen, handelt es sich wahrscheinlich um eine vererbte Form. Ein weiterer Hinweis ist, dass die Erkrankung relativ früh beginnt, also nicht wie üblicherweise mit 60 Jahren und aufwärts, sondern bereits vor dem 45. Lebensjahr.
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Viel häufiger ist die sogenannte sporadische Parkinson-Erkrankung. Was lässt bei betroffenen Patienten das Protein Alpha-Synuclein verklumpen?
Inzwischen wissen wir, dass es auch bei der nicht-erblichen Form eine genetische Komponente gibt. Hierbei aktiviert nicht eine einzelne Genmutation die Proteinverklumpung, jedoch erhöhen kleinere Veränderungen im Erbgut, die häufiger vorkommen, das Risiko. Erst wenn mehrere solcher genetischer Risikovarianten und möglicherweise weitere Umweltfaktoren zusammenkommen, entwickelt sich eine Parkinson-Erkrankung.
Welche äußeren Faktoren beeinflussen das Risiko für Parkinson?
Wir wissen, dass Pestizide die Wahrscheinlichkeit zu erkranken erhöhen. Man sollte also Obst und Gemüse immer gut waschen und sich nicht in der Nähe aufhalten, wenn der Bauer Schädlingsbekämpfungsmittel ausbringt. Pestizide im eigenen Garten sollten allenfalls mit größter Vorsicht eingesetzt werden.
Ein zweiter bekannter Faktor sind wiederholte Schläge auf den Kopf, wie beim Boxen. Der dreimalige Boxweltmeister Muhammad Ali litt an Parkinson. Grundsätzlich schützt regelmäßige sportliche Aktivität vor der Erkrankung.
Es gibt Hinweise, dass die Parkinson-Erkrankung im Darm beginnt. Wie kommt das fehlgefaltete Protein von dort ins Gehirn?
Im Darm gibt es auch ein Nervengeflecht, welches die Aktivität des Organs steuert. Der sogenannte Vagusnerv verbindet es mit dem Gehirn. Bei vielen Parkinson-Patienten findet man in der Frühphase Synuclein-Ansammlungen in den Nerven des Darmes, speziell im Vagus-Nerv.
Wenn das Protein einmal verklumpt, löst es eine Kettenreaktion aus und der Fehler geht von Nervenzelle zu Nervenzelle über. Eine von Experten weltweit unterstützte Hypothese ist, dass die Fehlfaltung des Proteins bei vielen Patienten im Darm ihren Ursprung nimmt und sich über den Vagusnerv in den Hirnstamm und von dort in den Rest des Gehirns ausbreitet. Man könnte wild spekulieren, dass Pestizide erste Verklumpungen im Nervensystem des Darms auslösen, aber dafür gibt es noch keine Beweise.
In einer aktuellen Studie mit 40.000 Patienten wurden 90 Gene identifiziert, die das Risiko für Parkinson erhöhen. Bei welchen Prozessen in der Zelle spielen sie eine Rolle?
Es gibt drei große Gruppen von Genvarianten bei Parkinson. Die eine betrifft direkt das Synuclein-Protein. Entweder es ist falsch gefaltet und verklumpt dann eher oder es liegt in erhöhter Konzentration in der Zelle vor, was ebenfalls die Wahrscheinlichkeit steigert, dass es sich ablagert.
Bei der zweiten Gruppe kommt es zu Fehlern in den Mitochondrien. Das sind die Kraftwerke der Zelle, die diese mit Energie versorgen wie ein Auto mit Benzin oder Strom. Die veränderten Mitochondrien produzieren als Nebenprodukt vermehrt freie Radikale, die Proteine wie das Synuclein schädigen können.
Die dritte Möglichkeit sind genetische Varianten, die dazu führen, dass die Müllabfuhr in der Zelle defekt ist. Eiweiße in den Zellen müssen immer wieder ausgetauscht werden. Dafür existieren verschiedene zelleigene Abbauwege. Einer davon, die lysosomale Zellreinigung, kann bei Parkinson gestört sein. Wenn die Müllabfuhr der Zelle versagt, werden kaputte Synuclein-Proteine nicht mehr abgebaut und verklumpen.
Sind häufig mehrere Ursachen gleichzeitig an der Krankheitsentstehung beteiligt?
Es kommt darauf an. Bei Patienten mit der sporadischen Parkinson-Krankheit, ist es wahrscheinlich eine Mischung aus verschiedenen Komponenten, die irgendwann das Fass zum Überlaufen bringt.
Erkranken Menschen an der erblichen Form, lässt sich meist eine einzige Ursache feststellen. Die häufigste Parkinson-Mutation, die etwa sieben Prozent der Patienten betrifft, ist eine Veränderung in der Glucocerebrosidase, einem Enzym, das an der Zellreinigung beteiligt ist.
Zum ersten Mal sind Therapien in Reichweite, die an den Ursachen ansetzen, statt lediglich Symptome zu bekämpfen.
Ist ein therapeutischer Ansatz, die zelleigene Müllabfuhr wieder zu aktivieren?
Genau. Eine kleine Studie am Menschen führten englische Forscher mit einem Wirkstoff durch, der eigentlich als Hustenlöser eingesetzt wird. 17 Patienten nahmen an der Untersuchung teil, etwa die Hälfte mit der erblichen Glucocerebrosidase-Form von Parkinson, der andere Teil mit einer sporadischen Erkrankung. Erste Ergebnisse waren vielversprechend. Die Autoren planen eine größere Studie mit mehr Patienten über einen Zeitraum von zwölf Monaten, um die Wirksamkeit im Vergleich zu einer Placebo-Gruppe zu testen.
Eine weitere Idee ist, mit Antikörpern zu arbeiten, die das fehlgefaltete Eiweiß Alpha-Synuclein unschädlich machen, bevor es die Nervenzellen zerstört. Wie funktioniert das?
Über eine Infusion werden die Antikörper verabreicht. Das sind kleine Moleküle, die spezifisch an das Alpha-Synuclein binden, das sich zwischen den Zellen befindet. Anschließend baut der Körper das so markierte schädliche Eiweiß ab. Ich hatte bereits die Kettenreaktion erklärt, mit der sich die Verklumpung des Proteins von Nervenzelle zu Nervenzelle überträgt. Mit den Antikörpern können wir das abgelagerte Eiweiß zwar nicht aus den Nervenzellen herausholen, dieses aber auf dem Weg zur nächsten Nervenzelle wegfischen.
Wie weit sind Wissenschaftler mit der Antikörper-Therapie gegen Parkinson?
Es liefen bereits klinische Studien der Phase II, also Tests an größeren Patientengruppen mit dem Ziel, die Sicherheit und erste Hinweise auf die Wirksamkeit der Antikörper bei Parkinson zu untersuchen. Allerdings wurde das große Ziel, dass sich die Krankheit innerhalb von zwölf Monaten mit den Antikörpern statistisch eindeutig verlangsamt, nicht erreicht. Trotzdem gab es, nach Aussagen der Pharmafirma, positive Teilergebnisse, weshalb Folgestudien angedacht sind.
Gibt es weitere Wirkstoffe, die Parkinson irgendwann heilen könnten und bereits in Studien getestet wurden?
Ja, Wissenschaftler wollen zum Beispiel mit kleinen DNA-Schnipseln die Produktion von Alpha-Synuclein drosseln. Sogenannte Antisense-Oligonukleotide steuern, ob Gene in ein Protein übersetzt werden. Für andere Erkrankungen konnten Forscher bereits zeigen, dass Oligonukleotide die Produktion von bestimmten Proteinen im Gehirn stummschalten, wenn sie ins Nervenwasser gespritzt werden. Bei Parkinson soll das nun auch versucht werden.
Wann könnte es eine erste zugelassene Parkinson-Therapie geben, die das Nervensterben bremst?
Sollten die Studien, in denen aktuell Antikörper oder Booster für die Zellreinigung getestet werden, gut laufen, wäre es möglich, dass wir bereits in fünf Jahren ein Parkinson-Medikament haben, das die Krankheit ursächlich behandelt.
Parkinson: Frühwarnsymptome
Wenn eine ursächliche Therapie möglich ist, wäre es wichtig die Krankheit frühzeitig zu erkennen, bevor Nervenzellen unwiederbringlich absterben. Gibt es dafür molekulare Tests?
Es gibt neue Ansätze, die mich hoffnungsvoll stimmen. Sie weisen Alpha-Synuclein-Verklumpungen im Nervenwasser nach. Dazu entnimmt man an der Lendenwirbelsäule ein paar Tropfen und untersucht dieses mit einem sogenannten RT-QuIC-Test.
Andere Verfahren versuchen Alpha-Synuklein in den Nervenzellen der Haut oder des Darms nachzuweisen. Das klappt allerdings nicht immer eindeutig und eine Entnahme von Zellen aus dem Darm ist vergleichsweise aufwendig.
Wie könnte die Parkinson-Therapie der Zukunft aussehen?
Das Ziel ist eine personalisierte Medizin. Ärzte stellen fest, welche genetischen Varianten ein Patient hat und welche Stoffwechselwege gestört sind, um dann ein individuell passendes Medikament auszuwählen.
Das könnte mit einer einfachen Hautbiopsie funktionieren. Eine amerikanische Arbeitsgruppe aus Los Angeles um Alexander Laperle programmierte in einem Experiment die Hautzellen von Patienten mit modernen gentechnischen Methoden zu Nervenzellen um. Sie stellten bei Patienten mit der sporadischen Form fest, dass die Zellreinigung gestört war und korrigierten mit bestimmten Medikamenten diese defekten Stoffwechselwege in der Zellkultur. Mit solchen Zelltests könnte es in der Zukunft möglich sein, für jeden einzelnen Patienten zu überprüfen, welche Wirkstoffe helfen.
Um die Erforschung der Parkinson-Krankheit voranzutreiben, hat die Deutsche Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen (DPG) gemeinsam mit prominenten Partnern aus Medizin, Wissenschaft und Gesellschaft die Parkinson Stiftung gegründet. Die Stiftung kann durch Spenden unterstützt werden. Mehr Infos: www.parkinsonstiftung.de.