Entzündete Haut hat viele Gesichter. Sie zeigt rote Flecken, ist bedeckt mit silbrigen Schuppen, bildet nässende Ekzeme oder eitrige Krusten, verdickt sich, wird rissig. Chronische Hauterkrankungen schränken die Lebensqualität stark ein. Zu den verbreitetsten zählen Neurodermitis, auch atopische Dermatitis genannt, sowie Schuppenflechte, von Medizinern als Psoriasis bezeichnet. Studien zeigen, dass Psoriasis-Patienten aufgrund der auffälligen Hautveränderungen soziale Stigmatisierung und Ausgrenzung empfinden und erleben. Neurodermitis-Betroffene quält vor allem der starke Juckreiz, der sie nachts nicht durchschlafen lässt und ihnen tagsüber die Konzentration raubt. Verbessert sich der Zustand der Haut, steigt in der Regel auch die Lebensqualität. Heilbar sind die Erkrankungen nicht. Doch mit neuen Medikamenten lassen sich die schubweise auftretenden Symptome nun auch in schweren Fällen unter Kontrolle bringen.
Neurodermitis – Machen moderne Medikamente wirklich beschwerdefrei? (Podcast – Folge #37)
Zu Gast im Podcast:
Prof. Dr. Regina Treudler, Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten und leitende Oberärztin am Uniklinikum LeipzigUnd eine Neurodermitis-Patientin erzählt ihre Geschichte:
Romina, Neurodermitis-Patientin , hat als Kind und Jugendliche stark unter der Krankheit gelitten. Heute ist die 28-jährige Tanzlehrerin fast beschwerdefrei.Mehr zur Folge
Gegen Neurodermitis wurden in den letzten Jahren neue Behandlungsmethoden entwickelt. Sie sollen es prinzipiell jedem Betroffenen ermöglichen, symptomfrei zu leben. Das heißt: Schluss mit Ausschlag, Jucken, Schlaflosigkeit und gesellschaftlicher Diskriminierung. Das erklärt Neurodermitis-Expertin Prof. Regina Treudler, leitende Oberärztin am Uniklinikum Leipzig.
Wir haben sie gefragt, wie die modernen Behandlungsmethoden funktionieren, für wen sie erhältlich sind und wie man den richtigen Arzt findet.
Außerdem sprechen wir mit Romina. Sie ist Neurodermitis-Betroffene, hat als Kind und Jugendliche stark unter der Krankheit gelitten und ist heute so gut wie beschwerdefrei.
Kooperationspartner dieser Folge ist der Berufsverband der Deutschen Dermatologen (BVDD).
Auf der Seite https://neurodermitis.bitteberuehren.de finden Betroffene und Angehörige Orientierung im Therapiedschungel. Die Kampagne „Bitte berühren – Hand in Hand gegen Neurodermitis“ klärt außerdem über psychische Folgen der Hauterkrankung auf und setzt sich gegen Stigmatisierung und Diskriminierung ein.
„Mit den zielgerichteten Systemtherapien hat ein neues Zeitalter bei der Behandlung entzündlicher Hauterkrankungen begonnen“, sagt die Dermatologin Margitta Worm. „Für die Behandlung der Neurodermitis stehen uns inzwischen mit Antikörpern und Januskinase-Hemmern völlig neue Therapieoptionen zur Verfügung.“ Die Leiterin des Allergie-Centrums an der Charité in Berlin hat an Zulassungsstudien mitgewirkt und setzt die Medikamente seit einiger Zeit ein.
Statt lediglich Symptome zu lindern, greifen die Wirkstoffe auf unterschiedliche Weise direkt in die Entzündungsprozesse ein und gehen damit an die Ursache. Gemeinsamer Ansatzpunkt der zielgerichteten molekularen Therapie sind die Zytokine – jene Botenstoffe, die entscheidend an der Entzündungsreaktion beteiligt sind. Die modernen Medikamente hemmen diese Substanzen und bremsen so Krankheitsschübe.
Ursachen für Schuppenflechte und Neurodermitis
Ob ein Mensch im Laufe seines Lebens eine Schuppenflechte oder Neurodermitis entwickelt, hängt zunächst von der genetischen Veranlagung ab. Akut ausgelöst werden die Erkrankungen durch ein Vielzahl äußerer Faktoren von Allergenen bis Stress. Das Immunsystem fährt hoch, vermeintlich um den Körper zu schützen.
Was sich unter der Haut abspielt
Immunzellen reagieren über und schalten nicht mehr ab, die Haut verändert sich dauerhaft.
Beim Entzündungsprozess aktivieren ❶ äußere Reize das Immunsystem. ❷ T-Helferzellen produzieren die Botenstoffe Interleukin. ❸ Interleukine binden über Rezeptoren an andere Immunzellen. ❹ Die Bindung aktiviert diese Immunzellen und löst so eine Entzündung aus. ❺ Die Produktion von Interleukin fährt hoch, die Entzündung bleibt aufrechterhalten
Das Resultat der überaktiven Immunabwehr sind andauernde oder wiederkehrende Entzündungsprozesse und quälende Hautveränderungen. Charakteristisch für die Schuppenflechte sind rote Plaques mit silbrigen Schuppen. Für deren Entstehung sind die Zytokine Interleukin-17 (IL-17), IL-23 sowie TNF-alpha entscheidend. Die Botenstoffe bewirken, dass sich die hornbildenden Keratinozyten schneller vermehren. Normalerweise dauert es etwa vier Wochen, bis die Keratinozyten die oberste Hautschicht durchwandern und als tote Zellen abgestoßen werden. Im Chaos der Zytokin-Aktivitäten läuft dieser Prozess in nur drei bis vier Tagen ab. Da die Hautzellen noch nicht ausgereift sind, lösen sie sich nicht von der Oberfläche. An den betroffenen Stellen verdickt, rötet und schuppt sich die Haut.
Menschen mit Neurodermitis leiden unter Ekzemen. Sie entstehen aufgrund eines Lipidmangels, der die Barrierefunktion der Haut beschädigt. Die überschießende Immunantwort wird hauptsächlich durch die Interleukine IL-4 und IL-13 ausgelöst. Die Botenstoffe verstärken nicht nur den Lipidmangel, sie rekrutieren zudem weiße Blutkörperchen, die das Entzündungsgeschehen anheizen und aufrechterhalten.
Behandlung mit Biologika
Biologika adressieren genau jene Botenstoffe, die an der jeweiligen Entzündungsreaktion beteiligt sind. „Es ist faszinierend, dass es gelingt, mit einem spezifischen Blocker das ganze Chaos der Entzündung zu stoppen – vorausgesetzt, er trifft das richtige Zielmolekül“, sagt Thomas Werfel, Direktor der Klinik für Dermatologie an der Medizinischen Hochschule Hannover und Vorstandsmitglied der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft.
Für die Psoriasis scheint dies gelungen. Die zuletzt zugelassenen Medikamente erreichen bei fast 90 Prozent der Patienten eine nahezu entzündungsfreie haut. „Bei Psoriasis wirken die neueren Antikörper richtig stark“, so Werfel. Die biologisch hergestellten Antikörper binden an die Botenstoffe und unterbrechen so die Weitergabe der Signale, die zur Entzündung führen. Oder sie stören die Signalweiterleitung, indem sie den Oberflächenrezeptor blockieren, sodass die Zytokine nicht andocken können.
Biologika werden alle paar Wochen gespritzt. Ein Vorteil der Therapie: Einige Antikörper wirken auch auf gleichzeitig bestehende andere Erkrankungen. Psoriasis-Patienten haben oft auch Arthritis in den Gelenken. Unter den an Neurodermitis Erkrankten leidet etwa ein Drittel auch an allergischem Asthma.
Nicht ganz so durchschlagend sind die Antikörper bislang bei atopischer Dermatitis. Mit dem wichtigsten Biologikum in der Neurodermitis-Behandlung, Dupilumab, erreichten zwei Drittel der Betroffenen eine 75-prozentige Verbesserung der Ekzeme, wobei ein großer Teil der Patienten weiterhin äußerliche Therapien mit Cremes benötigt.
„Ein Gewinn ist, dass die Antikörper den Juckreiz deutlich reduzieren“, beobachtet Werfel. „Für künftige Entwicklungen bleibt durchaus Luft nach oben.“
Unser Experte für Neurodermitis und Schuppenflechte
Prof. Dr. Thomas Werfel, Prof. Thomas Werfel, Direktor der Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie an der Medizinischen Hochschule HannoverBehandlung mit JAK-Hemmer
Große Hoffnung setzen Dermatologen auf einen weiteren Ansatz: die Januskinase-Hemmer, auch JAK-Inhibitoren genannt. Die chemisch hergestellten kleinen Moleküle können als Tabletten eingenommen werden. Sie beeinflussen die Signalwege, die sich in der Zelle abspielen. Januskinase-Enzyme vermitteln die Botschaften der außerzellulären Zytokine in den Zellkern. Das Medikament unterbricht diese Weiterleitung, indem es am unteren Ende des Rezeptors die Bindungsstellen blockiert. Damit sind die Signale gleich mehrerer Botenstoffe gesperrt. „Die JAK-Inhibitoren wirken schneller, haben aber mehr Nebenwirkungen als die sehr sicheren Antikörper“, sagt Neurodermitis-Expertin Worm. Regelmäßige Kontrollen der Blutwerte sind bei eine Therapie mit JAK-Inhibitoren daher notwendig. Ein Gewinn sind die Hemmer auf jeden Fall. „Es ist wichtig, dass wir mehrere Behandlungsoptionen haben“, betont Worm.
Weitere werden wohl in nächster Zeit hinzukommen. So laufen klinische Studien für einen Antikörper, der bei Neurodermitis früher in das Entzündungsgeschehen eingreift. Er zielt auf das Oberflächenmolekül OX40 und stört bereits die Kommunikation zwischen den Antigen präsentierenden Zellen und den T-Zellen. Dies ist einer von vielen Ansätzen. Mehr als 70 neue Medikamente sind derzeit allein für Neurodermitis in der Entwicklung. Damit sich die Haut trotz chronischer Erkrankung frei von Plaque und Ekzemen zeigen kann.
FOCUS-GESUNDHEIT 03/23
Dieser Artikel ist eine gekürzte Fassung. Den vollständigen Text finden Sie in der Ausgabe Die große Ärzteliste 2023. Weitere Themen: Künstliche Intelligenz erleichtert die Behandlung von Multipler Sklerose. Hilfe für Schwindel-Patienten in spezialisierten Zentren. U.v.m.
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Die Wirkweise moderner Medikamente
Signalstörung erwünscht – Biologika und chemische Moleküle blockieren Entzündungsbotenstoffe
❶ Antikörper: Die Eiweißstrukturen besetzen den Oberflächenrezeptor der Immunzelle. Interleukine können nicht mehr andocken. Die Signalweiterleitung für den Entzündungsprozess ist unterbrochen
❷ JAK-Hemmer Die chemisch hergestellten Moleküle agieren im Inneren der Zelle. Sie hemmen das Januskinase-Enzym. Dieses kann Entzündungssignale der Interleukine nicht mehr weitervermitteln