Tumorzellen haben ihren eigenen Geschmack. Sie lehnen Beerenobst ab, schätzen Getreide und begeistern sich für Süßes. Diese Erkenntnisse gewinnt, wer derzeit bei Buchhändlern in der Abteilung mit Gesundheitstiteln stöbert. Neben den gewohnten Diät-Guides stapeln sich hier Ernährungsratgeber mit Cover-Zeilen wie „Krebszellen mögen keine Himbeeren“, „Krebszellen lieben Zucker, Patienten brauchen Fett“ oder „Krebs mag Weizen …“.
Ernährung als Tumorprävention: Dieses Thema bewegt angesichts von rund 500.000 Krebsneuerkrankungen jährlich nicht nur die Leser. Mehr als 8.900 wissenschaftliche Veröffentlichungen widmeten sich 2018 laut der Fachdatenbank Pubmed der Frage, welche Nährstoffe Körperzellen davon abhalten, sich unkontrolliert zu vermehren. Die wichtigsten neuen Erkenntnisse:
- Wer dreimal wöchentlich Fisch isst, verringert sein Risiko für Darmtumoren um zwölf Prozent. Das teilten Forscher der englischen Universität Oxford gemeinsam mit der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) im Juli 2019 mit.
- Täglich 500 Milligramm Pflanzenstoffe aus der Gruppe der Flavonoide senken die Krebssterberate messbar. Das zeigte eine im August 2019 veröffentlichte Auswertung der dänischen Bevölkerungsstudie „Diet, Cancer and Health“ mit 56.000 Teilnehmern. 500 Milligramm Flavonoide erhält man mit fünf Portionen Obst und Gemüse – etwa Äpfeln, Orangen oder Blaubeeren.
- Rotes Fleisch erhöht das Risiko für Karzinome hingegen kaum. Das erbrachte die bislang umfangreichste Datenauswertung durch ein internationales Forscherteam, die im Oktober 2019 im Fachmagazin „Annals of Internal Medicine“ veröffentlicht wurde.
Diese Faktoren senken das Krebsrisiko
Während die Studien zu Obst und Fisch bestätigen, was im Grunde bekannt ist, überrascht der Befund zu Steaks und Schnitzeln. Denn erst 2015 setzten die Krebsforscher der im französischen Lyon ansässigen IARC – weltweit höchste Instanz auf ihrem Gebiet – das Lieblingsessen der Deutschen auf die Liste der „wahrscheinlich karzinogenen“ Stoffe. Pro 100 Gramm rotem Fleisch täglich, so die Experten, steige das Darmkrebsrisiko um 17 Prozent und pro 50 Gramm Fleischwaren täglich um 18 Prozent. Und nun der Freispruch?
„Solche Wendemanöver sind durchaus typisch für die Ernährungsforschung zu Krebs“, bedauert die Jenaer Onkologin Jutta Hübner, die die Arbeitsgruppe Prävention bei der Deutschen Krebsgesellschaft leitet. „Wie sich bestimmte Lebensmittel auf das Tumorrisiko auswirken, ist schwierig zu ermitteln.“ Anders als im Tierexperiment lassen sich Menschen schließlich nicht über Jahre hinweg unter kontrollierten Bedingungen mit bestimmten Nahrungsmitteln füttern.
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Selbst die in Ernährungsfragen bevorzugte Untersuchungsmethode – die sogenannte prospektive Kohortenstudie – liefert noch keinen Beleg für einen ursächlichen Zusammenhang. Bei dieser Studienart befragen Epidemiologen die Teilnehmer über viele Jahre hinweg zu ihren Essgewohnheiten und stellen nach einiger Zeit fest, wie sich ihr Gesundheitszustand entwickelt. Jutta Hübner: „Wenn Probanden, die viel Obst und Gemüse verzehren, in solchen Untersuchungen seltener an einer bösartigen Geschwulst erkranken, muss das nicht am Essen liegen. Denn wer eine gesunde Kost bevorzugt, treibt in der Regel auch mehr Sport, hält die Figur, raucht nicht und trinkt weniger Alkohol.“
Jeder einzelne dieser Faktoren senkt das Risiko für Krebs. Wie groß der Effekt jeweils ausfällt, das versuchen Statistiker mit mathematischen Methoden zu ermitteln. Dabei können je nach Rechenverfahren unterschiedliche Ergebnisse herauskommen. Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg etwa macht Ernährung im engeren Sinn für 7,8 Prozent aller Tumoren in Deutschland verantwortlich. Zu wenig Bewegung verursacht demnach 6,1 Prozent aller Krebserkrankungen. Starkes Übergewicht 6,9 Prozent. Oder anders gesagt: Es kommt nicht nur darauf an, was man isst, sondern auch wie viel.Mit diesen Lebensmitteln das Tumorrisiko senken
Es sind vor allem Lebensmittel mit hoher Energiedichte, die wegen ihrer Dickmacher-Kapazität das Tumorrisiko erhöhen. Ein Croissant etwa enthält pro Gramm 5,1 Kilokalorien. Das ist mehr als das Zehnfache dessen, was ein Apfel kalorienmäßig auf die Waage bringt. Auch Fast Food, Fertiggerichte, Schokolade oder Pommes frites zählen mit ihrem hohen Anteil an Zucker, Stärke und Fett zur Kategorie „riskante Pfunde“.
„Es gibt Erkenntnisse, dass vor allem das Bauchfett um die inneren Organe das Risiko für Tumoren erhöht. Es führt zu einem Entzündungszustand, der ein unkontrolliertes Zellwachstum in unterschiedlichen Geweben startet“, erklärt Hübner, die eine Stiftungsprofessur für Integrative Onkologie an der Universität Jena innehat. Experten haben mindestens 13 Tumorarten identifiziert, die durch zu viel Körperfülle zusätzlich befeuert werden. Darunter sind so häufige Erkrankungen wie Darmkrebs, Brustkrebs, Prostatakrebs und Bauchspeicheldrüsenkrebs.Fettzellen produzieren jedoch nicht nur Entzündungsstoffe, sondern auch weibliche Sexualhormone. Dieser Umstand kann älteren Frauen zum Verhängnis werden, die deutlich zu viele Pfunde mit sich herumschleppen. Sammeln sich in ihrem Körper kritisch hohe Mengen von Östrogenen an, begünstigt das eine Form von Brustkrebs, die nach den Wechseljahren auftritt. Also zu einem Zeitpunkt, wenn diese Botenstoffe normalerweise auf Niedriglevel verharren.
Unabhängig vom Bauchumfang fördert zu viel Zucker die Entstehung von Karzinomen auch auf direktem Weg. Das hat damit zu tun, dass aggressive Tumorzellen einen enormen Energiehunger aufweisen. Sie verbrauchen bis zu 40-mal mehr Glukose als gesundes Gewebe. „Krebszellen profitieren also in besonderem Maß von einem Überangebot an Zucker“, schreibt der Molekularbiologe Mathias Heikenwälder vom Krebsforschungszentrum DKFZ in seinem 2019 erschienenen Sachbuch „Krebs – Lifestyle und Umweltfaktoren als Risiko“ (Springer Verlag). Experimente mit Mäusen bestätigten, dass ein Zuviel an Süßkalorien das Wachstum von Lebertumoren beschleunigt. Dieser Effekt stellte sich sogar bei normalgewichtigen Tieren ein. All das macht es ratsam, zum Beispiel Softdrinks und Limo eher zurückhaltend zu konsumieren.
Bitte maßvoll genießen – Diese Lebensmittel erhöhen bei übermäßigem Konsum das Risiko, an Krebs zu erkranken
Wenn Fettpolster und Zuckerberge das Wachstum von entarteten Zellen beschleunigen, erklärt das schon mal einen Teil des Schutzeffekts von Grünzeug. Denn wer sich den Teller mit knackigen Salaten, Gemüse und Hülsenfrüchten füllt, der lässt weniger Platz für Lebensmittel, die seiner Gesundheit schaden. Darüber hinaus gibt es einige Esswaren, die im Ruf stehen, sich regelrecht als Anti-Krebs-Lebensmittel zu bewähren:
- Brokkoli: Wie andere Kohlsorten enthält das Kräuselgemüse sogenannte Glucosinolate. Die Senföle hemmen in Tier- und Zellversuchen das Wachstum von Tumorzellen. „Kohlgemüse scheint beispielsweise einen Einfluss auf das Risiko für Prostatakrebs und Lungenkrebs auszuüben“, bestätigt der Onkologe Volkmar Nüssler, Leiter des Tumorzentrums München.
- Tomaten: Auch das Nachtschattengewächs soll das Prostatakrebsrisiko senken. Männer, die viel Tomaten oder Tomatensauce essen, erkranken bis zu 20 Prozent seltener an diesem Tumor als Tomatenverweigerer. Das legt eine Metaanalyse von US-Forschern aus dem Jahr 2018 nahe. Als Schutzsubstanz gilt der rote Farbstoff Lycopin aus der Familie der Karotinoide.
- Kurkuma: Speziell bei Laborversuchen wirkt sein antientzündlicher Inhaltsstoff Kurkumin wachstumshemmend auf Krebszellen. „Diesen Effekt hat man bei verschiedenen Karzinomen nachgewiesen, unter anderen von Dickdarm, Brust, Prostata, Bauchspeicheldrüse und Lunge“, weiß Volkmar Nüssler.
Ähnlich potente Anti-Krebs-Moleküle wie in Tomaten und Kurkuma entdeckten Forscher auch in Grüntee, Blaubeeren, Knoblauch, Zitrusfrüchten und weiteren Küchenhelden. Doch trotz solcher Befunde raten Experten mittlerweile davon ab, sich in puncto Krebsprophylaxe auf vermeintliches Superfood zu fixieren. Denn was in der Petrischale und bei Mäusen klappt, das funktioniert beim Menschen längst nicht immer. Zudem erweisen sich die Dosierungen in solchen Experimenten meist als höher als in der täglichen Ernährung üblich. „Die Konzentrationen, die für eine therapeutische Wirkung etwa von Kurkuma notwendig sind, übersteigen die Mengen, die in der mitteleuropäischen Küche verwendet werden, bei Weitem“, bestätigt auch Nüssler.
Stattdessen lautet die Empfehlung von Krebsforschern wie Jutta Hübner oder Volkmar Nüssler, sich an der mediterranen Küche zu orientieren. Die kommt einer Anti-Krebs-Diät noch am nächsten: dank ihres Mixes aus vitalstoffreichem sowie kalorienarmem Obst und Salaten, den sättigenden Ballaststoffen aus Gemüse und Hülsenfrüchten und nicht zuletzt dank der wertvollen Fette aus Fisch und Olivenöl.Mediterrane Kost senkt das Krebsrisiko
Und das Beste: Bei all diesen Vorteilen machen die traditionellen Küchen Italiens oder Kretas auch den Bauch glücklich. „Genuss ist ein wichtiger Faktor für ein gesundes Leben und für die Krebsvorbeugung“, versichert Volkmar Nüssler. Weswegen der Münchner Onkologe auch ein Kochbuch herausgegeben und eine Koch-App namens HealthFood mit entwickelt hat. Die beiden Rezeptsammlungen richten sich eigentlich an Tumorpatienten, werden aber auch von Gesunden gern genutzt.
Dies ist eine gekürzte Fassung. Den vollständigen Text finden Sie in FOCUS-GESUNDHEIT „Krebs-Wissen" – als Print-Heft oder als digitale Ausgabe.