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Mentale Belastung durch Sportverletzungen: Wie man gestärkt aus der Krise kommt

Verletzungen sind für Sportler eine enorme mentale Belastung. Wer Frust, Angst und Ungeduld überwindet, kann gestärkt aus der Krise gehen. Die besten Strategien aus der Sportpsychologie für ein erfolgreiches Comeback.

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Sportverletzungen: Person in weiß-rotem Fußball-Outfit liegt am Boden und hält sich das Knie

© Adobestock

Ein heller Kreis. Philipp Bräuhauser saß im Behandlungszimmer und starrte auf das, was der Arzt gerade mit einem Leuchtstift ringförmig auf dem MRT-Bild markierte. „Tja, das ist durch“, sagte der Mediziner nüchtern. Er meinte das vordere Kreuzband an Philipps rechtem Knie. Was für den Orthopäden eine alltägliche Diagnose darstellte, war für den damals 18-jährigen Fußballer ein Schlag vor den Kopf. Der schnell dahingekritzelte Kreis wurde zum Symbol für den Beginn seiner Verletzungsgeschichte: eine emotionale Reise durch das Auf und Ab mentaler Herausforderungen.

Philipp Bräuhauser

© Michela-Morosini

Philipp Bräuhauser, Fußballer

Come back stronger – der Satz wurde mein Mantra während des Wiederaubautrainings

Mental Breakdown bei Sportverletzungen

Muskelfaserriss, Sehnenentzündung, Bänderriss, Knochenbruch: Von rund 23 Millionen Menschen in Deutschland, die regelmäßig Sport treiben, verletzen sich pro Jahr 1,25 Millionen so schwer, dass sie ärztliche Versorgung benötigen. Fußball und Ski alpin gehören zu den Sportarten mit dem größten Verletzungsrisiko, meist am Knie. Doch egal, welche Körperregion betroffen ist – Verletzungsphasen sind nicht nur physisch belastend, sondern auch psychisch. „Rund um eine Verletzung erleben Sportler verschiedenste negative Gefühle“, erklärt Jens Kleinert, Professor für Sportpsychologie an der Deutschen Sporthochschule Köln.

Neben der Unfallsituation und Diagnose fordern die Schmerzerlebnisse mental heraus, hinzu kommen die Sorgen vor und nach einer Operation, eine wochen- oder monatelange Reha mit Fortschritten und Rückschlägen, der langsame Wiedereinstieg und die Befürchtung, dass es noch mal passiert. „Intensive Trauer, Hoffnungslosigkeit und Angst, aber auch Wut, Ungeduld und Aggression führen zu emotionalem Stress – und das meist über einen langen Zeitraum.“

Die Wucht der Gefühle wird umso stärker, je wichtiger der Sport für die Identität und das Selbstbild der verletzten Person ist. „Eine Verletzung kann bei manchen Betroffenen eine regelrechte Identitätskrise auslösen“, so Kleinert.

  • Wer bin ich, wenn ich meinen Sport nicht mehr betreibe?
  • Habe ich andere Quellen für Anerkennung, Selbstwirksamkeit und Endorphine?
  • Wie baue ich Stress ab, wenn nicht durch Auspowern beim Sport?
  • Wo findet mein Sozialleben statt, wenn nicht beim Training?

„Studien belegen, dass etwa fünf bis zehn Prozent der betroffenen Sportler und Sportlerinnen vorübergehend eine depressive Episode entwickeln“, betont Kleinert. „Präventiv ist das soziale Umfeld eine sehr wichtige Unterstützung – und Trainer, Ärzte und Physiotherapeuten, die zuhören, verständlich erklären, Perspektiven aufzeigen, positiv bleiben und motivieren.“

Philipp wusste, was die Diagnose Kreuzbandriss für ihn bedeutete: dass er monatelang ausfallen würde. Und dass er vielleicht seinen Traum von der Herren-Bayernliga, der zweithöchsten Spielklasse im bayerischen Amateurfußball, würde begraben müssen – nur wegen des Fouls eines Gegners. Der heute 24-Jährige spielt leidenschaftlich Fußball, seit er vier ist. „Ich habe immer alles andere dem Fußball untergeordnet, bis zu sechsmal pro Woche trainiert“, sagt der Oberbayer aus Erlbach. „Mit der Diagnose ist für mich eine Welt zusammengebrochen. Ich rutschte in eine richtige Trauerphase. Da sind viele Tränen geflossen.“

Doch der junge Fußballer hatte zunächst Glück im Unglück: Seine starken Muskeln hielten das Knie stabil. Experten rieten ihm, es mit Aufbautraining zu versuchen, ohne Operation. Tatsächlich wuchs sein Kreuzband von allein wieder zusammen, was extrem selten passiert. Aber dann, rund fünf Monate später, riss das Band bei einer Drehbewegung im Training erneut. Diesmal war eine OP unumgänglich – und brachte rund ein Jahr Rehazeit mit sich. „Zuerst habe ich mich stark zurückgezogen, das Gefühlschaos mit mir allein ausgemacht“, erzählt Philipp. „Mein bester Freund Thomas und mein Physiotherapeut haben mich wieder aus dem Loch gezogen. Sie haben mich aufgemuntert, mir Ängste genommen und meinen Kampfgeist gepusht.“

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Wie man sich nach einer Verletzung mental zurückkämpft

Immer mehr Sportler holen sich in Verletzungsphasen auch professionelle Hilfe von Sportpsychologen. Sie unterstützen Einzelsportler und Mannschaften mit sportpsychologischem Mentaltraining und Coaching bei mentalen Themen rund um den Sport, also auch bei verletzungsbedingten Krisen.

„Ein erster wichtiger Schritt nach der Trauerphase ist die Akzeptanz“, erklärt Sportpsychologie-Professor Kleinert. „Eine Verletzung ist das Erlebnis von Kontrollverlust. Kontrolle über die Situation kann ein Sportler nur wiedererlangen, wenn er sie akzeptiert und aktiv nach Handlungsmöglichkeiten sucht.“ Wichtiger Ansatzpunkt ist dabei, konkrete Visionen zu erarbeiten und möglichst viele positive Emotionen wieder wachzurufen.

Auch Philipp setzte sich ein klares neues Ziel. Er schrieb es auf ein DIN-A4-Blatt und hängte es sich an die Innenseite seiner Zimmertür: „Come back stronger“ – „Ich komme stärker zurück als zuvor!“ Der Motivations-Leitsatz wurde zum Mantra für viele Monate Wiederaufbautraining. „Ich bin jeden Tag mehrfach an diesem Zettel vorbeigegangen. So hat sich das Motto in meinem Kopf verankert, und ich wusste bei jedem einzelnen Rehatraining, wofür ich mich aufraffe.“

Professionelle Hilfe:

Sportpsychologen bieten mentales Training und Coaching für Sportler aller Leistungsklassen (keine Kassenleistung, 80–130 Euro/Stunde).

Um die Qualität der Ausbildung und Arbeit sicherzustellen, gibt es eine geprüfte Expertendatenbank des Bundesinstituts für Sportwissenschaft unter www.bisp-sportpsychologie.de

Das innere Selbstbild der Verletzung ist ausschlaggebend

Heilungs- und Rehaphasen lassen sich auch als Chance nutzen. So sagte zum Beispiel Giovane Élber, ehemaliger Mittelstürmer des FC Bayern München, nach einer schweren Knieverletzung: „Jetzt kann ich beweisen, dass ich ein guter Fußballspieler bin.“ Die Auszeit bietet viele Möglichkeiten, die eigene mentale Stärke als Sportler und auch die Persönlichkeit weiterzuentwickeln. „Nach Verletzungen gilt es zu lernen, wieder Vertrauen in den eigenen Körper und dessen Fähigkeiten aufzubauen“, betont Kleinert. „Und gleichzeitig nicht zu früh zu viel zu wollen.“ Beides birgt die Chance, eine achtsamere Wahrnehmung des Körpers zu entwickeln – und mit dem Körper ein Team zu bilden.

„Betroffene können viel an den inneren Bildern arbeiten, die sie von ihren verletzten Körperregionen haben“, erklärt Kleinert. „Vorausgesetzt, dass die Strukturen medizinisch ausgeheilt und belastbar sind und nur der Kopf einem angstfreien Training im Weg steht.“ Stellt man sich etwa das genähte oder ersetzte Kreuzband dünn, vernarbt und spannungslos vor – oder breit, straff und fest? Hält in der eigenen Vorstellung nur eine winzige Schraube einen Knochenbruch zusammen – oder ist dieser vollständig verheilt und der Knochen stark? Andere Visualisierungstechniken können helfen, angstbesetzte Bewegungsabläufe im Kopf zu trainieren und sie beim Wiedereinstieg in den Sport intuitiv abzurufen.

Positives Visualisieren

Die Mentaltechnik aus der Sportpsychologie hilft bei Angst vor erneuter Verletzung.
 

Das Ziel: Durch intensive Vorstel­lung eines positiv erlebten Bewe­gungsablaufs sollen Körpergefühl und Mindset gestärkt werden.
 

So geht’s: Suchen Sie nach Erinne­rungen, mit denen Sie körperliche Stärke und Leistungsfähigkeit verbinden. Diese Szenen können sich z. B. auf erlebte sportliche Erfolge und optimale Bewegungs­abläufe beziehen, in denen Ihr Körper „perfekt mitgespielt“ hat (ein gewonnener Zweikampf, ein Schlusssprint beim Stadtlauf oder auch unbekümmertes Springen von Stein zu Stein). Stellen Sie sich dieses Erlebnis vor wie einen inne­ren Kinofilm: Wie hat sich der Un­tergrund angefühlt? Wie hat sich die Muskelspannung angefühlt? Welche Geräusche haben Sie gehört (Zuschauerrufe, Schritte)? Was konnten Sie riechen (Gras, heißen Asphalt)? Wie war Ihre mentale Verfassung (konzentriert, voller Vertrauen in den Körper)?
 

Wichtig: Visualisieren Sie diese Bilder regelmäßig, z. B. täglich fünf Minuten vor dem Einschlafen, nach dem Aufwachen, in der Mittagspause. Je öfter das Gehirn die inneren Bilder mit positiven Emotionen verknüpft, desto bes­ser wirkt die Methode während des Rehatrainings oder beim Wiedereinstieg.

FOCUS-GESUNDHEIT 05/23

Dieser Artikel ist eine gekürzte Fassung. Den vollständigen Text finden Sie in der Ausgabe Gelenke & Muskulatur. Weitere Themen: Kreuzschmerzen vermeiden + Rückenübungen. Fortschritte bei der Rheuma-Therapie. U.v.m.

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Was die Sportauszeit für Chancen bieten kann

Zudem lässt sich die Zeit, die sonst bei Training oder Wettkämpfen verbracht wurde, für Selbstreflexion nutzen. Manche Sportler erkunden Seiten ihrer Persönlichkeit, die mit sportlicher Leistung nichts zu tun haben. Sie entdecken neue Hobbys und Interessen, investieren mehr Zeit in Beziehungen und Freundschaften. Oder sie setzen sich mit ihren Werten und Lebenszielen auseinander, planen berufliche Veränderungen oder eine große Reise.

Michael Kellmann, Professor für Sportpsychologie an der Ruhr-Universität Bochum, erforscht, wie körperliche und mentale Erholung und Regeneration sportliche Leistung beeinflussen. Er betont noch einen anderen wichtigen Aspekt der Reflexion: „Warum ist diese Verletzung überhaupt passiert? War ich unkonzentriert, stark unter Druck, gestresst, wütend oder unausgeschlafen? Hatte ich für diese Belastung zu wenig trainiert? Oder meinem Körper und Kopf zu wenig Regeneration erlaubt?“ Diese Fragen helfen, um aus dem Unfall zu lernen.

„Für Sportler ist es sehr wichtig, ein Gefühl für die eigene Be- und Überlastung zu entwickeln“, ergänzt Kellmann. „Sie müssen verstehen, dass Erholung auch Teil des Trainings ist.“ Zudem sollten sie ihre körperlichen und psychischen Warnsignale erkennen, um komplexe Sportarten oder intensive Trainingseinheiten an bestimmten Tagen besser bleiben zu lassen. „Nur so können sie ihr Verletzungsrisiko in Zukunft verringern.“

Philipp Bräuhauser spielt inzwischen wieder voll motiviert für den SSV Eggenfelden in der Landesliga. Sollten ihm die Ärzte in ein paar Jahren sagen, dass er seinem Knie das Verletzungsrisiko durch Fouls nicht mehr zumuten kann, hat er einen Plan B: Triathlon. Dabei muss er nicht schnell sprinten, abbremsen oder Haken schlagen. Und die drei herausfordernden Disziplinen machen ihm Spaß.

„Meine Fußballträume habe ich zwar noch lange nicht aufgegeben. Doch ich habe gelernt, wie wichtig es ist, negative Ereignisse zu akzeptieren, sich neue Ziele zu setzen und daran zu wachsen“, sagt Philipp. „Mentale Stärke ist ein entscheidender Baustein im Sport. Deshalb freue ich mich, jetzt wieder mit Spaß und freiem Kopf zu spielen.“

FOCUS-Gesundheit 01/24 – Einfach besser leben 2024

© FOCUS-Gesundheit

FOCUS-Gesundheit 01/2024

Einfach besser leben 2024
Viele Alterungsprozesse lassen sich nachweislich bremsen. Was uns jung hält. Wie wir Lust an Bewegung (wieder) finden. Plus: Übungen fürs Home-Workout. U.v.m.

Wichtiger Hinweis

Dieser Artikel enthält allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder –behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen. Den passenden Arzt finden Sie über unser Ärzteverzeichnis.

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Dr. Andrea Bannert

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