Unser Experte für Kinderchirurgie
Dr. Carsten Krohn, seit 2007 Facharzt für Kinderchirurgie. Seit 2015 arbeitet er als Leitender Oberarzt der Kinderchirurgie an der München Klinik Schwabing.Unser Experte für Familientherapie
Jörg Zerban, Psychologe und bietet in München Einzel-, Paar- und Familientherapie an.
Rosalie ist ein sehr fröhliches eineinhalbjähriges Mädchen. Sie wuselt mit ihrer älteren Schwester in der Küche herum. „Abendessen, Abendessen!“ ruft die Große, während Mutter Veronika Menz die Teller auf die Arbeitsfläche stellt und sie mit heißer Kartoffelsuppe füllt. Das Essen noch einen Moment lang stehenbleiben und abkühlen. „Bis dahin kam Rosalie nicht hoch bis zur Arbeitsplatte“, erinnert sich die Mutter. Doch an diesem Januartag stellt sie sich auf die Zehenspitzen, erreicht den Teller und kippt ihn. Ein Schwall Suppe ergießt sich über Wange, Brust und Hand des Mädchens. Sofort fängt es an zu schreien. Die Mutter handelt richtig, rennt mit Rosalie ins Badezimmer, um die verbrühten Stellen zu kühlen. An Wange und Brust ist die heiße Suppe schnell abgewaschen, doch als Veronika Menz ihrer Tochter Pullover und Body auszieht, löst sich bereits eine Hautschicht zusammen mit der Kleidung ab. „Da wusste ich instinktiv, dass die Verletzung schwerwiegend ist“, erzählt Menz.
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Die Eltern fahren sofort mit Rosalie in die Notaufnahme, ohne zu ahnen, dass es an der München Klinik Schwabing ein Verbrennungszentrum für Kinder gibt, eines von 17 in Deutschland. Zunächst reinigt die diensthabende Ärztin Rosalies Wunden und verbindet die Brust des Mädchens. Mutter und Tochter werden stationär aufgenommen. „Ich erinnere mich, dass Rosalies Gesicht stark geschwollen war und dass sich an ihrer Wange Smartiegroße Brandblasen gebildet hatten. Man sieht sein Kind an und es tut einem einfach nur weh und man wünscht sich, dass alles wieder in Ordnung ist“, erzählt die Mutter.
Kleinkinder, die sich wie Rosalie durch umgerissene, heiße Flüssigkeiten verbrühen, behandelt Kinderchirurg Carsten Krohn besonders häufig. Er ist Leiter des Zentrums für schwerbrandverletze Kinder an der München Klinik Schwabing. 130 Kinder werden dort jedes Jahr stationär versorgt. Ungefähr genauso viele können die Ärzte ambulant betreuen. In Deutschland verbrennen oder verbrühen sich jedes Jahr mehr als 7.500 Kinder unter 15 Jahren so stark, dass sie in ein Krankenhaus aufgenommen werden müssen.
Die häufigsten Verbrennungs- und Verbrühungsunfälle und ihre Folgen
Sogenannte thermische Verletzungen sind immer ein kosmetisches Problem. Darüber hinaus ist eine großflächige Verbrennung eine schwere Erkrankung. „Bereits ab 30 Prozent tief verbrannter oder verbrühter Körperoberfläche, wie wir es häufig bei Bränden in geschlossenen Räumen sehen, besteht Lebensgefahr“, so Krohn.
Über 50 Prozent der Verbrennungs- oder Verbrühungsunfälle könnten aus Krohns Sicht vermieden werden. „Jeder Mensch kann zu jeder Sekunde ungeschickt sein und eine Tasse umstoßen. So etwas kann man nicht verhindern. Aber viele Situationen lassen sich umgehen, wenn sich Eltern die Gefahren vorher bewusst machen“, so der Kinderchirurg. Heiße Teetassen oder Ähnliches dürfen beispielsweise nie an Tischkanten abgestellt werden. Bereits 52 Grad heiße Flüssigkeit könne Kinderhaut erheblich schädigen, so der Experte.
Präventionstipps von Paulinchen e.V., einer Initiative für brandverletzte Kinder, die betroffene Familien berät, beispielsweise bei der Wahl eines geeigneten Arztes:
- Nichts Heißes essen oder trinken, während Sie ein Kind auf dem Arm oder Schoß halten.
- Heißgetränke nie zu nah an den Rand von Tisch- und Arbeitsplatte oder auf dem Boden abstellen.
- Keine herabhängenden Tischdecken verwenden; Kinder könnten sich daran hochziehen.
- Wasserkocher und andere elektrische Geräte immer außer Reichweite von Kindern stellen. Vorsicht mit herabhängenden Kabeln!
- Kinder von heißen Flächen wie Herdplatten, Kaminöfen und Backöfen fernhalten.
- Immer auf den hinteren Herdplatten kochen und die Griffe von Töpfen und Pfannen nach hinten drehen. Kochfeld mit einem Herdschutzgitter sichern, damit Kinder nicht auf heiße Platten fassen oder Töpfe auf sich herabziehen können.
- Badewassertemperatur immer kontrollieren, niemals nur heißes Wasser einlaufen lassen. Wasserhähne mit Thermostat sichern.
- Wärmflaschen mit Wasser unter 50° Celsius befüllen und die Flasche gut verschließen (bei Neugeborenen, Säuglingen und Kleinkindern nicht verwenden).
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Wie moderne Medizin Verbrennungsopfern heute hilft
Um ein optisch besonders gutes Ergebnis zu erzielen, empfahl er zunächst einen Unterhautersatz aufzubringen. „Bei Rosalie habe ich ein neues Verfahren eingesetzt, welches ich im Januar 2020 in Europa als erster angewendet habe: Die Wunddeckung mit dem völlig synthetischen, dennoch biologisch abbaubaren Dermisersatzmaterial, dem sogenannten BTM“, erklärt Krohn. Es führt zur Bildung einer neuen Ersatz-Unterhaut, was später zu einer deutlich weicheren Narbe führt. Drei Wochen nach dem ersten Eingriff können die Ärzte auf das Dermisersatzmaterial in einer zweiten OP die sogenannte Spalthaut transplantieren.
„Wenn wir feststellen, dass die Haut so tief verletzt ist, dass sie nicht spontan abheilen kann, dann ist eine Spalthauttransplantation nötig. Dafür entnehmen wir eine 0,2 Millimeter dünne Schicht am Hinterkopf des Kindes und bringen sie auf die Wunde auf“, erklärt Krohn.
Bei Verbrühungen ist eine intensive Nachsorge nötig
Von den drei Klinikaufenthalten hat sich Rosalie heute, fast ein Jahr nach dem Unfall gut erholt. „Sie ist zum Glück immer noch ein wahnsinnig fröhliches Mädchen, trotz allem, was sie aushalten musste“, sagt ihre Mutter. Doch ausgestanden hat Rosalie die Folgen des Unfalls noch nicht. Jeden Tag muss Veronika Menz die Wange ihrer Tochter mit einer Creme einreiben. Eine Narbe wird hier nicht zurückbleiben.
Damit sich die transplantierte Haut an Rosalies Brust optimal entwickelt, muss sie auch zwei Mal am Tag eingecremt werden. Zusätzlich trägt sie den ganzen Tag ein enges Kompressionshemd, das dafür sorgt, dass die Narbe flach und weich bleibt. „Das wird mindestens noch ein Jahr lang nötig sein“, sagt die Mutter.
Vieles könne die moderne Medizin heute tun, damit es den kleinen Patienten schnell so gut geht wie Rosalie heute. Dennoch würden Verbrennungen und Verbrühungen oft nicht nur physische, sondern auch psychische Narben hinterlassen, so Krohn. Bei den betroffenen Kindern, aber auch bei deren Familien.
„Es ist furchtbar, wenn so ein Unfall passiert. Durch die gute fachliche Betreuung der Ärzte und die fürsorgliche Pflege des medizinischen Personals im Verbrennungszentrum konnten wir aber schnell neue Hoffnung schöpfen. Wir hatten zwar nie das Gefühl psychologische Hilfe zu benötigen, aber es war sehr tröstlich zu wissen, dass es Stellen gibt, an die wir uns hätten wenden können“, sagt Veronika Menz. Dass Familien nicht immer so gut zurechtkommen, weiß Jörg Zerban. Er betreut als Psychologe Kinder und auch deren Eltern nach Verbrennungsunfällen. Manche begleitet er mehrere Jahre und hält über Mail Kontakt, auch wenn die eigentliche Therapie längst abgeschlossen ist. Anderen geht es bereits nach ein paar Stunden bei ihm wieder besser.Ein Thema, das viele Eltern nach einem Unfall mit heißen Flüssigkeiten oder Feuer quält, ist die eigene Schuld am Geschehenen. Fahrlässig verursachte Verbrennungen seien oft schwerer zu verarbeiten als reine Unfälle.„Wenn der Partner sagt, dass ihm das auch hätte passieren können, kann das sehr hilfreich sein. Generell geht es für Betroffene aber darum, das Schuldgefühl anzuerkennen. Es wegzureden oder kleinzureden, würde dem Erlebten gar nicht gerecht werden. Viele sagen zu mir, dass sie ihren Arm dafür geben würden, um den Unfall ungeschehen zu machen. Aber das ist ja nicht möglich. Es ist vielmehr so, dass die Eltern lernen müssen, damit zu leben.“ Das sei auch möglich. Auch wenn das Erlebte immer wieder hochkommen könne. Beispielsweise, wenn eine weitere OP anstehe oder wenn Jugendliche plötzlich sehr unter ihren Narben leiden. „Professionell begleitete Jugendwochenenden, wie die von Paulinchen, können in diesem Fall sehr helfen. Bei diesen Zusammenkünften mit anderen Jugendlichen und selbst betroffenen jungen Betreuern, erzählen alle offen, wie sie den Unfall und seine Folgen bewältig haben. Die Botschaft an die Jugendlichen ist hier: Du bist nicht alleine und du kannst deinen Weg finden“, so Zerban.
Auch wenn Veronika Menz den Unfall ihrer Tochter nie vergessen wird, hat sie ihn inzwischen gut verarbeitet. Was Rosalie passiert ist, kann sie nicht mehr ungeschehen machen, aber sie hofft, dass in Zukunft immer weniger Kindern etwas Ähnliches passiert. „Ich kann nur allen raten, lieber einmal mehr darüber nachzudenken, wo man die heiße Tasse Kaffee abstellt, als einmal zu wenig. Eltern können nicht alles verhindern, aber man sollte sich immer wieder die Zeit nehmen und darüber nachdenken, welche Gefahrenquellen man eliminieren kann“, sagt Rosalies Mutter.
Quellen
- Pressemeldung Paulinchen – Initiative für brandverletzte Kinder e.V.: Tag des brandverletzten Kindes am 7. Dezember; 26.11.2020
- Online-Informationen Paulinchen – Initiative für brandverletzte Kinder e.V.: www.paulinchen.de; Abruf: 04.12.2020