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Ernährung bei Krebs

Die Ernährungswissenschaftlerin Nicole Erickson erklärt, warum Krebspatienten nicht abnehmen sollen, was bei verändertem Geschmack und fehlendem Appetit hilft und weshalb sich Tumoren nicht aushungern lassen.

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Gemüse, wie grümer Spargel, Frühlingszwiebeln, Bohnen, Früchte wie Limetten oder Avocado und Pilze vor dunklem Hintergrund

© Sarah Toure / Plainpicture

Mit der Diagnose Krebs machen sich viele Menschen Gedanken über ihre Ernährung. Wie kann ich meinen Körper während der Therapie unterstützen? Sollte ich bestimmte Lebensmittel wie Zucker vermeiden? Was hilft bei Appetitlosigkeit? Brauche ich Nahrungsergänzungsmittel? Die auf onkologische Patienten spezialisierte Ernährungsexpertin Nicole Erickson weiß, worauf es wirklich ankommt.

Gut beraten: Essen bei einer Krebserkrankung

Dr. Nicole Erickson , Ernährungs­wissenschaftlerin und Diätassistentin sowie Koordinatorin Gesundheits­kompetenz am Comprehensive Cancer Center München am LMU Klinikum
Dr. Nicole Erickson – Ernährungs­wissenschaftlerin und Diätassistentin sowie Koordinatorin Gesundheits­kompetenz am Comprehensive Cancer Center München am LMU Klinikum

© privat

Frau Dr. Erickson, möglichst gesund und aus­ gewogen zu essen – das gilt für Krebspatienten sicher in besonderem Maße. Ist das richtig?

Nein, diese weitverbreitete Annahme ist so nicht korrekt. Die Ernährungsempfehlungen, die allgemein für die Prävention gelten, unterscheiden sich von denen während einer Tumortherapie. Um das Risiko, an Krebs zu erkranken, zu senken, ist es natürlich absolut richtig, unverarbeitete Lebensmittel, viel Gemüse und ungesättigte Fettsäuren zu bevorzugen sowie rotes Fleisch und Alkohol zu vermeiden.

Doch im echten Leben ernährt sich so gut wie niemand optimal. Selbst Gesunde schaffen selten die gewünschten fünf Portionen Gemüse und Obst am Tag. Für Krebspatienten wird Ernährung so zum totalen Stress, der ja selbst auch wieder negative Auswirkungen auf das Essverhalten hat.

Wer fast nur Gemüse verzehrt, verliert meist außerdem an Gewicht – und das gilt es unbedingt zu vermeiden. Obst und Gemüse werden aufgrund ernährungsbedingter Nebenwirkungen der Medikamente oder der Tumorlokalisation auch nicht immer gut vertragen. Während der Therapie sollten Gewichtsstabilität und Genuss im Fokus stehen. Wenn jemand Lust auf Leberkäse oder ein Stück Kuchen hat, soll er es ohne Bedenken zu sich nehmen.

Warum ist es für Patienten so entscheidend, ihr Gewicht zu halten?

Untersuchungen zeigen: Bis zu 80 Prozent der Krebspatienten verlieren während der Behandlung an Gewicht. Jede dritte bis vierte Person ist laut Studien von Mangelernährung betroffen. Und diese lässt sich nicht mit bloßem Auge erkennen. Selbst ein 150-Kilo-Mann kann mangelernährt sein.

Wie kann man sich das vorstellen?

Mangelernährt ist laut Definition jemand, der – ungewollt – fünf Prozent Gewicht innerhalb von ein bis drei Monaten oder zehn Prozent innerhalb von sechs Monaten verliert. Das erleben viele onkologische Patienten schon vor der Diagnose. Krebs ist eine verzehrende Erkrankung. Tumoren verändern den Stoffwechsel erheblich, der Energiebedarf steigt.

Zusätzlich wirken sich auch Nebenwirkungen der Therapie wie Übelkeit oder Appetitlosigkeit und die psychische Belastung auf das Essverhalten aus. Wenn die Pfunde schnell schwinden, also mehr als zwei, drei Kilo in einem Monat, dann geht es nicht an die Fettmasse, sondern an die Muskulatur. Und Muskelverlust ist ein gravierendes Problem.

Welche Folgen hat Muskelverlust?

Viele Krebsmedikamente wirken dann anders. In der Folge kommt es zu mehr Nebenwirkungen und Leistungsschwäche, die Lebensqualität sinkt. Die Prognose verschlechtert sich. Früher Gewichtsverlust geht mit kürzerem Überleben einher – das konnten wir 2021 in einer Studie mit Darmkrebspatienten unter Chemotherapie zeigen.

Alle Tumorpatienten sollten daher regelmäßig auf Ernährungsstörungen gescreent und entsprechend begleitet werden – so empfehlen es auch die Leitlinien. Das Ziel ist: Während der Therapie sollen Patienten ihr Ausgangsgewicht stabil halten – selbst wenn sie übergewichtig sind. Nur so ist der Körper stark genug, gegen den Krebs kämpfen zu können.

Aber Übergewicht ist laut vielen Untersuchun­gen doch ungesund. Wie passt das zusammen?

Das stimmt, und möglicherweise hat das Übergewicht die Tumorentstehung sogar befördert. Das Robert Koch-Institut führt etwa 8,5 Prozent aller Krebsneuerkrankungen in Deutschland auf Übergewicht zurück. Zusammenhänge sind belegt unter anderem für Speiseröhren-, Darm-, Nieren- und Brustkrebs.

Wir sagen diesen Patienten auch nur: Halte dein Gewicht jetzt, während der Monate der Therapie ist nicht der richtige Moment zum Abnehmen. Sobald sie beendet ist, können wir gemeinsam die Gewichtsreduktion angehen – auch im Sinne der Tertiärprävention gegen einen Rückfall.

Zurück zur Ernährungsberatung von Krebspatienten. Wo setzen Sie konkret an?

Gewichtsverlust kann ganz individuelle Ursachen haben. Etwa dass der Appetit verschwunden ist, Erbrechen und Durchfall auftreten, eine Depression oder chronische Schmerzen belasten oder man einfach zu müde zum Essen oder Kochen ist. Wir arbeiten gemeinsam mit den Patienten heraus, was der größte Störfaktor beim Essen ist, und gehen diesen Schritt für Schritt an.

Welche Probleme begegnen Ihnen häufig?

Geschmacksveränderungen sind sehr unangenehm. Das Essen kann durch eine Chemotherapie oder Bestrahlung im Kopf- und Halsbereich metallisch, nach Pappe oder nach gar nichts mehr schmecken. Oft betrifft es eiweißhaltige Lebensmittel wie Fisch, Fleisch, Wurst, Käse, die wichtig für die Muskulatur sind.

Der Eiweißbedarf lässt sich dann durch geschmacksneutralere Lebensmittel ersetzen. Viele Patienten kommen etwa mit Rührei gut klar, auch Tofu hat keinen Eigengeschmack, und man kann ihn gut unter Gemüse und Nudeln mischen. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, neue Rezepte auszuprobieren – wenn keine Erwartung besteht, wie etwas zu schmecken hat, lassen sich Abweichungen eher tolerieren. Gegen metallischen oder bitteren Geschmack im Mund hilft es, Besteck aus Holz oder Melamin zu verwenden.

Was erleichtert das Essen zudem?

Wir essen auch mit den Augen und unseren anderen Sinnen. Es macht einen Unterschied, wenn man eine schöne Atmosphäre schafft oder sich mit Musik, guter Gesellschaft oder auch dem Fernseher ablenkt. Dann konzentriert man sich weniger auf das Essen selbst. Wenn man kaum etwas schmeckt, spielt die Textur eine größere Rolle. Bereiten Sie sich bewusst Mahlzeiten zu, die mal bissig, körnig, mal cremig sind. Wenn dies alles nicht fruchtet, kann die mentale Einstellung der Knackpunkt sein.

Wie beeinflusst die Psyche das Essverhalten?

Essschwierigkeiten entstehen manchmal auch durch fehlende Akzeptanz. Sicher ist es störend, wenn der Geschmack sich verändert. Aber wer diese Tatsache annimmt, kann besser damit umgehen.

Ein anderes Beispiel: Nach einer Operation bei Bauchspeicheldrüsenkrebs müssen manche Patienten die fehlenden Enzyme zur Fettverdauung bei jedem Essen ersetzen. Manche möchten dadurch nicht ständig mit ihrer Erkrankung konfrontiert werden und vermeiden es, zu essen oder die Enzyme einzunehmen. Dann ist das psychische Problem der Hebel, der gelöst werden muss. Psychoonkologische Beratung kann hier unterstützen.

Was sagt die Wissenschaft zu Anti­Krebs­ Diäten, die Tumorzellen vertreiben sollen?


Ich verstehe gut, dass Patienten selbst etwas tun und ihre Heilung unterstützen wollen. Fakt ist aber: Es gibt keine Krebsdiäten. Die Deutsche Krebsgesellschaft rät klar von jeder Art einschränkender Diät ab, dazu zählt das Fasten und auch die derzeit angesagte ketogene Diät, bei der Zucker und Kohlenhydrate minimiert werden.

Beide Ernährungsformen wurden insgesamt an weniger als 1000 Personen getestet, sodass es hierzu keine ausreichende Datenlage gibt. Zwar sind erste Studien mit Zellkulturen vielversprechend, allerdings lässt dies nicht auf die Wirkung beim Menschen schließen. Zudem steigern solche einseitigen oder einschränkenden Diätmuster die Gefahr einer schädlichen Mangelernährung.

Lässt sich ein Tumor theoretisch „aushungern“, wie es manche Konzepte versprechen?


Es stimmt, dass Tumorzellen von Zucker leben und diesen vermehrt verarbeiten. Aber wir können unseren Zuckerspiegel im Körper gar nicht unter den kritischen Bereich absenken, der nötig wäre, damit die Krebszellen Zuckermoleküle nicht verstoffwechseln. Denn die Tumorzellen bauen sich dann Zuckermoleküle aus körpereigenem Fett und Eiweiß – also aus Muskelmasse. Auch deswegen ist Krebs so eine bösartige Erkrankung.

Zum anderen muss man bedenken, dass bereits seit 30 Jahren zur ketogenen Diät und ihren Auswirkungen auf den Tumor geforscht wird. Bislang ist kein einziges Ergebnis stark genug, um eine klinische Empfehlung auszusprechen.

Wie sieht es mit Nahrungsergänzungsmitteln aus?

Alle Expertengremien bis hin zum World Cancer Research Fund raten grundsätzlich von Nahrungsergänzungsmitteln ab – die einzige Ausnahme ist Vitamin D. Hier zeigte eine aktuelle Studienauswertung des Deutschen Krebsforschungsinstituts, dass bei täglicher, niedrig dosierter Einnahme von Vitamin D3 die Sterblichkeit von Krebspatienten um zwölf Prozent reduziert war.

Besonders kritisch zu sehen sind dagegen Präparate, die viele verschiedene Nährstoffe, Vitamine und Mineralstoffe enthalten. Bei einem ärztlich nachgewiesenen Mangel muss natürlich ergänzt werden – eine Unterversorgung ist schädlich. Aber zu viel ist ebenso problematisch und beeinflusst womöglich die Wirkung der Krebsarzneien. Die Gabe von hoch dosierten Antioxidantien beispielsweise kann den Effekt der Therapien beeinträchtigen. Denn diese Stoffe wirken generell zellschützend und unterscheiden leider nicht zwischen guten und bösen Zellen.

Infos zur Ernährung bei Krebs

Die Website www.was­essen­bei­krebs.de gibt praxis­nahe und evidenzbasierte Empfehlungen zur Ernäh­rung bei Krebs.
 

  • Hier finden Patienten auch einen Selbsttest, mit dem sich prüfen lässt, wie der persönliche Ernährungs­zustand ist und ob eine Mangelernährung droht.
  • Zudem finden sie Rezepte und Tipps für Beschwerden, die die Nahrungsauf­nahme beeinträchtigen.

Die Website ist ein Projekt des gemeinnützigen Ver­eins „Eat What You Need e. V.“ in Kooperation mit dem Comprehensive Cancer Center München am LMU Klinikum.

FOCUS-GESUNDHEIT 04/23

Dieser Artikel ist eine gekürzte Fassung. Den vollständigen Text finden Sie in der Ausgabe Krebs besiegen. Weitere Themen: Impfungen gegen Krebs. Schonenden Therapien bei Prostatakrebs. U.v.m.

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Dieser Artikel enthält allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder –behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen. Den passenden Arzt finden Sie über unser Ärzteverzeichnis.

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