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„Dry January“: Wie sinnvoll der trockene Januar ist

Mit Null Promille ins neue Jahr: In Großbritannien steht der komplette Januar unter dem Motto „Dry January“ (trockener Januar). Und auch hierzulande wollen viele Menschen die ersten Wochen des neuen Jahres nutzen, um komplett auf Bier, Wein und Schnaps zu verzichten. Suchtmediziner Gerhard Reymann erklärt, wie sinnvoll ein Abstinenzmonat ist und welche Gefahren er birgt.

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Inhaltsverzeichnis
Frau deutet mit einer Handbewegung an, dass sie die Flasche Bier, die ihr angeboten wird, nicht haben möchte

© Shutterstock

Alkohol ist eines der größten Laster der Deutschen. Fast jeder fünfte Erwachsene (18,1 Prozent) pflegte 2018 einen riskanten Umgang damit. Das geht aus dem aktuellen Jahresbericht der Drogenbeauftragten der Bundesregierung hervor. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bringt Alkoholkonsum mit mehr als 200 verschiedenen Erkrankungen und Verletzungen in Verbindung. Kein Wunder, dass nach reichlich Glühwein und Sekt im Dezember ein klassischer Neujahresvorsatz lautet: „Ab jetzt trinke ich weniger Alkohol“. Der Gesundheit wegen und um sich selbst zu beweisen, dass es auch ohne geht. „Solche Abstinenzphasen, egal ob im Januar, der Fastenzeit oder zu jedem anderen Zeitpunkt, können sinnvoll sein“, sagt Suchtmediziner Gerhard Reymann. Er ist Chefarzt der Abteilung für Suchtmedizin an der LWL-Klinik in Dortmund.

Unser Experte für Suchtmedizin

Gerhard Reymann, Facharzt für Innere Medizin und für Psychotherapeutische Medizin und Psychotherapie. Er leitet als Chefarzt die Abteilungen für Suchtmedizin und Reha an der LWL-Klinik Dortmund.

Vorteile für die Gesundheit

Eine britische Studie beweist, dass sich bereits ein alkoholfreier Monat bei gesunden Erwachsenen positiv auf den Körper auswirkt. Zum Beispiel hatte die Abstinenz Einfluss auf Blutdruck und Körpergewicht der Teilnehmer. Leber und Herz-Kreislauf-System können sich erholen, das Risiko an Leberkrebs zu erkranken oder eine Fettleber zu entwickeln sinkt. Viele bemerken, dass sie ohne Alkoholgenuss ruhiger schlafen. „Auch das Hautbild verbessert sich nach kurzer Zeit. Die Haut ist nicht mehr gerötet und aufgedunsen, sondern samtiger und feinporiger“, erklärt Reymann.

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Nicht nur der Organismus profitiert vom Verzicht: In einer Forschungsarbeit wertete der Psychologe Richard de Visser von der University of Sussex die Aussagen von 800 Menschen aus, die 2018 am „Dry January“ teilgenommen hatten. 80 Prozent der Befragten gaben an, nach dem Abstinenz-Monat wieder mehr Kontrolle über ihren Konsum zu haben. Die Auswertung einer erneuten Online-Befragung im August 2018 zeigte, dass die Teilnehmer Monate später, ihren eigenen Angaben zufolge, immer noch weniger Alkohol konsumierten. Im Durchschnitt tranken sie nur noch an 3,3 statt an 4,3 Tagen pro Woche.

Abstinenz-Bewegung kommt in Fahrt

Eine neuere Studie mit deutlich mehr Probanden kommt allerdings zu einem etwas anderen Ergebnis. Die im Oktober 2021 im Fachblatt Drug and Alcohol Dependence veröffentlichte Untersuchung analysierte die Auswirkungen des „Dry January“ anhand von rund 37.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zwischen 2015 und 2018 genauer. Die Forschenden des University College London wollten vor dem Hintergrund des stetig wachsenden Interesses am alkoholfreien Start ins Jahr wissen, ob jener Monat tatsächlich den Konsum bremst. Die nüchterne Erkenntnis: Der Alkoholkonsum reduzierte sich im Mittel nicht statistisch signifikant.

Doch die noch recht junge „Dry January“-Bewegung kommt in England gerade erst in Fahrt. Eine im September 2022 im Fachblatt BMC Public Health veröffentlichte Studie analysierte die Daten von 2020 und 2021 der offiziellen App „Try Dry“ (deutsch: „Versuch es trocken zu bleiben“), die zur einmonatlichen Abstinenz motivieren soll. Das Ergebnis: Zum einen wagten doppelt so viele stark gefährdete Trinker (Anstieg von vier auf acht Prozent der Teilnehmer) den Schritt in die Abstinenz. Und: Die Nutzerzahlen stiegen insgesamt um rund 35 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf rund 105.000 Nutzer an.

Alkoholverzicht birgt mitunter Gefahren

Auch wenn selbstauferlegte Konsumpausen sinnvoll sein können, um zu überprüfen, ob es problemlos ohne Alkohol geht oder ob man schwach wird, sieht Suchtmediziner Reymann auch Gefahren im trockenen Start ins Jahr. Wer regelmäßig größere Mengen Alkohol trinkt oder das Gefühl hat, seinen Konsum nicht im Griff zu haben, sollte mit einem Arzt darüber sprechen. „Von heute auf morgen in Eigenregie mit dem Trinken aufzuhören ist nicht sinnvoll, denn ein Entzug kann gefährlich, sogar lebensbedrohlich sein“, so Reymann.

Auch sollte der „Dry January“ kein Freifahrtschein für einen exzessiven Konsum davor oder danach sein. „Während einer solchen Abstinenz kann die Vorfreude auf das erste Bier so wachsen, dass die Leute im Anschluss umso mehr trinken. Mitunter auch noch mit der Vorstellung, dass sie gar kein Problem haben.“

Die Aussagekraft eines Monats ohne Alkohol sei begrenzt. Wer im Januar ohne auskommt, hat sein Trinkverhalten nicht automatisch unter Kontrolle. „Es gibt schwer suchtkranke Menschen, die regelmäßig einige Monate komplett ohne Alkohol leben und einem Beruf nachgehen, bevor sie dann wieder trinken, heillos abstürzen und mehrere Tage ohne jede Kontrolle konsumieren“, erzählt Suchtmediziner Reymann. Im Volksmund spricht man vom Quartalstrinker.

Wieviel Alkohol ist zu viel?

Dennoch gibt es Möglichkeiten, zu überprüfen, ob das eigene Trinkverhalten im unbedenklichen Bereich liegt. „In geringen Mengen ist ein Glas Wein oder Bier für gesunde Menschen, die nicht schwanger sind und keine Medikamente einnehmen nicht gefährlich“, so Reymann. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) empfiehlt für Frauen einen Alkoholkonsum von maximal 12 Gramm reinem Alkohol pro Tag (etwa 125 ml Wein). Bei Männern liegt die Obergrenze bei 24 Gramm pro Tag. Das entspricht etwa 0,6 Liter Bier.

An diesen Anzeichen erkennen Sie eine Alkoholsucht:

Sechs Punkte weisen auf eine Abhängigkeit hin. Liegen drei der sechs Merkmale vor, stellen Suchtmediziner die Diagnose einer Alkoholabhängigkeit. Bei zwei Merkmalen liegt ein riskanter Konsum vor. Der sechste Punkt bedeutet einen schädlichen Konsum.

 

1. Vernachlässigen von Interessen/ Verpflichtungen (beispielsweise Ehe, Freunde oder Beruf)

2. Intensives, zwanghaftes Verlangen nach Alkohol

3. Toleranzeffekt: Um ein bisschen beschwipst zu sein, brauchen Betroffene eine höhere Menge als früher

4. Nach ein oder zwei alkoholfreien Tagen stellen sich Symptome wie Unruhe und Schweißausbrüche ein (Entzugserscheinungen)

5. Kontrollminderung: Ein Betroffener nimmt sich vor, nur ein Glas zu trinken und am Ende trinkt er eine Flasche

6. Fortsetzen des Konsums trotz deutlicher Warnsignale wie schlechter Leberwerte, die dem Betroffenen auch bewusst sind

Exzesse vermeiden und den Alkoholkonsum ganzjährig begrenzen

In seiner ambulanten Sprechstunde berät Suchtmediziner Reymann häufig Menschen, die deutlich mehr trinken und sich fragen, ob sie bereits ein Alkoholproblem haben. „Wenn zum Beispiel ein junger Mann zu mir kommt, der einmal im Monat bei seinen Skatabenden acht Bier und drei Schnäpse trinkt und mir sagt, dass er diese Abstürze nicht mehr will, empfehle ich ihm, sich auf eine maximale Anzahl an Getränken festzulegen. Etwa auf drei Bier“, so der Mediziner.

Natürlich sei das immer noch zu viel. Für diesen Patienten sei es dennoch ein Erfolg, wenn er es schafft, sich dauerhaft an diese Grenze zu halten. Auch der für den Körper so schädliche Vollrausch findet nicht mehr statt. Durch solche pragmatischen Lösungen konnte der Suchtmediziner schon vielen Patienten helfen, ihr Trinkverhalten unter Kontrolle zu bringen. „Ich freue mich sehr, wenn der junge Mann ein paar Wochen später wiederkommt und mir erzählt, dass er es geschafft hat und wieviel Spaß er auf den Skatabenden hatte“, so Reymann.

Für Alkoholabhängige reicht eine solche Beratung nicht aus. Sie machen in der Regel einen stationären Entzug oder lassen sich während des Entzugs vom Hausarzt betreuen. Anschließend erfolgt eine medizinische Reha.

Vom täglichen Bier bis zum Exzess am Wochenende: Die Alkoholkrankheit hat viele Gesichter

„Wir alle können unsere Angst, selbst abhängig zu sein kontrollieren, indem wir uns einreden, dass ein Alkoholiker nur jemand ist, der völlig fertig in der Fußgängerzone sitzt. Letztendlich können aber alle betroffen sein. Auch ein erfolgreicher Firmenvorstand“, sagt Reymann, der als Chefarzt an der LWL-Klinik in Dortmund arbeitet.

Wechsel zwischen nüchternen Phasen und Vollrausch

Stoßweiser Alkoholkonsum ist besonders schädlich. Das fanden Wissenschaftler in Studien mit Börsenmanagern aus der Londoner City heraus, die unter der Woche nüchtern sind und sehr diszipliniert arbeiten. Am Wochenende gehen sie „on the binge“, das heißt, sie enden im Vollrausch. „Das ist eine katastrophale Belastung insbesondere für das zentrale Nervensystem. Durch die Alkoholspitzen ist die Schädigung viel massiver als bei Menschen, die die gleiche Menge über die Woche verteilt trinken“, so Reymann.

 

Auch das Suchtgedächtnis wird durch den Wechsel zwischen alkoholfreien Phasen und Abstürzen stark angetriggert, was zu einer hohen seelischen Abhängigkeit führt. „Durch die Wechsel zwischen nüchternen Phasen und Alkoholisierung, lernen die Betroffenen, was der Alkohol ihnen schenkt: Enthemmung, gesteigertes Selbstbewusstsein, Angstverminderung. Je häufiger und je intensiver die Leute diesen Wechsel erleben, desto stärker wird die psychische Abhängigkeit“, erklärt der Mediziner.

Täglicher, hoher Alkoholkonsum

Wenn jemand beispielsweise unter der Woche an jedem Abend drei Bier trinkt und am Wochenende fünf, dann ist das ein sehr hoher, riskanter Konsum, der viele negative Folgen nach sich zieht. Etwa Leberschäden oder eine verminderte Potenz. „Wer über Jahrzehnte täglich große Mengen konsumiert, ist körperlich abhängig, aber die seelische Abhängigkeit ist bei dieser Person nicht so ausgeprägt. Nach einem Entzug fällt diesen Betroffenen die längerfristige Alkoholfreiheit deshalb deutlich leichter“, so Reymann.

Sonja Westphal trinkt seit acht Jahren keinen Alkohol mehr - hier erzählt sie ihre Geschichte

Quellen
  • Mehta, G et al.: Short-term abstinence from alcohol and changes in cardiovascular risk factors, liver function tests and cancer-related growth factors: A prospective observational study; BMJ Open; 2018; DOI: 10.1136/bmjopen-2017-020673
  • Case P, et al.: Has the increased participation in the national campaign ‚Dry January‘ been associated with cutting down alcohol consumption in England? Drug and Alcohol Dependence; 2021; DOI: 10.1016/j.drugalcdep.2021.108938
  • Oldham M, et al.: Exploring changes in temporary abstinence in increasing and higher risk drinkers in England and Dry January participation in users of the Try Dry app in the UK between 2020 and 2021; BMC Public Health; 2022; DOI: 10.1186/s12889-022-14188-4 
  • Online-Informationen University of Sussex: http://www.sussex.ac.uk; Abruf: 14.01.2021
  • Online-Informationen Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): www.kenn-dein-limit.de; Abruf: 14.01.2021
  • Online-Informationen Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V.: www.dhs.de; Abruf: 14.01.2021
  • Online-Informationen Drogenbeauftragte der Bundesregierung: www.drogenbeauftragte.de; Abruf: 14.01.2021
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