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„Ein guter Kinderzahnarzt versteht, warum seine Patienten Angst vor ihm haben“

Milchzähne brauchen eine andere Behandlung als das Gebiss Erwachsener. Kinderzahnarzt Christian Splieth erklärt im Interview, worauf Eltern achten sollten.

Veröffentlicht: 2019-04-12T15:11:24+02:00

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Grinsendes blondes Mädchen

© Mauritius Images

Viele Zahnärzte sind nicht ausreichend qualifiziert für die Behandlung von sehr jungen Patienten. Christian Splieth bohrt und lehrt an der Universität Greifswald. Sie ist eine von zwei deutschen Hochschulen, die einen Weiterbildungsstudiengang für Kinderzahnheilkunde anbieten. Splieth sagt, worauf es bei Milchzähnen ankommt, was Eltern wissen müssen und wie wichtig nett dekorierte Wartezimmer sind.

Herr Splieth, Sie machen sich dafür stark, Kinderzahnheilkunde als eigenständige Ausbildung zu etablieren. Was müssen Kinderzahnärzte zusätzlich können?
Kinder sind nicht einfach nur kleine Patienten. Ein Dreijähriger hat Angst vorm Zahnarzt - und das ist eine gesunde Reaktion. Da kommt jemand mit Bohrer und Spritze und dringt mit seinen Händen in den Mund ein. Das finden die wenigsten Menschen normal. Ältere begreifen, dass es sein muss. Kleine Kinder allerdings sind affektgetrieben. Wollen sie etwas nicht, helfen keine Argumente. Ein guter Kinderzahnarzt versteht, warum seine Patienten erst einmal Angst vor ihm haben. Dies kann er mit allen Techniken, wie er dann agieren sollte, in einer Weiterbildung wie unserem Masterstudiengang lernen.

Christian Splieth, Professor an der Universität Greifswald, Kinderzahnheilkunde

© Jonas Ratermann

Christian Splieth

Professor an der Universität Greifswald, erklärt seiner Patientin spielerisch mit Hilfe des Plüschhasen Bunnys die richtige Zahnpflege. Seine Ausbildung in Kinderzahnheilkunde und Prävention absolvierte Splieth zum Teil in Großbritannien und den USA.
Wie schaffen Sie es, dass die Patienten dennoch Ihre Hände im Mund tolerieren?Ich gebe mir sehr viel Mühe für die Prophylaxeberatung und für das Zahnputz-Training. Mit dem Hasen Bunny demonstriere ich, wie die Zahnbürste benutzt werden sollte. Ich färbe die Zähne der Kinder ein, lila Stellen zeigen, wo sie nicht gründlich genug geschrubbelt haben. Das Kind auf dem Zahnarztstuhl lernt so, der Mann will mir nichts Böses – und fasst hoffentlich Vertrauen. Ich wiederum kann recht schnell einschätzen, ob das Kind kooperiert oder nicht. Abgesehen davon ist selbstverständlich die Lektion in Mundhygiene an sich sehr wichtig. Ein Arzt kann kaputte Zähne reparieren. Karies vermeiden können nur die Kinder selbst – mit Unterstützung der Eltern natürlich.

Was tun Sie, wenn das Kind nicht kooperiert?
Dann entscheide ich, ob wir Lachgas einsetzen oder eine Behandlung unter Vollnarkose machen. Lachgas ist eindeutig die bessere Wahl. Jeder Kinderzahnarzt sollte zertifiziert sein, es verwenden zu können. An der Universität Greifswald haben wir gerade in einer Masterarbeit 800 Lachgas-Sitzungen ausgewertet. In 95 Prozent der Fälle war die Behandlung erfolgreich, die ohne das Sedierungsmittel nicht möglich gewesen wäre.

Was ist der Vorteil von Lachgas?
Es euphorisiert, setzt die Schmerzempfindlichkeit herab, sediert leicht und verändert das Zeitgefühl. Sobald das Gas abgestellt ist, ist der Patient wieder fit.

Mit welchen Nebenwirkungen muss man rechnen?
Mit keinen bei einem kontrollierten medizinischen Einsatz. Gelegentlich tritt etwas Übelkeit auf infolge einer leichten Übersedierung.

Stimmt es, dass die Mundgesundheit in Deutschland so gut ist wie nie zuvor?
Das trifft leider nur für die bleibenden Zähne zu. Die letzte Kinder- und Jugendmundgesundheitsstudie hat erstmalig auch Dreijährige berücksichtigt. Insgesamt nahmen 300.000 Kinder teil. Unsere Zwölfjährigen haben weltweit mit den Dänen die besten Zähne. Bei den untersuchten 150.000 Grundschülern und den 50.000 Dreijährigen sieht es jedoch traurig aus. 15 Prozent der Kita-Kinder haben schwerste Karies. Wir haben also reichlich Bedarf an Kinderzahnärzten. 

Wie lässt sich dieser Unterschied bei der Gebissqualität erklären?
Wir sind uns ziemlich sicher, dass es am Fluorid liegt. Vor rund 30 Jahren hatten mehr als 80 Prozent der Kinder im Alter von zwölf Jahren Karies, heute sind es weniger als 20 Prozent. Zuckerkonsum und Ernährungsgewohnheiten haben sich seither kaum verändert. Aber Fluoride sind zunehmend bei Salz, Zahnpasta, Gelee oder Lack zugesetzt worden. Allerdings kaum bei Kinderzahnpasta. Die enthält nur ein Drittel der Fluorid-Menge einer Erwachsenenzahnpasta. Kürzlich erst haben die zahnmedizinischen Fachgesellschaften empfohlen, die Fluoridkonzentration auch für die Kleinen zu erhöhen. Ab dem Durchbruch des ersten Milchzahns bis zum zweiten Geburtstag sollten sie zweimal täglich ihre Zähne mit einer reiskorngroßen Menge einer Zahnpasta mit 1000 ppm Fluorid putzen, Kinder zwischen zwei und sechs Jahren nehmen dann eine erbsengroße Menge.

Ist Fluorid nicht schädlich für kleine Kinder?
Fluorid ist ein Spurenelement, das natürlich vorkommt, so auch im Trinkwasser. Zur Vorbeugung von Karies muss Fluorid nicht systemisch, also als Tablette, genommen werden, eine lokale Wirkung im Mund reicht aus. Wird nicht doppelt mit Tablette und Zahnpasta fluoridiert, ist der Einsatz von Fluoriden auch beim kleinen Kind unproblematisch.

Woran erkennen Eltern einen guten Kinderzahnarzt?
Die deutschen Universitäten bilden die Zahnärzte so gut wie gar nicht am Milchzahn aus. 30 Hochschulen lehren Zahnheilkunde, aber es gibt gerade mal drei selbstständige Lehrstühle für Kinderzahnheilkunde: bei uns in Greifswald, in Leipzig und in Gießen.  Wer einen Masterstudiengang absolviert hat, ist gut am kindlichen Gebiss trainiert. Oder, wenn er sich einige Zeit in den USA, England oder in der Schweiz fortgebildet hat. Dort existieren wie auch in Griechenland, Syrien oder Indien eigenständige Weiterbildungen in Kinderzahnheilkunde.  

Brauchen Milchzähne eine andere Behandlung als bleibende Zähne?
Ja. Milchzähne zeichnen sich durch zweierlei aus: Sie haben einen großen Nerv und sie gehen verloren. Beim bleibenden Zahn versuchen die Kollegen, die Substanz so lange wie möglich zu erhalten. Beim Milchzahn muss ich vor allem den Nerv und damit die Schmerzen unter Kontrolle bringen. Ein Kinderzahnarzt geht manchmal recht invasiv vor und zieht schmerzende Zähne. Erhalten ist nicht immer die erste Wahl. Der Arzt muss nur sicherstellen, dass genügend Platz vorhanden ist für die bleibenden Zähne. Außerdem ist die richtige Pflege wichtig, damit die Neuen in eine gesunde Umgebung wachsen.

Die Universität Greifswald bietet einen Masterstudiengang für Kinderzahnheilkunde an. Wie sieht der aus?
Es ist ein berufsbegleitendes Aufbaustudium. Jeder, der sich einschreibt, muss bereits eine fünfjährige Zahnarztausbildung hinter sich haben. Unsere Studenten können weiter in ihren Praxen arbeiten, belegen insgesamt 16 Module an Wochenenden und hospitieren bei uns. Das geht über zwei Jahre. Inhaltlich ist die Ausbildung sehr breit aufgestellt.

Erhalten die angehenden Spezialisten auch Tipps für den Bau von Bällebädern?
Wir haben auch eine Vorlesung über die kindgerechte Ausstattung einer Praxis. Für viel wichtiger als ein Bällebad im Wartezimmer halte ich jedoch den Monitor über dem Behandlungsstuhl. Meine Dreijährigen schauen während der zahnärztlichen Sitzung gern „Shaun, das Schaf“ und sind damit prima abgelenkt.

Abgesehen von toll ausgestatteten Wartezimmern und freundliche Helferinnen bieten Kinderzahnärzte oft auch einen Menge Leistungen an, die selbst zu bezahlen sind. Ist das nötig?
Manches ist schon wichtig. Lachgas zum Beispiel ist keine Kassenleistung. Aber natürlich erwarte ich von einem verantwortungsbewussten Kollegen, dass er nicht übertherapiert. Was notwendig ist, können Eltern jederzeit in den Leitlinien nachlesen, die häufig auch als Patienten-Version im Netz stehen. Des Weiteren erwarte ich von einem Kinderzahnarzt, dass er mit den Kleinen und ihren Eltern immer wieder Mundhygiene trainiert und klar macht, dass die Verantwortung für gesunde Zähne bei ihnen selbst liegt. Ein Zahnarzt ist kein Kosmetiker. Er macht nicht hübsch, er bietet keinen „Wir-machen-das-für-Sie“-Service. Jeder ist selbst für die Gesundheit seiner Zähne verantwortlich.

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