Eine Quizfrage zum Einstieg: Was haben folgende Gerichte gemeinsam? Tagliatelle Verdura mit Parmesan und Oliven. Schweinefilet mit Fühlingsgemüse. Schoko-Erdbeer-Käsekuchen.
Die Lösung: Alle drei Speisen stammen aus einem Kochbuch für Typ-2-Diabetiker. Der Unterschied zu den Rezepten für Stoffwechselgesunde – falls es überhaupt einen Unterschied gibt – findet sich im Kleingedruckten. Die Tagliatelle sind aus Vollkorn und sollen al dente zubereitet werden. Neben dem Schweinefilet wölbt sich ein kleiner Berg aus Zuckerschoten, Kohlrabi und Karotten. Und der saftige Käsekuchen kommt kalorienfreundlich ohne Boden daher.
Goldene Ernährungsregeln für Diabetiker
Nichtsdestotrotz gibt es einige goldene Regeln. Etwa dass Lebensmittel mit Kohlenhydraten viele Ballaststoffe enthalten sollten. „Die Nahrungsfasern verzögern die Aufnahme von Zucker aus dem Darm. Außerdem verbessern sie die Insulinempfindlichkeit, sodass der Zucker schneller aus dem Blut in die Zellen gelangt“, sagt Andreas Pfeiffer, Leiter der Abteilung Endokrinologie der Berliner Universitätsklinik Charité am Campus Benjamin Franklin (CBF).Das kaum verdauliche Faserfutter steckt ausschließlich in pflanzlichen Erzeugnissen wie Brokkoli, Äpfeln, Beeren, Vollkornbrot, Nüssen oder Linsen. In puncto Zuckerstoffwechsel erweisen sich die unlöslichen Ballaststoffe aus Vollkornprodukten und Hülsenfrüchten als besonders günstig.
„Ein weiterer Vorzug von Ballaststoffen ist, dass sie auf kalorienarme Weise das Nahrungsvolumen auf dem Teller und im Magen erhöhen. So senken sie die Energiedichte der Mahlzeiten“, sagt Ernährungsspezialist Pfeiffer. Diese Eigenschaft ist besonders wichtig für Typ-2-Diabetiker, die mit Übergewicht kämpfen.Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) empfiehlt Menschen mit Diabetes, täglich 40 Gramm Ballaststoffe aufzunehmen. Um in den Genuss der begehrten Slow Carbs zu kommen, müssen Betroffene nicht ihre gesamte Ernährung umstellen. Oft genügen schon clevere Tauschgeschäfte auf dem Teller.
Weizenvollkornmehl etwa enthält mit zehn Gramm Ballaststoffen pro 100 Gramm mehr als dreimal so viele Nahrungsfasern wie Weizenmehl Type 405. Wer also statt zu heller Pasta und weißen Semmeln zu den Varianten mit höherem Ausmahlungsgrad greift, zahlt schon mal tüchtig auf das Ballaststoffkonto ein. Ebenfalls wichtig für die Grundversorgung mit den gesunden Faserstoffen: täglich drei Portionen Gemüse sowie zwei Portionen Obst.
Und was, wenn man auf seine traditionellen Farfalle aus Hartweizengrieß nicht verzichten mag? Dann hält man die Pastaportion eben kleiner und lädt sich dafür mehr Zucchini, Auberginen oder Kirschtomaten auf den Teller. „Etwa 70 Gramm Rohgewicht bei den Nudeln und 200 Gramm Gemüse oder Antipasti sind eine gute Kombination für Menschen mit Diabetes, die auf ihre Figur achten wollen“, empfiehlt die Ernährungswissenschaftlerin und Kochbuchautorin Dagmar von Cramm.
Werden die Nudeln dann auch noch bissfest gekocht, quellen sie nicht ganz auf und werden langsamer verstoffwechselt. „Der Verdauungsapparat braucht länger, um an die Kohlenhydrate zu kommen“, erläutert von Cramm.Low-Carb-Alternativen: Proteinreiche Lebensmittel
Eine gute Low-Carb-Alternative sind auch die trendigen Spirelli und Penne aus Hülsenfrüchten, die sich in den Nudelregalen der Supermärkte zunehmend Platz erobern. Diese Pasta gibt es aus Linsen, Sojabohnen, Kichererbsen, Erbsen oder schwarzen Bohnen. Sie enthalten nicht nur viele Ballaststoffe, sondern punkten auch mit pflanzlichen Proteinen – ein Nährstoff, von dem Diabetiker profitieren. „Eiweiß benötigt zur Verstoffwechselung kaum Insulin und erhöht den Blutzuckerspiegel nur wenig. Es ist deshalb günstig für die Ernährung bei Diabetes“, sagt Andreas Pfeiffer. In einer Studie unter Führung des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke (DIfE) verbesserte eine eiweißreiche Diät bei älteren Diabetikern Stoffwechsel und Insulinempfindlichkeit. Zudem schmolz das Leberfett der Patienten um etwa die Hälfte. Eine Fettleber ist problematisch, weil sie Insulinresistenz und Typ-2-Diabetes fördert.Die Teilnehmer der DIfE-Studie nahmen 30 Prozent ihrer täglichen Kalorien in Form von Eiweiß zu sich – also deutlich mehr als die 15 Prozent, die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlen werden. Ob die Probanden pflanzliches Eiweiß aßen oder ob sie sich bei mageren Milchprodukten, weißem Fleisch und Fisch bedienten, machte für das Untersuchungsergebnis keinen Unterschied. „Letztlich sind größere Studien notwendig, um die Langzeiteffekte zu untersuchen und um zu prüfen, ob auch jüngere Patienten von der Ernährungsumstellung profitieren würden“, sagt Pfeiffer.
Im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung sind proteinreiche Lebensmittel für Diabetiker, bei denen die Nieren in Ordnung sind, in jedem Fall eine gute Wahl. Auch deshalb, weil Studien zeigen, dass Menschen bei guter Eiweißversorgung besser abnehmen und zufriedener mit ihrer Ernährung sind.
Als empfehlenswerte Proteinquellen gelten vor allem Hülsenfrüchte, Nüsse und Samen, aber auch fettarmer Quark, Joghurt und Käse sowie weißes Fleisch von Hühnchen und vor allem Fisch. „Die Ausnahme ist rotes Fleisch von Schwein, Rind, Ziege oder Schaf. Hier sollte man nicht mehr als 300 Gramm pro Woche essen“, empfiehlt Pfeiffer.
Der Expertenrat, bei rotem Fleisch und Wurst nur sparsam zuzugreifen, beruht auch auf großen Bevölkerungsstudien, die zeigen, dass ein Zuviel an diesen Lebensmitteln das Risiko für einen Typ-2-Diabetes erhöht. Steak, Streichwurst & Co. enthalten gleich mehrere Substanzen, die den Stoffwechsel unter Druck setzen.
Dazu zählen gesättigte Fettsäuren, aber auch unterschiedliche Stickstoffverbindungen sowie das gut verfügbare tierische Eisen. Ein Übermaß an diesem Spurenelement steht im Verdacht, durch Oxidationsvorgänge die insulinproduzierenden Betazellen der Bauchspeicheldrüse zu schädigen.
Fitte Fette für gesunde Gefäße
Ähnlich wie Eiweiß ist Fett besser als sein Ruf. Es kommt, wie immer, auf das Kleingedruckte an. „Einfach ungesättigte Fettsäuren in Oliven- oder Rapsöl und Omega-3-Fettsäuren in Leinöl oder Walnüssen halten die Gefäße geschmeidig und beugen so Herz-Kreislauf-Erkrankungen vor“, erklärt Helga Zeller, Diabetologin und Ernährungsmedizinerin im Diabeteszentrum Essen.
Der Griff zu diesen Fitfetten ist für Menschen mit Diabetes besonders wichtig, weil sie ein erhöhtes Risiko für Arteriosklerose tragen und häufig mit Begleitererkrankungen wie Bluthochdruck und erhöhten Blutfettwerten kämpfen. Die gesättigten Fette aus Butter, Sahne oder Speck hingegen taugen zwar als schnelle Energielieferanten, wirken aber entzündlich auf die Blutgefäße, wenn sie mit zu vielen Kohlenhydraten gegessen werden. „Lieber in Maßen verzehren“, empfiehlt Zeller.Diese Zusammenhänge sind durch große Bevölkerungsstudien gut abgesichert. So zeigte 2019 eine Auswertung der Daten von mehr als 11.000 Frauen und Männern aus der „Nurses’ Health Study“ und der „Health Professionals Follow-Up Study“, dass Diabetespatienten länger leben, wenn sie bei mehrfach ungesättigten Fettsäuren zugreifen.
Das galt vor allem für Linolensäure etwa aus Leinöl oder Rapsöl sowie für Omega-3-Fettsäuren aus Fischöl. Einfach ungesättigte Fettsäuren aus tierischen Quellen wie Schwein oder Ei hingegen erhähten das Sterberisiko.
Fruchtiges Olivenöl, knackiges Gemüse, sättigende Hülsenfrüchte, dazu Fisch, Obst und Joghurt – erinnert dieser Lebensmittelmix nicht irgendwie an den vergangenen Urlaub auf Sardinien? Tatsächlich: Viele Zutaten aus der stoffwechselfreundlichen Küche kommen rund ums Mittelmeer bevorzugt auf den Tisch.
„Eine Ernährung, die sich an den Elementen der traditionellen mediterranen Diät orientiert und die Kohlenhydrate etwas reduziert, hat die besten Aussichten auf metabolischen Erfolg“, bestätigt auch Andreas Pfeiffer.
FOCUS-GESUNDHEIT 06/21
Dieser Artikel ist eine gekürzte Fassung. Den vollständigen Text finden Sie in der Ausgabe Diabetes von FOCUS-GESUNDHEIT. Weitere Themen: Wie die Forschung arbeitet, um Typ-1-Diabetes zukünftig zu kurieren. Spezialsysteme regeln die automatische Insulingabe bei Typ-1-Diabetes. U.v.m.Zum E-Paper-Shop
Zum Print-Shop
Werbung
Mittelmeerkost bei Diabetikern besonders empfohlen
Dass die Mittelmeerdiät bei Typ-2-Diabetes besonders gut abschneidet, zeigte auch eine Analyse von 56 unterschiedlichen Ernährungsstudien, die Forscher des DIfE 2018 veröffentlichten. Demnach gelang es mit dieser Kostform am besten, den Nüchtern-Blutzuckerspiegel zu senken.
Forscher glauben, dass der Effekt auch mit den sekunären Pflanzenstoffen zu tun hat. Die organischen Verbindungen, die von Pflanzen beispielsweise als Farbstoffe oder zur Abwehr von Fressfeinden gebildet werden, verbessern die Insulinempfindlichkeit und verringern die Produktion von sogenannten Advanced Glycation Endproducts (AGEs). Darunter versteht man schädliche Zucker-Eiweiß-Verbindungen, die bei zu hohen Blutzuckerkonzentrationen entstehen.
Alternative Ernährungsformen
Die Potsdamer Analyse zeigte aber auch, dass es keinen Goldstandard gibt, wenn es um die optimale Ernährungsform bei Diabetes Typ 2 geht. Auch Low-Carb-Däten, Paleo-Kost oder rein vegetarischen beziehungsweise veganen Kostformen gelang es in der Auswertung, den Nüchtern-Blutzuckerwert und den Langzeitblutzucker HbA1c zu senken.Selbst eine Low-Fat-Erährung verbesserte den Zuckerstoffwechsel, wenn auch vergleichsweise schwach – der Rat, strikt mit Fett zu knausern, galt bis vor einigen Jahren als zentrale Empfehlung in der Ernährungstherapie von Typ-2-Diabetes.
Welche Kostform bei Diabetes am besten hilft, scheint von Patient zu Patient verschieden zu sein. „Jeder Mensch hat einen anderen Geschmack, andere finanzielle Möglichkeiten oder eine andere Kultur“, erläutern die Autoren des Internetportals Diabinfo.de, das von den führenden Zentren der Diabetesforschung in Deutschland erstellt wurde.
Dass Einheitsvorgaben für alle wenig bringen, das bemerkt auch Mediziner Andreas Pfeiffer in seinen Ernährungsstudien immer wieder. „Die ersten sechs Wochen etwa machen die Leute noch gut mit. Anschließend kaufen sie aber doch wieder, was ihnen schmeckt.“ Verzicht ist eben schwer. Immerhin: Ersetzen fällt leichter. Und das nicht nur, wenn es um Vollkornbrötchen statt Weizensemmeln geht.