Unterleibsprobleme und ihre Ursachen
„Hohe Zuckerwerte nehmen so direkt Einfluss auf die Sexualfunktion“, sagt Ruth Kirschner-Hermanns, Leiterin der Neuro-Urologie am Universitätsklinikum Bonn und am Neurologischen Rehabilitationszentrum Godeshöhe e. V. „Selbst kurzzeitig erhöhte Werte dämpfen das sexuelle Empfinden, da sie über Strukturen im zentralen Nervensystem die Blutversorgung der Geschlechtsorgane beeinträchtigen.“
Bei Männern wie auch bei Frauen wird dann nicht mehr genug Blut in die Schwellkörper der Geschlechtsorgane geleitet. Männer entwickeln Erektionsstörungen, Frauen leiden unter Scheidentrockenheit und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. Sie brauchen deutlich länger, um zum Orgasmus zu kommen.Innere Organe sind ebenfalls betroffen: Fallen die zur Harnblase führenden Nervenfasern aus, treten Blasenfunktionsstörungen auf. „Der hohe Zuckergehalt ist ein Nährboden für Pilze und Bakterien“, ergänzt Ruth Kirschner-Hermanns, „Diabetiker sind dadurch anfällig für Infektionen im Blasen- und Genitalbereich.“
Werbung
Diabetes: Auswirkungen auf die Psyche
Der Einfluss des Diabetes auf die Psyche sollte nicht unterschätzt werden – und die ist beim Sex ja immens wichtig. Körperliche Veränderungen wie Injektionsstellen oder Insulinpumpen können als Makel gesehen werden. Männer empfinden häufig allein das Risiko, keine Erektion zu bekommen, als beängstigend. Die Stresshormone, die dabei ausgeschüttet werden, genügen manchmal schon für das Ausbleiben einer Erektion.
Schwankungen bei Lust und Leistung sind normal. Wenn es aber über Monate bei Männern im Bett nicht klappt, kann es sich um eine erektile Dysfunktion handeln – die Unfähigkeit, eine ausreichende Steife des männlichen Glieds für einen befriedigenden Geschlechtsverkehr zu erlangen. Viele Männer trauen sich nicht, über die Erektionsstörungen zu sprechen, und warten zu lange, bis sie sich einem Arzt anvertrauen. „Über die Region unterhalb des Bauchnabels wird gern geschwiegen“, bedauert der Münchner Urologe und Sexualmediziner Thomas Stadler.
Dabei wäre das zu einem frühen Zeitpunkt wichtig, um die Erektionsfähigkeit zu erhalten.
Ein Arzt mit der entsprechenden Qualifikation wird eine gründliche Anamnese und Diagnostik durchführen.
Mehr als 50 % der Männer mit Diabetes haben Potenzprobleme. Ein Viertel der Diabetiker leidet in regelmäßigen Abständen unter einer Pilzinfektion
Quellen: diabetesDE, Deutsches Ärzteblatt 2016
Diabetes: Erektionsstörung
Bevor man mit diesen Medikamenten die Symptome bekämpft, sollten mögliche Ursachen behandelt werden. Etwa durch eine konsequente Blutzuckereinstellung oder Änderungen von schädlichen Lebensgewohnheiten wie zu wenig Bewegung und Rauchen. In einer italienischen Studie klappte es bei einem Drittel der übergewichtigen Teilnehmer wieder im Bett, nachdem sie sich mehr bewegten, abnahmen und sich gesünder ernährten.
Haben die Maßnahmen nicht den gewünschten Erfolg, stehen Medikamente wie PDE-5-Hemmstoffe und andere symptomatische Therapien zur Verfügung: Vakuumpumpe, Schwellkörperimplantat oder Schwellkörper-Autoinjektionstherapie. „Aber nie auf eigene Faust mit Potenzmitteln experimentieren“, warnt Thomas Stadler, „gerade bei Vorerkrankungen oder Medikamenteneinnahme.“
Diabetische Neuropathie
Polyneuropathie ist ein Sammelbegriff für Erkrankungen des peripheren Nervensystems, die Nerven im gesamten Körper betreffen. Bei der diabetischen Neuropathie sind körperliche Prozesse beeinträchtigt, darunter auch die Erweiterung von Gefäßen, die Blasen-, Mastdarm- oder Sexualfunktion. Mediziner vermuten, dass es durch die Einlagerung von Glukose in den Blutgefäßen zu einer Unterversorgung der Nervenzellen mit Sauerstoff oder Nährstoffen kommt.
Werbung
Diabetes: Unterleibsinfektionen
„Antibiotika werden meist zu schnell und zu häufig verabreicht“, sagt Kirschner-Hermanns. Vor allem ältere Patientinnen, die aufgrund des veränderten Hormonhaushalts, des Diabetes oder einer Blasenschwäche schon vorbelastet sind, entwickeln Resistenzen. „Die Neigung zu wiederkehrenden Harnwegsinfekten steigt – ein Teufelskreis“, so die Bonner Urologin.
Ursachen sollte durch eine Urinkultur auf den Grund gegangen und über pflanzliche Therapien nachgedacht werden. Auch eine Impfung gegen Blasenentzündung ist seit einigen Jahren auf dem Markt.
Diabetes: Orgasmusstörung und trockene Vagina
In der weiblichen Scheide herrscht ein saures Milieu. Der typische pH-Wert der Vaginalflora von vier schützt vor Erregern. „Diabetikerinnen haben ein deutlich erhöhtes Risiko für eine Störung des natürlichen Säureschutzes“, sagt Ruth Kirschner-Hermanns.
„Ein erhöhter Blutzuckerspiegel verschiebt den pH-Wert in den alkalischen Bereich.“ Die Haut trocknet aus und reißt leichter ein. Die Frauen haben Schmerzen beim Sex. Nervenschäden mindern zudem die Empfindsamkeit. Dadurch brauchen die Frauen länger, bis sie zum Orgasmus kommen. Hormonhaltige Salben und Zäpfchen beheben die Scheidentrockenheit, spezielle Cremes pflegen die Haut.
"Diabetes ist ein wichtiger Risikofaktor für eine Harninkontinenz bei Frauen"
Ruth Kirschner-Hermanns
Leiterin der Neuro-Urologie am
Universitätsklinikum Bonn
Werbung
Diabetes: Blasenschwäche bei Frauen
„Diabetes ist ein wichtiger Risikofaktor für eine Harninkontinenz bei Frauen“, sagt Neuro-Urologin Kirschner-Hermanns. Früher dachten Mediziner bei einer diabetischen Blase meist an eine Blasenentleerungsstörung, bei der zu viel Restharn in der Blase bleibt. „Heute wissen wir, dass eine diabetische Blasenfunktionsstörung ganz unterschiedlich sein kann“, erklärt die Expertin. „Oft ist die Blase von Diabetikern überaktiv, die Betroffenen müssen sehr häufig zur Toilette und haben ein vermehrtes Dranggefühl.“
Hinzu kommt bei übergewichtigen Typ-2-Diabetikerinnen häufig ein schwacher Beckenboden. Warnzeichen, auf die Diabetiker achten sollten, sind seltene oder besonders häufige Toilettengänge (überaktive Blase oder eine unvollständige Entleerung mit Resturin in der Blase) sowie ungewollter Harnverlust oder das Gefühl, dass sich die Blase nie ganz leert.
Mit einer Urinprobe, einem Ultraschall der Blase und einem Blasenprotokoll, dem Miktionstagebuch, bei dem Patienten Trinkmenge und Wasserlassen dokumentieren, erkennt der Arzt eine Funktionsstöung des unteren Harntrakts (Zystopathie). Die Behandlung reicht von Beckenbodengymnastik über Medikamente und Elektrostimulation bis hin zur Operation. Auch Männer sind von Blasenfunktionsstörung betroffen. Sie wird jedoch oft zu spät diagnostiziert, da die meisten Ärzte Prostata-Probleme vermuten. An eine diabetische Nervenschädigung als Auslöser denken sie häufig nicht.
Guten Sex erleben (Unser Podcast für ein gutes Körpergefühl – Folge #8)
Zu Gast im Podcast:
Dr. med. Viola Kürbitz, Urologin und Sexualmedizinerin mit Praxis in WesterstedeIn dieser Podcastfolge sprechen wir über Sex und seine enge Beziehung zu unserem körperlichen Wohlbefinden.
Ein erfülltes Sexleben schenkt Lebenskraft, entspannt und lässt zugleich eine Menge Glückshormone durch den Körper strömen.
Wir haben die Urologin und Sexualmedizinerin Viola Kürbitz gefragt, was es braucht, um guten Sex zu erleben und was man bei Problemen tun kann. Sie verrät außerdem, wie Orgasmus und Psyche zusammenhängen und worauf es in der Partnerschaft in Bezug auf eine erfüllte Sexualität ankommt.
Mittel und Therapien
Für Männer:
- PDE-5-Hemmstoffe bewirken, dass bei sexueller Erregung mehr Blut in den Schwellkörper des Penis fließt und ihn steif macht. Wichtig: Risikofaktoren beim Arzt abklären.
- Ein gefäßerweiterndes Medikament spritzt sich der Mann bei der Schwellkörper-Autoinjektionstechnik in den Penis. Auch hier fließt mehr Blut und führt zur Erektion.
- Bei nachgewiesenem Mangel an Testosteron hilft eine Hormontherapie. Das Hormon wird gespritzt, als Pflaster auf die Haut geklebt oder als Gel eingerieben.
Für Frauen:
- Ein Beckenbodentraining fördert die Durchblutung im Vaginalbereich und häufig die Orgasmusfähigkeit. Gut trainierte Muskeln des Beckenbodens vermindern das Risiko der Inkontinenz.
- Hormonhaltige Salben und Zäpfchen beheben Probleme wie Scheidentrockenheit oder Schmerzen beim Sex, wenn die Haut zu trocken ist oder sich nicht ausreichend Scheidenflüssigkeit bildet.
- Bei wiederkehrenden Blasenentzündungen unterstützen harntreibende Tees das Ausschwemmen der Bakterien. Pflanzliche Antibiotika sindAlternativen bei nicht fiebrigen einfachen Harnwegsinfekten.
Werbung
Interview: Frauen mit Diabetes
Werner Mendling, Professor für Infektionen in Gynäkologie und Geburtshilfe
Herr Prof. Mendling, Sie gelten als einer der wenigen Experten für Vaginalpilz in Deutschland. Diabetikerinnen klagen oft über Pilzinfektionen – Sie kritisieren zu viele falsche Diagnosen.
Ich gehe von 30 bis 50 Prozent Fehldiagnosen aus. Was da brennt und juckt, ist oft gar kein Vaginalpilz.
Warum wird der Vaginalpilz so häufig falsch diagnostiziert?
Frauen kaufen sich die Cremes und Zäpfchen meist selbst in der Apotheke und gehen nicht zum Gynäkologen. Die Medikamente sind schnell wirksam und billig. Außerdem wird viel zu wenig geforscht, denn die Wissenschaft liegt vor allem in der Hand der Uni-Kliniken – und die sehen so „leichte“ Infektionen wie einen Vaginalpilz gar nicht und beschäftigen sich wissenschaftlich mit anderen Fragen.
Dies ist eine gekürzte Fassung. Den vollständigen Text finden Sie in FOCUS-Diabetes „Seele stärken" 03/2019 – als Print-Heft oder als digitale Ausgabe.