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Wie Bakterien die Wirksamkeit von Medikamenten bei Darmentzündungen beeinflussen

Bei den Darmerkrankungen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa beeinflussen Darmbakterien die Entstehung und die Wirksamkeit von Medikamenten. Die Erkenntnisse wecken Hoffnung auf neue Behandlungsstrategien.

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3D-Abbildung von Bakterien im Darm

© Shutterstock

Stefan Schreiber

© Sascha Klahn

Prof. Dr. Stefan Schreiber

Direktor der Klinik für Innere Medizin I und des Instituts für Klinische Molekularbiologie an der Christian-Albrechts-Universität Kiel

Britta Siegmund

© Sven Doering

Prof. Dr. Britta Siegmund

Direktorin der Medizinischen Klinik für Gastroenterologie, Infektiologie und Rheumatologie an der Charité Berlin

Im menschlichen Verdauungstrakt leben so viele Mikroben wie Zellen im ganzen Körper. Das Darm-Mikrobiom, die Gemeinschaft der Bakterien zwischen Magenausgang und After, wiegt bei einem Erwachsenen etwa so viel wie zwei Tafeln Schokolade. Es scheint mit diversen Erkrankungen im Zusammenhang zu stehen, Morbus Crohn und Colitis ulcerosa zum Beispiel, die beiden chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, die unter der Abkürzung CED zusammengefasst werden.

Dass Bakterien die Gesundheit des Darms so nachhaltig beeinflussen können, ist eine recht junge Erkenntnis. Mittlerweile ahnen Forscher, dass es vor allem darauf ankommt, was die Mikroorganismen in der Darmschleimhaut tun: wie sie Nahrung verwerten, welche Stoffwechselprodukte dabei entstehen und wie diese auf den Menschen wirken.

„Das Mikrobiom spielt Pingpong mit dem Körper“, sagt Stefan Schreiber, Direktor der Klinik für Innere Medizin I und des Instituts für Klinische Molekularbiologie an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel. „Ständig tauschen die Bakterien und der Körper Stoffwechselprodukte aus, sogenannte Metabolite.“ Die Mikroben, das weiß die Forschung heute, produzieren zum Teil auch Substanzen, die der Körper braucht. Bekommt er sie nicht, kann er krank werden.

Darmmikroben beeinflussen die Wirkung von Arzneimitteln

„Es ist bekannt, dass chronisch entzündliche Darmerkrankungen mit Veränderungen des Mikrobioms einhergehen“, sagt Schreiber. Vergleichen Wissenschaftler die winzigen Darmmitbewohner von CED-Patienten mit jenen gesunder Menschen, finden sie deutliche Unterschiede. Allerdings bleibt unklar, was zuerst da war: die Erkrankung oder das veränderte Mikrobiom. Fest steht, dass Morbus Crohn und Colitis ulcerosa ohne Bakterien im Darm gar nicht entstünden. „In Tierversuchen konnte man nachweisen, dass Mäuse mit einem sterilen, also einem keimfreien Darm, keine chronisch entzündliche Darmerkrankung bekommen“, berichtet Schreiber.

Ein solches Experiment ist allerdings nur in einer keimfreien Umgebung möglich – und damit ausschließlich im Labor durchführbar. Ohne die Winzlinge im Darm könnten kein Mensch und kein Nager problemlos leben. Die Verdauung und das Immunsystem hängen vom Mikrobiom ab. Lässt sich aus dem Versuch trotzdem schlussfolgern, dass die Darmbakterien Schuld tragen, wenn Menschen Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa entwickeln? Die Ursache beider Erkrankungen ist bis heute unbekannt.

Doch Menschen mit CED, das ergaben Studien bereits vor Jahren, haben weniger unterschiedliche Mikroorganismen in ihrem Darm als Gesunde. Wissenschaftler vermuten deshalb, dass es zwischen CED und dem Mikrobiom einen Zusammenhang gibt. Bei den schätzungsweise 320.000 bis 470.000 CED-Patienten in Deutschland soll das Mikrobiom sogar die Wirkung von Arzneimitteln beeinflussen.

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Darmentzündungen: Symptome und Behandlung

Bevor Medikamente zum Einsatz kommen, muss zunächst ein Arzt die Diagnose stellen. Die Symptome, mit denen die Betroffenen – meist im Alter von 15 bis 35 Jahren – in eine Praxis kommen, sind bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa teilweise ähnlich: Während Morbus Crohn Schmerzen im rechten Unterbauch und Durchfall verursacht, kommt es bei Colitis ulcerosa zu blutig-schleimigen Durchfällen, Schmerzen im linken Unterbauch und schmerzhaftem Stuhlgang. Weil die Nährstoffaufnahme im Darm gestört ist, gehen beide Erkrankungen mit Müdigkeit, Blutarmut, Gewichtsverlust und Mangelerscheinungen einher. Bei Morbus Crohn können sich im Darm Fisteln, Abszesse und Engstellen bilden.

„Patienten mit Morbus Crohn des Dünndarms gehen oft erst zum Arzt, wenn ihnen so eine Engstelle Verdauungsprobleme bereitet“, berichtet Britta Siegmund, Direktorin der Medizinischen Klinik für Gastroenterologie, Infektiologie und Rheumatologie an der Charité Berlin. Die Diagnose ist selbst für erfahrene Ärzte schwierig, weiß die Gastroenterologin: „Ist bei Morbus Crohn der Dünndarm betroffen, kann es Jahre dauern.“

Morbus Crohn und Colitis ulcerosa treten schubweise auf. Das bedeutet, dass sich Phasen starker Symptome mit beschwerdefreien Zeiten abwechseln. Beide Erkrankungen sind nicht heilbar. Es gibt jedoch eine Reihe von Medikamenten, mit denen sie sich kontrollieren lassen. Ärzte unterscheiden die Erhaltungstherapie zur langfristigen Kontrolle von der Akutbehandlung während eines Schubs. Sie verschreiben je nach Schwere der Symptome Zäpfchen, Einläufe, Tabletten, Spritzen oder Infusionen, die entzündungshemmend wirken, und bei einem Schub Cortison.

Dazu gibt es Mittel, die bei Bedarf Bauchweh und Durchfall lindern. Sogenannte Immunsuppressiva dämpfen die körpereigene Abwehr und bremsen die Entzündung ebenfalls.

Seit der Jahrtausendwende kommen bei CED auch Biologika zum Einsatz, biotechnologisch hergestellte Arzneimittel. Üblich sind etwa sogenannte TNF-Hemmer, die auch bei Rheuma wirken. Sie blockieren beispielsweise den Tumornekrosefaktor (TNF), einen Entzündungsbotenstoff, der die starke Reaktion des Immunsystems im Darm immer wieder anfacht.

Entzündungsspirale

Bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen entsteht an der Darmschleimhaut eine Entzündungskaskade, die sich selbst verstärkt.

1. Unbekannte Auslöser aktivieren das Immunsystem. Darmbakterien könnten dabei eine Rolle spielen.

2. Bestimmte Immunzellen produzieren Botenstoffe

3. Die Botenstoffe docken an spezifische Bindungsstellen von anderen Immunzellen an

4. Die so aktivierten Immunzellen lösen eine Entzündung aus

5. Das verstärkt die Produktion der entzündungsfördernden Botenstoffe

Welche Medikamente einem Patienten am meisten nützen, entscheidet der Arzt je nach Schwere der Symptome ganz individuell. „Die Mehrheit der Menschen mit Colitis ulcerosa kommt mit wenig Therapie gut durchs Leben“, sagt Siegmund von der Berliner Charité. „Es gibt aber schwere Verläufe bereits bei jungen Patienten, denen wir den Dickdarm operativ entfernen müssen.“

Bei Morbus Crohn kommen Operationen ebenfalls vor. Sie dienen meist dazu, Engstellen zu weiten. Manchmal müssen die Bauchchirurgen einen künstlichen Darmausgang anlegen.

Früh therapiert, kann sich die Darmschleimhaut erholen, versichert Britta Siegmund, wenngleich sie von Heilung nicht sprechen darf.

Darmentzündungen: Behandlungsmöglichkeiten in der Zukunft

Die CED-Therapie mit TNF-Hemmern gab Wissenschaftlern zunächst Rätsel auf. Die Medikamente helfen nämlich nicht allen Patienten. Nur bei jedem Fünften bringen sie die Krankheit unter Kontrolle. Im Sequenzier-Zentrum der Universität in Kiel haben die Wissenschaftler um Stefan Schreiber herausgefunden, dass des Rätsels Lösung im Mikrobiom verborgen liegt. Sie untersuchten Stuhlproben von Patienten mittels „Next Generation Sequencing“ (NGS). Die Methode, mit der sich das Genom von Lebewesen so schnell wie nie analysieren lässt, gilt als Goldstandard zur Identifizierung von Mikroorganismen.

Weil die Technologien noch fehlen, mit denen Forscher den Bakterienstoffwechsel im Darm live beobachten könnten, simulierten die Wissenschaftler aus Norddeutschland den Nährstoffaustausch der per NGS ermittelten Darmbakterien im nächsten Schritt am Computer. Wenn erst einmal klar ist, welche Stoffwechselprodukte bei welchem Mikrobiom entstehen, so die Hoffnung, lässt sich in Zukunft vorhersagen, ob eine Therapie mit TNF-Hemmern Erfolgsaussichten hat. Entsprechende Tests dazu gibt es noch nicht – sie zu entwickeln wäre ein ganz neuer Ansatz für personalisierte Medizin bei CED.

Patienten, bei denen TNF-Hemmer wirken, haben schon vor der Behandlung im Darm einen ganz anderen Stoffaustausch, stellten die Kieler Forscher fest. Das brachte die Wissenschaftler auf eine neue Idee. Auf Basis ihrer Erkenntnisse entwickelten sie eine Möglichkeit, wie man CED in Zukunft ausbremsen könnte – auf eine nie gekannte Weise, die auf das Mikrobiom abzielt. „Wir stellten fest, dass TNF-Hemmer nicht nur die Immunzellen beeinflussen und so die Entzündung löschen“, berichtet Schreiber. „Bei Patienten, bei denen sie wirken, verändern die Mittel zudem das Mikrobiom in Richtung eines Gesunden.“ Das ist eine Erkenntnis, welche die CED-Forschung einen großen Schritt weiterbringt und am Zusammenhang zwischen CED und dem Mikrobiom kaum mehr zweifeln lässt.

Die Verbindung zwischen beiden könnte eine Aminosäure sein, die bei den Versuchen der Kieler Wissenschaftler mehr und mehr in den Vordergrund rückt: Tryptophan, das die Bakterien im Darm produzieren. Schon 2016 entdeckten Wissenschaftler des Helmholtz Zentrums München, dass Tryptophan das Immunsystem stimuliert und das Entstehen von Asthma beeinflusst.

Ein Jahr später erschien im Fachmagazin „Gastroenterology“ eine Arbeit aus Schreibers Team, die bewies, dass der Körper die Aminosäure bei CED übermäßig abbaut – wohl ein vergeblicher Versuch, sich zu schützen. TNF-Hemmer, vermutet CED-Experte Schreiber, „könnten den Tryptophan-Haushalt im Darm restaurieren“ und deshalb bei manchen Patienten so gut gegen die Erkrankung helfen.

FOCUS-GESUNDHEIT 06/20 - Magen-Darm

© FOCUS-GESUNDHEIT

FOCUS-GESUNDHEIT 06/20

Dieses Interview ist eine gekürzte Fassung. Den vollständigen Beitrag sowie mehr zum Thema Magen-Darm-Erkrankungen finden Sie in der Ausgabe Magen & Darm von FOCUS-GESUNDHEIT, erhältlich als E-Paper oder Print-Heft.

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Die Idee, die sein Kieler Labor nun verfolgt, ist, den Tryptophan-Stoffwechsel im Mikrobiom und in der Darmschleimhaut von CED-Patienten so zu beeinflussen, dass er wie bei Gesunden funktioniert. Im Tierversuch mit Mäusen ist das eindrucksvoll gelungen: mit dem B-Vitamin Nicotinamid, einem wichtigen Stoffwechselprodukt des Tryptophans. „Von Nicotinamid wissen wir, dass es nicht giftig ist“, sagt Schreiber. „Der Körper kennt die Substanz aus vielen Stoffwechselvorgängen.“ Er nimmt das Nicotinamid aus der Nahrung allerdings normalerweise schnell auf, sodass es den unteren Dünndarm und den Dickdarm, wo sich CED abspielen, kaum erreicht. Die Kieler Wissenschaftler haben Filmtabletten mit Nicotinamid entwickelt, die sich erst im unteren Teil des Dünndarms auflösen und den Wirkstoff dort und im Dickdarm in großen Mengen freigeben.

Nächstes Jahr soll eine groß angelegte Studie starten: mit 450 Patienten, die das neue Mittel – oder zur Kontrolle ein Placebo – drei bis zwölf Monate lang täglich nehmen. Involviert sind Universitätskliniken, städtische Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte aus ganz Deutschland.

Schreiber vermutet, dass seine Tabletten die Bakterienflora deutlich verändern werden. Im Idealfall, so der Professor, könnte das B-Vitamin bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa irgendwann „als Basismedikation die Darmflora unterstützen, sodass sich die Schleimhaut erholen kann“. Mit Nebenwirkungen rechnen die Forscher kaum. „Alles deutet darauf hin, dass Nicotinamid sicher ist“, so Schreiber.

Angesichts der Studienergebnisse eine neue Therapie auszuprobieren, statt die Methode mit TNF-Hemmern zu optimieren, liegt laut Schreiber nahe: „Biologika haben viel verändert und sind eine tolle Sache für die Patienten. Doch ich denke, wir befinden uns nur in einer Übergangsphase. TNF-Hemmer sind wie Feuerlöscher. Besser wäre, dafür zu sorgen, dass erst gar kein Brand entsteht.“

In 20 Jahren, glaubt Schreiber, werden Ärzte vielleicht schon an der Therapie der Ursachen ansetzen. Vielleicht ja, indem sie das Mikrobiom therapieren und so die Wirksamkeit von Medikamenten beeinflussen – oder gar das Entstehen der Erkrankung selbst. „Eine oder zwei Forschergenerationen wird es noch dauern“, schätzt Schreiber.

FOCUS-Gesundheit – Klinikliste 2025

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