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Abnehmen mit Medikamenten

Hormone steuern im Gehirn, wie viel wir essen. Neue Medikamente können die Botenstoffe imitieren – und so helfen, Gewicht zu verlieren.

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Grafische Darstellung, wie Hormone im Gehirn steuern, wie viel wir essen

© Shutterstock

„Abnehmen ist Kopfsache“ – diesen Spruch haben die meisten schon mal gehört. Und vermutlich daran gedacht, wie schwer es fällt, sich für eine Diät zu motivieren und dranzubleiben. Inzwischen wissen Forschende: Wann wir satt sind und wie viel wir essen und an Gewicht zulegen, entscheidet sich tatsächlich im Gehirn – gesteuert von Hormonen.

Unser Experte für Endokrinologie

Martin Heni, Endokrinologe am Universitäts­klinikum in Ulm und Wissenschaftler an der Uni­versität Tübingen
„Die Botenstoffe teilen dem Denkorgan mit, wie viel Energie der Körper aktuell benötigt und ob die Speicher ausreichend gefüllt sind“, erklärt Martin Heni, Endokrinologe am Universitäts­klinikum in Ulm und Wissenschaftler an der Universität Tübingen. Konkret löst das Essen eine ganze Kaskade von Botenstoffen in verschiedenen Organen aus: Kommen Darmzellen in Kontakt mit einem Zuckermolekül, setzen sie bestimmte Hor­mone frei, zum Beispiel GLP­1. Auch der Magen schüttet bei Nahrungsaufnahme Botenstoffe aus. Die Bauchspeicheldrüse produziert Insulin. Fett­zellen setzen Leptin frei, um anzuzeigen, wie viel Fettdepots im Körper vorhanden sind. All diese Botenstoffe zirkulieren durch die Blutbahn und gelangen direkt ins Gehirn. Dort binden sie an spezifische Andockstellen, soge­nannte Rezeptoren, und lösen ein Sättigungs­gefühl aus. „Die Hormone entscheiden in dem Konzert, in dem sie freigesetzt werden, wann wir aufhören zu essen“, beschreibt Jens Aberle, Prä­sident der Deutschen Adipositas­ Gesellschaft und Ärztlicher Leiter des Adipositas­-Centrums am Universitätsklinikum Hamburg­-Eppendorf.
Grafische Darstellung: Die Hormone Leptin und Insulin signalisieren dem Gehirn Sättigung. Rot markiert sind Re‑ gionen, die von Insulin aktiviert werden

© Science Photo Library

Die Hormone Leptin und Insulin signalisieren dem Gehirn Sättigung. Türkis markiert sind Regionen, die von Insulin aktiviert werden.

Sättigungshormone regulieren den Zuckerstoffwechsel in der Leber. Funktionieren die Signalwege nicht richtig, lagert sich vermehrt schädliches Fett im Organ ab.

Fettgewebe informiert das Gehirn mit Botenstoffen darüber, wie gut die Depots gefüllt sind. Umgekehrt reguliert das Denkorgan, wo der Körper Fett speichert.

❸ Die Bauchspeicheldrüse produziert beim Essen Insulin, das dem Gehirn sagt, wenn genügend Energie aufgenommen wurde. Vom Denkorgan ausgehende Signale steuern die Insulinempfindlichkeit des Organs.

❹ Hormone, die den Hunger regulieren, sorgen rückwirkend für ausreichend Energie in den Muskeln. Außerdem steuern sie die Insulinempfindlichkeit der Muskulatur.

Gestörte Hungerregulation

Allerdings entfaltet sich die Wirkung der Boten­stoffe nicht bei allen Menschen gleich gut. „Wir glauben inzwischen, dass Übergewicht schwer­ punktmäßig eine Erkrankung des Gehirns ist“, sagt Endokrinologe Heni. Es könnte entstehen, weil Signale über Nahrungsaufnahme und Ener­giezustand des Körpers im Denkorgan nicht mehr richtig wirken. Der Mensch isst zu viel und nimmt zu – mit weitreichenden Folgen. „Es gibt einen beinahe linearen Zusammen­hang zwischen dem Body­-Mass­-Index (BMI) und Erkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck, Herz­ oder Nierenschwäche“, erklärt Adipositas­ Experte Aberle. Ab einem BMI von 30 – der laut WHO die Grenze zur Fettleibigkeit markiert – steigt das Risiko für diese Erkrankungen massiv. Im jüngsten WHO­-Report zur Adipositas wird die chronische Krankheit zudem als Mitursache für 13 verschiedene Krebsformen beschrieben.

Menschen mit Adipositas fällt es schwer, Ge­wicht durch eine Ernährungsumstellung oder mehr Bewegung zu verlieren, weil die Hormonregulation des Hungergefühls in ihrem Gehirn gestört ist. Hier setzen Medikamente an, die Sättigungshor­mone imitieren. Gelangen mehr Sättigungssignale ins Denkorgan, hat dies auch bei einer erwiesenen Resistenz gegen die Hormonbotschaften einen Effekt. „Die neuen Substanzen sind zwischen Diät und Magen­-OP heute ein wichtiger Baustein der Adipositas­Therapie“, erklärt Aberle. Sie hätten, anders als die vorige Generation der Appetitzügler, nicht mehr so starke Nebenwirkungen.

Als Wirkstoff zugelassen sind bisher GLP­-1-­Re­zeptor­-Agonisten. Diese imitieren die Wirkung des Hormons GLP­1, das normalerweise im Magen­-Darm­-Trakt produziert wird. Patienten können damit eine Gewichtsreduktion von bis zu 17 Pro­zent erreichen, ergaben Studien. „Als Nebenwir­kungen treten anfangs häufig ein komisches Gefühl im Magen, zum Teil auch Übelkeit und Erbrechen auf. Das bessert sich meist rasch“, so Heni. Wie Aberle hofft er, dass die Kosten der Medikamente für Adipositas­-Patienten in naher Zukunft von den Krankenkassen übernommen werden können. Bisher sind Medikamente, die das Körpergewicht regulieren, per Gesetz ausgeschlossen.

FOCUS-GESUNDHEIT 05/22

Dieser Artikel ist eine gekürzte Fassung. Den vollständigen Text finden Sie in der Ausgabe Hormone & Diabetes. Weitere Themen: Neue Therapien bei Diabetes und Pankreatitis. U.v.m.

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Das Problem ist der Jo-Jo-Effekt

Am Beispiel von Insulin untersucht Endokrino­loge Heni einen weiteren positiven Nutzen der Sättigungshormone. „Ist die Botenstoffwirkung im Gehirn gestört, hat das ungünstige Auswirkun­gen auf den Stoffwechsel“, erklärt der Forscher. Die Energie wird anstatt im Unterhautfettgewebe oder in Muskelzellen, wo sie in Hungerperioden, etwa nachts, mobilisiert werden kann, im Bauch­fett und der Leber gespeichert. Dort fördert sie Erkrankungen wie Typ-2-­Diabetes oder Leber­zirrhose. Mit den Hormonimitaten baut der Körper die ungünstigen Depots langfristig wieder ab.

Solange die Patienten die Abnehmhelfer ein­nehmen, bleiben die Kilos unten, werden sie ab­gesetzt, droht der Jo­-Jo­-Effekt. Den Grund da­ für könnte die Set­-Point­-Theorie erklären: „Der Körper merkt sich, wenn wir zunehmen, und ver­sucht, dieses höhere Gewicht immer wieder zu erreichen“, erklärt Aberle. Mithilfe der Hormon­imitate würde der Wissenschaftler dieses Dilem­ma gerne lösen. Sein Traum: „Wenn es gelingt, das Gewicht im Gehirn über Botenstoffe langfris­tig neu zu definieren, gehört der Jo-­Jo­-Effekt der Vergangenheit an.“

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