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„Es ist kein Schicksal, dass Männer fünf Jahre früher sterben“

Das weit verbreitete Bild des „starken Mannes“ kann toxisch sein - mit schweren Folgen für die Gesundheit von Männern. Prof. Gertraud Turu Stadler, Leiterin des Lehrstuhls für geschlechtersensible Präventionsforschung an der Berliner Charité, verrät im Interview, wie man das ändert.

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Das toxische Idealbild schadet Männern gesundheitlich

© AnnaStills / istock

Triggerwarnung: In diesem Interview geht es unter anderem um suizidale Gedanken und Suizid. 

Frau Stadler, über toxische Männlichkeit wird in letzter Zeit zunehmend gesprochen, auch in den Medien. Aber was genau ist ein „toxisch maskuliner Mann“?

Toxische Männlichkeit ist ein sehr polarisierender Begriff. Es geht dabei um Vorstellungen traditioneller Maskulinität. Für mich wäre der Marlboro-Mann ein Beispiel für so ein negatives Rollenbild, wenn auch etwas veraltet. Er ist immer stark, dominant und unabhängig. Was dabei vergessen wird: Männer haben auch Schwächen. Sie sind Menschen. Aber so ein „Marlboro-Mann“, darf seine Schwächen niemals zeigen. Das führt dazu, dass er seine Gefühle nicht äußert oder gar nicht wahrnimmt. Und das hat schwere Folgen für seine mentale Gesundheit. 

Prof. Gertraud (Turu) Stadler , Professorin für geschlechtersensible Präventionsforschung an der Charité in Berlin

Von 2015 bis 2023 forschte sie in den Applied Health Sciences an der University of Aberdeen in Schottland, von 2006 bis 2015 im Bereich Psychologie an der School of Public Health, Columbia University.

© Privat

Welche Konsequenzen kann toxische Männlichkeit für Männer haben?

Ein Grundproblem ist, dass Männer, die dieses Rollenbild in sich tragen, denken, sie dürfen sich keine Hilfe holen. Wenn sie in Schwierigkeiten geraten, sprechen sie mit niemandem darüber. Gleichzeitig unterdrücken sie ihre Gefühle. Das erhöht das Risiko für eine Depression. Viele flüchten sich dann in den Alkohol oder in eine andere Sucht, was die Depression schwer erkennbar macht. Ein Teufelskreis, der sich in den Selbstmordraten widerspiegelt. Die liegen bei Männern dreifach höher als bei Frauen.

Werden Männer in der Gesundheitsversorgung benachteiligt?

Interessante Frage, weil wir häufig darüber sprechen, dass Medikamentenstudien an Männern gemacht werden und deshalb nicht ohne weiteres auf Frauen übertragbar sind. Aber im Bereich der psychischen Erkrankungen fehlen teilweise auch Daten für Männer. Die Depressionsskalen, die für die Diagnose genutzt werden, sind bisher eher auf frauen-typische Symptome zugeschnitten. 

Aber erste Untersuchungen zeigen, dass es bei Männern andere Depressions-Symptome geben könnte als bei Frauen. Wahrscheinlich spielen Aggression und Verhaltensstörungen eine größere Rolle und Anzeichen wie Ängstlichkeit, zu der Frauen bei einer Depression neigen, kommen weniger stark vor. 

Warum werden Frauen in unserer Gesellschaft älter als Männer? 

Es ist kein Schicksal, dass Männer im Durchschnitt etwa fünf Jahre früher sterben. Studien über die Lebenserwartungen von Männern und Frauen im Kloster zeigen: Bei gleichen Alltagsbedingungen liegen Männer nur noch eineinhalb Jahre hinter den Frauen. Für den Rest-Unterschied ist wahrscheinlich auch die Genetik verantwortlich, genauer die Geschlechtschromosomen. Frauen haben zwei Mal X und damit ein Backup für dieses Chromosom, auf dem auch wichtige Körperfunktionen codiert sind. Männer dagegen besitzen nur eine Kopie des X-Chromosoms und zusätzlich ein Y-Chromosom. Hier gibt es noch großen Forschungsbedarf. Denn aus den Geschlechterunterschieden könnten sich bessere Behandlungsmöglichkeiten ergeben.

Toxische Männlichkeit spielt für die geringere Lebenserwartung von Männern eine wichtige Rolle. Neben der mentalen Gesundheit achten viele Männer auch allgemein weniger auf ihren Körper als Frauen. Sie ernähren sich ungesund oder nehmen Vorsorgeuntersuchungen nicht wahr. Männer in ökonomisch schlechterer Lage sterben im Verhältnis zu Frauen derselben gesellschaftlichen Schicht sogar noch früher. Das liegt zum einen an höheren Berufsrisiken in körperlich anstrengenden Berufen. Zum anderen sind die vorherrschenden Stereotypen oft stärker in diesem Umfeld. Holt sich ein Bauarbeiter mittags einen Salat, erntet er wohl mehr belustigte Blicke von Kollegen als ein Mann, der im Büro arbeitet, und dasselbe tut.

Was kann man gegen toxische Männlichkeit unternehmen? 

Gesellschaftlich starren Rollenbildern muss man etwas entgegensetzen. Und das fängt bei der Kindererziehung an. Wenn Väter mit gutem Vorbild vorangehen und mit ihrem Sohn über Gefühle sprechen, bekommen die Jungen einen anderen, gesünderen Zugang zu ihrer Emotionswelt.

Auch die Schulen und Kindergärten können beitragen. Einfache Schritte wie gesünderes Schulessen, lassen Jungen Gemüse als lecker und normal wahrnehmen. 

Eine gute Maßnahme, um Suchterkrankungen entgegenzuwirken sind Freizeitangebote und psychologische Hilfe für Kinder aus Familien, in denen es ein Suchtproblem gibt. So wird die Abhängigkeit seltener weitergegeben.

Schließlich können Medien und die Öffentlichkeit durch Aufklärung dazu beitragen, dass Männer verstehen, sie können selbst entscheiden: Will ich diesem für mich schädlichen Ideal entsprechen? Was habe ich davon? Und sich immer fragen: Wie fühle ich mich gerade? 

Welche prominenten Vorbilder gibt es für Männer?

Harry Styles ist für mich ein gutes Beispiel, wie man toxisches Verhalten aufbrechen kann. Er spricht offen über Gefühle und sprengt männliche Stereotype, indem er auch mal ein Kleid trägt. Und ist dennoch oder vielleicht auch deswegen ein Weltstar, der viele begeistert. 

Ein weiteres Beispiel ist Prinz Harry. In seiner Arbeit mit Kriegsveteranen, die teils an posttraumatischen Belastungsstörungen litten, macht er deutlich: Man muss mit seiner Trauer und mit starken negativen Emotionen nicht allein bleiben. Professionelle Hilfe gibt es und die darf jeder in Anspruch nehmen – auch als Mann.

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