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„Der Darm ist unsere Kommunikationszentrale“

Unser Darm ist weit mehr als bloßes Verdauungsorgan – er ist flächenmäßig unser größter Kontakt zur Außenwelt und er beeinflusst emotionale Reaktionen und Psyche. Wie das Zusammenspiel zwischen Darm, Gehirn und Psyche funktioniert und die Gesundheit maßgeblich beeinflusst und wieso der Psychotherapeut bei Magen-Darm-Beschwerden die richtige Anlaufstelle sein kann, erläutert Prof. Andreas Stengel im Interview.

Von

Geprüft von Dr. Andrea Bannert, Mikrobiologin, Redaktionsleitung FOCUS-Gesundheit Digital

Veröffentlicht: 2024-09-24T16:11:54+02:00

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Computerillustration der Darm-Hirn-Achse. Bildliche Darstellung der KOmmunikation zwischen Darm und Gehirn.

© sakurra-istock

Prof. Andreas Stengel, ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Klinikum Stuttgart und Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie Facharzt für Innere Medizin, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM).

Herr Prof. Stengel, in unserem Bauch besitzen wir die größte Nervenansammlung nach dem Gehirn – das Darmhirn. Es ist mit unserem Denkorgan verbunden und tauscht Signale aus. Experten sprechen von der Darm-Hirn-Achse. Können wir die spüren?

Ja, wir können diese Nervenverbindung tatsächlich wahrnehmen. Wenn uns vor Aufregung schlecht wird, wir Schmetterlinge im Bauch haben oder eine Bauchentscheidung treffen, steckt dahinter die Kommunikation zwischen „Bauchhirn“ und Kopf. Während man früher dachte, das Gehirn steuert alles, wissen wir heute, dass der Darm vieles eigenständig regeln kann. Er kontrolliert zum Beispiel die Bewegung des Darms oder löst das Gefühl von Schmetterlingen im Bauch aus, wenn wir verliebt sind, ganz ohne direkte Anweisung vom Gehirn. Das Gehirn schaltet sich oft erst später ein.

Wie funktioniert die Kommunikation zwischen Bauch und Kopf?

Der Informationsaustausch läuft über zwei Hauptwege: die Nerven und das Blut. Darm und Gehirn sind direkt über den Vagusnerv verbunden, eine Art „Datenautobahn“, auf der Signale hin- und hergeschickt werden. Wenn der Darm zum Beispiel etwas Verdächtiges registriert, wie eine Magenverstimmung, sendet er sofort ein Signal an das Gehirn, das dann zum Beispiel mit Übelkeit oder Stress reagiert.

Aber es gibt auch eine biochemische Kommunikation über den Blutstrom. Der Darm produziert verschiedene Hormone und Botenstoffe, die über das Blut zum Gehirn gelangen und dort unter anderem Emotionen und Verhalten beeinflussen. Diese enge Verbindung sorgt dafür, dass unser Bauch tatsächlich mit dem Kopf „spricht“ und dabei sowohl auf körperliche als auch emotionale Herausforderungen reagiert. Er signalisiert zum Beispiel ‚wir brauchen noch mehr Energie‘ und löst über ein Hungergefühl aus, dass wir uns zum Kühlschrank bewegen.

Wie groß ist der Einfluss des Darms auf unsere Psyche und unsere Emotionen?

Der Darm hat einen enormen Impact auf unsere Gefühle und die Psyche. Der Darm ist quasi unsere Kommunikationszentrale mit der Außenwelt. Er verarbeitet nicht nur Nahrung, sondern bewertet auch andere Signale, die von außen kommen. Dazu muss er eng mit dem Gehirn zusammenarbeiten. Zum Beispiel reguliert der Darm das Stresslevel, das wir empfinden mit. Das erklärt, warum unser Bauch großen Einfluss auf unser emotionales Wohlbefinden hat und umgekehrt, zum Beispiel Stress auf den Magen schlagen kann.

Der Darm jedes Menschen ist mit Billionen von Bakterien besiedelt. Welche Rolle spielt das sogenannte Darmmikrobiom bei der Kommunikation mit dem Gehirn?

Lange dachte man, die Darmflora sei vor allem dazu da, Nahrungsbestandteile zu zersetzen. Heute wissen wir, dass weit mehr dahintersteckt. Studien mit Mäusen zeigen, Veränderungen in der Zusammensetzung dieser Bakteriengemeinschaft können Stimmung und Angst bei den Tieren beeinflussen. Wahrscheinlich spielen die Mikroorganismen im Darm eine große Rolle für unsere Gesundheit und beeinflussen auch Krankheiten, die nicht direkt mit dem Darm zu tun haben.

Bisher ist es Forschenden aber nicht gelungen zu definieren, wie ein „gesundes“ Darmmikrobiom aussieht, da es individuell variiert. Während wir viele schädliche Bakterien kennen, bleibt unklar, welche Darmmitbewohner erwünscht und optimal für die Gesundheit sind. Was man bereits weiß: Vielfalt ist gut. Also eine große Anzahl verschiedener Bakterienarten im Darm sorgt für ein stabileres Gleichgewicht der Darmflora.

Bei welchen Krankheiten könnte das Mikrobiom eine Rolle spielen?

Interessant ist, dass es einen Zusammenhang mit neurologischen und psychischen Erkrankungen gibt. Das hat vermutlich mit der Darm-Hirn-Achse zu tun. Die Bakteriengemeinschaft im Darm beeinflusst wahrscheinlich das Risiko für Depressionen oder Angststörungen. Auch bei Erkrankungen wie Parkinson und Alzheimer steht das Mikrobiom im Verdacht Auswirkungen auf das Nervensystem zu haben. Außerdem gibt es Studien, die zeigen, eine gestörte Darmflora kann das Immunsystem beeinflussen und Autoimmunerkrankungen wie rheumatoide Arthritis mit triggern. Zudem stehen Stoffwechselstörungen wie Typ-2-Diabetes und Fettleibigkeit im Zusammenhang mit Veränderungen der mikrobiellen Gemeinschaft im Darm. Das liegt daran, dass die Mikroorganismen auch den Stoffwechsel und das Gewicht beeinflussen. In Summe sind die bekannten Auswirkungen sehr vielfältig, wenn auch noch nicht im Detail verstanden.

Wie können Bakterien im Darm neurologische Erkrankungen wie Parkinson und Alzheimer beeinflussen?

Alzheimer und Parkinson sind neurodegenerative Erkrankungen. Das bedeutet, Nervenzellen im Gehirn oder Rückenmark werden geschädigt. Bis vor einigen Jahren gingen wir deshalb davon aus, dass solche Erkrankungen im Gehirn beginnen. Neue Studien legen aber eine andere Vermutung nahe.

Die Ergebnisse zeigen, dass der Untergang der Nervenzellen bei manchen Patienten mit Parkinson im Darmhirn startet. Parallel haben Forschende herausgefunden, bei Parkinson verändert sich das Mikrobiom oft sehr früh im Krankheitsverlauf.

Ein Zusammenhang zwischen Mikrobiom und Entzündungen besteht auch bei Alzheimer. Es ist jedoch schwierig zu sagen ob die Veränderungen des Mikrobioms (mit)ursächlich für die Erkrankungen ist oder eine Folge z.B. veränderter Darmbeweglichkeit oder veränderter Ernährung.

Weitere Forschung ist notwendig, um aus diesen Erkenntnissen später vielleicht Therapieempfehlungen abzuleiten.

Bei Erkrankungen wie dem Reizdarmsyndrom oder dem Reizmagensyndrom lassen sich keine organischen Ursachen finden. Der Magen-Darm-Bereich ist anscheinend völlig gesund. Liegt das vielleicht an der Darm-Hirn-Achse?

Es gibt auf jeden Fall einen Zusammenhang zwischen diesen Krankheiten und der Darm-Hirn-Achse. Neben biologischen spielen psychische und soziale Faktoren eine Rolle bei der Entstehung. Das hat großen Einfluss auf die Therapie.

Was sollte bei der Behandlung von Erkrankungen, wie z.B. dem Reizdarmsyndrom, bei denen die Darm-Hirn-Achse eine Rolle spielt, beachtet werden? Diese sogenannten somatoformen Erkrankungen sind sehr individuell. Deshalb gibt es keine Standardlösung. Wichtig ist, auch die Psyche mit einzubeziehen. Im Idealfall tauschen sich Experten unterschiedlicher Disziplinen wie Hausarzt, Internist, Ernährungsmediziner und Psychotherapeut aus, um die am besten auf den Patienten abgestimmte Therapie zu finden.

Wie muss sich die Behandlung solcher Erkrankungen zusammensetzten, um erfolgreich zu sein?

Ein wichtiger Teil der Behandlung ist, Lebensstil und Ernährung anzupassen. Zudem ist es entscheidend, dass die Behandler Patienten umfassend über ihre Erkrankung aufklären, damit sie verstehen, wie sie ihre Symptome besser managen können. Das bezeichnen wir als Psychoedukation.

Mit Medikamenten lassen sich die Symptome wie Schmerzen oder Übelkeit lediglich lindern, ohne die Ursachen zu beheben. Auch Antidepressiva werden manchmal eingesetzt, zur Unterstützung des Darm-Nervensystems aber auch bei psychischen Begleiterkrankungen.

Durch die Darm-Hirn-Achse wirkt sich Stress oft negativ bei Erkrankungen wie dem Reizdarmsyndrom aus. Helfen dann Entspannungsübungen?

Ja, bestimmte Entspannungsverfahren haben sich als wertvolle Ergänzungen zur Behandlung erwiesen. Methoden wie Progressive Muskelentspannung und Autogenes Training helfen, körperliche und emotionale Anspannung abzubauen. Bei der Progressiven Muskelentspannung werden verschiedene Muskelgruppen gezielt angespannt und wieder entspannt, um Stress zu reduzieren. Autogenes Training nutzt Autosuggestion, wirkt entspannend und beruhigt das Nervensystem. Die sogenannte Darmhypnose kann ebenfalls eine wirksame Behandlung beim Reizdarmsyndrom sein. Hier wird nicht der Darm hypnotisiert, sondern eine Art Fantasiereise durchgeführt, die mit darmbezogenen Bildern, wie einem Fluss, aus dem Hindernisse entfernt werden, arbeitet.

In welchen Fällen spielt Psychotherapie eine wichtige Rolle bei der Behandlung somatoformer Magen-Darm-Erkrankungen?

Psychotherapie ist besonders dann hilfreich, wenn die Symptome komplexer sind oder mit erheblichen emotionalen Belastungen einhergehen. Sie unterstützt Patienten dabei, emotionale und psychische Faktoren zu erkennen, die zu ihren körperlichen Beschwerden beitragen, wie etwa Stress. In der Psychotherapie entwickeln Betroffene Bewältigungsstrategien und lernen, besser mit ihrer Erkrankung umzugehen.
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