Forschende der Stanford University in den USA haben mithilfe von Bildern des Gehirns sechs verschiedene Typen von Depressionen erkannt. Dies könnte die personalisierte Therapie von Depressionen und Angststörungen erheblich verbessern und einen Meilenstein für den Therapieerfolg darstellen.
Warum individuelle Therapieansätze nötig sind
Rund 350 Millionen Menschen weltweit sind an einer Depression erkrankt. Allein in Deutschland ist jeder Fünfte im Laufe seines Lebens betroffen. Der Handlungsbedarf ist enorm: Jedes Jahr nehmen sich rund 9.000 Menschen in Deutschland das Leben, wobei 50 Prozent dieser Personen an einer unbehandelten oder nicht ausreichend behandelten Depression leiden.
Frühzeitig erkannt und behandelt, sind die Heilungschancen deutlich besser. Doch genau hier liegt das Problem: Die Therapie einer Depression ist kompliziert, da sich Ursache und Symptomatik von Erkrankung zu Erkrankung unterscheiden. Entsprechend individuell sollte auch die Behandlung sein.
In Deutschland sind etwa 30 verschiedene Antidepressiva zugelassen, die nach dem Prinzip „trial and error“ verordnet werden, also durch Versuch und Irrtum. So müssen Patienten oft viele verschiedene Medikamente durchtesten, bis ihre Symptome besser werden – und nehmen damit auch Nebenwirkungen der Antidepressiva in Kauf. Mehr als ein Drittel der Patienten mit diagnostizierter Depression und etwa die Hälfte der Patienten mit einer Angststörung sprechen auf die Erstbehandlung nicht an.
Forschende der Stanford University wollen dies nun ändern und eine individuellere Therapie ermöglichen. Ihre Studie zeigt, dass es sechs verschiedene Typen von Depressionen gibt, die jeweils unterschiedliche Ursachen haben. Die Ergebnisse der Studie wurden in der Fachzeitschrift "Nature Medicine" im Juni 2024 veröffentlicht.
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So wurden die sechs Depressions-Typen identifiziert
Für ihre Studie verglichen die Forschenden die MRT-Aufnahmen des Gehirns von 801 Patienten mit Depressionen oder Angststörungen mit den Bildern von 137 gesunden Personen. Die Aufnahmen des Gehirns wurden sowohl in Ruhe als auch während der Bewältigung von Aufgaben gemacht. Dadurch war es den Forschenden möglich, nicht nur einzelne Strukturen des Gehirns, sondern auch bestimmte Gehirnkreisläufe zu erkennen. Das Forscherteam konzentrierte sich bei der Auswertung auf Hirnregionen und Verbindungen, von denen bereits bekannt war, dass sie bei Depressionen eine Rolle spielen.
Ein MRT (Magnetresonanztomographie) ist ein bildgebendes Verfahren, bei dem starke Magnetfelder und Radiowellen genutzt werden, um detaillierte Bilder des Inneren des Körpers zu erzeugen. Bei MRT-Aufnahmen des Gehirns kann man die Struktur des Gehirns, verschiedene Gehirnregionen und mögliche Anomalien sehen, wie Tumore, Blutungen, Entzündungen oder Veränderungen bei neurodegenerativen Erkrankungen. Das funktionelle MRT (fMRT) zeigt auch die Aktivität bestimmter Gehirnkreisläufe.
Bei der Interpretation der Ergebnisse nutzen die Forscher künstliche Intelligenz. Mit der sogenannten Clusteranalyse wurden die Aufnahmen der Gehirne anhand der Aktivitätsmuster in sechs Subtypen kategorisiert.
So unterscheiden sich die Subtypen
Die entscheidende Erkenntnis der Analyse: Die sechs Biotypen unterscheiden sich nicht nur in der Intensität und Art der Symptome oder den Verhaltensmustern, sondern auch im Behandlungserfolg. Nach dem Zufallsprinzip wiesen die Forschenden den 250 Studienteilnehmern eines der drei gängigen Antidepressiva oder eine Verhaltenstherapie zu.
Bei drei der sechs Biotypen zeigte die zugeordnete Behandlung signifikante Ergebnisse:
- Subtyp, der durch eine Überaktivität in den kognitiven Regionen des Gehirns gekennzeichnet ist: Die Patienten sprachen am besten auf das Antidepressivum Venlafaxin an.
- Subtyp, dessen Gehirn im Ruhezustand höhere Aktivitätswerte in drei Regionen aufweist, die mit Depression und Problemlösung in Verbindung gebracht werden: Therapeutische Gespräche brachten die meiste Linderung.
- Subtyp, der im Ruhezustand niedrigere Aktivitätswerte in dem Hirnschaltkreis aufweist, der die Aufmerksamkeit steuert: Gesprächstherapien waren deutlich weniger nützlich als in allen anderen Gruppen.
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Bedeutung für die Therapie von Depressionen
Im klinischen Alltag können Ärzte die Studienergebnisse noch nicht direkt anwenden, da die Erstellung einer MRT-Aufnahme für jeden Patienten aufwendig und teuer ist.
Jedoch konnten die Forschenden der Stanford University zum ersten Mal nachweisen, dass Depressionen und Angstzustände mit Störungen der Hirnfunktion erklärt werden können. Laut Forschungsleiterin Leanne Williams ist dies die Grundlage für einen personalisierten Therapieansatz in der psychischen Gesundheit, der auf objektiven Messungen beruht.
Im nächsten Schritt soll die Studie auf mehr Teilnehmer ausgeweitet werden. Zudem sollen weitere Behandlungsmethoden für alle sechs Biotypen getestet werden, darunter auch Medikamente, die üblicherweise nicht zur Behandlung von Depressionen eingesetzt werden.
Quellen
- Tozzi, L et al: Personalized brain circuit scores identify clinically distinct biotypes in depression and anxiety; Nature; 2024; DOI: 10.1038/s41591-024-03057-9
- Online Informationen Standford Medicine News Center: https://med.stanford.edu; Abruf: 01.09.2024