Risikofaktor Krankenhaus
Patienten haben es geahnt, Ärzte schon immer gewusst: Die Wahl der falschen Klinik kann einen Kranken mehrere Jahre seines Lebens kosten. Einen Beweis dafür lieferte eine deutsche Darmkrebsstudie, die auf einem Onkologenkongress in Heidelberg vorgestellt wurde.
Ein Erlanger Pathologe verfolgte fünf Jahre lang das Schicksal von 2.347 Darmkrebspatienten an fünf Unikliniken und zwei städtischen Krankenhäusern. Die gravierende Diskrepanz beim Therapieerfolg überraschte auf dem Kongress selbst Pessimisten: In der schlechtesten Klinik überlebten die ersten fünf Jahre nur 40 von 100 Patienten. Unter denjenigen, die beim Spitzenreiter der sieben Kliniken operiert wurden, erreichten 68 von 100 Patienten und damit bedeutend mehr Erkrankte die Fünfjahreshürde.
Dass die Wahl einer Klinik über Wohl und Wehe entscheiden kann, ist nicht neu. Die Sätze, die Sie soeben gelesen haben, sind es auch nicht. Erstmals gedruckt wurden sie vor 30 Jahren im Nachrichtenmagazin FOCUS, begleitend zur Veröffentlichung der ersten FOCUS-Klinikliste. Mit deren Publikation hatte das Magazin – wie schon im Jahr zuvor mit der ersten Ärzteliste – ein Tabu gebrochen.
Eine Diskussion über medizinische Qualität und ihre Grundlagen war 1994 noch höchst unerwünscht. Und die Information, in welchen Häusern Kranke möglicherweise besser behandelt werden, sollte der Öffentlichkeit tunlichst verborgen bleiben. Zur zitierten Darmkrebsstudie hieß es im FOCUS-Report: „Bundesweit rätselt man nun, wer die schwarzen Schafe sind. Doch die Organisatoren der Studie bleiben eisern. Die Stärken und Schwächen der sieben Kliniken sind streng geheim.“
Aus Sicht der Ärztevertretung hätte es auch so bleiben können. „Jeder in einem Krankenhaus gibt sein Bestes“, wiegelte ein Vertreter der Bayerischen Landesärztekammer im Gespräch mit den Journalisten ab, eine Offenlegung der Daten mache keinen Sinn und verunsichere unnötig die Patienten. Doch eine Geheimniskrämerei dieser Art, prognostizierte der FOCUS, würden sich Deutschlands Krankenhäuser nicht mehr lange erlauben können.
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Reformbedarf
Wenige Jahre später leitete die Politik – nicht zuletzt angesichts steigender Kosten – den ersten Paradigmenwechsel ein. Es begann das Ringen um eine deutsche Kliniklandschaft, die Patienten hochwertig versorgt und weder Gesundheitskassen noch Krankenhäuser in den Ruin treibt. Damit verbunden war eine schrittweise Entwicklung zu mehr Leistungsorientierung, Qualität und Transparenz.
1994 hatte noch gegolten: Je länger der Patient in einer Klinik bleibt, desto mehr Geld spült er in deren Kasse. Die Krankenhäuser wurden für die Verweildauer der Patienten bezahlt. Zwölf Tage mussten Kranke im Schnitt bis zur Entlassung ausharren. Heute sind es durchschnittlich 7,2 Tage. Das liegt nicht nur am medizinischen Fortschritt etwa im Bereich der minimalinvasiven OP-Methoden, sondern auch an einem neuen Abrechnungssystem. Die sogenannte Fallpauschale, die ab 2003 sukzessive eingeführt wurde, vergütete statt der Dauer des Aufenthalts die erbrachte Leistung – abhängig von der Diagnose, dem Schweregrad der Erkrankung und den durchgeführten Operationen oder Therapien. Ob das Behandlungsergebnis am Ende gut oder schlecht ausfiel, stand dabei nicht zur Debatte.
Doch auch das ist nun Geschichte. Unter dem Druck der Verhältnisse – viele Kliniken schreiben rote Zahlen, etliche Häuser schließen – bereinigt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die deutsche Krankenhauslandschaft mit einer umfassenden Reform. Ab 2027 sollen alle Kliniken und Fachabteilungen in Leistungsgruppen eingeteilt sein: angefangen von Grund- oder Basisversorgern bis hin zu hoch spezialisierten Maximalversorgern.
Geprüfte und für eine Leistung zugelassene Fachabteilungen erhalten ein Vorhaltebudget – dafür, dass sie ein entsprechendes Angebot und die erforderlichen Strukturen bereithalten. 40 Prozent der Honorare werden wie bisher über Fallpauschalen erwirtschaftet. „Das Hauptziel ist nicht der Abbau von Standorten, sondern mehr Qualität in der Versorgung“, sagte Lauterbach im FOCUS-Interview im Mai 2024. Je nach Krankheitsbild sei ein Patient in der nächstgelegenen Klinik ja nicht unbedingt am besten aufgehoben: „Man muss sich gut informieren.“
Dieser Artikel erschien zuerst in der Ausgabe Klinikliste 2025. Weitere Themen: Modellprojekt: Neues Diagnoseverfahren bei seltenen Erkrankungen. Wird bei Rückenschmerzen zu schnell operiert? So treffen Sie für sich die richtige Entscheidung. U.v.m.
Die Sache mit der Transparenz
Die nötigen Informationen über die Leistungsfähigkeit der einzelnen Krankenhäuser liegen im Grunde bereits auf dem Tisch: Kliniken sind gesetzlich dazu verpflichtet, Qualitätsdaten zu erheben, zu dokumentieren und offenzulegen. Theoretisch kann also jede und jeder – ob Arzt oder Patient – die Qualitätsberichte einsehen und die Ergebnisse bestimmter Häuser vergleichen. Bis hin zu detaillierten Fragen, wie lange dort beispielsweise der Ersatz einer Herzklappe dauert oder wie häufig es nach einer Hüftgelenk-OP zu Infektionen kommt. Doch kaum jemand tut es.
„Die Daten sind schwer zu lesen und zu interpretieren und für Laien kaum verständlich“, erklärt Oliver Wiedemann, Projektmanager des Researchunternehmens FactField. Er muss es wissen – das Burda-eigene Rechercheinstitut wertet die Informationen Jahr für Jahr aus, um im Auftrag von FOCUS-Gesundheit die Top-Empfehlungslisten zu erstellen. „Neben den gesetzlich vorgeschriebenen Qualitätsberichten nutzen wir eine Vielzahl weiterer Quellen, etwa Zertifikate von medizinischen Fachgesellschaften und zusätzliche fachspezifische Fragebögen“, so Wiedemann. Bei der Recherche und Auswertung der Informationen arbeiten Projektmanagement, Datenredaktion, Analysten und IT-Spezialisten zusammen.
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Qualität als Maßstab
Die Veröffentlichung der FOCUS-Klinikliste im Jahr 1994 war einer der ersten umfassenden Versuche, die Qualität von Krankenhäusern in Deutschland einzuordnen und transparent zu machen. Patienten sollten endlich Zugang zu verlässlichen Informationen erhalten, die Kliniken zu Leistungsvergleich und Qualitätsverbesserung motiviert werden. Was damals auf Widerstände und Blockaden stieß, ist 30 Jahre später Normalität: Qualitätssicherung ist aus der Medizin nicht mehr wegzudenken.
600 Krankenhäuser hatten die Pioniere 1994 begutachtet, 200 Häuser nahmen sie in die erste Klinikliste auf. Ihre Recherchebasis: ein schriftlicher Fragebogen sowie Empfehlungen von Fachärzten, Pflegeeinrichtungen und Patienteninitiativen. Die aktuell recherchierte Klinikliste 2025 umfasst 523 Krankenhäuser mit 1.808 Fachkliniken und bietet Empfehlungen für 58 Krankheiten und Fachbereiche wie etwa Herzchirurgie, Diabetes oder Brustkrebs. „Wir erheben nicht nur den Status quo, sondern auch zukunftsweisende Themen wie Digitalisierung und sind somit am Puls der Zeit“, betont FactField-Direktorin Heidi Lüttgens. Für die Kliniken ist die jährliche Erfassung auch ein Anstoß zur Weiterentwicklung.Das Ziel ist nach wie vor das gleiche und heute nicht weniger wichtig als vor 30 Jahren: eine journalistisch erhobene und aufbereitete Informationsquelle für Patientinnen und Patienten, die auf der Suche nach der bestmöglichen Behandlung sind.
TOP-Fachkliniken 2025
Die aktuelle Liste der von FOCUS-Gesundheit empfohlenen Top-Kliniken finden Sie hier: www.focus-gesundheit.de/top-nationale-fachklinik/suche