Manuel Robledo steht vor der geschlossenen Bürotür. Er zögert hineinzugehen. Sein Herz klopft schnell, und in seinem Kopf überschlagen sich die Fragen. Werden ihn alle anstarren? Hat sich während seiner Abwesenheit viel verändert? Kann er überhaupt noch mithalten, und wird er es schaffen, von jetzt an auf sich zu achten? Noch vor einigen Monaten überlud sich der geschäftsführende Software-Entwickler mit Verantwortung, bis ihn sein Körper zu einer Pause zwang. Jetzt, am ersten Tag des Wiedereinstiegs, lasten auf der Klinke alle Sorgen, die den 41-Jährigen seit dem Tag der Krankschreibung begleiten.
Wie kommt es zu einem Burnout?
Multitasking, starker Leistungsdruck und Ärger mit Kollegen – chronischer Arbeitsstress kann in einem Burnout enden. Betroffene starten oft sehr engagiert und mit einem hohen Anspruch an sich selbst in einen Job. Nach vielen Rückschlägen und unerfüllten Erwartungen fühlen sie sich zusehends ausgebrannt und handlungsohnmächtig. Die Leistungsfähigkeit nimmt nach eigener Wahrnehmung rapide ab, Resignation und emotionale Erschöpfung machen sich breit.
Oft führt dies zu vielen Fehlzeiten. 3,9 Millionen Fehltage gingen im Jahr 2018 laut einer AOK-Studie auf das Konto eines Burnouts von insgesamt mehr als 176.000 Versicherten.
Einmal in dieses Loch gefallen, finden Betroffene nur schwer wieder in einen geregelten Alltag. Besonders der Schritt zurück in den Job – der Ort, an dem die Probleme anfingen – wirkt wie ein unüberwindbares Hindernis. „Viele der Patienten haben den Glauben an ihre eigene Stärke verloren“, sagt Nico Niedermeier, in München niedergelassener Facharzt für Psychotherapeutische Medizin. Sie müssten lernen, sich wieder selbst zu vertrauen, und brauchen die Gewissheit, künftige Probleme bewältigen zu können.
Unser Experte für Burnout
Nico Niedermeier, Facharzt für Psychotherapeutische Medizin. Therapieschwerpunkte: Depression, Psychosomatik, ZwangsstörungenBurnout-Experten begleiten vom Stress ausgebrannte Menschen auf diesem Weg und bereiten sie mit gezielten Maßnahmen auf den Wiedereinstieg ins Arbeitsleben vor.
Wie bemerkt man ein Burnout?
Ein paar Monate zuvor. Manuel Robledo sitzt im Konferenzraum des IT-Unternehmens, welches er gemeinsam mit zwei Freunden noch während des Studiums gegründet hat. Die Firma entwickelt Websites und Apps im Bereich Mobilität. Er und seine Geschäftspartner haben ein Meeting einberufen, um Ideen für eine Ausschreibung zu sammeln. Robledo ist es gewohnt anzupacken und die Zukunft des Unternehmens zu lenken. Der Job macht ihm Spaß, doch seit einiger Zeit verlangt er ihm auch alles ab. Um ihn herum schreiben bereits alle eifrig ihre Vorschläge auf. Der Zettel vor Robledo ist nach wie vor blank. Der Software-Entwickler versucht, sich verzweifelt zu konzentrieren. Nach einer quälenden Weile verlässt er den Raum.
Am nächsten Tag meldet sich Robledo auf unbestimmte Zeit krank. An die Wochen danach erinnert sich der IT-Spezialist noch gut: „Jeder Schritt ist mir schwergefallen. Ich war antriebslos, verunsichert und hatte kaum noch Selbstvertrauen. Schon Telefonieren überforderte mich – an Arbeiten war nicht zu denken.“
Tipps: Was hilft bei Alltagsstress? (Unser Podcast für ein gutes Körpergefühl – Folge #3)
Zu Gast im Podcast:
Patricia Cammarata, Psychologin und Bestseller-Autorin. Ihre Schwerpunktthemen: Kindererziehung und digitale Medien, Privatheit im Internet sowie Mental Load und Gleichberechtigung.Der Familienalltag kann oft zur Mammutaufgabe werden. Mental Load heißt das Phänomen des ständigen „An-alles-denken-müssens“. Besonders Mütter fühlen sich für die vielen To-dos im Haushalt und in der Familie verantwortlich. Doch die Last im Kopf lässt sich erleichtern. Kluge Strategien sind gefragt und Gleichberechtigung. Die Psychologin und Bestseller-Autorin Patricia Cammarata erklärt, wie sich die Aufgaben besser strukturieren und aufteilen lassen – und warum das auch Kindern und Partnern guttut.
Wann ist professionelle Hilfe sinnvoll?
An so einem Punkt ist professionelle Unterstützung unerlässlich. Sie öffnet Perspektiven, die man selbst nicht mehr wahrnehmen kann. Psychotherapeuten helfen, die Ursachen des Burnouts zu erkunden.
„Verschwimmen die Grenzen zwischen Burnout und Depression, können Fachärzte bei Bedarf eine medikamentöse Therapie einleiten“, sagt Nico Niedermeier. Burnout-Berater und Stressmanagementtrainer bereiten mit situativen Übungen auf den Alltag vor. Auch Manuel Robledo findet bei Annette Kuhr, Fachberaterin für Burnout-Prävention, Unterstützung. Als systemischer Coach und Heilpraktikerin für Psychotherapie ist sie darauf spezialisiert, Menschen durch berufliche Stress-Situationen zu begleiten.
Wichtig ist es, das eigene Verhalten immer wieder zu reflektieren, um schädliche Muster künftig zu vermeiden.
Werbung
Im alten Job bleiben?
„Auch wenn ein Neuanfang Erleichterung verspricht, ist es nicht automatisch der beste Weg“, weiß die Fachberaterin aus Erfahrung. „Man muss erst herausfinden, ob mit dem Stellenwechsel die Ursachen des Burnouts gelöst werden können.“ Denn auch persönliche Verhaltensmuster tragen zu Konflikten im Job bei.
Wer zum Beispiel sehr selbstkritisch ist, wird das am nächsten Arbeitsplatz nicht plötzlich ablegen und schiebt das eigentliche Problem nur auf. Neben persönlichen Eigenschaften können aber auch die Umstände im Job einen Burnout begünstigen – etwa ein belastetes Verhältnis zu Vorgesetzten. Hat das für den ausgelaugten Mitarbeiter einen traumatischen Charakter, liegt ein Wechsel näher. Manuel Robledo erkannte bei der intensiven Analyse: Die Ursachen des Burnouts lagen eher in seinem Verhalten als im Job.
Stress-Situationen bewältigen
Die 4-4-8-Atemtechnik hilft, akuten Stress abzubauen.
So geht’s:
1. wenn möglich, die Situation verlassen
2. bis vier zählen und dabei tief einatmen
3. die Luft anhalten und bis vier zählen
4. durch den Mund ausatmen und bis acht zählen
„Ich habe ein stark ausgeprägtes Pflichtbewusstsein“, sagt er. „Daraus ergaben sich viele Konflikte. Unter meinen Kollegen gab es irgendwann den Begriff „catch all“, weil ich alle Themen an mich gerissen habe, für die sich sonst keiner fand. Mein Verantwortungsgefühl drängte mich dazu, mir viel zu viel Arbeit aufzuladen.“
FOCUS-GESUNDHEIT 09/20
Dieser Artikel ist eine gekürzte Fassung. Den vollständigen Text finden Sie in der Ausgabe Psyche & Job von FOCUS-GESUNDHEIT. Weitere Themen: Wie sich Homeoffice auf die Gesundheit auswirkt, neue Strategien gegen Schnarchen u.v.m.
Zum E-Paper Shop
Zum Print-Shop
Wie der Wiedereinstieg in den Job gelingen kann
Je näher der Wiedereinstieg rückt, desto engmaschiger finden die Sitzungen in Therapie und Coaching statt. Mit Techniken zum Stressabbau und Achtsamkeitsübungen lernen Betroffene, überfordernde Situationen zu bewältigen. „Wichtig ist es, das eigene Verhalten immer wieder zu reflektieren, um schädliche Muster künftig zu vermeiden“, sagt Annette Kuhr. Festgelegte Termine helfen, regelmäßige Reflexionen einzuhalten. Wer die Bedingungen seines Jobs – wie Arbeitszeiten oder Verantwortungsbereiche – neu verhandeln kann, sollte diese Gelegenheit nutzen.
Psychotherapeut Nico Niedermeier rät, Vorgesetzte um eine stufenweise Wiedereingliederung zu bitten. Bei diesem sogenannten Hamburger Modell vereinbaren Arbeitnehmer und Arbeitgeber einen schrittweisen Wiedereinstiegsplan. Auch die jeweilige Krankenkasse muss dem zustimmen. Der Arbeitnehmer beginnt mit einer geringen Stundenbasis und steigert sein Pensum über mehrere Wochen bis zur vollen Auslastung.
„Burnout-Patienten haben so ausreichend Zeit, ihre berufliche Situation langfristig in den Griff zu bekommen“, betont Niedermeier. Rückschläge zu Beginn sind ganz normal. Was in Therapie- und Coaching-Sitzungen gelernt wurde, muss sich in der Praxis erst einspielen. „Nach zwei Wochen“, so Niedermeiers Erfahrung, „zeigt sich die innere Veränderung, und es geht langsam bergauf. Unterstützung bieten währenddessen – neben Familie, Freunden und Therapie – auch Selbsthilfegruppen.
Arbeitspensum managen
Jede Aufgabe der kommenden Woche kommt auf einen Zettel. Fragen Sie sich selbst: Was eilt? Was ist nicht so wichtig? Sortieren Sie die Zettel anschließend danach. So können Sie einem überfüllten Arbeitsalltag rechtzeitig gegensteuern.
Werbung
Alles auf Neuanfang
Manuel Robledo handelte mit seinen Geschäftspartnern eine neue Position als Entwicklungsleiter aus. Die Stelle verlangt ihm weniger Verantwortung ab und lässt mehr Spielraum für Weiterentwicklung. Nach wochenlanger Aufarbeitung kehrte er schließlich wieder in sein Büro zurück. In regelmäßigen Abständen überprüft er seitdem sein Verhalten und checkt, ob es ihm insgesamt gut geht. „Ich höre jetzt auf das, was mir mein Körper signalisiert.
Kann ich schlecht einschlafen oder bekomme Rückenschmerzen, gebe ich Aufgaben ab.“ Abends macht er pünktlich Feierabend. „Dadurch kann ich mehr Zeit mit meiner Familie verbringen“, sagt der Vater von zwei Kindern. Sein Wesen hätte sich seit dem Burnout verändert: „Ich vertraue meinen Fähigkeiten wieder und lasse mich von Rückschlägen nicht mehr so leicht verunsichern. Es ist mir heute wichtig, einfach ein fröhlicher und gelassener Mensch zu sein.“
Ziele erreichen
Zu Beginn des Wiedereinstiegs sind Erfolge wichtig.
Mit der SMART-Formel prüfen Sie, ob Ihre Vorsätze erreichbar sind.
Erfüllen sie alle folgenden Attribute?
S pezifisch
M essbar
A ttraktiv
R ealisierbar
T erminiert
Burnout-Selbsttest
Treffen mehr als sieben Punkte auf Sie zu, sollten Sie einen Experten zurate ziehen.
- Ich fühle mich häufig erschöpft.
- Nach der Arbeit kann ich nicht abschalten.
- Ich bin unruhig und reizbar.
- Es ist mir wichtig, beliebt zu sein.
- Mein Schlaf ist wenig erholsam.
- Ich bin ein „Harmoniemensch“.
- Ich stehe oft unter Zeit- und Termindruck.
- Ich habe häufig Kopf-, Rücken- oder Magenschmerzen.
- Es fällt mir schwer zu entspannen. Termine mit Freunden sage ich häufiger ab. Ich bin oft lustlos.
- Ich kann schlecht ein- oder durchschlafen. Ich bin schlechter organisiert als früher. Ich möchte es allen recht machen.
- Ich werde immer gleichgültiger.
- Ich habe wenig Zeit für mein Privatleben. Ich grüble viel.
- Ich fühle mich zunehmend angespannt. Ich bin weniger leistungsfähig als früher. Manchmal ist mir alles zu viel.
Quelle: Fachzentrum für Stressmedizin und Psychotherapie Hamburg